Globalisierung und Imperialismus (II)

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Das 20. Jahrhundert: Aufstieg und Niedergang des imperialistischen Konflikts zwischen den Großräumen

Allen, welche die Kategorien des Leninismus noch für gültig halten, erscheint die von Thurow beschrieben Lage glasklar: hier ist die Rede von der Herausbildung einer neuen Etappe des zwischenimperialistischen Konflikts am Ende des kalten Krieges. Um die Bedeutung dieser Tatsache im Zusammenhang einer allgemeineren historisch-politischen Dynamik zu verstehen, ist es aber erforderlich, sie in Beziehung zu setzen zu den Leitlinien, denen die Geschichte des 20. Jahrhunderts folgte, einer Periode, die mit der Niederlage des sozialistischen Lagers, das darf man wohl sagen, grundsätzlich beendet ist.

Am Vorabend des Ersten Weltkrieges hatte sich deutlich die strategische Dynamik eines zwischenimperialistischen Konflikts herauskristallisiert, der sich nicht einfach zwischen Nationalstaaten entwickelte, sondern zwischen Großräumen, zwischen riesigen imperialistischen Blöcken, die sich auf diese stützten. Die räumliche Dimension war, so lehrte es jene ,,geopolitische" Schule, die sich sowohl im angelsächsischen Raum wie auf dem Kontinent verbreitet hatte, entscheidend geworden: Konkurrenten um die Neuverteilung der Weltmacht sind dabei vor allem die Vereinigten Staaten und Russland; stark dank der ungeheuren inneren Räume, die ihnen zur Verfügung stehen, sind sie in der Lage, die absolute Vorherrschaft des britischen Imperiums in Frage zu stellen, das in jenen Jahren den Gipfel seiner Ausdehnung erreicht hatte und die Erde in einer soliden eurozentrischen Balance hielt. Deutschland erhebt den Anspruch, bei der bevorstehenden Neuaufteilung der Welt ein Wort mitzureden und will Zugang zu den Vorteilen bekommen, die es von der rassistischen Herrenvolk-Ordnung, die das Schicksal des ganzen Planeten bestimmt, zu erwarten hat; es muss sich zu diesem Zweck allerdings zuerst eine ausreichend breite territoriale Basis verschaffen und ersetzt deshalb die alte großdeutsche durch die ,,Mitteleuropa"-Idee.

Diese Dynamik führt zu einem Konflikt, der dann das gesamte Gefüge der internationalen Politik radikal verändern wird. Nicht nur wird Deutschland besiegt, sondern das entscheidende Eingreifen der USA, die jetzt Großbritannien in seiner Rolle als Führungsmacht ablösen, lässt die bisherige eurozentrische Welt- und Kolonialordnung endgültig zusammenbrechen. Der Ausgang dieses ,,Sezessionskriegs der Weißen" (Losurdo 1996, 135ff u. 171) macht zunächst der imperialistischen Konfrontation zwischen den kontinentalen Großräumen ein Ende, weil er sie alle außer einem aus dem Spiel wirft: das amerikanische Jahrhundert, eingeleitet durch den Spanisch-amerikanischen Krieg von 1898, beginnt jetzt in die ganze Welt exportiert, ,,globalisiert" zu werden. Doch dieser Typus des zwischenimperialistischen Konflikts gerät auch durch ein anderes Ereignis ins Stocken, das durch den Krieg ausgelöst wird: die Oktoberrevolution besiegelt den Zusammenbruch des Zarenreiches und führt zur Geburt einer neuen Macht, die im Kampf gegen den Imperialismus als Unterdrücker der Freiheit der Völker - und zwar der reichen wie der armen Länder - ihre wohl wichtigste Bestimmung finden wird. Schon allein durch ihre geopolitische Präsenz gibt die UdSSR, ungeachtet enormer Schwierigkeiten, den nationalen Unabhängigkeitsbewegungen in den Kolonien Kraft und trägt aktiv zu einer großen Welle der Entkolonisierung bei, die sich wie eine riesige Weltrevolution ausnimmt.

Doch die Dynamik des kontinentalen Imperialismus ist keineswegs erschöpft. Nach den Jahren der Großen Depression stellt sich das Dritte Reich Hitlers, der eigentliche Erbe der blutigsten Kolonialtraditionen, die Aufgabe, die Welle der weltweiten Emanzipation vom imperialistischen Joch aufzuhalten und umzukehren; es schlägt zuerst den USA und Großbritannien eine einvernehmliche Aufteilung der Welt im Namen der gleichen Würde als ,,Herrenvölker" vor, um dann die imperialistischen Ansprüche des neuen Deutschland ins Spiel zu bringen und zu versuchen, sein Kolonialreich im europäischen Osten und auf dem ganzen Kontinent zu errichten. Ein weiteres Mal schlägt der Versuch fehl, und ein weiteres Mal gerät die kontinental-imperialistische Dynamik ins Stocken. Zum Eingreifen der USA, die interessiert sind, ihre Rolle als neue Stütze des internationalen Kräftegleichgewichts zu festigen, gesellt sich aber diesmal die aktive Teilnahme der UdSSR Stalins. Der Opfergang der sowjetischen Bevölkerung - des ersten Opfers des Krieges, mit über 20 Millionen Toten - im ,,Großen Vaterländischen Krieg" gibt ihrem Staat den Rang einer Weltmacht.

Dies ist eine neue Wende im 20. Jahrhundert. Die Entstehung des Konflikts USA-UdSSR wird von nun an weltweit die zwischenstaatlichen Beziehungen polarisieren und gibt ihnen die Form eines Krieges, der, obgleich ,,kalt", von vielen Historikern als Dritter Weltkrieg verstanden wird (vgl. Hobsbawm 1998, 268). Doch ,,kalt" ist dieser Krieg keineswegs an den Peripherien der beiden großen Blöcke, die aus dem Treffen von Jalta hervorgehen. Und ,,kalt" kann man ihn auch nicht nennen auf den Ebenen der politisch-ideologischen, der technologischen oder gar der ökonomischen Konfrontation.

Eine einzige imperialistisch-kontinentale Macht ist übrig geblieben: die Vereinigten Staaten. Ein einziges Hindernis steht ihrem Bemühen im Weg, den ganzen Planeten ihrer imperialistischen Kontrolle zu unterwerfen: der sozialistische Block und das Band der Solidarität, das dieser um des Überlebens willen auf jegliche Weise erhalten muss. Die außenpolitische Strategie der Vereinigten Staaten richtet von nun an alle Kraft darauf aus, diesen Feind zu schlagen. Hier sind wir am entscheidenden Punkt angelangt. Genau hier, in der ökonomischen Dimension dieses Krieges, enthüllt sich das Geheimnis jener kapitalistischen ,,Globalisierung", die heute auf dem ganzen Planeten grassiert: diese ist in Wirklichkeit die historische Folge der imperialistischen US-Strategie in der Periode der Konfrontation mit dem sozialistischen Lager.

Lesen wir wieder Thurow: ,,Ein Großteil des letzten Jahrhunderts", schreibt er, einen Lieblingsausdruck Reagans zitierend, ,,war charakterisiert durch die Furcht vor Begegnungen mit dem russischen Bären im Wald" (Thurow 1992, 3). Sofort nach Kriegsende hatte es tatsächlich den Anschein, mit dem Sieg der chinesischen Revolution 1949, ,,als wolle der russische Bär mit Hilfe des neuen siegreichen roten chinesischen Drachens die Welt erobern". An diesem Punkt wurden die ökonomische und die politische Strategie der USA gänzlich eins: ,,die Hilfen für Griechenland und die Türkei, die Wiederbewaffnung Japans und Westdeutschlands und der Koreakrieg waren alle darauf ausgerichtet, die Bären und Drachen des Waldes zurückzuhalten". Ein erstes brisantes Problem stellten Japan und Deutschland dar, die bis dahin Gegenstand einer derart massiv feindlichen politisch-ideologischen Kampagne gewesen waren, dass es äußerst schwierig wurde, mit ihnen reguläre Beziehungen herzustellen. Und doch war deren geopolitische Lage äußerst delikat. Deshalb war es jetzt nicht angesagt, weiter zu wüten; vielmehr war die Überlegung der weitblickenden herrschenden Klasse Amerikas, ,,wenn man die Länder reich macht, würden sie demokratisch werden" (ebd., 16). Und das heißt, ,,wenn ihr Reichtum vom Verkauf auf den amerikanischen Märkten abhängig wäre, wären sie verpflichtet, Verbündete der Vereinigten Staaten zu sein."

Diese Überlegung galt nicht nur für Japan und Deutschland, sondern für ganz Europa und die ganze Welt. Für die Vereinigten Staaten, meint Hobsbawm, ,,war es politisch wichtig, Ländern, die künftig ihre Konkurrenten werden konnten, in höchstmöglicher Eile beim Wachstum zu helfen" (Hobsbawm 1998, 324). Wie die italienischen Kommunisten nur zu gut wissen, war der Marshallplan ein Kernbestandteil der imperialistischen antisowjetischen Strategie der Amerikaner. Und doch, als sich die Volkswirtschaften der verbündeten Staaten allmählich wieder erholten, begannen sie unvermeidlicherweise mit ihrem Freund und Patron in Wettbewerb zutreten, versuchten seinen Unternehmen Konkurrenz zu machen und größere Anteile am Weltmarkt zu erobern. Es wird nämlich die klassische Dynamik des innerimperialistischen Konflikts ausgelöst, die früher oder später auch auf das politische Gebiet übergreifen muss. Die politischen Erfordernisse haben in der Zeit des Kalten Krieges allerdings regelmäßig die Oberhand über die ökonomischen gewonnen, da damals der innerimperialistische Konflikt weniger grundlegend war als der Systemkonflikt zwischen kapitalistischer und sozialistischer Welt. Es handelt sich dabei um ein Prinzip des Geschichtsverständnisses, das die ,,kritische" und ökonomistische Linke begreifen wird: unter den Bedingungen des Ausnahmezustands siegt die politische Seite des Grundwiderspruchs immer über seine ökonomische. Deshalb sind ,,die unzähligen Handelsstreitigkeiten" zwischen den USA, Europa und Japan ,,während der Jahre des Kalten Krieges so mühelos unter Kontrolle gehalten" worden (Luttwak 1999, 165). Tatsächlich rührte die damals ,,so mühelos entstandene Interdependenz" von dem Umstand her, dass ,,die wirtschaftliche Zusammenarbeit innerhalb beider Blöcke die logische Ergänzung des bestehenden strategischen Konflikts war" (ebd., 176).

Somit sahen sich die Großmächte im kapitalistischen Lager gezwungen, ,,ihre ökonomischen Differenzen zu mildern, um die Militärbündnisse zur Niederhaltung der UdSSR aufrechtzuerhalten" (Thurow 1992, 25). Seit Kriegsende bis heute, da hat Thurow keinen Zweifel, haben nur ,,die militärischen Erfordernisse verhindert, dass die ökonomischen Konflikte zum Ausbruch kamen". Und das war die Kernfrage: Wie vermeiden, dass diese Konflikte Fuß fassen und zur Restauration von kontinentalimperialistischen Tendenzen und zu neuen Versuchen führen, einen europäischen Großwirtschaftsraum-Block zu bilden, möglicherweise zur französischen Hegemonie, welche sich auf die Konfrontation mit den Vereinigten Staaten konzentriert und damit die antisowjetische Solidarität der kapitalistischen Nationen geschwächt hätten? So kam es mittels des internationalen Handelssystems GATT zur Bildung einer großen Freihandelszone zwischen diesen Ländern und zu den verschiedenen Bretton-Woods-Institutionen, die den Rückgriff auf den Protektionismus durch die Verallgemeinerung des ,,Meistbegünstigungs"-Prinzips eindämmten. Es entstand damit nach Thurow ein System des ,,globalen unilateralen Keynesianismus" (ebd., 56).

Die einzigen, die mächtig genug sind, um dieses System durchzusetzen, sind offenkundig die Vereinigten Staaten, und sie sind auch sein alleiniger Betreiber und Hauptnutznießer. Unbestreitbar haben sich die USA seit Kriegsende unermüdlich stark gemacht ,,für die Vereinheitlichung der Weltwirtschaft und die Beseitigung aller Handelsschranken, Investitionshemmnisse und Konzessionsbeschränkungen" (Luttwak 1999, 99). Und doch, stellt Luttwak verblüfft fest, gibt es Leute, denen ,,der halboffene Weltmarkt von heute als naturgegeben erscheint" (ebd., 171f.). In Wirklichkeit ist dieser nicht das Resultat einer der Produktionsweise innewohnenden systemischen Dynamik, wie die ,,erneuerte" italienische Linke meint, sondern ,,weitgehend ... eine Schöpfung der Vereinigten Staaten, das Ergebnis von über 50 Jahren amerikanischer Diplomatie, Pressionen und Bestrebungen der USA". Seit 1948, dem Geburtsjahr des GATT, wurden von ,,Runde" zu ,,Runde" die protektionistischen Schranken der kapitalistischen Staaten ,,zuweilen Artikel für Artikel in einer aufreibenden Serie von Verhandlungen" niedergerissen. Besonders entscheidend waren die Jahre der Kennedyrunde von 1964 bis 1967: ,, ... die heutige liberalisierte Weltwirtschaft verdankt viel den beispiellosen damals durchgesetzten Tarifsenkungen". Dem offensichtlichen ökonomischen Vorteil haben die Vereinigten Staaten jedoch von Anfang an ihre vorrangige politische Sorge beigesellt: ,,es war kein Zufall, dass der ursprüngliche GATT-Vertrag von den Vereinigten Staaten grade in der Frühzeit des Kalten Krieges mit solchem Nachdruck vorangetrieben wurde", und ebenso wenig Zufall war es, dass ,,die Kennedyrunde zum Abschluss kam, als der Kalte Krieg auf den Zenit seiner Intensität zutrieb".

Selbst die Wortführer der Sieger im Kalten Kriege erklären heute offen: ,,das entscheidende Motiv für die Liberalisierung des Handels ... war immer politischer und strategischer Natur". Und das heißt im Klartext: ,,Das GATT war eindeutig als die kommerzielle Entsprechung zum engen strategischen Bündnis des gesamten Westens gegen die Sowjetunion konzipiert worden." Vor dieser Wahrheit freilich verschließt eine gewisse unpolitische Linke, welche die in dieser Phase des Klassenkampfs erlittene Niederlage nur in der Form der Verdrängung und der Negation verarbeiten kann - ,,ich war's nicht und wasche meine Hände in Unschuld", ,,das war nicht der wahre Kommunismus" - beharrlich die Augen.

Das 21. Jahrhundert: Globalisierungs- und Blockstrategie in der Zeit des wieder erwachenden Großraumimperialismus

Wie immer jedoch erlaubt uns ein dialektischer Blick zu erkennen, dass der Widerspruch von gestern den Widerspruch von heute bereits in sich barg. Als mit dem totalen Sieg des Westens und dem Fall des sozialistischen Lagers die geschichtliche Periode der Systemauseinandersetzung zu Ende ging, war plötzlich auch die politische Notwendigkeit dahin, um jeden Preis den Zusammenhalt des kapitalistischen Weltsystems zu garantieren. Von nun an konnte die Logik des zwischenimperialistischen Konflikts ihre Wirkungen von neuem entfalten. Damit sind wir beim Heute angekommen. Nicht länger von der Zwangsjacke höherer politischer Prioritäten des Systems in Schach gehalten, brechen die innersystemischen ökonomisch-politischen Rivalitäten durch, die auf dem immensen Feld des von der Pax americana garantierten Freihandels herangereift sind. Die ,,globalisierende" amerikanische Wirtschaftsstrategie dauert zwar an, gleichzeitig aber beginnen neue imperialistische Polaritäten sich zu konsolidieren und tendenziell zu emanzipieren. Die Dynamik des kontinentalen Imperialismus, im Verlauf des 20. Jahrhunderts dreimal unterbrochen, doch nie wirklich besiegt, nimmt jetzt ihren Lauf wieder auf, und neue geopolitische und geoökonomische Großräume verdichten sich. Auf Grund der ideologischen Konfusion, der anhaltenden kulturellen und medialen Hegemonie der USA und der objektiven Ungewissheit möglicher künftiger Blockallianzen für die Masse der Konsumenten unsichtbar, treten neue und der US-"Globalisierung" entgegengesetzte Strategien auf den Plan.

,,Die Geschichte ist alles andere als zu Ende", mahnt Thurow: ,,wir erleben derzeit eine neue Periode der Konkurrenz" (Thurow 1992, 6). Und Luttwak stimmt bei: gleich nach dem Ende des Kalten Krieges sind zwischen den kapitalistischen Großmächten ,,die wirtschaftlichen Rivalitäten wieder aufgeflammt" (Luttwak 1999, 152). Es ist die soeben beschriebene Logik: ,,Nicht länger in den Käfig einer von der gemeinsamen Furcht vor der Sowjetunion erzwungenen Solidarität gesperrt, haben Amerikaner, Europäer und Japaner eine Reihe neuer Handelsstreitigkeiten eröffnet und machen sich auf verschiedenen, strategisch bedeutsamen Gebieten der Wirtschaftstätigkeit das Primat streitig." Ein Wirtschaftskrieg mit seinen Härten findet statt, und die Leichtigkeit, mit der in der vorangegangenen Periode die Abkommen über Handelsliberalisierung zustande kamen, ist schon heute bloße Erinnerung. Die Uruguayrunde des GATT hat sich über zehn Jahre hingezogen und konnte erst unter tausend Schwierigkeiten abgeschlossen werden, während die Nachrichten dieser Tage - mit einem Seattle, in dem sich die unterschiedlichsten Protestkräfte konzentriert zu haben scheinen - ankündigen, dass die Milleniumsrunde der neuen Weltwirtschaftsinstitution, des WTO, im wesentlichen gescheitert ist. Zahllos sind die Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und Europa, wenngleich sie zumeist mit dem Sieg ersterer enden, deren Macht noch immer weitgehend überwiegt. Sie erstrecken sich auf alle Gebiete, von der ,,kulturellen Ausnahme" bis zu den genetisch manipulierten Lebensmitteln. Kurz, ,,eher als in absoluter Ruhe erreichte Fortschritte sind heute offene Dispute und ungewisse Ausgänge die Norm", während ,,unilaterale Handelsmaßnahmen" ausgeweitet und neue, nichttarifäre Schranken errichtet werden (ebd., 172-74).

Wer wird das 21. Jahrhundert beherrschen, fragt sich Thurow. Wenn die Militärmacht der USA seines Erachtens auch nicht ausreicht, um das ökonomische Primat auf lange Sicht zu gewährleisten, so spielt sie doch eine nicht zu unterschätzende Rolle. Thurow räumt die geoökonomische strategische Bedeutung des Golfkriegs ein, und dasselbe ließe sich heute für die des Kriegs gegen Jugoslawien sagen (vgl. Arrighi 1999). Die historische Periode, die wir durchlaufen, entscheidet über die Richtungen, die das neue Jahrhundert nimmt. In diesen Jahren müssen die Großmächte und neuen Blöcke untereinander ausmachen, wer von ihnen das neue politisch-ökonomische Weltsystems ,,managen" wird. Es ist klar, dass dieses jemand braucht, der sich die führende Rolle zuweist, und ebenso klar ist, dass die Vereinigten Staaten fest entschlossen sind, ihr eigener Nachfolger zu werden. ,,Kein System", meint Thurow, ,,kann auf diese Weise lange überleben" (Thurow 1992, 285), nämlich unter Verhältnissen einer scharfen Blockrivalität: die Herausbildung einer stabilisierenden Führungsmacht ist für das Funktionieren des globalisierten Kapitalismus lebensnotwendig. Und, ,,ob es gefällt oder nicht, die internationale leadership ist das einzige Feld, auf dem die Militärmacht bedeutsam wird". Was folgt aus dieser Überlegung? Es ist sehr wahrscheinlich, dass, ,,da die USA im 21. Jahrhundert die einzige militärische Supermacht sein werden, gar nichts anderes übrigbleibt, als sie zum Manager des Systems zu ernennen".

Viele Faktoren beeinflussen diese Entscheidung, und nicht der unwichtigste ist, bei aller wachsenden Rivalität, eine objektive Konvergenz der Interessen zwischen den USA und dem europäischen Block. Doch auch Japan, das sich schwer damit tut, einen asiatisch-pazifischen Wirtschaftsblock zu schmieden und das derzeit die Niederlage seines kapitalistischen Modells erlebt, könnte an einem Bündnis interessiert sein (vgl. Polato 1999; Nukazawa 1998). Doch nicht das ist es, was die Wahl schließlich auf die USA fallen lassen wird, sondern ein viel elementareres Kalkül hinsichtlich der Möglichkeiten von Leben oder Tod der Staaten und Blöcke. Was geschähe denn, würde die amerikanische Führerschaft von einem konkurrierenden Block ernsthaft in Frage gestellt, verbunden mit dem nötigen Niveau an Kohärenz und ökonomisch-politischer Macht? ,,Quasi per definitionem", meint Thurow, ,,sind die militärischen Supermächte Staaten, die nicht von anderen geleitet werden können:" Daraus ergibt sich, dass ,,die Vereinigten Staaten, wollte ein anderer versuchen, die Kontrolle über das System zu übernehmen, einfach zu ihrer Militärmacht greifen könnten, um dies zu vereiteln" (Thurow 1992, 287). Auch für Arrighi ist die ,,unumstrittene Suprematie" in militärischer Hinsicht ,,derzeit der einzige entscheidende Vorteil der amerikanischen Industrie auf den Weltmärkten", wobei das Gewicht des militärisch-industrielle Komplexes im Gesamt der US-Wirtschaft weiter wächst (Arrighi 1999, 36).

Gewiss, in der Welt der Träume kann man eine Situation imaginieren, in der die USA ultraimperialistisch und in Freundschaft die wirtschaftlichen Güter einer globalisierten Ökonomie verteilen, in der sie zulassen, dass andere Staaten und Blöcke immer größere Teile des Markts für ihre Unternehmen in den strategischen Sektoren herausbrechen, und verhindern, dass der Lebensstandard ihrer besitzenden Stimmbürger weiter wächst. Jedoch ,,in Wirklichkeit ist es unwahrscheinlich, dass all dies geschieht", kommentiert Thurow (Thurow 1992, 287). ,,Wenn die Amerikaner es mit einer Reihe von Niederlagen zu tun hätten", ,,würden sie sich früher oder später einigeln, die anderen draußen halten oder gegen jene vorgehen, die sie, ob zu Recht oder Unrecht, für verantwortlich für ihr Misslingen hielten". Solange sie als Staat Nutzen aus dem Freihandel ziehen, wird alles wie geschmiert laufen. Aber wenn sich diese Bedingungen einmal ändern, ,,sind die USA imstande, das Weltwirtschaftssystem des 21. Jahrhunderts in die Luft zu jagen", und nicht nur das Wirtschaftssystem.

An diesem Punkt lässt sich die Bedeutung von Samir Amins Überlegungen zur Beziehung zwischen dem Niveau des Markts und dem des ,,Anti-Markts", der Macht, sowie der Frage der Territorialität verstehen. ,,Wie könnten man übersehen", fragt Amin, ,,dass der Erfolg der amerikanischen Gegenoffensive zur Wiederherstellung ihrer Hegemonie sich zu einem Großteil auf ihre militärische Überlegenheit stützt?" (Amin 1995, 48) Wie ließe sich übersehen, dass die Europäer angesichts der überlegenen Kriegsmacht der USA ,,Tag für Tag beweisen, dass sie nichts machen können, weder in Jugoslawien oder der ehemaligen UdSSR noch in Somalia, ohne die Vereinigten Staaten"? Die ,,Globalisierung" als spezifische Form des antisowjetischen Imperialismus der USA stellt sich derzeit neu ein auf die Eindämmung der neuen zwischenimperialistischen Widersprüche. Die USA drängen beharrlich auf die Beibehaltung des Freihandelssystems, das sie begünstigt, und greifen im Namen der ,,Handelsfreiheit" - wie England zur Zeit des Opiumkriegs - und im Bewusstsein ihrer militärischen Übermacht die nationale Souveränität anderer an.

Stellen wir uns eine vollständige Emanzipation der Unternehmen von der Kontrolle durch die Zentralgewalten vor. Das Chaos, das sich daraus ergeben würde, würde neben internationalen Spannungen heftigste Wellen von sozialer Unzufriedenheit hervorbringen. Die Folge wäre ,,der Rückzug auf die Triade ... und eine generelle Apartheid, verbunden mit Völkermorden zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Beruhigung der Wohlhabenden und zum Schutz ihrer Reichtümer" (ebd., 58) Aber auch dann würden die konkurrierenden Blöcke sich schließlich ,,wechselseitig zerfleischen" und müssten sich entweder einigen und einen Systemführer wählen oder das Gewicht ihrer Feuerkraft, ihrer militärischen Arsenale in die Waagschale werfen. So oder so, bliebe einer und nur einer der Sieger der Partie. Nun, sagt Amin, ,,das hier skizzierte Szenario war der Traum Reagans".

Literatur

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