EU-Militärhaushalte

Schritte über den Rubikon

Aufgrund anhaltender Konflikte verzögerte sich die Verabschiedung des EU-Haushalts für 2021-2027 bis Mitte Dezember 2020. Nahezu unumstritten war allerdings die mit ihm einhergehende Einrichtung diverser Militärhaushalte, die für einen weiteren grundlegenden Schritt der Militarisierung der Europäischen Union stehen. Erhebliche rechtliche Bedenken wurden dabei ebenso ignoriert wie grundsätzliche Bedenken, dass es sich hierbei um den endgültigen Abschied von der einstmals viel gepriesenen »Zivilmacht Europa« handelt.

Lange Zeit war es vollkommen undenkbar, dass die Europäische Union über einen, geschweige denn gleich mehrere Militärhaushalte verfügen könnte. Allein schon aufgrund der lange vorherrschenden Auslegung der EU-Verträge wurde dies schlichtweg für illegal gehalten. In den letzten Jahren hat aber eine neue Interpretation an Boden gewonnen, die sich schließlich auch im ersten Haushaltsvorschlag der Kommission für das EU-Budget 2021-2027 niederschlug. Ausgelobt wurden darin eigene Budgetlinien für »Militärische Mobilität«, für einen »Europäischen Verteidigungsfonds« (EVF) sowie für militärisch relevante Weltraumprogramme. Hinzukommen wird wohl auch noch eine »Europäische Friedensfazilität«, die zwar – aus rechtlichen Erwägungen – kein offizieller Teil des Haushalts, aber ein integraler Bestandteil der EU-Mili­tärpolitik sein soll. Trotz anhaltend schwerer rechtlicher Bedenken war seit diesem Vorschlag nur noch die genaue Höhe der einzelnen Posten umstritten, nicht mehr aber die Grundsatzentscheidung selbst, mit der sich die EU ein weiteres wesentliches Merkmal einer Militärmacht zulegt.

Eigentlich illegal!

Rechtlich fragwürdig ist die Einrichtung von EU-Militärbudgets vor allem aufgrund von Artikel 41 Absatz 2 des EU-Vertrags von Lissabon (EUV), in dem es heißt: „Die operativen Ausgaben im Zusammenhang mit der Durchführung dieses Kapitels [Allgemeine Bestimmungen über das Auswärtige Handeln der Union] gehen ebenfalls zulasten des Haushalts der Union, mit Ausnahme der Ausgaben aufgrund von Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen und von Fällen, in denen der Rat einstimmig etwas anderes beschließt.“

Lange wurde dieser Passus, nicht zuletzt auf Drängen Großbritanniens, derart interpretiert, dass keinerlei militärrelevante Ausgaben aus dem EU-Haushalt bestritten werden dürften – eine Auffassung, der sich 2015 auch noch die EU-Kommission anschloss (EU Kommission 2015, S. 7). Als sich die gesamte EU-Machtarchitektur im Anschluss an das britische Austrittsreferendum im Juni 2016 allerdings grundlegend veränderte, begann sich auch rasch eine neue Auslegung durchzusetzen.

Seither wird von Befürworter*innen dieser Haushaltstöpfe zweigleisig argumentiert: So wird einmal postuliert, der Begriff »operative Ausgaben« bezöge sich auf »Operationen«, weshalb das Finanzie­rungsverbot ausschließlich militärische Einsätze betreffe. In Ergänzung zu diesem doch extrem bemühten Rechtfertigungsversuch hat sich die Kommission dann aber noch ein weiteres Konstrukt einfallen lassen. Die einzelnen Töpfe wurden nämlich offiziell nicht auf die Kompetenzgrundlage der »Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik« gestellt, auf die allein sich das Verbot aus Artikel 41(2) EUV bezieht. Stattdessen wird beispielsweise als Kompetenzgrundlage des Europäischen Verteidigungsfonds Artikel 173 (Wettbewerbspolitik) des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) respektive Artikel 179 AEUV (Forschungspolitik) angegeben. Dadurch würden weder die Gelder für die Erforschung noch die für die Entwicklung von Rüstungsgütern unter das Verbot aus Artikel 41(2) EUV fallen, so die Argumentation (Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages 2018).

Dem widerspricht, dass es der Kommission nach geltender Rechtsauffassung nicht erlaubt ist, die Kompetenzgrundlage bestimmter Maßnahmen frei nach Gusto zu wählen. Ein entsprechendes Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) aus dem Jahr 2016 besagt: „Ergibt die Prüfung eines Unionsrechtsakts, dass er zwei Zielsetzungen hat oder zwei Komponenten umfasst, und lässt sich eine von ihnen als die hauptsächliche oder überwiegende ausmachen, während die andere nur nebensächliche Bedeutung hat, so ist der Rechtsakt nur auf eine Rechtsgrundlage zu stützen, und zwar auf die, die die hauptsächliche oder überwiegende Zielsetzung oder Komponente erfordert“ (EuGH 2016).

Aufgrund der dubiosen Rechtsauslegung der Kommission beauftragte die Linksfraktion GUE/NGL im EU-Parlament den Bremer Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano mit einem Rechtsgutachten zum Europäischen Verteidigungsfonds, das am 30. November 2018 veröffentlicht wurde. Nach einer ausführlichen Prüfung gelangte Fischer-Lescano darin zu dem Ergebnis, der EVF-Verordnungsvorschlag (EVF-VO) der Kommission enthalte „keine hinreichende Rechtsgrundlage für die Einrichtung des Europäischen Verteidigungsfonds“ (Fischer-Lescano 2018, S. 1). Es sei eindeutig, dass hier militärische Belange im Vordergrund stünden, die wiederum dem Finanzierungsverbot aus Artikel 41(2) EUV unterlägen: „Kurzum: Es gibt im Inhalt und der Begründung der EVF-VO deutliche Indizien, dass die in der VO geregelte Industrie- und Forschungsförderung nur ein Mittel zum eigentlichen Zweck der Verteidigungsförderung darstellt und dass der Hauptzweck der EVF-VO darin liegt, die strategische Autonomie der EU im Bereich der Verteidigung zu gewährleisten“ (Ebd., S. 10).1 Zwar kann gegen die EU-Militärhaushalte erst nach deren endgültiger Verabschiedung juristisch vorgegangen werden, die rechtlichen Bedenken sind aber in jedem Fall gravierend.

Mobilität – Rüstung – Weltraum

Dennoch schlug die EU-Kommission im Mai 2018 für den nächsten EU-Haushalt 2021-2027 vor, 11,5 Mrd. € für den EVF einzustellen (EU Kommission 2018).2 Sinn und Zweck des EVF besteht demnach darin, die Erforschung und Entwicklung europaweiter Rüstungsprojekte zu finanzieren. Hierüber sollen Konzentrationsprozesse forciert und die Herausbildung eines europäischen Rüstungskomplexes vorangetrieben werden. Ferner waren 5,8 Mrd. € für die »Militärische Mobilität« enthalten, mit der die Infrastruktur für schnelle Truppen- und Gütertransporte Richtung Russland »ertüchtigt« werden soll – vor allem in Osteuropa. Drittens wurden 14,2 Mrd. € für Europäische Raumfahrtprogramme eingestellt, primär für »Copernicus« und »Galileo«, die von großer militärischer Bedeutung sind.

Verwaltet werden sollen diese Fonds nach Verabschiedung von der »General­direktion Verteidigungsindustrie und Weltraum« (DG Defence), die im Dezember 2019 neu gegründet wurde, um die militärisch relevanten Bereiche zu bündeln. Dass hier auch die extrem kostspieligen Weltraumprogramme mit verortet wurden, macht aus Sicht der Kommission Sinn. Industriekommissar Thierry Breton, Chef der DG Defence, wurde dazu im Februar 2020 mit den Worten zitiert: „Ich halte es für unerlässlich, dass sich der Raumfahrtsektor der EU an die neuen geopolitischen, strategischen, industriellen und technologischen Gegebenheiten anpasst. […] Auf europäischer Ebene war es lange Zeit ein Tabu, aber ich glaube, es ist an der Zeit, es zu brechen. […] Ja, Galileo hat eine Verteidigungsdimension. Ja, Copernicus kann Sicherheitsaufgaben dienen. Und ja, dieser Trend muss in Zukunft noch verstärkt werden“ (Pugnet 2020).

Friedensfazilität für EU-Kriege

Weiterhin unumstritten scheint zu sein, dass eine Finanzierung von EU-Militär­einsätzen nicht aus dem EU-Haushalt bestritten werden darf. Selbiges gilt für die Querfinanzierung von Interventionen Dritter, insbesondere der Afrikanischen Union, und auch der Ausbildung und Aufrüstung »befreundeter« Akteur*innen sind weiterhin Grenzen gesetzt. Doch auch hier wurde mit der »Europäischen Friedensfazilität« (EFF) eine kreative »Lösung« gefunden. Sie wurde im Juni 2018 nahezu parallel zum ersten Haushaltsentwurf der EU-Kommission mit einem Umfang von 9,2 Mrd. € vorgeschlagen. Die EFF ist explizit außerhalb des EU-Haushalts angesiedelt, um nicht in Konflikt mit Artikel 41(2) EUV zu geraten, und wird stattdessen nach einem festen Schlüssel mit Geldern der Einzelstaaten befüllt (Deutschland trägt ca. 25 % des EFF-Haushaltes bei).

Für EU-Militäreinsätze gab es bislang bereits ein ähnliches Finanzierungsmodell namens »ATHENA-Mechanismus«, über das es aber nur möglich war, zwischen 5 % und 15 % der Kosten von EU-Militäroperationen zu finanzieren. Den Rest mussten die beteiligten Staaten für ihren Anteil am Einsatz aus eigener Tasche bezahlen, was – nachvollziehbarerweise – für die Motivation diverser Länder, sich militärisch zu engagieren, nicht eben förderlich war. Aus dem EFF-Entwurf von EU-Außenbeauftragter und EU-Kommission wird nun ersichtlich, dass deshalb ein »Anreizsystem« zur Beteiligung an Militäreinsätzen geschaffen werden soll, indem der Anteil der gemeinsam zu finanzierenden Einsatzkosten auf 35 % bis 40 % angehoben werden soll (EEAS 2018, S. 2).

Über die Rolle des EFF bei der Finanzierung Dritter schreiben Kommission und Außenbeauftragte: „Überdies wird die Fazilität den militärischen Operationen der EU ermöglichen, im Rahmen ihres Mandats integrierte Paketlösungen, die Sicherheit, Ausbildung, Bereitstellung von Ausrüstung und direkte militärische Unterstützung bündeln, anzubieten und so im Einsatzgebiet voll und umfassend tätig zu werden. […] Mit der neuen Europäischen Friedensfazilität wird die Union in der Lage sein, weltweit direkt zur Finanzierung von Friedenseinsätzen, die von Drittstaaten geleitet werden, sowie zu internationalen Organisationen beizutragen, ohne dass dies auf Afrika oder die Afrikanische Union beschränkt wäre“ (Ebd.).

Vor allem gegen die Lieferung von Militärgerät – insbesondere letalem – regt sich aber Widerstand. Am 18. November 2020 warnten 40 zivilgesellschaftliche Gruppen in einer Stellungnahme: „Sollte sie in ihrer gegenwärtigen Form beschlossen werden, […] würde die EFF unter EU-Label Initiativen zum Training und zur Ausrüstung ausländischer Militär- und Sicherheitskräfte finanzieren, einschließlich der Möglichkeit, ihnen tödliche Waffen zu liefern. […] Hinweise aus jüngster Vergangenheit deuten darauf hin, dass die Maßnahmen zur Militär- und Sicherheitsunterstützung, die durch die EFF finanziert werden sollen, aller Wahrscheinlichkeit nach zur Eskalation von Konflikten, insbesondere in anfälligen konfliktbetroffenen Umgebungen, beitragen würden. […] Dies würde genau die Dynamiken befeuern, die der EFF eigentlich zu durchbrechen versucht.“ (Joint Civil Society Statement 2020).

Nach dem ersten Aufschlag der EU-Kommission setzten zähe Verhandlungen sowohl um die einzelnen Rüstungstöpfe als auch den gesamten EU-Haushalt ein. In der Folge mussten einzelne Posten teils deutliche Kürzungen hinnehmen. Zuletzt erzielten die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfeltreffen am 21. Juli 2020 eine Einigung. Dabei wurden 7,014 Mrd. € für den Europäischen Verteidigungsfonds und 1,5 Mrd. € für die Militärische Mobilität vorgeschlagen. Die EU-Weltraumprogramme sollen nach dem Willen der Staats- und Regierungschefs 13,202 Mrd. € erhalten und für die Europäische Friedensfazilität sind 5 Mrd. € vorgesehen (EC 2020).

Grundsatzentscheidung

Diese Zahlen wurden schließlich auch in den Kompromiss für den EU-Haushalt 2021-2027 vom 10. November 2020 und in die abschließenden Entscheidungen Mitte Dezember 2020 übernommen. Die im Verhandlungsprozess vorgenommenen Kürzungen der einzelnen militärischen Posten hatten aber nichts mit einer Ablehnung der Entwicklung hin zu einer »Militärmacht Europa« zu tun, sondern waren anderen Dynamiken geschuldet. Denn getragen wird diese Entwicklung von der Überzeugung, in einer Ära der zunehmenden „Konkurrenz großer Mächte3 würden die entsprechenden Mittel benötigt, damit sich die Europäische Union (militärisch) behaupten könne.

Thierry Breton als Chef der neu geschaffenen DG Defence formulierte dies folgendermaßen: „Der allmähliche Aufbau einer europäischen Verteidigung ist Teil der jetzt notwendigen »hard power«-Dimension. Dies bedeutet nicht den Verzicht auf unsere historischen Bündnisse. Es geht einfach darum, Europa auf dem geostrategischen Schachbrett der Welt zu behaupten. […] In dieser Hinsicht ist der Europäische Verteidigungsfonds das Instrument, das Europa in die Lage versetzt, über die Technologien zu verfügen, die zur Unterstützung seiner strategischen Autonomie und zur Verringerung seiner Abhängigkeiten erforderlich sind, und in Partnerschaft mit den Mitgliedstaaten eine wettbewerbsfähige industrielle und technologische Verteidigungsbasis zu erhalten, die in der Lage ist, die von den Mitgliedstaaten benötigten Fähigkeiten bereitzustellen“ (Breton 2020).

So besehen wird mit der Geburt des Europäischen Verteidigungsfonds die Zivilmacht Europa wohl endgültig zu Grabe getragen.

Anmerkungen

1) Siehe auch Aust 2019.

2) Bei allen Angaben in diesem Artikel handelt es sich um Preise von 2018, die deutlich unter den bislang noch nicht vollständig veröffentlichten laufenden Preisen liegen. Beim Verteidigungsfonds summiert sich dies zum Beispiel auf 13 Mrd. € in laufenden statt der 11,5 Mrd. € in Preisen von 2018.

3) Diese Formulierung wählte die damalige Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei ihrer Eröffnungsrede zur Münchner Sicherheitskonferenz 2019.

Literatur

Aust, B. (2019): Der Europäische Verteidigungsfonds. Ein Rüstungsbudget für die »Militärunion«. Wissenschaft und Frieden 1/2019, S. 43-45.

Breton, T. (2020): Les entretiens de la defense europeenne, Conférence sur l‘avenir de l‘Europe: quelle ambition pour la défense européenne? Brüssel, 04.11.2020.

European Council (EC) (2020): Special meeting of the European Council (17, 18, 19, 20 and 21 July2020) – Conclusions, EUCO 10/20, Brüssel, 21.07.2020.

EEAS (2018): Vorschlag der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik mit Unterstützung der Kommission an den Rat für einen Beschluss des Rates zur Einrichtung einer Europäischen Friedensfazilität, HR(2018) 94, Brüssel, 13.06.2018.

EuGH (2016): Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) in der Rechtssache C 263/14, 14.06.2016.

EU Kommission (2015): Kapazitätsaufbau zur Förderung von Sicherheit und Entwicklung – Befähigung unserer Partner zur Krisenprävention und -bewältigung. JOIN (2015) 17, Brüssel, 28.04.2015.

EU Kommission (2018): Mitteilung der Kommission: Ein moderner Haushalt für eine Union, die schützt, stärkt und verteidigt. Mehrjähriger Finanzrahmen 2021-2027, COM(2018) 321 final, Brüssel, 02.05.2018.

Fischer-Lescano, A. (2018): Rechtsgutachten zur Illegalität des Europäischen Verteidigungsfonds, GUE/NGL, November 2018.

Joint Civil Society Statement (2020): European ‘Peace’ Facility: Causing harm or bringing peace? November 2020.

Pugnet, A. (2020): Oui, la politique spatiale européenne, et Galileo, ont un volet ‘défense’, Bruxelles2, 02.02.2020.

Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages (2018): Zur Zulässigkeit der Haushaltsfinanzierung von Forschung im GSVP-Kontext vor dem Hintergrund des Verbots des Art. 41 Abs. 2 EUV, Sachstand, 16.06.2018.

Özlem Alev Demirel ist Mitglied des Europäischen Parlaments (DIE LINKE) und dort stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Sicherheit und Verteidigung.
Jürgen Wagner ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen.