"Cottbus hat bis heute ein Problem mit extrem rechten Strukturen"

Interview mit der Initiative "Cottbus '92"

"Cottbus hat bis heute ein Problem mit extrem rechten Strukturen"

Die Initiative Cottbus ’92 setzt sich für eine Aufarbeitung der rassistischen und extrem rechten Gewalt in Cottbus der 1990er-Jahre ein. Anlässlich des 30. Jahrestages organisiert die Gruppe ein öffentliches Gedenken an die pogromartigen Angriffe von Cottbus-Sachsendorf im August 1992. Im Interview sprechen sie über rechte Gewalt im wiedervereinigten Deutschland.

iz3w: Was ist 1992 in Cottbus-Sachsendorf geschehen?

Initiative Cottbus ’92: Vom 29. bis 31. August 1992 griffen circa 150 bis 200 organisierte Neonazis und rassistische Unterstützer*innen eine Unterkunft von Geflüchteten im Cottbuser Stadtteil Sachsendorf an. Die Angreifenden bewarfen die Unterkunft und davor stehenden Polizeieinheiten mit Steinen und Molotowcocktails. Sie setzten Autos in Brand, verletzten Journalist*innen und behinderten die Feuerwehr bei den Löscharbeiten. Zu dem Zeitpunkt lebten in der Unterkunft ungefähr tausend Menschen, unter ihnen viele Sinti*zze und Rom*nja aus Südosteuropa sowie Asylsuchende, die vor dem Krieg in Jugoslawien geflüchtet waren. Zwar verhinderte das Eingreifen von etwa 300 Polizist*innen, dass die in der Unterkunft Lebenden verletzt wurden. Aber sicher gingen die über drei Tage andauernden Angriffe mit schweren Folgen für die Betroffenen einher; zumal die Bewohner*innen auch im Alltag rassistisch angefeindet wurden. In einem anschließenden Bürgerdialog wurden von Seiten der Cottbuser*innen vor allem die Geflüchteten als Problem ausgemacht. Die Perspektive der Betroffenen blieb größtenteils unsichtbar.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen und denen in Cottbus-Sachsendorf?

Ja, die rassistischen Angriffe in Cottbus fanden nur wenige Tage nach den pogromartigen Angriffen in Rostock-Lichtenhagen statt. Brandenburgs Innenminister Alwin Ziel meinte Ende August 1992 bereits, dass »Rostock [...] in jedem der neuen Bundesländer möglich [wäre]«. Als Reaktion auf die Geschehnisse in Rostock-Lichtenhagen ordnete er ein härteres polizeiliches Durchgreifen an. Schließlich fanden nach den Ausschreitungen in Rostock, die sich die damalige rechte Szene zum Vorbild nahm, in vielen Teilen Ostdeutschlands ähnlich brutale Übergriffe statt. Allein für Cottbus und Umgebung können zahlreiche rassistische und extrem rechte Angriffe aufgelistet werden, zudem gibt es eine hohe Dunkelziffer. Am 24. August 1992 etwa wurde ein Brandanschlag auf das Geflüchtetenheim in Schwarze Pumpe im damaligen Kreis Spremberg bei Cottbus verübt. Zeitgleich zu den pogromartigen Angriffen in Sachsendorf wurden Unterkünfte in Lübbenau, Spremberg und Vetschau angegriffen. In Spremberg und Lübbenau gab es sogar Brandanschläge.

Wie ordnet ihr die Ausschreitungen in die gesellschaftliche Stimmung des wiedervereinigten Deutschlands ein?

Diese Serie rassistischer und extrem rechter Gewalt war nicht auf die neuen Bundesländer beschränkt, ganz im Gegenteil: Statistiken des Bundeskriminalamtes aus dem Jahr 1991 zeigen, dass es in den alten Bundesländern weit mehr rassistische Straftaten gegeben hat. Rassistische Gewalt ist auch heute kein für Ostdeutschland spezifisches Problem. In Cottbus gab es 1992 eine sehr gut organisierte und gewaltbereite Naziszene, die maßgeblich aus westdeutschen Strukturen aufgebaut wurde. Zu den Verantwortlichen in Cottbus zählten Führungskader der Neonazi-Szene, die zu DDR-Zeiten von der BRD ‚freigekauft’ worden und nach Westdeutschland emigriert waren. Nach 1990 kamen einige zurück in den Osten, um dort Strukturen aufzubauen. Die in Westdeutschland gegründete extrem rechte Partei Deutsche Alternative (DA) war daran maßgeblich beteiligt. Tatsächlich hatte der Brandenburger Verfassungsschutz die DA bereits am 30. August 1992 als Drahtzieher der Ausschreitungen in Cottbus benannt, aber dem folgte keine wirkliche Strafverfolgung.

Diese organisierte rassistische Gewalt war keineswegs neu. Allerdings waren die Jahre nach dem Beitritt der DDR in die BRD bundesweit von einer Renationalisierung, einer Stärkung homogenisierender Vorstellungen, sowie einer Atmosphäre von Gewalt und Terror geprägt. Die pogromartigen Angriffe 1991 in Hoyerswerda, 1992 in Rostock-Lichtenhagen, Cottbus-Sachsendorf, Mannheim-Schönau oder Mölln, aber auch die faktische Abschaffung des Asylrechts 1993 sind in diesem Licht zu sehen. Die genannten Beispiele sind nur die bekanntesten in einer Serie von rassistischen Angriffen in der vereinigten Bundesrepublik. Dass diese massenhafte Gewalt ohne eine ausreichende Strafverfolgung möglich war, hat nachhaltigen Schaden angerichtet. Cottbus hat bis heute ein Problem mit militanten extrem rechten Strukturen.

Angesichts der rassistischen und rechten Gewalt der frühen 1990er-Jahre wird oft von Ausschreitungen oder Pogromen gesprochen. Welchen Begriff verwendet ihr?

Wir sprechen von »pogromartigen Angriffen«, um die Kontinuitäten, aber auch Brüche von rassistischer Ausgrenzung und Gewalt sichtbar zu machen. So handelt es sich um ein versuchtes Pogrom in Cottbus, das heißt um rassistische Ausschreitungen, gewaltvolle Angriffe und Hetze gegen die Bewohner*innen einer Geflüchtetenunterkunft. Hätte die Polizei nicht eingegriffen, wäre die Gewalt vermutlich viel weiter eskaliert. Wir wollen keine geschichtsrelativierenden Vergleiche anstellen. Unser Ziel ist es, die Geschehnisse der 1990er-Jahre in Cottbus hinsichtlich ihrer lokalen Spezifik und im Zusammenhang der Transformationskrise besser zu verstehen.

Wann hat die Initiative Cottbus ’92 angefangen, diese Ausschreitungen aufzuarbeiten? Gab es einen Anlass?

Derzeit jähren sich die pogromartigen Angriffe in Sachsendorf zum dreißigsten Mal. Dieses Datum und die bisher dürftige Aufarbeitung sind Anlass, um die Ausschreitungen aufzuarbeiten. Dabei schließen wir an die Arbeit von antifaschistischen und antirassistischen Initiativen in der Stadt an, die immer wieder Erinnerungsakte initiiert haben.

Die Initiative Cottbus ‘92 ist aus der Initiative Cottbus postkolonial-postsozialistisch hervorgegangen. Diese Gruppe macht es sich seit 2018 zur Aufgabe, Spuren und Zeugnisse kolonialer und antikolonialer Geschichte in Cottbus aufzuarbeiten – mit einem spezifischen Blick auf den teils widersprüchlichen Umgang der DDR mit der kolonialen deutschen Vergangenheit und dem Rassismus. In Cottbus gibt es ein großes und seit Jahrzehnten bestehendes Problem mit Rassismus und extrem rechten, militanten Strukturen. Beides hängt auch mit der DDR-Vergangenheit zusammen. Mit Aufklärung für ein besseres Verständnis der Geschichte wollen beide Initiativen in die heutige Stadtgesellschaft intervenieren und gegen Rassismus vorgehen.

Ihr habt im Frühjahr 2022 eine Veranstaltungsreihe organisiert. Worum ging es und wie waren die Reaktionen?

Die vier Veranstaltungen haben die Ereignisse vom August 1992 in Cottbus, aber auch allgemein rassistische Gewalt und Terror während der Transformation in Ostdeutschland kontextualisiert. So diskutierte unsere Initiative mit einem Vertreter der Initiative »Pogrom ‘91« aus Hoyerswerda über die Chancen und Hürden gedenkpolitischer Arbeit. Außerdem präsentierten zwei Mitarbeiter*innen aus dem Forschungsprojekt »Jugendarbeit, Polizei und rechte Jugendliche in den 1990er Jahren« ihre Ergebnisse. In der dritten Veranstaltung sprachen wir mit einem ehemaligen Vertragsarbeiter, der heute in Mosambik lebt, über seine DDR- und Wendezeit und die heutigen Kämpfe um Anerkennung und Wiedergutmachung. Abschließend fand ein Podium mit migrantischen und migrantisierten Aktivist*innen statt. Sie berichteten über ihre Kämpfe und Rassismuserfahrungen in Cottbus.

Die Reaktionen aus der Stadtgesellschaft waren unterschiedlich. Wir sind mit der Veranstaltungsreihe erstmals mit unserem Vorhaben an die Öffentlichkeit gegangen. Die Veranstaltungen waren gut besucht und viele Besucher*innen machten deutlich, wie wichtig sie unsere Arbeit finden. Auch seitens einiger Angehöriger der Universität und den lokalen Medien war das Interesse groß. Sehr erfreulich ist auch die Kooperation mit dem Stadtmuseum.

Dieses Jahr finden wegen des runden Jahrestags viele solche Veranstaltungen statt. Aber wie geht es weiter?

Wir wollen unsere Arbeit verstetigen und perspektivisch sollen auch Bildungsangebote entstehen. Wir bauen derzeit Kontakt zu Menschen und ihren Nachkommen auf, die zu DDR-Zeiten nach Cottbus migriert sind. Mit ehemaligen Vertragsarbeiter*innen aus Mosambik diskutieren wir, wie multiperspektivische und kollektive Formen einer Erinnerungspolitik von unten aussehen können.

Wir wollen ein jährliches Gedenken in der Stadt verankern und einen Diskurs über Rassismus und extrem rechte Strukturen führen. Mit der Veranstaltungsreihe, die Ende des Sommers rund um den Gedenktag fortgesetzt wird, haben wir erste Impulse gesetzt. Dazu betrachten wir die stetige Aufarbeitung der rassistischen Gewalt seit Anfang der 1990er-Jahre als unsere Aufgabe.

 

Das Interview führte Kathi King (iz3w).