High-Tech-Anti-Kapitalismus: Ein Widerspruch in sich?

Anti-kapitalistische Tendenzen im High-Tech-Kapitalismus - ausgehend vom Versuch einer Epochenbestimmung zeigt der Autor Möglichkeiten und Reserven antisystemischer Entwicklungen auf.

Was liegt angesichts der enormen technologischen Entwicklungssprünge in unserer Zeit näher, als in solchen Zusammenhängen auch über die Möglichkeiten eines High-Tech-Anti-Kapitalismus zu reflektieren. Dabei ist es schon bemerkenswert, daß sich für viele ›High-Tech-Kapitalisten‹ nicht erst seit dem 11. September 2001 die Vorstellung eines High-Tech-Anti-Kapitalismus allein auf ›high tech terrorist warfare‹, ›biotech attacks‹ und dergleichen beschränkt. Unter dem Titel ›counterterrorism‹ hat sich im Internet und auch sonstwo ein ganzer Hochtechnologiezweig angesiedelt, der jetzt einen weiteren gewaltigen Aufschwung erleben dürfte. Auf der anderen Seite scheint vielen antikapitalistischen Bewegungen ›der Kapitalismus‹ hinreichend durch seine hochtechnischen Kontroll- und Unterdrückungsapparate gekennzeichnet zu sein. Da entsteht ein circulus vitiosus, der kaum Raum läßt für die Gleichung High Tech = politischer Fortschritt. De facto aber leben die interessantesten "antisystemischen Bewegungen" (um einen Ausdruck von Immanuel Wallerstein zu gebrauchen) heute von ausgesprochen friedlichen und auf jeden Fall gewaltlosen Konfliktaustragungspraktiken, basierend auf den neuen ›virtuellen‹ Hochtechnologien, und gelegentlich - das gab es schon lange nicht mehr - sogar von High-Tech-Visionen.

Für eine Argumentation, die diesen Faden aufnimmt, bedarf es einer Epochenbestimmung. Einem High-Tech-Kapitalismus muß ein Low-Tech-Kapitalismus voraufgegangen sein. Doch ›high‹ und ›low‹ sind relative Begriffe, wenn beispielsweise mit ›low‹ die fordistische und mit ›high‹ die postfordistische Phase gemeint wären. Die Schwierigkeiten der ›new‹ oder ›high economy‹ gehen ja auf eine Unterschätzung der ›old‹ oder ›low economy‹ zurück. Andererseits sind diese Schwierigkeiten auch der Tatsache geschuldet, daß Kapitalismus jedweden Höhengrades gar nicht in der Lage ist, das ›high‹ an der ›new technology‹ wirklich in eine ›new economy‹ umzusetzen.

Eine Epochenbestimmung möchte ich auf zweierlei Art vornehmen, jeweils auf der Grundlage der historisch-materialistischen Entwicklungstheorie. Zum einen geht es um ›Emergenz‹, das heißt, um einen stufenhaft fortschreitenden Vergesellschaftungsprozeß im Verhältnis Planet Erde (allgemeiner Arbeitsgegenstand) und Menschheit (ideeller Gesamtarbeiter). Vielfältige Produktivkraftsysteme und vielfältige Produktionsverhältnisse (dominant kapitalistischer Provenienz) sind längst zu einem globalen System vielfältiger Produktionsweisen und vielfältiger Überbauten aufgestiegen und in ihm aufgehoben.Dieses komplexe Weltsystem steht unter der Hegemonie des Kapitals (etwa im Sinne des Rifkinschen "Hyperkapitalismus" 1 ), ist in diesem Sinne ein System des globalen Kapitalismus, das derzeit zugleich durch vielfältige antisystemische Bewegungen (teilweise mit High-Tech-Charakter) herausgefordert wird.

Zum anderen bietet sich im Rahmen aktiver Kulturkritik ein weiteres Epochenschema an: die Entwicklungsdialektik von ›Modernität‹ und ›Postmodernität‹. Ich benutze diese Anglizismen, um mich möglichst genau auf Fredric Jameson beziehen zu können, der dieses Entwicklungsschema wie kein zweiter zu einem Erkenntnisinstrument globaler Dynamik verfeinert hat. 2 In das System von Jameson kann ich hier nicht einsteigen. Nur so viel: der Gegensatz und die Abfolge von Modernität und Postmodernität wären das Signum unserer Epoche. Jameson reibt sich vor allem an der Ideologie der Moderne, am Modernismus. Der Modernismus wurde erst laut und lauter, rechts wie ›links‹, als die reale Moderne sich historisch desavouiert hatte. Im Postmodernismus hingegen treffen sich Realität und Ideologie, realer Raum und Hyperraum, Moderne und deren Negation und letztlich Ökonomie und Kultur auf globaler Ebene in fast unauflöslicher Einheit. Postmodernismus ist die Logik des spätkapitalistischen Weltsystems, und diese Logik ist zuallererst eine kulturelle.

Ich möchte also gern ein Schema anwenden, das zwei Formen des Kapitalismus und folglich zwei Formen des Anti-Kapitalismus unterscheidet, den modernen und den postmodernen Kapitalismus und den modernen und den postmodernen Anti-Kapitalismus. Alle vier Formen sind selbstverständlich sowohl in der historischen Zeit als auch in den sozialen Räumen dialektisch miteinander verschränkt. Im Vordergrund meiner Überlegungen steht dabei weniger der moderne, sondern vielmehr der postmoderne Kapitalismus und, gemäß meinem Thema, weniger der moderne sondern vor allem der postmoderne, der ›eigentliche‹ High-Tech-Anti-Kapitalismus.

Vom Stalinismus zur California Ideology

Der moderne (und damit durchaus auch schon ›High-Tech‹-) Anti-Kapitalismus war im weitesten Sinne der Stalinismus. Er war geradezu unglaublich modern, sofern er sich am Taylorismus und Fordismus orientierte und auf ihn reagierte. Richard Barbrook 3 hat das stalinistische Anti-Kapitalismus-Programm - auf ironische Weise - mit folgenden Merkmalen gekennzeichnet:

  1. Eine Avantgarde von Berufsrevolutionären (führende Rolle der Partei - Vanguard party).
  2. Die Planung der Produktivitätsentwicklung in festen Rhythmen (Fünf-Jahr-Plan - The Five-Year Plan).
  3. Die Erzeugung von Technikbegeisterung in der Jugend (Junge trifft auf Traktor - Boy meets tractor).
  4. Ein globaler Zusammenschluß der Avantgarde und eine Abstimmung der Ziele (Dritte Internationale - Third International).
  5. Fixierung auf ein urbanes Zentrum alternativer (Technik)Entwicklung (Moskau - 1938 und noch 1947 möglicherweise die modernste Stadt der Welt).
  6. Ein publizistisches Zentralorgan zwecks internationaler Sprachregelung (Prawda).
  7. Ausgearbeitete strategische und taktische Aktionsvorgaben (Partei-Linie - Party line).
  8. Foren und Netze von Beratungsgremien (Sowjet- beziehungsweise Rätedemokratie - Soviet democracy).
  9. Eine Evolutions- beziehungsweise Entwicklungstheorie zur Begründung der faktisch ablaufenden (Gegen)Elitenbildung (Lysenkoismus - Lysenkoism).
  10. Die Betrachtung der Gesellschaft als industrielles Produktionssystem oder Unternehmen (Gesellschaft als Fabrik - Society as factory).
  11. Vorstellungen von einer neuen Stufe in der Entwicklung des Menschen (Der neue Sowjet-Mensch - New Soviet Man).
  12. Anreize für das Übertreffen von Produktivitätszielen und -standards (Das Stachanowsche System der Normübererfüllung - Stakhanovite norm busting).
  13. Säuberungen nach dem Prinzip ›survival of the fittest‹ (Schauprozesse - Purges). 14. Identitätsbildungen aufgrund regionaler und kultureller Besonderheiten (Russischer Nationalismus und nationale Befreiungsbewegungen - Russian nationalism).

Das also war ein der Moderne, der Hochmoderne, würdiges Projekt des High-Tech-Anti-Kapitalismus - wobei festzuhalten wäre, daß die ›reale‹ Moderne ihren Höhepunkt in den zwanziger Jahren erlebte.

Hinter dem modernen antikapitalistischen Projekt des Stalinismus stand im übrigen, und das hat Immanuel Wallerstein auf den Punkt gebracht, eine ganz bestimmte antisystemische Organisationsstrategie, der demokratische Zentralismus, dessen Prinzipien lauteten: ›Der erste Schritt zur Erreichung des Menschheitsziels einer kommunistischen Gesellschaft ist die schnelle Eroberung der Staatsmacht durch Revolution. Zu diesem Zweck müssen die fortschrittlichen Kräfte beziehungsweise die Arbeiterklasse sich eine gut organisierte, einheitliche Partei schaffen. Außerdem erzwingt der Weg vom Kapitalismus zum Kommunismus eine Phase der Diktatur des Proletariats, in welcher die Macht ausschließlich in den Händen der Arbeiterklasse liegt. Insofern ist der sozialistische Staat eine notwendige Stufe auf dem universalen Weg des Fortschritts. Und nicht nur das: Um den Übergang zum Stadium des Kommunismus zu bewerkstelligen, muß der Sozialismus sogar zunächst im Rahmen von Nationalstaaten, als eine nationale Entwicklung entfaltet werden.‹ 4

Das Ende des Kalten Krieges, das Ende der Systemauseinandersetzung, hat diesen modernen Anti-Kapitalismus aus der Geschichte geräumt - oder ich sollte sagen, aus dem Zentrum des Geschehens, denn wir alle wissen, daß Elemente seiner antisystemischen Organisationsstrategie beleibe noch nicht verschwunden sind. Doch auch mit dem modernen Kapitalismus ist etwas geschehen. Die amerikanische Politologin Susan Buck-Morss sagt, "das historische Experiment des Sozialismus" sei "so tief in der westlichen Modernisierungstradition verwurzelt gewesen, daß seine ›Niederlage‹ gar nicht umhin kann, die gesamte westliche Narration in Frage zu stellen" 5 .

Und dennoch ist, aus der Sicht meines Themas, in diesem Transformationsprozeß etwas Hochinteressantes zu beobachten, wenn man sich die Mühe macht, die Merkmale eines ›neuen‹, eines ›postmodernen‹, eines auf den neuen Hochtechnologien basierenden Kapitalismus herauszufinden. Man beobachtet dann nämlich, daß der postmoderne Kapitalismus - hoch lebe die Dialektik - bestimmte Elemente des stalinistischen Anti-Kapitalismus-Projekts in sich aufgenommen hat und entfaltet. So jedenfalls sieht es Richard Barbrook mit der kalifornischen Spielart des High-Tech-Kapitalismus kommen - auch dies ist selbstverständlich mit einem Körnchen Ironie zu lesen:

  1. Eine Avantgarde von Berufsrevolutionären (statt führender Rolle der Partei: führende Rolle der Digerati 6 ): schon hier wird klar, daß es sich nicht um die Kopie des antikapitalistischen stalinistischen Projekts handelt, sondern um Lehren, die aus ihm gezogen werden; die Digerati verstehen sich in extremer Weise als Avantgarde, aber sie organisieren sich nicht als Partei, sondern als Kult - The Cult of the Digerati.
  2. Die Planung der Produktivitätsentwicklung in festen Rhythmen (statt Fünf-Jahr-Plan das Neue Paradigma - The New Paradigm): die dialektische Umformung des rigiden Planungssystems des modernen Industrialismus in ein System der produktivitätssteigernden (und ebenso ausbeuterischen) Flexibilisierung und Selbstorganisation der Produktion 7 , wobei hinter dem New Paradigm außerdem das neue Konzept einer ›Binary Economics‹ steht, die das Verhältnis von Markt und Staat radikal zugunsten der Marktideologie regeln will. 8
  3. Die Erzeugung von Technikbegeisterung in der Jugend (statt Junge trifft auf Traktor: Computer-Kid geht ans Netz - Nerd meets net): auch wenn ein meilenweiter Unterschied zwischen dem Traktoristen und dem Computer-Kid zu bestehen scheint, in beiden Fällen geht es um die Faszination und Eröffnung technischer Traumwelten; das Neue ist die Maschine. Der Computer ist eine Universalmaschine, mit deren Hilfe sich Traktorenträume ebenso wie virtuelle fantasy-Welten realisieren lassen.
  4. Ein globaler Zusammenschluß der Avantgarde und eine Abstimmung der Ziele (statt Dritter Internationale: das Ideologem der ›Dritten Welle‹ - Third Wave): Samuel P. Huntingtons Theorie einer ›dritten Welle der Demokratie‹ entspricht vollkommen dem Organisierungs- und Orientierungsanspruch der Dritten Internationale (und wohl auch der Vierten); ›The Third Wave of Democracy‹ ist der globale Herrschaftsanspruch des westlich-US-amerikanischen Systems. 9
  5. Fixierung auf ein urbanes Zentrum alternativer (Technik)Entwicklung (statt Moskau: Silicon Valley).
  6. Ein publizistisches Zentralorgan zwecks internationaler Sprachregelung (statt Prawda: Wired).
  7. Ausgearbeitete strategische und taktische Aktionsvorgaben (statt Parteilinie: Unique thought): ›Hierarchical unique thought‹ oder das ›directory syndrome‹ meint einfach, die hierarchische Struktur des Netzes selbst gibt die Linie der Aktionen vor. 10
  8. Foren und Netze von Beratungsgremien (statt Rätedemokratie: Elektronische Bürger-Foren - Electronic town halls).
  9. Eine Evolutions- beziehungsweise Entwicklungstheorie zur Begründung der faktisch ablaufenden (Gegen)Elitenbildung (statt Lysenkoismus: Memetik - Memetics 11).
  10. Die Betrachtung der Gesellschaft als industrielles Produktionssystem oder Unternehmen (statt Gesellschaft als Fabrik: Gesellschaft als Bienenstock - Society-as-hive).
  11. Vorstellungen von einer neuen Stufe in der Entwicklung des Menschen (statt des neuen Sowjetmenschen: Posthumans 12 )
  12. Anreize für das Übertreffen von Produktivitätszielen und -standards (statt Stachanow: überarbeitete Zeitarbeiter - Overworked contract labor).
  13. Säuberungen nach dem Prinzip ›survival of the fittest‹ (statt Schauprozessen: Rationalisierungsentlassungen - Downsizing).
  14. Identitätsbildungen aufgrund regionaler und kultureller Besonderheiten (statt russischem und anderem sozialistischen Nationalismus: kalifornischer Chauvinismus - California chauvinism).

Doch auch im Ernst: Es gibt einen solchen kapitalistischen Postmodernismus, und er hat das Potential zu einem globalen, einem planetarischen Kulturkonzept für die nächsten Jahrhunderte. Er entwickelt sich vor allem in Organisationen und Think Tanks wie dem Global Business Network (GBN) 13 . Das GBN wurde Anfang der neunziger Jahre gegründet von ›the WELL‹-Initiator Stewart Brand, dem Futuristen Peter Schwartz, dem Philosophen Jay Ogilvy und vielen anderen kalifornischen ›Digerati‹, darunter William Gibson und Howard Rheingold. "Das Global Business Network", schreibt das Magazin brandeins, "ist eine Art Müttergenesungswerk für verdiente ›Digerati‹, die Mitglieder des digitalen Adels" geworden (sind)... Die erstklassig dotierten Referenten- und Beratungsjobs verhelfen vielen Cyber-VIPs zu Geld und Einfluß". 14 Im GBN sind inzwischen rund hundert multinationale Konzerne vereint (60 amerikanische, 30 europäische, zehn aus dem ›Rest der Welt‹). Unter anderem verfolgt man die Vision eines weltweiten Netzwerks von ›small businesses‹. In der San Francisco Bay Area und weltweit werden hochdotierte Schulungsseminare für Manager angeboten. Vor kurzem heuerten die Joint Chiefs of Staff GBN an, um sich Szenarios anfertigen zu lassen über militärische Bedrohungen, die in den nächsten 30 Jahren auf die USA zukommen könnten - mit bescheidenem Erfolg, wie die Ereignisse des 11. September 2001 offenbarten. Neben den corporate members des GBN gibt es über tausend individuelle Mitglieder, darunter Künstler und Intellektuelle, wie Laurie Anderson, Brian Eno, Peter Gabriel, Francis Fukuyama, Sherry Turkle und Francis Varela. Wichtig für ein Verständnis des GBN ist unter anderem das Projekt The Long Boom 15 . The Long Boom erklärt die 40 Jahre von 1980 bis 2020 zur Schlüsselzeit für das nächste Jahrtausend, natürlich auf der Grundlage der ›California Ideology‹.

Gegen diesen neuen, postmodernen High-Tech-Kapitalismus der California Ideology also gilt es zu denken und zu argumentieren, wenn wir uns ein Bild von den Möglichkeiten eines High-Tech-Anti-Kapitalismus machen wollen, der diesen Namen verdient. Sehen wir uns also den postmodernen High-Tech-Kapitalismus noch etwas genauer an, und zwar bezüglich des Zustands, den er nach der Krise der ›new economy‹ tatsächlich erreicht hat. Denn es steht, wie gesagt, zu vermuten, daß viele der Versprechen der California ideology sich unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen - oder genauer: in der kapitalistischen Produktionsweise - gar nicht einlösen lassen und folglich zurückgepfiffen worden sind.

Die Krise der New Economy

Vor diesem Hintergrund ist es nicht uninteressant, die Verarbeitung des Zusammenbruchs der neuen Hochtechnologie-Aktienmärkte, die ja eine spezifische Krise widerspiegeln, durch einige der maßgeblichen Internet Gurus zur Kenntnis zu nehmen. 16

Typisch ist hier die Position des Harvard Professors Clayton M. Christensen 17 , der bis vor kurzem die These vertreten konnte, daß die neuen ›disruptiven‹ Technologien des Internet alle im Herkömmlichen verharrenden Unternehmen in den Abgrund reißen würden - und der nun eingestehen muß, daß im Augenblick das Gegenteil einzutreten scheint.

Und dann ist da noch John Hagel III 18 , der frühere McKinsey-Experte für Internet-Fragen, mit seiner noch gestern vielbeachteten, interessanten These, daß das Verknüpfen mit existierenden online communities und die dadurch mögliche Anpassung an Dienstleistungswünsche der Konsumenten der wichtigste Schlüssel zu profitablen Geschäftsstrategien auf dem Netz sei. Heute, nach dem Einbruch, muß Hagel sich mit der antithetischen Situation auseinandersetzen, daß diejenigen Strategien, die langfristig den meisten geschäftlichen beziehungsweise Konsumsinn machen, durch die Kapitalmärkte abgestraft wurden. "Corporations resisted setting up Web communities because they didnÂ’t want consumers saying bad things about their products..." Das aber dürfte doch - Synthese - den einfachen Schluß erlauben, daß gerade mit sogenannten Netzgemeinschaften, mit ihrer Kommunikationsdichte und ihren Kommunikationsformen, Tauschwerte an Wert verlieren und Gebrauchswerte an Wert gewinnen - für das Kapital ein unauflösbarer Widerspruch.

Die arrivierten ›Digerati‹ Kevin Kelly 19 , früherer Herausgeber von Wired, und Peter Schwartz 20 , einer der Gründer des Global Business Network, befinden sich in einer besonderen Klemme. Ihre These lautete bislang, daß die Beschleunigung der netztechnischen Innovationen und der um sich greifende Globalisierungsprozeß der Welt einen mehrere Jahrzehnte andauernden Wohlstand mit ganz neuen ökonomischen Regeln bescheren würden. Sie nannten das The Long Boom. Heute begegnen die einst heiß begehrten Redner nur noch großer Skepsis und Ablehnung. Ihre Schlagworte ›Feed the Web first‹, ›Let go at the top‹ und vor allem ›Follow the free‹ will niemand mehr hören. Aber diese ›Digerati der ersten Stunde‹ geben nicht auf. "Das Problem war nur, daß die Leute keine Idee hatten, für welche Dienstleistungen sie innerhalb der freien Angebote hätten Geld verlangen können." Das ist in der Tat die Quadratur des Kreises in einer kapitalistischen Wirtschaft: wie mit Verschenken verdienen?

Und schließlich Philip Evans von der Boston Consulting Group 21 mit seiner These aus den Hochzeiten des High-Tech-Booms, daß das Internet die Notwendigkeit etablierter middlemen, Vermittler, Zwischenhändler usw., beseitigt habe und so das Spielfeld für alle Konkurrenten egalisiere, die nunmehr sich allesamt um eine direkte Beziehung zu den Konsumenten und Kunden bemühen müßten. Resigniert formuliert er unter dem Eindruck der Krise seine Antithese, daß jede politische oder ökonomische Revolution wohl die eigenen Kinder frißt und daß in Zeiten fundamentaler Umwälzungen überall experimentiert wird und die meisten dieser Experimente scheitern.

Antizipiert und zusammengefaßt worden sind diese Argumente, auch in ihrer dialektischen Struktur, eigentlich schon 1999 durch das - in der Bundesrepublik von den Linken weitgehend unterschätzte - Cluetrain Manifesto 22 einer Gruppe führender amerikanische Werbeleute. Wobei noch anzumerken ist, daß das Manifest insgesamt 95 Thesen umfaßt, weil die Autoren an den Protestantismus Martin Luthers erinnern möchten und weil der Adressat das Papsttum der Gegenwart ist, die Bosse der transnationalen Konzerne nämlich. Die wesentlichen Aussagen des Cluetrain Manifesto (deren Übersetzung aus dem Werbe-Amerikanischen nicht einfach ist) lauten wie folgt: ›Es geschieht etwas Neues, wenn Internetvernetzte Märkte auf Intranetvernetzte ›Werktätige‹ stoßen. Die Verflochtenheit des Netzes transformiert das Innere und Äußere Eurer Geschäfte, Märkte und Beschäftigten. Durch das Internet entdecken und erfinden die Menschen auf Euren Märkten neue Formen des Umgangs miteinander. Sie reden über Eure Geschäfte. Sie erzählen einander auf sehr menschliche Weise die Wahrheit. Darüber hinaus befähigen die Intranets Eure besten Leute, sich miteinander durch Hyperlinks zu verbinden, und zwar unter Umgehung der Organisationspläne. Eure Leute werden dadurch unglaublich produktiv und innovativ. Und auch sie erzählen einander auf sehr menschliche Weise die Wahrheit. Eine neue Form des kommunikativen Austauschs ist entstanden zwischen und innerhalb Eurer Märkte und Eurer Beschäftigten. Das macht sie schlauer und befähigt sie dazu, ihre eigene, menschliche Redeweise zu entdecken. Ihr habt zwei Möglichkeiten. Ihr könnt Euch weiterhin hinter Eurer oberflächlichen Konzernsprache und Euren Happytalk-Broschüren verstecken. Oder Ihr beteiligt Euch am Gespräch.‹

Es gibt inzwischen zigtausend Manifest-Unterschriften aus der Werbebranche überall auf der Welt und zahlreiche nationale Initiativen, auch in der Bundesrepublik. Nicht von ungefähr ist vieles an dieser Aktion kurios und letztlich mainstream - aber war das mit Martin Luthers Bewegung nicht auch so? Und dem Cluetrain Manifesto vergleichbare Initiativen mehren sich, beispielsweise in der Wissenschaft.

Das Massachusetts Institute of Technology (MIT) hat vor kurzem verkündet, aus seinem Kursangebot im ›Netz‹ keinen Profit mehr schlagen zu wollen, sondern sein Angebot - 2000 Kurse, Vortragsnotizen, Problemlösungen, Examen, Simulationen, Vorlesungsvideos - weltweit in einem 100-Millionen-Dollar-Programm kostenlos zur Verfügung zu stellen. Die Zehn-Jahres-Initiative schließt sich damit gewissermaßen der open-source-Bewegung an, in all ihrer Widersprüchlichkeit, und nennt sich auch OpenCourseWare. Wenn man weiß, welchen ›Hype‹ (substanzloser Höhenflug von gewöhnlich kurzer Dauer - Stefan Merten) die Medienkonzerne um das Wort content und die Frage des intellectual property verbreiten, kann man die MIT-Initiative (trotz des in ihr verborgenen hegemonialen Anspruchs) nur als revolutionär-reformistisch bezeichnen. 23

Für den Herbst haben 50 000 Wissenschaftler weltweit angekündigt, sie würden nur noch in Fachzeitschriften publizieren, die ihre Artikel nach höchstens sechs Monaten der Öffentlichkeit frei und kostenlos zur Verfügung stellen. 24

Postmoderner High-Tech-Anti-Kapitalismus

Was ist nun diesem postmodernen High-Tech-Kapitalismus als postmoderner High-Tech-Anti-Kapitalismus entgegenzusetzen? Es müßte - denke ich - zunächst einmal eine Art ›aktiver Kulturkritik‹ sein - eingedenk der Tatsache, daß der ›neue Kapitalismus‹, wie es Fredric Jameson und Jeremy Rifkin ausdrücken, Kultur in Ökonomie und Ökonomie in Kultur verwandelt.

Von der Seite des globalen Kapitalismus selbst haben wir es allerdings, wie gesagt, mit ganz anderen, eigentümlichen Bestimmungen eines High-Tech-Gegners zu tun. Da geht eine Heidenangst um vor dem, was sich unter dem Begriff Cyber-Terrorismus subsumieren läßt. Schon seit geraumer Zeit weckt hier eine ganze ›counter-terrorism‹- Industrie Zukunftsängste vor einer ›Cyber Warfare‹, die von High-Tech-Fundamentalisten ausgeht. In gewissem Sinne ist diese ›Cyber Warfare‹ tatsächlich längst im Gange - also keineswegs erst nach dem 11. September 2001. Überdies muß festgehalten werden, daß diese schrecklichen Anschläge eindeutig der Low-Tech-Sphäre zuzurechnen sind - oder in meinem Sprachgebrauch: der Moderne.

Auch bezüglich der postmodernen Sphäre allerdings beschreibt Florian Rötzer schon im Mai 2001 in Telepolis 25 , wie die "Medien ... die Erwartungen vor dem ›Krieg‹ im Cyberspace und dem Angriff schüren, den chinesische Hacker planen". "Vielleicht", so Rötzer, "will man ihn einfach auch mal erfahren, den Cyber- oder Infowar, über den schon viele Gerüchte zirkulierten, der die nationale Infrastruktur und damit ganze Länder lahmlegen kann und der dann meist doch nur darin besteht, daß ein paar Hacker - oder wie man sie immer nennen mag - ein paar Websites überschreiben oder den Zugang zu einer Site für einige Zeit stören". Andererseits ist es schon bedrohlich, auf welch unverfrorene Weise das FBI zum Beispiel nach den Demonstrationen von Seattle dem alternativen Nachrichtendienst Indymedia alle Logfiles entwendete. 26

Aber diese Spielchen der Verengung auf ›Cyber Warfare‹ sollten sich aktive Kapitalismuskritiker auf keinen Fall aufdrängen lassen. Zumal diese Verengung in einem komplexen und in sich widersprüchlichen Weltsystem weder technisch noch kulturell möglich oder gar nötig ist. Auch faktisch ist es ja so, daß die Selbstorganisation antisystemischer Bewegungen mit Hilfe der Kommunikations-und Informationstechnologien auf viel breiterer Grundlage im Gange ist und ein ziemlich hohes Niveau erreicht hat.

Um hier systematisch etwas weiter zu kommen, sollte man die einer postmodernistischen Situation angemessenen organisationsstrategischen beziehungsweise organisationspolitischen Prinzipien verstärkt reflektieren. Auch hier wären Thesen von Wallerstein ein guter Ausgangspunkt.

›Die antisystemischen Kräfte sollten sich auf die Expansion realer sozialer Gruppen auf vielfältigen lokalen Ebenen aller Art konzentrieren, und auf deren Zusammenschluß (und ständige Umgruppierung) in uneinheitlicher Form auf den höheren Ebenen. Der fundamentale Irrtum der antisystemischen Kräfte in der voraufgehenden Epoche war der Glaube, daß die Effektivität einer Struktur mit ihrer Einheitlichkeit wuchs. Zweifellos war eine solche Politik logisch und brachte scheinbar Ergebnisse, so lange die strategische Priorität auf der Eroberung der Staatsmacht lag. Doch heute ist demokratischer Zentralismus genau das Gegenteil dessen, was nötig ist. Die Solidaritätsbasis zwischen den vielen realen Gruppen der höheren Ebenen (Nation, Region, Welt) muß subtiler, flexibler und ›organischer‹ sein. Die Familie der antisystemischen Kräfte muß sich mit vielen verschiedenen Geschwindigkeiten bewegen und ständig ihre taktischen Prioritäten umformulieren.‹ 27

Mit diesen organisationspolitischen Prinzipien ist es aber nicht getan. Alles läuft letztlich auf die Frage des kritisch-aktiven ›Subjekts‹ hinaus, oder genauer, auf die gute alte Intellektuellen-Problematik. Denn wenn ich eingangs, etwas provokativ, behauptet habe, der Anti-Kapitalismus der Moderne sei der Stalinismus gewesen - vielleicht noch zugespitzter: der Militär-Industrie-Komplex der UdSSR -, so muß ich jetzt ergänzen, nein: der Anti-Kapitalismus der Moderne war selbstverständlich Stalinismus plus Intellektuelle - und zwar Intellektuelle in all ihrer widersprüchlichen Vielfalt und Nähe oder Ferne zum Stalinismus.

Intellektuelle wären dann diejenigen, die den vielfältigen, massenhaften Erfahrungen der Ausbeutung und der Entfremdung Ausdruck zu geben vermögen. Die Intellektuellen wären also auch diejenigen - so sie sich in irgendeiner Form auf die Marxsche Kapitalismuskritik beziehen -, die auch bestimmte Grundannahmen und kritische Einsichten aus der Moderne, aus dem ›modernen‹ Anti-Kapitalismus, am Leben halten und in die gegenwärtigen Debatten tragen. Allerdings unterliegen Klassenkampf, Polarisierung, Ideologie und Entfremdung 28 heute einem gewaltigen Wandel in der Erscheinung. Die Erscheinung ist unter dem Einfluß der virtuellen Technologien selbst ein Moment ihres Wesens geworden. Was unter anderem heißt, daß heute auch Klassenkämpfe virtuell - und damit in einem präzisen Sinne friedlich - ausgetragen werden können.

Zugleich sollten wir die ›inneren‹, die kreativen Möglichkeiten des Intellektuellen unter den Bedingungen von Individualisierung und Technisierung nicht vergessen. In der Massenkultur, in manchen wilden Cybertheorien 29 und insbesondere im Cyberpunk begegnet er uns, der neue Intellektuellentyp, dem unsere Kids nacheifern: der allseitig entwickelte und vor allem allseitig mit bestem Gerät ausgestattete, wider die hochtechnisierten Mächte der Finsternis antretende Einzel-Cyberkämpfer. Und er kämpft mit virtuellen, friedlichen Mitteln - effektiv.

Als eine zivile Form des beispielsweise in dem Film The Matrix gefeierten Cyberkämpfers gilt die Gruppe ®Tmark 30 , ein High-Tech-Intellektuellen- Stoßtrupp in Corporate Territory. Die Organisation ärgert seit 1993 die Corporations, indem sie deren Definitionsmacht über die Anwendungen der Netztechnik und der High Tech im allgemeinen angreift. Der Trick besteht in der Assimilation mit dem Ziel der Sabotage. So präsentiert sich ®Tmark auf der Netzseite samt 40minütiger Video-Selbstdarstellung nach allen Unternehmensregeln. 14 Fonds werden betrieben, in jeden können Investoren einzahlen. Die Rendite wird in Form von kulturellem Aktivismus ausgezahlt. Einige Projekte: Die Internet-Seite der Welthandelsorganisation (WTO) wurde gespiegelt und mit den Mitteilungen der Seattle-Gegner unterlegt, auf einer Internetauktionsseite konnten Wählerstimmen für den US-Präsidentschaftswahlkampf gekauft werden usw. usw.

Es gäbe hier - international, aber kaum in Deutschland - zahllose Beispiele. Ich habe einige Typisierungen und Kategorisierungen zusammengestellt zu Formen und Möglichkeiten des Widerstands, unvollständig und bezogen auf die widersprüchlichen und vielfältigen "Risse im Beton" (Christof Ohm):

  1. Die Stufe des individuellen Ausstiegs in die spontane Freizeit-Kollektivität: etwa nach dem Motto von Slavoj Zizek: "Wir alle sind arbeitslos" 31 .
  2. Die Stufe alternativer, aber nicht unbedingt anti-systemischer Kooperation: dazu gehören viele Formen der open source-, open content- usw. Bewegungen, nicht zuletzt die schon erwähnte MIT-Initiative 32 .
  3. Die Stufe neuer, nichtmonopolistischer Wirtschaftsformen: Man spricht neuerdings vom Wachsen einer aus den Flohmärkten und den Bazaren der Dritten Welt aufsteigenden ›Pop-Wirtschaft‹; vor allem aber gibt es die breite (wenngleich geschwächte) weltweite Genossenschaftsbewegung und Inseln des Genossenschaftswesens (zum Beispiel in Italien 33 ).
  4. Der Raum neuer gewerkschaftlicher Versuche, die sich an der einen oder anderen Stelle, selbst bei Ver.di, abzeichnen und die unter der Überschrift "postmodernes gewerkschaftliches Handeln" zu untersuchen wären. 34
  5. Der Raum der Subkulturen, wo sich heute im nicht-euklidischen Cyberspace das eine oder andere tut, das einst durch das hochmoderne Phänomen des Surrealismus und dann durch Cyberpunk 35 , ctheory 36 , die Memetiker 37 usw. angestoßen wurde.
  6. Die Stufe der Assoziation freier Produzenten zwecks Produktion freier Assoziationen: Experimente mit dem ›Sozialen‹, mit Varianten des Ausstiegs, der Askese, der Solidarität. 38
  7. Die Stufe der Assoziation freier kybernetischer Produzenten zwecks Produktion freier algorithmischer Assoziationen: Erkundungen neuer Formen sozialer Selbstorganisation und gesellschaftlicher Problemlösung auf der Grundlage der neuen kybernetisch-algorithmischen Produktivkräfte. 39

Angesichts dieser und anderer Varianten des Widerstands entstehen praktische Kontroversen. Ist der Ausstieg aus dem Verwertungsprozeß Voraussetzung für die ›Befreiung‹ oder ist der Verwertungsprozeß auf seiner jetzigen Stufe nicht selbst schon das Milieu für Assoziationsformen des Widerstands? Man bedenke: Produktionsmittel und Arbeitskräfte werden ›identisch‹; Arbeitszeit und Freizeit werden ›identisch‹; die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit ist bereits radikal abgesenkt; die herrschaftlich eingeforderte Dienstleistungszeit steigt drastisch an und provoziert Renitenz; die verdinglichten Sozialbeziehungen werden durch die Simulationskultur hypertrophiert und provozieren Resistenz in der Simulationskultur selbst.

Diese Problematik wurde zum Beispiel auch auf der ersten deutschen Konferenz der ›Freien-Software‹-Bewegung, der Oekonux-Konferenz 40 , deutlich. Unter dem Titel Lizenz zum Kommunismus? brachte Wolfgang Neuhaus sie in einem Telepolis-Bericht auf den Punkt: "Nach dem, was auf der Konferenz diskutiert wurde, ist man versucht, zwei Versionen der Geschichte freier Software zu erzählen: 1) Einige Informatiker arbeiten seit vielen Jahren an der Vernetzung einer neuen sozialen Bewegung, indem sie kooperativ freie Software über das Netz programmieren, sich einbringen in einen selbstbestimmten Zusammenhang, in dem nur nach Leistung und Fähigkeiten entschieden wird - das ist ohne weiteres tauglich als einfaches utopisches Modell für eine freie Gesellschaft, bleibt aber sozialromantisch. - 2) Einige Informatiker, die eben schon wegen ihrer Profession im Zentrum der Modernisierung des Kapitalismus arbeiten, kommen, wenn sie den Arbeitstag in einem gut bezahlten normalen Job in ihrer Firma verbracht haben, nach Hause, setzen sich wieder vor den Computer, programmieren freie Software, wie andere ihre Hobbies pflegen, und verkaufen das als (illusionäre) revolutionäre Tat. - Version 1 ist die eine Seite der Medaille und dürfte ein verständlicher und wichtiger Motivationsgrund sein. Die andere, Version 2, wird - entgegen dem Willen der überzeugten Linux-Anhänger - stärker die Realität abbilden." 41

Wann und wo beginnt hier eine ›Widerspruchsstrategie‹ 42 , welche die Interessen der Kreativen weiterbringt und die Interessen der weltbeherrschenden Medienkonzerne zurückdrängt? Vermutlich ziemlich früh und irgendwo beziehungsweise überall. Gerade wegen dieser ungeklärten Lage aber muß an dieser Stelle noch etwas gesagt werden über das allseitig entwickelte und allseitig kulturtechnisch ausgestattete intellektuelle Individuum. Also über uns. Ist die kulturtechnische Ausstattung des Intellektuellen - wie immer in Phasen gesellschaftlicher Umwälzung - nicht selbst ein zentrales Thema? Wie sehen unsere Schreibtische, Arbeitsmilieus usw. aus? Was war mit den Mönchen? Was ist mit dem PC, mit der Internet-Kompetenz, mit der Medienkompetenz, was sind die Fähigkeiten eines content developers und wo finden wir das alles heute unter ›linken Intellektuellen‹?

Unmittelbar zu diesen Fragen gehört noch eines. Fredric Jameson verweist in seinem Werk immer wieder auf die Bedeutsamkeit unserer Traditionen dialektischen Denkens und betont - und das sollte man sich merken -, daß dialektisches Denken und dialektisches Handeln erst am Anfang ihrer Geschichte stehen. Ich zögere nicht zu behaupten, daß die Informations- und Kommunikationstechnologien der vernetzten Computer in diesem Sinne höchst wirksame Denkhilfen der Dialektik sind.

"Heute ist es die Geschwindigkeit der elektronischen Informationen", schreibt Marshall McLuhan, "die es zum ersten Mal in der Geschichte auf leichte Weise erlaubt, die Muster und formalen Konturen von Wandel und Entwicklung zu erkennen. Die ganze Welt, Vergangenheit und Gegenwart, bietet sich dar wie das Wachstum einer Pflanze, gefilmt mit einem enorm beschleunigten Zeitraffer. Die elektronische Geschwindigkeit entspricht der des Lichtes und wird es möglich machen, Ursachen zu verstehen." 43

High-Tech-Anti-Kapitalismus - ein Widerspruch in sich? Ja, selbstverständlich - und das ist das Schöne und Interessante daran. Bewegen wir uns also mit Vergnügen in einer widersprüchlichen Technologie auf kapitalismuskritische Weise. Produzieren wir meinetwegen das, was Kim Veltman, im Gegensatz zur Tauschkultur der Bazare, die "Geschenk-Kultur" der Kathedralen nennt. High-Tech ist durchaus auf das Miteinander-Teilen, auf sharing, angelegt und wird sich in einem solchen Kontext entfalten, je mehr seine kapitalistische Kommerzialisierung ins Stocken gerät. Und verhindern wir, daß Kommunikations- und Informations-High-Tech für Denkverbote und Einschränkungen der Phantasie instrumentalisiert wird.

 

 

 

Hans Jürgen Krysmanski - Jg. 1935; em. Professor für Soziologie an der Universität Münster; Schwerpunkte Konflikt- und Friedensforschung, Neue Medien, Globalisierung; Autor zahlreicher TV-Reportagen (Spiegel TV, NDR); Buchpublikationen u. a. ›Soziologie des Friedens‹ (Wiesbaden/Opladen 1993), ›Popular Science. Medien, Wissenschaft und Macht in der Postmoderne‹ (Münster/New York 2001); Homepage: www.hjkrysmanski.de

Zu den folgenden Überlegungen wurde der Autor angeregt durch die Konferenz "Von der Freien Software zur Freien Welt" und die V. Internationale Konferenz des Berliner Instituts für Kritische Theorie (INKRIT) unter dem Thema "Herrschaft und Ideologie im High-Tech-Kapitalismus".

1 Vgl. Rifkin, Jeremy: The Age of Access: The New Culture of Hypercapitalism Where All of Life is a Paid For Experience (dt. Access. Das Verschwinden des Eigentums, Campus Verlag, Frankfurt/Main 2000). Hyperkapitalismus ist für Rifkin die Phase, in welcher Kultur zu Ökonomie und Ökonomie zu Kultur wird. "AOL-Time Warner, Disney, Viacom und Sony Corp. sind nicht nur Medienkonzerne, sie sind die globalen Kontrolleure des Zugangs zum gesamten Spektrum kultureller Erfahrungen... Dadurch, daß sie die Kommunikationskanäle kontrollieren, und dadurch, daß sie die Inhalte formen, die gefilmt, gesendet oder ins Internet plaziert werden, gestalten sie die Erfahrungen von Menschen überall auf der Welt. Diese Art der überwältigenden Kontrolle menschlicher Kommunikation ist beispiellos in der Geschichte" (Jeremy Rifkin: The New Capitalism Is About Turning Culture Into Commerce, in: International Herald Tribune vom 17. Januar 2000).

2 Vgl. Jameson, Fredric: Postmodernism or, The Cultural Logic of Late Capitalism, Durham 1991.

3 Vgl. Barbrook, Richard: Cyber-Communism: how the Americans are superseding capitalism in cyberspace (http://www.nettime.org/nettime.w3archive/199909/msg00046.html).

4 Vgl. Wallerstein, Immanuel: After Liberalism, New York 1995, p. 226.

5 Zitiert nach Andrei Denejkin: Traumwelten und Katastrophen. Das politische Imaginäre der Moderne - ein Portrait der Politologin Susan Buck-Morss, in: Frankfurter Rundschau vom 28. November 2000; vgl. Buck-Morss, Susan: Dreamworld and Catastrophe, Boston 2000.

6 Eine schöne Beschreibung der ›Digerati‹ (statt ›Literati‹) findet sich unter http://www.edge.org/digerati/index.html.

7 Marilyn Ferguson gibt einen guten Überblick zu diesem ›Paradigmenwechsel‹ in: Ray, Michael and Alan Rinzler (eds.): The New Paradigm. Emerging Strategic for Leadership and Organizational Change, 1993, New Consciousness Reader).

8 Vgl. Ashford, Robert and Rodney Shakespeare: Binary Economics: The New Paradigm, Maryland 1999.

9 Huntington unterscheidet drei historische ›lange Wellen‹ der Demokratieentwicklung. Die erste begann im 19. Jahrhundert mit - aus amerikanischer Sicht - der Ausbreitung des allgemeinen Wahlrechts, bis auf dieser Grundlage in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts 29 Demokratien weltweit entstanden waren. Zugleich verebbte diese erste Welle seit 1922, mit dem Aufstieg der Faschisten in Italien, bis 1942 die Zahl der Demokratien weltweit auf 12 reduziert worden war. Nach dem Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg folgte eine zweite Welle mit ihrem Höhepunkt 1962, als die Zahl der Demokratien auf 36 anstieg; doch schon bald setzte wiederum eine Ebbe ein, mit nur noch 30 Mitte der siebziger Jahre. Seit 1974 jedoch sind auf der dritten Welle 30 Demokratien hinzugekommen, so daß sich die Zahl solcher Gesellschaften verdoppelt hat. Hat diese Welle ihren Höhepunkt schon erreicht? Wird es zu Rückschlägen kommen, bei denen viele der neuen Demokratien wieder untergehen? Huntington untersucht, auf der Basis dieser seltsamen Theorie, vielfältige Tendenzen und Einflüsse und kommt zu dem Schluß, daß keine definitiven Antworten möglich sind, daß aber auch nach einer zeitweiligen ›Ebbe‹ auf jeden Fall irgendwann im 21. Jahrhundert eine vierte Welle zu vergegenwärtigen sei.

10 Hierarchical unique thought bezieht sich auf das sogenannte directory syndrome, also das in der Wissensorganisation wirksame hierarchische Prinzip, das als das Hauptparadigma in allen Systemen (directories) des globalen Netzes wirksam ist und von dort aus in alle Formen sozialer Organisation ausstrahlt. Dagegen steht - möglicherweise - das aus der open source Bewegung stammende Prinzip der ›open directories‹ (ODP oder dmoz).

11 Zu Memetik vgl. zum Beispiel http://www.uni-muenster.de/PeaCon/phantawi/extro/index.html.

12 Zu ›posthumans‹ vgl. zum Beispiel http://cadre.sjsu.edu/switch/narrative/posthuman/posthuman.html

13 Zum Global Business Network (http://www.gbn.org/) gibt es im Netz zahlreiche Informationen; Mark Stahlman liefert eine scharfe Analyse unter http://www.rewired.com/96/Fall/1118.html

14 Vgl. das Online-Magazin brandeins (http://www.brandeins.de/magazin/archiv/2000/ausgabe_02/realitaet/artikel4_2.html ).

15 Vgl. http://www.longboom.org/.

16 Vgl. Harmon, Amy: ›Getting Amazoned‹, and Other E-Consulting Fantasies, in: New York Times, No. 13 (May 2001), p. 14.

17 Clayton M. Christensen ist Professor of Business Administration an der Harvard Business School, sein wichtigstes Buch: Innovator's Dilemma: When New Technologies Cause Great Firms to Fail (1997).

18 John Hagel III ist Chief Strategy Officer bei ›12 Entrepreneuring‹, früher Partner bei McKinsey & Co., wichtigste Bücher: Net Gain: Expanding Markets Through Virtual Communities (mit Arthur G. Armstrong; 1997) und Net Worth:Shaping Markets When Customers Make the Rules (mit Mark Singer; 1999).

19 Kevin Kelly ist früherer Herausgeber von Wired Magazine und Autor von New Rules for a New Economy (Viking 1998).

20 Peter Schwartz ist Chairman, Global Business Network; mit Peter Leyden und Joel Hyatt Autor von The Long Boom (Perseus 1999).

21 Philip Evans ist Senior Vice President der Boston Consulting Group; sein wichtigstes Buch: "Blown to Bits. How the New Economics of Information Transforms Strategy" (mit Thomas S. Wurster 1999).

22 Vgl. http://www.cluetrain.com/.

23 Vgl. http://www.uni-muenster.de/PeaCon/medkomp/mk2001/mk-2001-nea.htm.

24 Vgl. http://www.publiclibraryofscience.org/.

25 Rötzer, Florian: Banges Warten auf den Cyberwar, vom 1. Mai 2001, http://www.heise.de/tp/deutsch/special/info/7513/1.html

26 Rötzer, Florian: FBI forderte von Indymedia alle Logfiles, vom 30. April 2001, http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/on/7502/1.html

27 Vgl. Wallerstein Immanuel: After Liberalism, a. a. O.

28 Wallerstein übt hier mit folgenden Thesen ›Traditionspflege‹ in der Postmoderne: a) der Klassenbegriff ist unverzichtbar in dem Sinne, daß es nach wie vor Klassen gibt und daß diese unterschiedliche und zum Teil antagonistische Interessen haben; b) Prozesse der ökonomischen Polarisierung (Verelendung) und der sozialen Polarisierung (Bourgeoisie versus Proletariat) setzen sich auch im globalen Maßstab fort; c) das historisch-materialistische Ideologiekonzept - Ideen reflektieren soziale Wirklichkeit - ist unverzichtbar; d) die Kategorie der Entfremdung bleibt zentral: "Im Phänomen der Entfremdung sah Marx die Verkörperung aller Übel der kapitalistischen Zivilisation. In der Aufhebung der Entfremdung sah er die entscheidende Leistung einer künftigen kommunistischen Gesellschaft. Denn für Marx zerstört Entfremdung, vor allem in ihrer Haupterscheinungsform, als Eigentum, die Integrität der menschlichen Person. Der Kampf gegen Entfremdung ist deshalb der Kampf um die Wiederherstellung der Würde der Menschen" (Wallerstein Immanuel: After Liberalism, a. a. O., p. 226 f.).

29 Vgl. zum Beispiel Kroker, Arthur und Michael A. Weinstein: Datenmüll. Die Theorie der virtuellen Klasse, Wien 1997.

30 Vgl. http://www.rtmark.com/.

31 Zizek, Slavoj: Wir alle sind arbeitslos. Unter neuen Bedingungen dem Alten treu bleiben: Wie Lenin einmal das World Wide Web erfand, in: Frankfurter Rundschau vom 27. April 2001.

32 Vgl. zum Beispiel auch http://www.wired.com/news/culture/0,1284,42841,00.html

33 Vgl. Randow, Matthias von: Genossenschaftsförderung in Italien - Ein Beispiel für Auswege aus der wirtschaftspolitischen Erstarrung (http://www.leibi.de/takaoe/82_09.htm).

34 Die nach dem Crash der New Economy zu verzeichnende Eintrittswelle junger ›Informationsarbeiter‹ in die Gewerkschaften, insbesondere in den USA, ist hier ein interessanter Impuls.

35 Vgl. Lohmann, Ingrid: Cognitive Mapping in Cyberpunk (http://www.erzwiss.uni-hamburg.de/Personal/Lohmann/Cyberpunk/index.html).

36 Vgl. http://www.ctheory.com/

37 Vgl. http://www.uni-muenster.de/PeaCon/phantawi/extro/index.html

38 Vgl. Immanuel Wallersteins Bemerkungen zu einer linken Politik unter den jetzigen Bedingungen: http://www.transformaties.org/bibliothek/wallerstein-leftpol.htm; wichtig auch: Spehr, Christoph: Gleicher als andere. Eine Grundlegung der freien Kooperation, Rosa-Luxemburg-Preisschrift (http://www.rosaluxemburgstiftung.de/Einzel/Preis/rlspreis.pdf).

39 Vgl. die Schriften Marshall McLuhans; auch manche Beiträge der erwähnten Oekonux Konferenz führen in diese Richtung.

40 Vgl. http://www.oekonux-konferenz.de/

41 Neuhaus, Wolfgang: Lizenz zum Kommunismus?, Telepolis (http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/konf/7584/1.html).

42 "Die ›Irrationalität‹ des Gesamtsystems (die Form des Privateigentums sowie der Trend zur absoluten Vermarktung allen Lebens), die man gerne mit dem Prinzip gemeinschaftlicher vernünftiger Kooperation ablösen möchte, wird nur in einem Teilbereich angekratzt. Die großen Software-Konzerne im Unterhaltungssektor entwickeln sowieso aufwendige Sicherheitssysteme, um die Kontrolle zu behalten. Die großen Konzerne, die im Hardware-Sektor operieren, werden diese Angriffe auf das Urheberrecht begrüßen, da sie keine weiteren Abgaben auf ihre Geräte abführen wollen. Die Bewegung freier Software muss aufpassen, dass sie sich nicht im Endeffekt für deren Interessen vor den Karren spannen lässt. Es fehlt hier eine Widerspruchsstrategie, die die Interessen der Kreativen schützt und zugleich die Interessen der Zwischenhändler, der Medienkonzerne, zurückdrängt" (Neuhaus, Wolfgang: Lizenz zum Kommunismus?..., a. a. O.)

43 "Selbstverständlich gibt es in Amerika Bewegungen, die uns glauben machen wollen, daß das Internet ausschließlich enorme Bedeutung für die Zeit hat, in der wir arbeiten, und daß das Internet sich wesentlich und hauptsächlich um den moneymaking-Materialismus dreht. Dieser Blick aufs Internet übersieht, daß der Tag 24 Stunden hat und daß das Leben nicht nur Arbeit ist. Geldmachen mag wichtig sein, aber wenn man keine Zeit fürs Ausgeben hat, ist das Ganze eine ziemlich langweilige Angelegenheit. In diesem Zusammenhang haben Autoren wie Eric Raymond die Unterscheidung zwischen Kathedrale und Bazar getroffen. Raymond sagt zu Recht, daß man zwischen einer Tauschkultur (Bazar) und einer ›Schenkkultur‹ (Kathedrale) unterscheiden müsse. Aus seiner Sicht waren Kathedralen elitäre topdown Organisationen. Tatsächlich aber entstanden Kathedralen aus einer intensiven Kooperation vieler Menschen in den Städten des Mittelalters. Folglich ist zwar Raymonds Typisierung korrekt, aber die Bewertung der beiden Kulturen muß genau umgekehrt sein: die Schenkkultur der Kathedralen sollte der Tauschkultur der Bazare vorgezogen werden, und nicht umgekehrt ... Bei genauerer Überlegung wird also deutlich, daß Kultur ganz wesentlich auf Teilen (und Schenken) basiert ... und daß kulturelle Fortschritte immer dann zu verzeichnen sind, wenn das Ausmaß der Dinge, die geteilt (shared) werden, zunimmt und unsere visuellen, auditiven und anderen Sinne beansprucht" (Veltmann, Kim: On the Links Between Open Source and Culture (http://www.oekonux-konferenz.de/programm/index.html).