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Der philippinische Präsident Duterte vollstreckt den Populismus

Der philippinische Präsident Duterte führt einen martialischen Krieg gegen alle, die mit Drogen in Verbindung gebracht werden. Er pöbelt gegen Rechtstaatlichkeit und demokratische Institutio-nen, denn er gibt vor, den Willen des Volkes unmittelbar zu verwirklichen. Die Herrschaft von Rodrigo Duterte dürfte dem Idealbild westlicher RechtspopulistInnen ziemlich nahe kommen. Doch es gibt einige philippinische Spezifika.

 

Jeden Morgen liegen in den Philippinen 20 bis 30 Leichen in den Gassen und auf den Bürgersteigen. Ihre Leiber sind in Karton eingepackt, ihre Gesichter von einer Plastikplane verdeckt. Und neben ihnen ein Pappschild, auf dem steht: “Ich bin ein Dealer. Mach es nicht wie ich”. Normalerweise mit einer Kugel im Kopf, zuweilen auch mit Folterspuren. Die meisten PassantInnen gehen vorbei. Aus Angst, weil sie sich daran gewöhnt haben – oder schlicht weil sie denken: Der hat es ohnehin verdient.

Sieben Monate ist Präsident Rodrigo Duterte nun im Amt. Bislang ist es zu mehr als 7.000 außergerichtlichen Hinrichtungen gekommen. Bei vielen von ihnen ist nicht einmal sicher, ob sie tatsächlich Drogenabhängige und KleindealerInnen waren, wie behauptet. Die Polizei untersucht diese Fälle nämlich bislang nicht. Es genügt der Verdacht, drogenabhängig zu sein, damit man um sein Leben fürchten muss.

Jedes Stadtviertel (barangay) ist angehalten, eine Liste mit mutmaßlichen Drogenabhängigen und DealerInnen in der Gegend anzufertigen. Wenn sich nicht genügend Verdächtige finden lassen, sehen sich die OrtsvorsteherInnen gezwungen, die Liste mit anderen Namen ‚aufzufüllen’. Missliebige Personen, derer man sich so entledigen könnte, gibt es genug. Fast sechs Millionen Häuser hat die Polizei schon aufgesucht und mögliche DrogennutzerInnen gewarnt, dass sie die nächsten sein könnten. Nahezu 50.000 mutmaßliche Drogenabhängige und KleindealerInnen sind verhaftet worden, über eine Million haben sich freiwillig „ergeben“, wie es im von Kriegsrhetorik durchdrängten Diskurs in den Philippinen heißt. Zur gleichen Zeit stellt sich Duterte vor alle Polizisten, die in die Tötungen verwickelt sind, und sichert ihnen Straffreiheit zu.

"Außergerichtliche Tötungen sind schon so lange in den Nachrichten, dass sie nicht mehr berichtenswert erscheinen",  stellte der Anthropologe Gideon Lacso schon Mitte November 2016 im Philippine Daily Inquirer fest. "Sie sind keiner Einzelmeldung mehr wert, sondern werden in Routinemeldungen zusammengefasst. Ihrer Individualität entkleidet, sind die Opfer jetzt nur eine Statistik.“ In 97 Prozent der Fälle, in denen es bei Polizeioperationen zum Gebrauch der Schusswaffe kommt, wird der oder die Verdächtige erschossen. Man ahnt, dass die Polizei in den meisten Fällen nicht die Wahrheit sagt, wenn sie behauptet, sie hätte nur zurückgeschossen, da das Opfer sie bedroht habe.

Töten, töten, töten
Man hat sich an das Spiel gewöhnt, dass der Präsident zum Töten eines jeden Verdächtigen auffordert, weil sich nur so das Problem aus der Welt schaffen lasse. Selbst MenschenrechtsaktivistInnen und Rechtsanwälten, die bereit sind, sich der Verdächtigen anzunehmen, droht er an, sie töten zu lassen. Denn, so Duterte, indem sie die Verdächtigen in Schutz nehmen, verzögerten sie bloß die Lösung des Drogenproblems. Und am nächsten Tag hört man dann von seinen Epigonen, so sei das alles nicht gemeint gewesen.

Die Statements Dutertes werden jeden Monat krasser. Die Beleidigungen, die er denen an den Kopf wirft, die kritische Fragen stellen (wie so manchem UN-Sonderberichtserstatter, der Europäischen Union, dem Ex-US-Präsidenten Obama, der Katholischen Kirche oder dem Vorsitzenden der philippinischen Menschenrechtskommission) sind unflätig wie eh und je. Der Rückhalt dagegen, den Duterte in der Bevölkerung genießt, bleibt phänomenal hoch. 85 Prozent der Filipinos vertrauen ihm laut Umfragen weiterhin und begrüßen seinen „Krieg gegen die Drogen“, selbst wenn es 94 Prozent lieber wäre, wenn die Polizei die Drogenabhängigen und DealerInnen bloß verhaften und nicht gleich an Ort und Stelle erschießen würde.

Die Kolumnistin Ana Marie Pamintuan beschreibt die Stimmung im Land im Moment so: „Unter Rodrigo Duterte ist das Leben billig geworden. Einfache Leute denken jetzt, dass Töten die schnellste und effizienteste Art ist, mit Problemen fertig zu werden. Was sind ein paar tausend tote Filipinos im Vergleich zu des Ausmaßes des Drogenproblems?“ (The Philippine Star, 2.11.2016). Mittlerweile fürchten allerdings fast vier Fünftel der Bevölkerung, dass sie selbst oder ihre Lieben der nächste „Kollateralschaden“ sein könnten, wie Duterte diejenigen bezeichnet, die von Polizei oder Bürgerwehren „aus Versehen“ umgebracht wurden. Dutertes Rückhalt ist klassenübergreifend, die Mittel- und Oberschicht und die CollegeabsolventInnen unterstützen Duterte sogar zu zwanzig Prozent mehr als etwa diejenigen, die nur die Grundschule abgeschlossen haben.

Erfolgreich Panik verbreiten
Wie ist das alles möglich? Duterte ist es gelungen, die drängenden Probleme der philippinischen Gesellschaft wie Korruption, Kriminalität, Armut oder die oligarchischen politischen Verhältnisse ganz einfach zu erklären und der philippinischen Öffentlichkeit einen ganz einfach gestrickten Problemaufriss zu verkaufen: Unter seinem Vorgänger Aquino sei die Kriminalitätsrate um das Dreifache gestiegen und das Drogenproblem eskaliert. Mittlerweile gebe es vier Millionen Drogenabhängige im Land. Mehr Drogenabhängige bedeuteten mehr Kriminalität, denn drei Viertel aller schweren Verbrechen würden von Drogenabhängigen verübt. Drogenabhängige seien "alle potenzielle Verbrecher“, so Duterte, „denn wenn sie einen Affen schieben, werden sie sich immer etwas beschaffen.“

Duterte ist es im Laufe des Wahlkampfes vor den Präsidentschaftswahlen am 9. Mai 2016 gelungen, Panik zu verbreiten. Während 2015 nur 30 Prozent der Filipinos dem Meinungsforschungsinstitut Pulse Asia zufolge besorgt waren, Opfer eines Verbrechens zu werden und gerade einmal jede/r Fünfte die Bekämpfung der Kriminalität für eine der drei wichtigsten politischen Aufgaben hielt, waren es Mitte 2016 dann plötzlich fast die Hälfte. Während zudem zuvor Armut und Charakterlosigkeit als wesentliche Ursachen für Kriminalität galten, war es nun plötzlich Drogenabhängigkeit.

Duterte bezweifelt weiterhin, dass Drogenabhängige Menschen seien, erklärte sie für unzurechnungsfähig und unbehandelbar. Es bleibe ihm daher nichts anderes übrig, als sie alle zu vernichten. Zudem, so erklärte Duterte den Filipinos, habe das Drogenbusiness die Politik im Lande fest in der Hand. Es brauche den starken Mann (also ihn), der den Drogenbossen und den Drogenabhängigen den Garaus mache. Darum werde er nicht eher ruhen, als bis der letzte Dealer „eliminiert“ und bis der letzte Drogenabhängige von den Straßen verschwunden sei. Duterte gilt seinen AnhängerInnen als „letzte Hoffung“. Wer sich hier an die Nazis erinnert fühlt, dem erklärt Duterte, dass Hitler sein Vorbild sei, denn Hitler habe die Millionen, die er als Staatsfeinde betrachtet hat, einfach vernichtet, und so wolle er, Duterte, auch in den Philippinen verfahren.

Bei alledem kümmert Duterte sich wenig um Fakten: Er spricht von vier Millionen Drogenabhängigen (und unterscheidet dabei nicht zwischen Abhängigen und bloßen NutzerInnen), während selbst die nationale Drogenbehörde von nur 1,8 Millionen Menschen spricht, die gegenwärtig Drogen nähmen.

Duterte, so Karlo Mongaya  in einem Beitrag mit der Überschrift „Is Duterte fascist?“, sei es gelungen „die Frustration im Volk mit den Fehlern einer oligarchischen Demokratie in einen ‚Drogenkrieg’ gegen arme Drogenverdächtige umzuleiten, denen das Menschsein abgesprochen wird. Dass unsere nationalen Probleme im politischen System wurzeln, wird heruntergespielt. (Stattdessen) wird Herr Duterte als ‚letzte Karte’ dargestellt, die durch außerordentliche, autoritäre Maßnahmen alle gesellschaftlichen Widersprüche im Namen des philippinischen Volkes lösen könne.“ (Philippine Daily Inquirer, 9.1.2017)

Der Kolummnist Edilberto Jesus beobachtet, dass Dutertes „’Krieg gegen die Drogen’ den Charakter eines Kreuzzuges angenommen (habe), ein heiliger Krieg, der auf Glauben und Dogma fußt, nicht auf Fakten” (Philippine Daily Inquirer 3.12.2016). Wer diesen simplen Narrativ hinterfragt oder darauf hinweist, dass ein ähnlicher „Krieg gegen Drogen“ schon 2003 in Thailand gescheitert ist und eine Politik der harten Hand auch in Mexiko oder den USA das Drogenproblem nicht gelöst hat, wird sofort als Elitist abgestempelt, dem es bloß darum gehe, Duterte von der Macht zu verdrängen und das alte Establishment aus der Liberalen Partei von Ex-Präsident Aquino wieder in den Sattel zu heben. Das Land ist polarisiert: In bedingungslose AnhängerInnen Dutertes und all die anderen.

Schlimmer noch: Ob kritische Journalistin, ob Menschenrechtsaktivist oder ob lokale Politikerin, die sich weigert, eine Liste von zu eliminierenden Subjekten im eigenen Stadtteil zu erstellen – sie alle werden verdächtigt, selbst ins Drogenbusiness verwickelt zu sein. Warum sonst sollte man sich der Rettung des Vaterlandes verweigern?

So geschehen mit Leila de Lima, vormaliger Justizministerin, die schon als Vorsitzende der Menschenrechtskommission Duterte auf die Nerven ging, als dieser noch Oberbürgermeister der Millionenstadt Davao war. Dort haben Todesschwadronen mit denselben Methoden in 14 Jahren über tausend Verdächtige meist vom Motorrad aus erschossen. Es war ein offenes Geheimnis, dass Duterte hinter diesen Todesschwadronen steckte. De Lima ließ diese „Duterte Death Squads“ untersuchen und zog so Dutertes Wut auf sich.

Nach Dutertes Wahl war es Zeit, es ihr heimzuzahlen. Nun behauptet Duterte, de Lima sei eine der wichtigsten Akteurin in der Narkopolitik und zudem eine „Schlampe“, da sie eine Beziehung mit einem verheirateten Mann gehabt hat (zugleich prahlt Duterte damit, dass er zwei Frauen und zwei Geliebte hat). Das Parlament entblödete sich nicht, de Limas einstigen Geliebten vorzuladen (der wohl tatsächlich seine Hände im Drogenbusiness hat) und ihn in einer stundenlangen Anhörung zum Sexleben des Pärchens zu befragen.

Im November genehmigte Duterte dann, den Ex-Diktator Ferdinand Marcos, der von 1972 bis 1986 das Land hat ausbluten lassen, auf dem Heldenfriedhof begraben zu lassen. Es sei Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen. Und ob Marcos nun dem Land geschadet habe oder nicht, das sei Ansichtssache, so Duterte. Zugleich droht Duterte immer wieder, erneut das Kriegsrecht auszurufen und das Recht auf Haftprüfung auszusetzen, wenn die Situation es erfordere.

Von der Revolution blieb kaum etwas

Vor seiner Wahl hat Duterte viel angekündigt: Friedensverhandlungen mit der kommunistischen Guerilla und den muslimischen Separatisten, eine Verbesserung des Bürgerservices bei Regierungsbehörden sowie zahlreiche sozialpolitische Maßnahmen. Doch es ist allein der Krieg gegen die Drogen, den er wie besessen verfolgt und erfolgreich zu dem Problem gemacht hat, mit dem alles steht und fällt. Dies geht mit der Behauptung einher, dass wenn erst das Drogenproblem gelöst sei, dies automatisch zur Lösung all der anderen Probleme des Landes führe, ob wirtschaftliche Rückständigkeit, Korruption oder oligarchische Herrschaft.

Hieß es nach dem Wahlsieg noch, das Land erwarte eine „Revolution“, welche die Oligarchie, die Katholische Kirche und auch die Kriminalität besiegen werde und einen Sozialismus philippinischer Art zustande bringen werde, ist davon nach sechs Monaten kaum mehr als der Krieg gegen die Drogen übriggeblieben. Der öffentliche Diskurs trieft vor Kriegssemantik: Die Philippinen befänden sich im Krieg, gegen das Drogenmonster, gegen einen von der Drogenmafia kontrollierten Staat – und in einem Krieg zwischen denen, die das erkannt haben und jenen, die nicht wollen, dass die Mehrheit klarsieht. Nämlich die gelben Elitisten, die westlichen Regierungen und die vom Ausland gesteuerten NGOs, die alle vom Status quo profitierten und den „wirklichen Neuanfang“ (tunay na pagbabago), wie der Slogan Dutertes heißt, um jeden Preis verhindern wollten.

In diesem Kontext verkauft Duterte auch seine beiden vordringlichsten Gesetzesvorhaben, die Wiedereinführung der Todesstrafe und die Senkung des Strafmündigkeitsalters von 15 auf 9 Jahren. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Gesetze noch im ersten Halbjahr 2017 beschlossen werden. Zumindest vom Unterhaus ist wenig Widerstand zu erwarten. 280 von 297 seiner Abgeordneten zählen sich dort zu Dutertes „Super Majority“.

Die konkrete Entwicklung im Jahr 2017 dürfte ausschlaggebend werden. Sollte Duterte kein Interesse zeigen, auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen etwas zu verändern, etwa den Zugang zu Gesundheit und Bildung zu verbessern, dem Dauerstau in der Metropole Abhilfe zu schaffen oder den Friedensprozess mit kommunistischen und muslimischen Rebellen voranzutreiben, dürfte er langsam aber sicher an Unterstützung verlieren. In diesen Bereichen ist es bislang bloß bei großspurigen Ankündigungen geblieben. Schon jetzt hat die radikale Linke ihre Zurückhaltung aufgegeben und kritisiert den Präsidenten in gewohnt konfrontativer Manier. Mit der Beerdigung von Marcos auf dem Heldenfriedhof hatte er ihnen frontal vor den Kopf gestoßen. Und Anfang Februar hat schließlich Duterte die Friedensverhandlungen mit den Kommunisten abgesagt und ihnen den „totalen Krieg“ erklärt. Früher oder später dürften sich nun auch die vier Minister, die aus ihrem Lager stammen, aus dem Kabinett Dutertes zurückziehen, was den Todesstoß für ihre Bemühungen bedeuten dürfte, die Landreform wieder anzustoßen oder den weit verbreiteten befristeten Arbeitsverhältnissen ein Ende zu bereiten.

Auch Umwelt- und Ressourcenministerin Regina Lopez, zuvor eine der führenden Umweltaktivistinnen im Lande, die gegen den Großbergbau und andere Umweltsünden vorgehen will, könnte bald zurückgepfiffen werden, wenn sie dem Business damit zu sehr auf die Füße tritt. Denn auch wenn er sich gerne als „Sozialist“ bezeichnet, gleich nach seinem Wahlsieg erklärte Duterte, dass er an der neoliberalen Wirtschaftspolitik seines Vorgängers Aquino nicht Substantielles zu ändern beabsichtige. Im Bereich Arbeitsrecht, Rentenpolitik, Gesundheitsversorgung und Hochschulfinanzierung hat die Regierung Duterte daher schon maßgeblich zurückgerudert.

Es ist zu befürchten, dass der Verlust an Unterstützung für Duterte zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen im Lande führen könnte. Zu verhärtet sind die Fronten zwischen AnhängerInnen und GegnerInnen, zu messianisch das Bild, das seine Fans von Duterte haben.

Ist Duterte der „Trump Asiens“?
Das Phänomen Duterte reiht sich ein in den globalen Aufstieg des Rechtspopulismus. Er wird oft als der „Trump Asiens“ bezeichnet. So einfach ist es aber nicht.

Manches verbindet ihn tatsächlich mit Präsidenten wie Trump, Orban oder Putin, etwa der Hass auf das „Establishment“ (hier die Elitistas der Liberalen Partei) und dass er sich als Mann des Volkes und Rächer der Enterbten verkauft. Etwa, indem er sich betont leger kleidet und als authentisch gilt, da er redet wie ihm der Schnabel wächst, was auch die häufigen vulgären Ausfälle beinhaltet).[1] Plausibilitäten und Alltagsverstand gelten mehr als dürre Fakten, die im Verdacht stehen, bloß deshalb ins Feld geführt zu werden, um das (gesunde) Volk(sempfinden) zu unterdrücken. All dies sind Merkmale von Populismus.

In den Philippinen lassen sich zurzeit auch viele andere Elemente beobachten, die als typisch populistisch gelten. So hat Duterte einen Sündenbock ausgemacht, dem die meiste gesellschaftliche Unbill in die Schuhe geschoben werden könne: Die Drogenabhängigen und das Drogenbusiness. Dutertes Lager meint zudem eine Verschwörung aus Liberaler Partei, UN, EU, CIA, katholischer Kirche und MenschenrechtsaktivistInnen zu erkennen, die darauf abziele, Duterte aus dem Amt zu verjagen. Und fast tagtäglich wird die existentielle Bedrohung der Philippinen durch das Drogenproblem beschworen, der man sich nur durch einen Krieg gegen die Drogen erwehren könne. Da es um alles oder nichts geht, sei hierbei auch alles erlaubt. Die außergerichtlichen Tötungen werden zu einem Akt der Selbstverteidigung stilisiert, “wo es sich, wenn man recht darüber nachdenkt, um ein grundlegendes Menschenrecht handelt”, wie Nikki Gomez, ein Journalist aus Davao, zu bedenken gibt.[2]

Als populistisch könnte man auch den Mythos bezeichnen, dass es Duterte gelungen sei, Davao zu einer Musterstadt zu machen (dem die Fakten allerdings Lügen strafen, ist doch Davao weiterhin die Stadt mit der vierthöchsten Verbrechensrate in den Philippinen, die mitnichten drogenfrei ist) und dass es Duterte gelingt, diesen „Erfolg“ auf die ganzen Philippinen zu übertragen. Denn das Leitbild des Populismus ähnelt der mittelalterlichen Bürgerstadt, einer Kleinstadt, in der man sich kennt und die sich von moralischen Erwägungen leiten lässt, ein Gemeinwesen, das überschaubar ist und wo die persönliche Erfahrung der Maßstab für richtig oder falsch ist - gleichsam das Gegenteil der anonymen, gar globalisierten, sich ständig verändernden Gesellschaften der Moderne, in der sich die AnhängerInnen des Populismus so entfremdet fühlen. Duterte hat nicht umsonst darum gebeten, ihn weiter „Mayor“ zu nennen und nicht „President“.

Auch Dutertes oft zum Ausdruck gebrachte Verachtung für Institutionen, die sich ihm in den Weg stellen, sei es nun der Oberste Gerichtshof, die Vereinten Nationen, die philippinische Menschenrechtskommission und viele andere, ist populistisch. Denn der Populismus schätzt politische Institutionen, rechtsstaatliche Verfahren und bürokratische Erfordernisse gering und redet der Unmittelbarkeit zwischen Regierenden und Regierten das Wort. Der Führer gilt als Stimme des Volkes und als sein Sprachrohr. Zwischeninstanzen und rechtliche Einschränkungen gelte es auszuschalten, da sie die Volkswillen nur verfälschen. So droht Duterte immer wieder damit, das Parlament aufzulösen oder das Kriegsrecht auszurufen, kündigt an, missliebige Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes zu ignorieren und setzt sich über Empfehlungen der Ermittlungsbehörden hinweg, Polizisten, die über die Stränge geschlagen haben, strafrechtlich zu verfolgen. Begleitet wird dies oft von dem Ausruf „Fuck you, you idiots!“

Jung, männlich & besser gestellt

Auf der anderen Seite ist Dutertes Populismus zum Teil anders als der von Trump und Konsorten. Davao ist unter Duterte Vorreiter im Bereich sexueller Selbstbestimmung und Frauenrechte gewesen (und das, obwohl Dutertes sexistische Sprüche Legion sind). Er ist auf Kriegsfuß mit der katholischen Kirche, unterstützt die Rechte von Homosexuellen und hat gute Beziehungen mit den Moslems auf Mindanao und war lange mit der radikalen Linken auf Du und Du. Ein lupenreiner Rechter ist er jedenfalls nicht. Doch eine konsistente Ideologie hat der Populismus ohnehin nicht, eher reagiert er pragmatisch und flexibel (aber unterkomplex) auf die jeweilige Situation, die er vorfindet. Und oft interessiert den Populisten auch nicht sein Geschwätz von gestern. Es ist daher schwierig, Leute wie Duterte auf das festzunageln, was sie gesagt und versprochen haben.

Eine beliebte Illusion über den Populismus jedenfalls straft auch Duterte Lügen. Er hat nicht unter den Ungebildeten und an den Rand Gedrängten am besten abgeschnitten. Während er bei den Präsidentschaftswahlen insgesamt 36 Prozent der Stimmen bekommen hat, waren es unter der Mittelklasse 45,2 Prozent, unter denen mit Collegeabschluss 49,2 Prozent und unter den Millionen von AuslandsmigrantInnen sogar 75 Prozent der Stimmen. Zudem hat er desto besser abgeschnitten, je jünger die WählerInnen waren. Neben seiner Heimatregion Mindanao (hier bis zu 90 Prozent) hat er vor allem in der Metropolenregion Manila überdurchschnittlich abgeschnitten (44 Prozent).

Es sind also nicht das alte Landei oder die abgehängte Proletarierin gewesen, die ihm in den Präsidentenpalast verholfen haben, sondern der junge, bessergestellte, gebildetere Städter. (Ja, Städter, denn wie andere Populisten hat auch Duterte um 22 Prozent besser unter Männern als unter Frauen abgeschnitten.) Die Politikwissenschaftler Julio Teehankee und Mark Thompson folgern: „Duterte ist der Kandidat der Neureichen und der halbwegs Erfolgreichen (inklusive Taxifahrern, Kleingewerbetreibenden und Auslandsmigranten)“. Mit einem Wort: Duterte war der Kandidat des Kleinbürgertums. Und ganz wie in den USA, aber auch in Deutschland erhöht es die Wahlbeteiligung, wenn eine populistische Alternative zur Wahl steht. In den Philippinen gab es bei den Präsidentschaftswahlen 2016 mit 84 Prozent eine um zehn Prozent höhere Wahlbeteiligung als bei der Wahl zuvor im Jahr 2010.

Auf fruchtbaren Boden gefallen

Die PopulistInnen, gleich ob Trump, Duterte oder Le Pen, sind nur deshalb erfolgreich, weil sie zum Ausdruck bringen, was viele Menschen – oft schon lange – denken. Statt reaktionäres Denken zu hinterfragen, spitzen die PopulistInnen es publikumswirksam zu. Verführer im Sinne eines dämonischen Diktators sind sie aber keine. Die Zustimmung etwa zur Todesstrafe war in den Philippinen immer massiv, ebenso die Vorstellung, dass Verdächtiger und Straftäter doch im Grunde ein und dasselbe seien. Gleiches gilt für den Wunsch nach “Abkürzungen” im politischen Prozess und der Rechtsfindung. Und auch Patriarchat und Sexismus sind in den Philippinen fest etabliert. Die Erziehungsmethoden sind alles andere als gewaltfrei und Autoritäten fordern absoluten Gehorsam, alles andere gilt als „ungehörig (bastos)“ Da fällt jemand wie Duterte auf fruchtbaren Boden – oder wie es die philippinische Bestsellerautorin Jessica Zafra sagte: „Er ist euer ‚Es’“

Ganz gleich nun, ob Duterte nun ein Rechtspopulist, ein Faschist oder ein neuer Diktator ist, die politischen Institutionen erodieren, Menschenrechte sind zu einem Schimpfwort geworden und das Land dürfte auf Jahre hin zerrissen sein. In Thailand hat das in eine Militärdiktatur geführt. Und in den Philippinen? Mit Karl Valentin lässt sich nur hoffen, dass „es hoffentlich nicht so schlimm wird, wie es jetzt schon ist“.

 

Niklas Reese lebt in Manila. Er ist Mitarbeiter des gesellschaftspolitischen Infozentrums Philippinenbüro und Mitherausgeber des Handbuchs Philippinen.

 

Literatur:

Cyril Belvis (2016): Drogensüchtige töten – eine Anleitung, südostasien 4, S. 49

GMA Online (2016): Duterte deploys 'dubious' data in war against drugs, 24.10.

Niklas Reese (2017): Tausend kleine Königreiche - Öffentlichkeit und Kommunitarismus in den Philippinen. südostasien 1.

Thompson, Mark and Julio Teehankee (2016): The neo-authoritarian threat in the Philippines. New Mandala, 29.4.

 


[1] Duterte kommt jedoch aus einer lokalen politischen Dynastie. Doch darüber gilt es ebenso zu schweigen wie über die 2,4 Milliarden Pesos (40 Millionen Euro), die kurz vor den Wahlen auf einem geheimen Konto gefunden wurden, das unter seinem Namen und dem seiner Tochter geführt wird. Denn es passt nicht in die eingängige Story, die um ihn gestrickt wurde.

[2] Richard Saludo erklärt in seiner Kolumne „Thou shalt not kill ... but“ (Manila Times, 9.10.2016): „Wir befinden uns im Krieg und das eigene moralische Urteil über die Anti-Drogen-Tötungen mag verzerrt sein, wenn man das Ausmaß des Kriminalitätsproblems nicht umfassend anerkennt. Das wäre so, als ob man Soldaten für weit verbreitete Todesfälle scharf kritisiert, ohne zu erwähnen, dass das Land überfallen wurde. Und was Millionen von Filipinos zu erleiden haben, nachdem das Verbrechen und die Drogen explodiert sind, das ist weit gravierender als sogar eine Invasion.“