20 Jahre nach der Unabhängigkeit Namibias: Politische Macht für die SWAPO bis ans „Ende der Geschichte"?
Die SWAPO hatte als antikoloniale soziale Befreiungsbewegung die Erlangung des Selbstbestimmungsrechtes der Bevölkerungsmehrheit und die Abschaffung der verankerten rassistischen Diskriminierung in der von Südafrika widerrechtlich besetzt gehaltenen einstmals deutschen Kolonie Südwestafrika als kleinste gemeinsame Nenner für den auch mit Mitteln der Gewalt geführten Befreiungskampf. Entgegen ihrer emanzipatorischen Parolen nahmen die BefreiungskämpferInnen Menschenrechtsverletzungen in den eigenen Reihen billigend und ohne erkennbare Reue in Kauf. Die Befreiungsbewegung unterteilte sich in einen Exilflügel und eine Widerstandsorganisation im Inneren. Ihre Umwandlung in eine Partei übertünchte zur Unabhängigkeit 1990 zumindest vordergründig teilweise grundsätzliche innerorganisatorische Differenzen, die den „Betriebsfrieden" schon zu Exilzeiten empfindlich störten. Der offen repressive Charakter der Führung wurde mehrfach dadurch dokumentiert, dass sie auch vor der Liquidierung von Kontrahenten nicht zurück schreckte.
Die Ursachen für interne Konflikte lagen oft in individuellen Animositäten und Rangeleien um den Zugang zu Ämtern und Privilegien begründet. Frustrationen über verloren geglaubte Machtkämpfe und darauf folgende Marginalisierungsprozesse waren seit Erlangung der Unabhängigkeit und mitunter nach mehrjähriger Inkubationszeit auch Anlass für die Gründung neuer Parteien. Ergebnisse waren der Congress of Democrats (CoD) 1999 und die Rally for Democracy and Progress (RDP) 2007. Der CoD mauserte sich in den Wahlen 1999 quasi aus dem Stand mit etwa einem Zehntel der Stimmen zur größten politischen Oppositionspartei, konnte allerdings die Stimmenmehrheit der SWAPO nicht reduzieren. Den Status als größte politische Opposition konnte er immerhin 2004 konsolidieren. Aufgrund interner Macht- und Verteilungskämpfe implodierte die Partei 2008. Mit den Wahlen Ende November 2009 versank sie in Bedeutungslosigkeit.Die SWAPO reklamiert für sich, der alleinige Befreier Namibias vom Joch der Apartheid und Fremdbestimmung zu sein.
Die Verwirklichung dieses Ziels wurde zum „Ende der Geschichte" stilisiert. Mit Erlangung der formal legitimierten politischen Macht festigte sie ihr politisches Selbstverständnis auf ähnliche Weise wie die anderen Befreiungsbewegungen im Südlichen Afrika in Angola (MPLA), Mosambik (Frelimo), Simbabwe (ZANU-PF) und Südafrika (ANC). Die SWAPO versteht sich als quasi natürliche Herrschaftspartei mit dem Anspruch auf ungebrochene Fortsetzung der politischen Dominanz. Jegliche politische Alternative, die nicht den eigenen Reihen entstammt, wird als illegitimer Regimewechsel begriffen, der von externen finsteren Mächten des Imperialismus ausgeheckt und betrieben wird. Dank solcher Verschwörungstheorien wird ein enger Schulterschluss betrieben, der die Sicherung der Macht im eigenen Land und in den Nachbarstaaten als Akt unverbrüchlicher Solidarität begreift. Comrade Bob wusste dies über Jahre hinweg geschickt zu nutzen. SWAPO war von der Generalversammlung der Vereinten Nationen mit Mehrheitsbeschluss zu Mitte der 1970er Jahre zur „alleinigen authentischen Vertretung des namibischen Volkes" gekürt worden. Dies billigte der Organisation einen exklusiven Status zu, der auch von deren AktivistInnen in den Führungspositionen verinnerlicht und praktiziert wurde. Damit ging das (Selbst-)Verständnis einher, die alleinige legitime Instanz für die Belange der Bevölkerung Namibias zu sein und darüber befinden zu können, was authentisch namibisch ist. Entsprechend massiv wird jegliche Form der politischen Herausforderung ausgegrenzt. Die Opposition - allen voran die RDP - hatte erheblich weniger Organisationsfreiheit im Wahlkampf erhalten, als ihr dies verfassungsrechtlich zusteht. SWAPO-AktivistInnen störten oder verhinderten mehrfach Wahlveranstaltungen und andere Kampagnenarbeit. Dabei kam es zu Handgreiflichkeiten bis hin zur Anwendung von Waffengewalt. Ordnungskräfte mussten häufig einschreiten und machten mitunter von Tränengas Gebrauch, um die Menge aufzulösen. Erstmals seit der Unabhängigkeit konnte von einem insgesamt friedlichen Wahlkampf nicht mehr die Rede sein.
Die Hoffnungen der RDP und ihrer SympathisantInnen auf einen Stimmenanteil, der die uneingeschränkte Dominanz der SWAPO mindern würde, erwiesen sich als Wunschdenken.
Am Ende reichte es trotz einiger Achtungserfolge mit gut 11% doch nur zum Ehrentitel der „offiziellen Opposition" gegen die ungebrochene Drei-Viertel-Mehrheit der SWAPO-Übermacht, die mit 74% zwar weniger Stimmzettel auf sich vereinte als fünf Jahre zuvor, aber nur eines Mandats verlustig ging und weiterhin mit 54 der 72 gewählten VolksvertreterInnen (mehrheitlich männlichen Geschlechts) uneingeschränkt die parlamentarischen Geschicke bestimmt. Vier der acht RDP-Parlamentarier haben zuvor bereits für die SWAPO in dieser Rolle agiert. Sie müssen nun beweisen, dass ihre neue Partei mehr als nur alter Wein in neuen Schläuchen ist.
Dass Präsident Pohamba zu seiner Wiederwahl (die mit getrennten Stimmzetteln im gleichen Wahlgang erfolgte) einige tausend mehr Stimmen erhielt als die SWAPO, sollte seinen Führungsanspruch festigen. Er hat ihn bislang eher zögerlich - wenn überhaupt - reklamiert. Lange galt er als ein Interimspräsident, der nur eine Amtszeit (eher aus Pflichterfüllung denn Berufung) absolviert. Doch dann zeigte er den Vorsatz, im Amt bestätigt zu werden.
Seine zweite (und letzte) Amtszeit könnte ihm die Gelegenheit bieten, sich als der auf Ausgleich bedachte und gegen Machtmissbrauch und Korruption handelnde Amtsinhaber zu bestätigen, der in ihm ursprünglich gesehen wurde. Die darin gesetzten Erwartungen erfüllte er in den ersten fünf Jahren nicht.
Er setzt sich seit längerem der innerparteilichen Kritik der Populisten aus, die ihn für zu nachgiebig halten und eine härtere, orthodoxe Gangart gegen jegliches vermeintliche „Abweichlertum" fordern. Auf deren Seite mausert sich der frühere Premierminister Hage Geingob zum Anwärter auf die Nachfolge.
Nach mehrjähriger Auszeit im politischen Abseits (die er als Gastarbeiter bei einer von der Weltbank finanzierten Einrichtung für Afrika in Washington verbrachte) feierte er ein unerwartetes Comeback als Industrie- und Handelsminister und avancierte beim letzten Parteikongress zum stellvertretenden Parteipräsidenten. Damit ist er derzeit bereits qua Amt der Nachfolger, falls Pohamba unerwartet den Dienst als Staatsoberhaupt quittieren würde. Geingob, der noch vor 15 Jahren vor den Wahlen Ende 1994 meinte, eine Zwei-Drittel-Mehrheit für die SWAPO würde der Demokratie im Lande schaden, profilierte sich in der Endphase des Wahlkampfes als populistischer Heißsporn. Der RDP unterstellte er in einer Wahlkampfveranstaltung, an einem „Savimbi-Syndrom" zu leiden, und zum Ende des Wahlkampfs warnte er die „Heulsusen" (cry babies), sich nicht zu beschweren, wenn die SWAPO ihre Vormachtstellung behalte.
Angesichts der verschärften Gangart und wenig zimperlichen Umgangsweise wundert auch nicht, dass die Toleranz gegenüber abweichenden öffentlich geäußerten Meinungen deutlich geringer wurde. Die Printmedien im Lande hatten bislang eine weitgehend autonome und unabhängige Rolle. Sie glichen darin den privaten Medien in Südafrika, die sich die Kritik an den bestehenden Verhältnissen nicht verbieten lassen. Es bleibt auch hier abzuwarten, inwieweit die mittlerweile höchst empfindsamen Reaktionen staatlicher Funktionsträger dem einen Riegel vorschieben werden. Das neu verabschiedete Kommunikationsgesetz sowie die Sicherheitsgesetzgebung lassen einen weiten Handlungsraum zur Intervention zu und könnten die Freiheit der Presse durch neue Medienkontrollmaßnahmen und Einschüchterungen unterminieren.
Innerhalb der SWAPO gibt es eine deutlich artikulierte Aversion gegen die Meinungsfreiheit da, wo sie sich in Kritik der Partei und einer vermuteten Unterstützung von Oppositionspolitik (insbesondere der RDP) äußert. Die unabhängige Tageszeitung „The Namibian" und deren couragierte Chefredakteurin Gwen Lister gerieten seit der Endphase des Wahlkampfes unter massiven Beschuss, da ihr Parteinahme zugunsten eines „Regimewechsels" unterstellt wird. Dieses Schlagwort dient der Diffamierung jeglicher Ernst zu nehmenden Opposition oder abweichenden Meinung.
Die SWAPO-Hardliner denunzieren und brandmarken mit an Verfolgungswahn grenzendem Misstrauen alle, die als Handlanger einer imperialistischen Verschwörung verdächtigt werden. Um diesen Status der Ausgrenzung zu erlangen, gehört im heutigen Namibia nicht viel.
Pendukeni Ithana, Generalsekretärin der SWAPO und Justizministerin, hat mit an Rassismus grenzenden Attacken gegen die alles andere als opportunistische Chefredakteurin Lister zusätzlich Öl ins Feuer gegossen.
Wenig ausgleichend wirkt auch die zur Jahresmitte 2009 installierte Internetseite der SWAPO (www.swapoparty.org), die von ihr und dem SWAPO-Jugendliga-Führer Eliah Ngurare maßgeblich betrieben wird. Der Wahlkampfauftakt erfolgte nicht etwa durch eine Kampagne, die über das politische Programm informierte, sondern indem über mehrere Wochen hinweg insgesamt vier Individuen (darunter Gwen Lister und der Leiter der Menschenrechtsgesellschaft Phil ya Nangolo) mit Foto und Kurztext wegen ihres vorgeblich unpatriotischen anti-SWAPO-Gebarens an den Pranger gestellt wurden. Auf dem Blog wurde dazu eine Debatte entfacht, die an mittelalterliche Hexenjagden erinnerte.Dem namibischen Botschafter bei den Vereinten Nationen reichte zur endgültigen Diskreditierung, dass in dem Stimmenergebnis der vorgezogenen Wahlen in der New Yorker Vertretung die RDP eine hauchdünne Mehrheit vor der SWAPO erzielte. Damit hatte sich der Diplomat in den Augen der SWAPO-Jugendliga und dem der SWAPO verbundenen namibischen Gewerkschaftsdachverband NUNW als U-Boot der neuen Partei enttarnt.
In einer Pressekonferenz verlangten die beiden Vorsitzenden dessen sofortige Abberufung durch das Staatsoberhaupt, da er nur diesem gegenüber zu Loyalität verpflichtet sei und mit dem Wahlergebnis dagegen vorsätzlich verstoßen habe. - Die namibische Lesart des diplomatischen Dienstes ist wohl vergleichsweise eng.
Letztlich bleibt vorerst die Frage offen, ob das offizielle Wahlergebnis der Überprüfung auch vor Gericht standhalten wird, denn die Mehrheit der Oppositionsparteien hat sich in diesem Punkt darauf geeinigt, es nicht so einfach auf sich beruhen zu lassen. Wie schon vor fünf Jahren werden erneut die namibischen Justizinstanzen bemüht, die Rechtmäßigkeit des Wahlvorganges und seine Ergebnisse zu bescheinigen. So bleiben Zweifel hinsichtlich der Wählerregistrierung, der Wahlliste und der Stimmenabgabe in einzelnen Bezirken.
Dass angeblich die nach Stimmabgabe erfolgte Markierung an einem Finger der WählerInnen wieder entfernt werden konnte (und damit eine neuerliche Stimmabgabe im Prinzip nicht ausgeschlossen blieb), diente kaum der Beruhigung besorgter Gemüter. Eine Wahlbeteiligung von 129%, 133% und 135% wie in drei ländlichen Wahlkreisen im ehemaligen Ovamboland übertrifft selbst Spitzenergebnisse im einstigen Staatssozialismus.
Anders als in einigen städtischen Zentren wie in Swakopmund (112%), Walvis Bay (110%) und zwei Bezirken Windhoeks (104% und knapp 101%) lässt sich dies in den entlegenen nördlichen Hochburgen der SWAPO nur schwerlich durch die Stimmabgabe von anderswo registrierten Wahlberechtigten erklären (die dies nach namibischem Wahlgesetz tun dürfen). Dies nährt den Verdacht auf allzu eifrige Übererfüllung des Solls durch lokale AktivistInnen.
Die einwöchige Warteschleife bis zur Bekanntgabe des verifizierten amtlichen Endergebnisses (die der Auszählung der insgesamt nicht viel mehr als 800.000 Stimmen am jeweiligen Wahlbezirk folgte, ohne dass die WahlbeobachterInnen der Parteien davon zuvor unterrichtet waren) erwies sich ebenfalls nicht als vertrauensbildende Maßnahme. So bleiben selbst verschuldete Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Resultats. Ob die unbotmäßige Verzögerung einer Inkompetenz oder Schlimmerem geschuldet ist, bedarf der Klärung.
Die bestehenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Ergebnisses tragen leider zu keiner Verbesserung des angeschlagenen Images eines Landes bei, das vor 20 Jahren als Vorbild für afrikanische Demokratie gefeiert wurde. Ungeachtet solcher Erosionsprozesse scheint allerdings auch zwei Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit die politische Hegemonie der SWAPO als Befreiungsbewegung an der Macht den Herausforderungen stand zu halten. - Fragt sich nur, um welchen Preis.
Die sich auf der SWAPO-Internetseite austobende, mit elektronischer Kommunikation vertraute Parteibasis macht zumindest aus ihrer an Fanatismus grenzenden Loyalität keinen Hehl. Mit Demokratie hat deren Engagement so viel am Hut wie der Papst mit dem Islam. Ein Moderator, der darüber entscheidet, was überhaupt ins Netz gestellt wird, zeigt sich hinsichtlich solcher Auswüchse - die sicherheitshalber auch nochmals in der parteieigenen Wochenzeitung als Volksmeinung abgedruckt werden - recht großzügig tolerant.
Andererseits scheint ein Harmoniebedürfnis Konfrontationen vermeiden zu wollen. Denn gleichzeitig wird dafür gesorgt, dass Zweifel gar nicht erst genährt werden, wer im Lande das Sagen hat. Mit Zensur hat solche Form der Meinungsfreiheit selbstverständlich nichts zu tun.
Immerhin gelang es zwischendurch einem gate crasher namens „Adolf", seinen Brüdern und Schwestern in Afrika mittels einer Grußbotschaft zur Exekutierung der Aufgabe zu gratulieren, sich Andersdenkender zu entledigen... - Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Authentisch original hingegen war die folgende prophetische Gesinnung, die sich dort publiziert fand: „Die Bibel bescheinigt, dass Gott Menschen nach seinem Bilde schuf und in Namibia sind diese Menschen SWAPO und SWAPO sind die Menschen. Wenn du also kein Parteimitglied der SWAPO bist, was bist du dann? ... Die SWAPO wird alle 72 Sitze im Parlament gewinnen und Namibia bis zur Wiederkehr von Jesus Christus regieren, amen." Das lässt sich zur Weihnachtszeit nur noch um ein schmetterndes Hallelujah ergänzen.
Henning Melber
Dr. Henning Melber ist geschäftsführender Direktor der Dag Hammarskjöld Stiftung in Uppsala/Schweden und seit 1974 Mitglied der SWAPO.
Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 345, Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, 39. Jahrgang, Januar 2010, www.graswurzel.net