Vereinigtes Berlin - vielfach gespalten

Neue Segregationsmuster und politische Massnahmen

Die Aufhebung der Teilung Berlins hat neue Spaltungen im Gefolge. Zur Spaltung zwischen Ost und West kommen neue Grenzlinien zwischen Wohlstandsinseln und "Problemquartieren" hinzu.

Im zwölften Jahr seit dem Fall der Mauer ist Berlin nicht mehr durch den "Todesstreifen" getrennt, aber von neuen, mehr oder weniger sichtbaren Grenzlinien durchzogen, die ein sozialräumliches Spaltungsmuster bislang unbekannter Art etablieren.

Schon bei einem ersten Blick auf die Transformation des Vor-Wende-Berlins zum heutigen fällt der Wandel von der relativ kompakten, sozial integrierten Stadt zu einer fragmentierteren und ausfransenden Stadtlandschaft mit deutlichen räumlichen Ungleichheiten auf. Parallel zu dieser neu entstehenden Topographie entwickelte sich auch ein neuer Stadt-Diskurs, der sich vom Ideal der integrierten "europäischen Stadt" verabschiedet hat. Vielerlei neue Spaltungslinien durchziehen die neue Berliner Stadtlandschaft: Nach wie vor auffällig ist die Teilung zwischen Ost- und Westberlin, die ihren Ausdruck in mentalen wie physischen Distanzen findet. Ebenfalls qualitativ neuartige Grenzen verlaufen zwischen der Stadt und ihrem Umkreis, dem Land Brandenburg, aber auch zwischen der Innenstadt und den Randgebieten. Kleinteiligere, aber dennoch scharfe neuartige Grenzziehungen separieren entstehende Wohlstandsinseln und aufgewertete Räume von dem sie umgebenden Umfeld. Daneben haben sich neue Formen und Räume der Marginalisierung gebildet, die eine wichtige Rolle bei der Abgrenzung der neuen aufgewerteten Räume spielen. Diese räumlich ausgeprägten Spaltungsmuster werden überlagert von sozialen und kulturellen Mustern, die ImmigrantInnen von Deutschen separieren. Auch die Spaltung zwischen neuer Bundesregierung und alteingesessener Landesregierung schien zumindest für das "Übergangs-Berlin" charakteristisch. Obwohl diese Spaltung zwischen zwischen Landes- und Bundesregierungslagern auch partiell räumliche Ausdrucksformen findet, bleibt sie hier unberücksichtigt.

Alte Spaltungen

Abgesehen von den beiden Ost-Bezirken Mitte und Prenzlauer Berg, wo sich mehr als die Hälfte der Wohnbevölkerung ausgetauscht hat, bleiben die meisten WestberlinerInnen nach wie vor im Westen und OstberlinerInnen im Osten. Mental existiert für viele Wessis immer noch eine Grenze zwischen "zivilisiertem Westen" und "fremdem" bzw. "wildem Osten": Am Alex beginnt nicht Friedrichshain, sondern terra incognita. Die Distanz vieler Ossis gegenüber dem Westen, häufig als "Ostalgie" verspottet und als mangelnde Demokratiekenntnis angeprangert, manifestiert sicherlich auch Enttäuschung über mangelnde Partizipationsmöglichkeiten. Diese Distanz zwischen Ost und West ist nicht nur eine kulturelle Kluft, sondern sie drückt sich auch politisch, in den Wahlergebnissen aus. 1999 stimmte die Mehrheit im Westen Berlins für die CDU (49,3%), die im Osten dagegen für die PDS (39,5%). Die PDS dominierte in jedem der östlichen Bezirke und errang dort fast sämtliche Direktmandate, während die CDU alle Direktmandate im Westen gewann, mit der Ausnahme Kreuzbergs (wo die Grünen beide Mandate erhielten). In den Köpfen, im Alltagsverhalten, in der Mediennutzung, in den Konsumstrukturen und vor allem politisch ist die Stadt immer noch geteilt.

Ebenfalls überkommen ist die Segregation nach Staatsangehörigkeit. Sie ist in Berlin stärker ausgeprägt als nach Einkommen, Ausbildungsniveau, oder Erwerbspositionen. Der Indexwert liegt deutlich höher als in einigen westdeutschen Grosstädten, v.a. weil in Ostberlin im Vergleich zum Westen nur sehr wenige ImmigrantInnen leben (1998: 5,7% gegenüber 17,4% im Westen Berlins; weite Teile von Ostberlin sind nach wie vor fast "ausländerfrei"). Konzentrationen von EinwohnerInnen ohne deutsche Staatsangehörigkeit (d.h. über 30%) werden für alle Teilgebiete Kreuzbergs und die nördlichen Gebiete Neuköllns und Schönebergs festgestellt sowie für grosse Teile des Wedding. Jedoch erst in der Kopplung mit Faktoren sozioökonomischer Belastung wird "hoher Ausländeranteil" gleichbedeutend mit "sozialer Problemlage". Die Konzentrationen dokumentieren allerdings die jeweiligen Zugangsbedingungen der ImmigrantInnen auf dem deutschen Wohnungsmarkt: Während der 60er und 70er Jahre konnten sich die sog. "Gastarbeiter" in den Substandardwohnungen der innerstädtischen Altbauquartiere niederlassen, in den 90er Jahren, als Zuwanderung aus Osteuropa dominierte und sich die Integrationsbedingungen aufgrund der Deindustrialisierung erheblich verschlechtert hatten, fanden die neuen MigrantInnen eher in den Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus bzw. den Grossiedlungen Ostberlins Zugang.

Konzentrationen von Armut

Seit dem Fall der Mauer stieg die Mobilitätsrate steil an: 35.000 BerlinerInnen verlassen die Stadt jedes Jahr in Richtung Brandenburg, meist ziehen sie in den "Speckgürtel" rund um Berlin. Diese erhöhte Mobilität hatte den Effekt, bislang nur schwach ausgeprägte Segregationstendenzen zu verschärfen. Die südwestlichen Bezirke Zehlendorf und Steglitz sowie Wilmersdorf und Charlottenburg wurden homogener und verloren SozialhilfeempfängerInnen, während die traditionellen Arbeiterbezirke Westberlins (Kreuzberg, Wedding, Neukölln, Tiergarten) überproportional wachsende Niedrigeinkommens-, Arbeitslosigkeits- und SozialhilfeempfängerInnen-Raten aufweisen. Während sich das bereits disparitäre sozialstrukturelle Profil im Westen der Stadt lediglich intensivierte, kam es in den östlichen Bezirken zu radikaleren (weil neuen) sozialräumlichen Segregationsprozessen. Insgesamt sind die Verliererbezirke des ökonomisch-sozialen Strukturumbruchs der Stadt überwiegend im Westteil lokalisiert.

Während manche Studien die wachsenden Mobilitätsraten zur zentralen Erklärungsvariable machen, d.h. die zunehmende Konzentration von Armut und Arbeitslosigkeit in bestimmten Gegenden als Konsequenz der Abwanderung "stabiler" sozialer Gruppen interpretieren , betonen andere die Beschäftigungskrise und den ernormen Arbeitsplatzverlust in der Gesamtstadt, d.h. sie sehen die gestiegene Arbeitslosigkeit und Sozialhilfeabhängigkeit als Konsequenz der Deindustrialisierung. Der dadurch ausgelöste Arbeitsplatzabbau betraf insbesondere die in den traditionellen Arbeiterbezirken Lebenden, viele davon ImmigrantInnen, die vor 1990 in der Industrie beschäftigt waren.
Quartiere mit besonders hohen Konzentrationen sozialer Benachteiligung werden seit Mitte der 90er Jahre mit Hilfe komplexer medial und politisch gesteuerter Konstruktionen zunehmend assoziiert mit Verwahrlosung, Gewalt, Drogen/Kriminalität, und hohem AusländerInnenanteil. Ein Spiegel-Bericht über Neukölln präsentierte das Viertel als "Ghetto der Ausgestossenen", wo Schiessereien an der Tagesordnung und der soziale Wohnungsbau zum Slum verkommen seien. Auch die lokalen Medien partizipierten an den aufgeregten Debatten über Gewalt und Verbrechen, ein Tagesspiegel-Bericht erklärte fast ganz Kreuzberg zur "no-go-area", wo insbesondere der Wrangel-Kiez "innerlich wegfaule" und die Kriminalitätsraten in diesem Ausländerghetto so hoch seien, dass die deutsche Polizei die Lage nicht mehr unter Kontrolle habe. Konservative Politiker wie der Fraktionsführer der CDU im Abgeordnetenhaus, Landowsky, begannen, von "jenen unkontrollierbaren Verbrechenszentren" zu sprechen und forderten, dass man den Mut haben sollte, soziale Wohnungsbauten wie das Neue Kreuzberger Zentrum in die Luft zu jagen. Auch in der SPD mehrten sich Stimmen, die für den Abriss solcher Wohnkomplexe votierten - da sie das Image der neuen Hauptstadt beschädigen würden (so Senatsbaudirektor Stimmann).

Gemeinsam war diesen verschiedenen Positionen, dass sie allesamt die räumliche Konzentration von Armut als gefährlich, als Bedrohung der öffentlichen Ordnung definierten. Auch eine vom Senat für Stadtentwicklung 1997 in Auftrag gegebene Studie beschreibt die identifizierten "problembehafteten Gebiete" mit ähnlicher Sprache. So manifestierten besonders die Kategorien der innerstädtischen Altbaugebiete und die Wohnkomplexe des sozialen Wohnungsbaus im Westteil Berlins besorgniserregende soziale Polarisierung, da sie von starker Fluktuation, hohen AusländerInnenanteilen und hohen Abwanderungsraten erwerbstätiger, stabiler Einkommensgruppen gekennzeichnet seien. Die öffentlichen Räume in diesen Gebieten seien durch offensichtliche Anzeichen von Verwahrlosung, hohes Gewaltpotential, Drogenkriminalität, Alkoholismus, Dominanz ausländischer Jugendlicher und generell wachsender Unsicherheit beherrscht.

Derlei Identifizierungen sind allerdings sowohl methodisch problematisch als auch inhaltlich kontraproduktiv, da sie dazu beitragen, die entsprechenden KiezbewohnerInnen weiter zu stigmatisieren. Sicherlich stellen die verschärften Konzentrationen von Armut, struktureller Arbeitslosigkeit und sozialer Benachteiligungen, die sich im Lauf der 90er Jahre herausgebildet haben (und von den unterschiedlichen Studien - wenn auch mit divergierenden Erklärungsangeboten - festgestellt werden), eine Bedrohung der sozialen Integration der Stadt, und damit eine Herausforderung für die Stadtentwicklungspolitik, dar. Allerdings bedrohen noch weitere innerstädtische Segregationsprozesse, die in der öffentlichen Wahrnehmung kaum als problematisch gelten, die Kohärenz der Stadt.

Wohlstandsinseln

Neue Räume der Aufwertung, v.a. im Zentrum der Stadt, etablieren unsichtbare Grenzen. Weder verirren sich die BesucherInnen der Friedrichstadt-Passagen (mit Kaufhaus Galeries Lafayette, Banken und teuren Büroräumen) in den "problembehafteten" Kreuzberger Kiez mit türkischem Flair nur 300 Meter weiter südlich, noch überqueren die KiezbewohnerInnen den neuen Checkpoint Charly in Richtung Norden, obwohl kein Schild "Achtung, Sie verlassen den amerikanischen Sektor!" (das dort allerdings noch steht) dies mehr verhindert. Auch am Potsdamer Platz gibt es keinen Todesstreifen mehr, und dennoch bleibt das Armutsquartier an der Potsdamer Strasse abgeschnitten von der glitzernden Konsum- und Entertainment-Welt der neuen Touristenattraktion der Stadt. In Mitte sprechen die Investoren von der "Profitgrenze Torstrasse", die die von unteren Einkommensschichten bewohnte Rosenthaler Vorstadt von den lukrativen Touristenrennstrecken der Spandauer Vorstadt (wo es inzwischen mehr Sitzplätze in Restaurants, Cafes und Bars als EinwohnerInnen gibt) trennt. Und im Stadtteil Prenzlauer Berg hat sich ebenfalls eine neue Grenzlinie herausgebildet, zwischen gentrifiziertem Kollwitzplatz und dem angrenzenden "Problemviertel" um den Helmholtzplatz.

In Ostberliner Innenstadtbezirken wie Prenzlauer Berg ist die insulare Ausbreitung von Gentrifizierungsprozessen vorherrschend. Die im Lauf der Dekade Zugezogenen sind einkommensstärker, jünger und besser ausgebildet als die Abgewanderten, so dass ihre Kaufkraft und ihr Konsumverhalten die lokale Infrastruktur enorm verändert haben: teure Boutiquen und schicke Restaurants verdrängten alteingesessene MieterInnen, kleine Läden und alternative Projekte, die den explodierenden Mietpreisen nicht standhalten konnten. Insulare Gentrifizierungsprozesse finden aber auch inmitten des Armutsbezirks Kreuzberg statt. Luxuriöse Lofts, z.B. in den Paul-Lincke-Höfen, geben sich äusserlich bescheiden, aber im Innern der Höfe manifestiert sich die Lebenskultur der Erfolgreichen mit "in Neon-Licht-Installationen getauchten "paradiesische(n) Gärten" der amerikanischen Land-Art-Künstlerin Martha Schwartz". Kokonhafte Architekturen kehren dem öffentlichen Stadtraum den Rücken und artikulieren einen Rückzug in die privaten Räume einer "geschlossenen Gesellschaft", weil man den offenen Räumen nicht mehr traut. Die hier Wohnenden benötigen keine öffentlichen Parks. Dementsprechend favorisiert auch der für Stadtentwicklung zuständige Staatssekretär Stimmann statt öffentlicher Grünflächen kleine, aber feine Pocket-Parks im Innern neuer Baublöcke.
Hand in Hand mit dem Trend zum privatisierten aufgewerteten Raum und den abgehängten marginalen Räumen transformiert sich der öffentliche Raum der Stadt. Er erfährt einen Grad und Formen der Privatisierung, die für deutsche Städte neu sind. Einkaufs- und "Entertainment"-Zonen wie Daimler City und zu Dienstleistungs- und Einkaufszentren erweiterte Bahnhöfe sind bereits privatisiert worden, Plätze, die noch wie öffentliche Parks aussehen, sind z.T. bereits verkauft, wie der Los Angeles Platz, der an eine private Tochtergesellschaft der AG City (ein Zusammenschluss von Geschäftsleuten am KuÂ’damm) verkauft wurde, um zu verhindern, dass der Park von Obdachlosen und DrogenkonsumentInnen genutzt werden kann.

Neue Schutztruppen

Die unsichtbaren Grenzen um die aufgewerteten städtischen Zonen erheischen neue Kontrolltechniken, mit denen sichergestellt werden kann, dass Menschen, die nicht das gewünschte (Konsum-)Verhalten an den Tag legen, effektiv ausgeschlossen werden. Entsprechend wurden neue Formen der polizeilichen Überwachung der neuen Grenzen eingeführt. Es wurden 36 sogenannte "gefährliche Orte" ausgewiesen, an denen essentielle BürgerInnenrechte suspendiert werden können (verdachtsunabhängige Personen- und Taschenkontrollen, Platzverweise, Aufenthaltsverbote), und spezielle Polizeieinheiten (sog. "Operative Gruppen", OG) eingerichtet, die seit 1993 im Einsatz sind - gegen MigrantInnen, BettlerInnen, Jugendliche, Prostituierte oder DrogenkonsumentInnen. Wer die gewünschte Nutzung der innerstädtischen Areale stört oder die neugezogenen Grenzlinien nicht respektiert, wird von der OG Alex oder OG City-West vertrieben bzw. an den Stadtrand verbracht.

Nutzungskonflikte entzünden sich aber auch innerhalb der "Problemquartiere", vor allem dort, wo in der kleinräumigen Koexistenz von Verfall und aufwendiger Modernisierung Chancen auf weitere Gentrifizierungsprozesse wahrgenommen werden, z.B. am "gefährlichen Ort" Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg. Dies traditionelle" Arme-Leute-Viertel", in dem nicht nur Alteingesessene und SozialhilfeempfängerInnen, sondern auch alternative Projekte und Initiativen überdurchschnittlich stark vertreten sind, ist bereits als "attraktive Wohngegend mit gründerzeitlichem Ambiente und einer rasch wachsenden Kneipenszene" unter starken Aufwertungsdruck geraten. Während hier der Nutzungskonflikt in der öffentlichen Debatte durch die mit der Sanierung des Platzes an den Rand gedrängten Alkoholiker symbolisiert wird, sind es in den "Problemquartieren" am Kottbusser Tor (Kreuzberg) und um die Potsdamer Strasse (Schöneberg) die DrogenkonsumentInnen, die das Terrain zum "gefährlichen Ort" machen. Der Einsatz der "Operativen Gruppen" (OG Potse und OG SO 36) erschwert bzw. torpediert die Arbeit der Drogenberatung und sozialer Hilfsorganisationen.

Auch in den Medienkampagnen, die die Verwahrlosung öffentlicher Räume skandalisieren und verstärkte Sicherheits- und Polizeikräfte fordern, um den Folgen räumlich konzentrierter Armut zu begegnen, wird Armut nicht mehr als soziales Problem thematisiert, sondern nur noch als Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.

Neue Stadtbürger?

Ende 1996 hat der Senat für Stadtentwicklung das Konzept "Planwerk Innenstadt" in einem ersten Entwurf vorgestellt. Erklärtes Ziel des Planwerks war es, die östliche und westliche Innenstadt stärker miteinander zu verbinden. Faktisch konzentriert es sich jedoch auf den zentralen östlichen Bereich zwischen Alex und Schlossplatz, der in seiner vorfindlichen Form trotz 1a-Lage eine "Entwicklungsbarriere" angesichts der internationalen städtischen Konkurrenz darstelle. Neben der Überwindung der "Störungen", die die an der "Moderne" orientierte Stadtplanung für das städtische Gefüge bedeutet habe, soll das Planwerk, das schliesslich 1999 vom Senat als Leitkonzept für die Entwicklung der Innenstadt verabschiedet wurde, für die Herstellung eines für sogenannte "Stadtbürger" attraktiven urbanen Umfelds sorgen.

Die vorhandenen Plattenbauten galten als nicht geeignet, um die Abwanderung einkommensstarker Schichten aus der Innenstadt zu verhindern. Stattdessen sollten unter Vorgabe der baulichen Verdichtung Eigentumswohnungen (ursprünglich 28.000, inzwischen nur noch 20.000) gebaut werden: Individuelles Wohneigentum werde die Innenstadt aufwerten, den Investoren ihre Gewinne garantieren, sowie den notwendigen Wandel zum Stadtbürgertum beflügeln. Der "Stadtbürger", an dessen unterstellten Bedürfnissen sich das Planwerk ausrichtet, ist als Träger und Verkörperung der städtischen Kultur konnotiert. So begründet der Senator für Stadtentwicklung Strieder seine Strategie unter der Überschrift "Stadtbürger gesucht!" damit, dass "wir die Träger städtischer Kultur verlieren.... Es ist unsere Aufgabe, dieses Stadtbürgertum wieder zu aktivieren. Ein wichtiger Schritt dahin ist zum Beispiel, dass wir denjenigen, die es wollen, ein lukratives Angebot für Wohneigentum in der Stadt machen.". Doch trotz Subventionierung städtischen Bodens für die Bildung von Wohneigentum finden sich die anvisierten Stadtbürger nicht, zumal sich längst herausstellt, dass die neuen Lofts und Luxuswohnungen rund um den Friedrichswerder, Molkenmarkt und Spittelmarkt mit 8000 DM pro Quadratmeter aufwärts selbst für angehende Yuppies unerschwinglich sind. Die Wohnungspolitik Berlins, die vormals als Mieterstadt Berühmtheit erlangte, reorientiert sich komplett: während die Subventionierung von Eigentumsbildung ausgeweitet wird, wurde die Förderung des sozialen Wohnungsbaus beendet, fallen jährlich 30.000 Wohnungen aus der Sozialbindung, und werden öffentliche Wohnungsbaugesellschaften verkauft.

Vorgeblich um das Fortschreiten der sozialen Polarisierung einzudämmen, versucht der Senat, Besserverdienende in der Stadt zu halten bzw. in die Stadt zu locken. Wenn sozialräumlich sich manifestierende Verarmungsprozesse primär als Folge der Abwanderung einkommensstarker "Träger städtischer Kultur" begriffen werden, macht der Versuch, die Innenstadt mit diesem Ferment zu durchmischen, möglicherweise einen gewissen Sinn. Allerdings scheinen die Gründe für die in den 90er Jahren sich verschärfenden Abwertungsprozesse um einiges komplexer zu sein. So wie es konzipiert und dimensioniert ist, wird das Planwerk jedenfalls nicht verschiedene innerstädtische Nutzergruppen multiplizieren, sondern eher zu weitergehenden Verdrängungs- und Ausgrenzungsprozessen führen.

Ausgegrenzte Zonen

Eine andere Strategie zur Bekämpfung der sozialräumlichen Polarisierung hat der Senat mit der Einrichtung des Quartiersmanagements 1998/99 implementiert. Bezugnehmend auf die zuvor in der Studie "Soziale Stadtentwicklung" identifizierten "Problemquartiere" setzt diese Strategie explizit sozialräumlich an. In 15 dieser Gebiete wurde ein Quartiersmanagementbüro und -team eingesetzt mit der Aufgabe, mittels integrierter Handlungsansätze im Quartier vorhandene Potentiale zu aktivieren, die Handlungsfähigkeit der QuartiersbewohnerInnen zu stärken, lokale Akteure besser miteinander zu vernetzen, und die Zugangschancen der QuartiersbewohnerInnen zum Arbeitsmarkt und zu Qualifizierungsmöglichkeiten zu verbessern. Das Programm hat weder Umverteilung noch Desegregation zum Ziel, sondern versucht lediglich, die Abwärtsspirale, in der diese Quartiere gesehen werden, durch stabilisierende Unterstützung etwas aufzuhalten. Dafür investiert der Senat 300.000 DM pro Quartier und Jahr, wobei die Quartiersmanager dies schmale Budget durch EU-Programme (ESF und EFRE), ABM, HzA, die diversen Bautöpfe, und seit 1999 auch durch die üppigeren Mittel aus dem Bundesprogramm "Soziale Stadt" aufbessern sollen.

Mit der Einrichtung neuer Büros wurden z.T. existierende Stadtteilausschüsse und Initiativen umgangen (man wollte die aktiven Gruppen aussen vor halten, die immer wieder "Ressourcen statt Aktivierung" verlangen ), dagegen "bewährte Träger", die bereits seit langem als Sanierungsbeauftragte oder MieterInnenberater aktiv sind (wie z.B. S.T.E.R.N. oder SPI), in die neuen Konstruktionen eingebaut, die sich aus einem Pool von Unternehmensberatungs- und Wirtschaftsentwicklungs-Expertise, sozialen Planungsbüros und Beschäftigungsförderungs-Agenturen bedienten. Auf diese Weise kreiert der Senat eine die existierende Quartiersinfrastruktur überlappende bzw. verdrängende Struktur, die stärker auf zivile Konfliktmoderation einerseits und lokale Wirtschaftsförderung und Arbeitsbeschaffung andererseits setzt als frühere Stadtteilarbeit.

Manche Viertel wehren sich gegen die Zuschreibung des "Problemquartiers", gegen die Stigmatisierung durch eine Ausweisung als "gefährlicher Ort" und wollen auch kein Quartiersmanagement geschenkt haben. AnwohnerInnen, Stadtteilinitiativen sowie die Bezirksbaustadträtin in Friedrichshain forderten für den Boxhagener Platz die Ausweisung als Milieuschutzgebiet statt als Problemquartier, um einer zunehmenden Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen und hohen Mietsteigerungen durch Privatmodernisierung zu begegnen. Das Konzept des Senats allerdings definiert nicht steigende Mieten, sondern abwandernde GutverdienerInnen als Auslöser des Problems - dem folglich eher mit einer Unterstützung der Wohneigentumsbildung beizukommen sei.

Beide Strategien zielen also letztlich auf die Attraktivität der Stadt: Das Quartiersmanagement, indem es die sichtbarsten Formen des städtischen Verfalls wie Vandalismus und Verwahrlosung des öffentlichen Raums verhindern will, das Planwerk, indem es Flächen für die unterstellten Bedürfnisse der Urbaniten mobilisiert und subventioniert. Während letztere Strategie faktisch dazu tendiert, die stattfindenden gesellschaftlichen Spaltungs- und Ausgrenzungsprozesse zu verschärfen, wird das Quartiersmanagement wohl eher die Position der abgewerteten Viertel als marginale Räume konsolidieren, wo die Abgehängten mittels Selbsthilfe, Stadtteilökonomie und ziviler Konfliktmoderation möglichst wenig Kosten verursachen sollen. Im Endeffekt befördern beide Programme genau die neuartigen räumlichen Formationen - luxuriöse Wohlstandsinseln und Urbaniten-Zonen einerseits und marginale, ausgegrenzte Zonen, andererseits -, deren Herausbildung bereits beobachtet werden konnte. Während die Überantwortung letzterer an Ansätze integrierter Quartierspolitik darauf abstellt, sie als genau solche zu stabilisieren, bedürfen die sicht- und unsichtbaren Grenzen zwischen diesen Zonen neuer und intensiverer Kontrollen als die integrierte, sozial durchmischte Stadt je nötig hatte.

Prof. Dr. Margit Mayer lehrt am John F. Kennedy-Institut der FU Berlin

(Forum Wissenschaft 1/2001)