„Anarchismus, eine Form der Altersweisheit“

Assoziation Anarchie? Ein Interview mit den Assoziation-A-Verlegern Rainer Wendling und Theo Bruns

Der Verlag Assoziation A gehört zu den wohl interessantesten linken Verlagen im deutschsprachigen Raum. Assoziation A sitzt in Berlin und Hamburg und gibt neben Romanen und Krimis vor allem Sachbücher zu Themen wie Antifaschismus, Widerstand, Exil, Migration, Geschichte der Linken, Theorie und Praxis sozialer Bewegungen heraus. Ein Interview mit den Verlegern Rainer Wendling (Berlin) und Theo Bruns (Hamburg).

 

Graswurzelrevolution (GWR): Euer Verlag sieht sich in der Tradition der antiautoritären und undogmatischen Protestbewegungen und wurzelt sozusagen in der 68er-Bewegung. Wie fing alles an?

 

Theo Bruns: Der Verlag Assoziation A entstand im Jahr 2001 aus dem Zusammenschluss der Verlage Libertäre Assoziation A, Hamburg, und dem Verlag Schwarze Risse, Berlin.

Zwischen beiden Verlagen gab es bereits vorher eine langjährige Kooperation, aber sie hatten natürlich auch ihre eigene Geschichte und ein unterschiedliches Profil. Was den Hamburger Zweig angeht, so hat er eine lange Tradition, die bis in die frühen 1970er Jahre im Anschluss an die Jugend- und Studentenrevolte von 1968 zurückreicht.

In der Zerfallsphase des SDS entstanden aus seiner antiautoritären Strömung u.a. bundesweit selbstorganisierte und -verwaltete Buchhandelsprojekte und Verlage, die sich im Verband des linken Buchhandels (VLB) zusammenschlossen. In Hamburg wurden in dieser Zeit der Verlag Association mit „c“ – etwa zeitgleich die Edition Nautilus –, der Manifest-Buchladen und der Spartacus Buchvertrieb gegründet. Der Verlag Association war damals politisch in einem Spektrum zwischen Anarchismus, Rätekommunismus und Operaismus angesiedelt, publizierte aber auch eine Reihe zur politischen Ökologie und einige literarische Titel, u.a. von Upton Sinclair und Erich Fried.

Seine wohl bekannteste Publikation war „Friedlich in die Katastrophe“ von Holger Strohm, ein Buch, das zu einer Art „Bibel“ der Anti-AKW-Bewegung avancierte. Aufgrund einer abenteuerlichen Geschichte, die einen eigenen Beitrag wert wäre, ging der Verlag 1979 in Konkurs.

Aus der Konkursmasse des Verlages kaufte Robert Jarowoy, der gerade nach Verbüßung einer Haftstrafe wegen politisch motivierter Aktionen aus dem Knast entlassen worden war, dann mit finanzieller Unterstützung einer Reihe von GenossInnen 1980 die Resttitel auf und machte unter dem Namen Verlag Libertäre Assoziation (VLA) weiter. Unmittelbar nach Neugründung des Verlages sah sich das Projekt mit staatlicher Repression in Form der Beschlagnahme des Buches „Lieber krank feiern als gesund schuften. Wege zu Wissen und Wohlstand“, ein Ratgeber zum „Blaumachen“, konfrontiert. Das Buch wurde daraufhin kollektiv vom VLB neu herausgegeben und offensiv vertrieben, eine Form des Umgangs mit staatlicher Zensur, die sich auch in anderen Fällen bewährt hat.Das am meisten verkaufte Buch dieser Verlagsphase waren die „Märchen aus der Spaßgerilja“ von Fritz Teufel und Robert Jarowoy. Robert orientierte sich nach relativ kurzer Zeit politisch neu und stellte die Verlagsarbeit mehr oder weniger ein. Im Jahr 1987 habe ich dann zusammen mit ein paar Freunden den Verlag übernommen, wir waren so die dritte Generation.

 

Rainer Wendling: Der Berliner Zweig steht in unmittelbarer Verbindung mit dem Buchladen Schwarze Risse.

Anfang 1982 bin ich beim damaligen Buchladen „Freunde der Erde“ eingestiegen, der hauptsächlich Literatur zum Thema Umweltzerstörung und Ökologie vertrieb, dazu auch selbst Bücher herausgab und dessen Mitglieder in der Anti-AKW-Bewegung aktiv waren. Anfang 1984 änderte sich unsere personelle Zusammensetzung.

Wir machten zu zweit weiter und änderten den Namen in „Schwarze Risse“, weil wir über die zweifellos wichtigen Fragen politischer Ökologie hinaus einen linksradikalen Buchladen, der sich politisch im Spektrum der Autonomen verortete, betreiben wollten. Selbst nicht „nur“ Bücher anzubieten und zu verkaufen, sondern auch selbst zu machen und zu publizieren, war uns von Anfang an wichtig. Allerdings gelang das aus Kapazitätsgründen zu Beginn kaum.

Als die Repressionsbehörden 1987 wegen der Zeitschrift „radikal“ in einer bundesweiten Durchsuchungswelle fast alle linken Buchläden der Republik heimsuchten, sahen wir darin auch eine Chance, ein neues Verlagsprojekt zu starten. Die Idee war, die linken Buchläden schließen sich zu einem Verlags- und Vertriebsprojekt zusammen, um dadurch eine neue Stärke zu erreichen. Den meisten war das allerdings ein zu ambitioniertes und anstrengendes Vorhaben und so fanden wir uns schließlich mit dem Buchladen Rote Straße, Göttingen, und dem leider nicht mehr existierenden Buchladen Kleine Freiheit, Gießen, in einer Dreier-Kooperation zusammen. Unsere ersten Publikationen waren Reprints von für uns grundlegenden Werken wie „Leben als Sabotage“ von Detlef Hartmann, die Hefte 10 und 14 der „Autonomie Neue Folge“ als sozialrevolutionäre Kritik am Marxismus, aber auch den Verkürzungen des Operaismus.

Wir gründeten zusammen mit ehemaligen Mitgliedern der Autonomie-Redaktion die „Materialien für einen neuen Antiimperialismus“. Zu den Anti-IWF-Aktionen 1988 brachten wir unsere erste neue Broschüre heraus: „Zentralamerika. Mexiko. Klassenkämpfe ohne Grenzen“.

Weitere wichtige Bücher in der Folge sind für mich „Das Ende des sowjetischen Entwicklungsmodells. Beiträge zur Geschichte der sozialen Konfrontationen mit dem sozialistischen Akkumulationskommando“ und „Die Ethnisierung des Sozialen – Die Transformation der jugoslawischen Gesellschaft im Medium des Krieges“. Sie zählen zu den Meilensteinen eines sozialrevolutionären Verständnisses gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse.

 

GWR: „Assoziation A“, da kommt bei mir zuerst die Assoziation „Assoziation Anarchie“? Versteht ihr euch als anarchistisch?

 

Theo Bruns: Im Sinne einer grundlegenden politischen Geistes- und Lebenshaltung verstehe ich mich schon als Anarchist, aber nicht gebunden an ein fixes Modell mit der Konstruktion einer Ahnengalerie und einer Vorstellung von Organisierung, die sich in ihrer Orthodoxie häufig nicht grundlegend von konkurrierenden Strömungen wie Trotzkismus, Leninismus etc. unterscheidet. Politisch prägend waren für mich eher der antiautoritäre Dutschke-Krahl-Flügel des SDS, die kritische Theorie in ihrer politisch pointierten Form in Gestalt von Herbert Marcuse, die Situationisten mit ihrer Idee der Einheit von Leben, Kunst und Politik, aber auch Bakunin als radikaler Philosoph der Freiheit und hellsichtiger Kritiker der spezifisch deutschen Form des Obrigkeitsstaates. Meine Magisterarbeit habe ich über die Ursprünge des Anarchismus in Frankreich geschrieben. Dort steht im Vorwort in Umkehrung eines Bismarckschen Diktums, Anarchismus sei keine Jugendtorheit, sondern eine Form der Altersweisheit. Das würde ich heute erst recht so sagen.

 

Rainer Wendling: Keine Ahnung. Jedenfalls, wie Theo schon sagte, nicht im klassischen Sinn. Mir ist nicht wichtig das als „Identität“ zu definieren, Autonomer, Anarchist, Sozialrevolutionär.

 

GWR: Was bedeuten für euch Anarchie, Anarchismus und Autonomie?

 

Theo Bruns: Über das eigene Leben bestimmen zu können. Dazu bedarf es des Zugangs zu den gesellschaftlichen Ressourcen, die dafür die materielle Voraussetzung liefern.

Möglichst frei von Zwängen und Diskriminierungen zu sein. Herrschaftsverhältnisse zu unterhöhlen und aufzuheben. Die Verknüpfung des freiheitlich-individualistischen Impetus mit dem egalitären, kollektiven, solidarischen Moment. Um es mit den Worten Bakunins zu sagen: Die Freiheit der anderen nicht als Begrenzung der eigenen, sondern als ihre Voraussetzung und Erweiterung zu begreifen. Das wäre vielleicht so etwas wie libertärer Commonismus.

Autonomie bedeutet aber auch eine Vita activa im Sinne Hannah Arendts. Politisch tätig zu sein, sich einzumischen, ungerechte gesellschaftliche Zustände nicht hinzunehmen. Selbstveränderung im Ändern der Umstände.

 

Rainer Wendling: Darüber hinaus ist für mich wichtig, mit welchem Blick wir auf Geschichte, politische und soziale Prozesse schauen. Das Subjekt der historischen Erkenntnis ist, wie Walter Benjamin sagt, „die kämpfende unterdrückte Klasse selbst“; nicht der Intellektuelle, der auf die „Subalternen“ herabblickt, nicht der Anführer, nicht die Partei. Der soziale Prozess steht im Mittelpunkt, und natürlich geht es noch immer darum, alle Verhältnisse umzustürzen, in denen die Menschen unterdrückt und geknechtet sind oder der Vernichtung preisgegeben werden.

 

GWR: „Assoziation A“ klingt nach linker Genossenschaft und Internationaler Arbeiter-Assoziation (IAA). Wie ist Assoziation A organisiert? Seht ihr euch in der Tradition der libertär-sozialistischen IAA?

 

Theo Bruns: De facto sind wir heute ein Zwei-Mann-Betrieb, auch wenn es ein Verlagsumfeld gibt, das uns unterstützt und auch Buchvorschläge unterbreitet. Deshalb wäre es etwas hochtrabend, von Organisation zu sprechen. Wie erläutert, sind wir zwar stark an den freiheitlichen Unterströmungen der Geschichte interessiert, kostümieren uns aber nicht mit den Kleidern der alten – und sei es auch libertären – Arbeiterbewegung.

 

GWR: Wie verlief eure eigene „politische Sozialisation“? Gab es prägende Erfahrungen?

 

Theo Bruns: Ich bin noch stark vom Impuls der 68er-Revolte geprägt, die ich in meiner Schulzeit miterlebt habe. Ich war damals Schulsprecher an einem sauerländischen Provinzgymnasium. Unter der Parole „Anarchie statt SMV“ (Schülermitverwaltung, von uns gerne als Schülermilchverwaltung verspottet) haben wir damals versucht, den Samen der Revolte auch in einer superspießigen und klerikalen Kleinstadt fruchtbar werden zu lassen. Den Hass, der uns als den ersten langhaarigen „Gammlern“, Hippies und „Dutschke-Freunden“ entgegenschlug, habe ich bis heute nicht vergessen. Die latente Gewalttätigkeit der postfaschistischen Gesellschaft war beeindruckend. Mit diesen Zuständen konnte es keinen Kompromiss geben. Später habe ich in Marburg studiert, mit den frühen Spontis sympathisiert, im Buchladenkollektiv Roter Stern gearbeitet, im Rahmen der Schwarzen Hilfe politische und soziale Gefangene besucht und unterstützt und Anfang der 1980er Jahre das Autonomen-Plenum mitgegründet. Kurz danach bin ich nach Hamburg gezogen, wo ich anfangs in der antimilitaristischen Bewegung, später in der BUKO aktiv war. Heute versuche ich, soweit es die knapp bemessene Zeit erlaubt, mich im Rahmen der Recht-auf-Stadt-Bewegung – zum Beispiel im Hamburger Gängeviertel – einzubringen.

 

Rainer Wendling: Der Aufbruch durch die 68er-Revolte hat auch in der badischen Provinz, wo ich herkomme, hohe Wellen geschlagen und gab uns entscheidende Impulse. Viel lief auch über die wilde Musik von Gruppen wie Led Zeppelin, Deep Purple, Ten Years After und Jimi Hendrix, die in diesem Bereich alle Konventionen brachen. Es war ja auch eine Kulturrevolution, Brüche in fast allen Lebensbereichen. Wir „stürmten“ die Konzerte, wenn wir – wie meist – nicht genug Geld hatten, den Eintritt zu bezahlen, und natürlich, weil das einfach klasse war, ein kleiner Akt des Aufbegehrens. Mit „Jesusbärten“ und langen Haaren, kiffend, Schule schwänzend und den Militärdienst verweigernd, waren wir für die Spießigkeit in den Kleinstädten eine einzige Provokation. Es war klar: Wir mussten uns abgrenzen von unseren Vätern und Müttern, der Nazigeneration, die das ganze Unheil zugelassen und mitgetragen hatte. Dann kamen militante Gruppen und die RAF, die Kämpfe der Anti-AKW-Bewegung an den Bauzäunen, die Häuserbewegung und die Demos gegen die frecher werdenden Neonazis. Anfang der 1990er würde ich den medial und staatlich geschürten Rassismus und die Hetzjagd auf MigrantInnen mit der faktischen Abschaffung des Rechts auf Asyl als prägend für die Entwicklung im „neuen Deutschland“ sehen.

 

GWR: Ihr publiziert nicht nur Bücher, die es manchmal auf die Sachbuchbestenliste schaffen, sondern organisiert auch Lesungen und Veranstaltungen wie die Linken Buchtage Berlin? Die nächsten Linken Buchtage finden vom 5. bis zum 7. Juni 2015 im Mehringhof statt. Was ist da geplant?

 

Rainer Wendling: Die Linken Buchtage haben wir zwar mit ins Leben gerufen und in den ersten drei Jahren mitorganisiert, uns dann aber vor allem aus Kapazitätsgründen wieder rausgezogen. Lesungen und Veranstaltungen organisieren wir weiterhin. Oft auch mit AutorInnen aus dem Ausland, wie jetzt im Mai mit unserer brasilianischen Autorin Beatriz Bracher zu ihrem Roman „Die Verdächtigung“, der die Zeit der brasilianischen Militärdiktatur zum Hintergrund hat, oder mit Sachbuchautoren wie Marcus Rediker aus den USA und Asef Bayat, der ursprünglich aus dem Iran kommt. Ihre Bücher „Die vielköpfige Hydra“ und „Leben als Politik“ sind für mich wesentliche Bausteine zum Verständnis historischer Prozesse (Rediker) und gegenwärtig der sozialen Revolte des sog. arabischen Frühlings (Bayat). Deshalb haben wir auch keine finanziellen Verluste gescheut, sie zu verlegen und die Autoren hierher einzuladen.

 

Theo Bruns: In Hamburg gibt es seit ein paar Jahren die HEW-Lesetage, die gegen das „Artwashing“ des Energiegroßkonzerns Vattenfall ein Gegenprogramm auf die Beine stellen. Und im letzten Jahr fand erstmals eine Radical Bookfair in der Roten Flora statt. Beides sind ermutigende Beispiele alternativer, widerständiger Kultur, an denen wir uns gerne beteiligen.

 

GWR: International Aufsehen habt ihr erregt, als es 2007 im Vorfeld des G8-Gipfeltreffens in Heiligendamm bundesweit Razzien wegen des von Assoziation A verlegten Buches „Autonome in Bewegung“ gab [vgl. GWR 282]. Im Nachhinein wurden die Durchsuchungen durch den Bundesgerichtshof für rechtswidrig erklärt, die Betroffenen wurden entschädigt. Wie habt ihr die damalige Repression erlebt?

 

Rainer Wendling: Durchsucht wurden wir im Laufe der Jahre ja des Öfteren mal. Diese Durchsuchung war für uns allerdings eine besonders erfolgreiche. Das Interesse am Buch blühte erneut auf und so konnten wir es noch zwei Mal nachdrucken.

 

Theo Bruns: Wir haben damals eine sehr breite Solidarität erfahren, die uns in positiver Erinnerung ist. Die damalige Familienministerin von der Leyen hat später noch einmal versucht, das Autonomen-Buch auf die Liste des jugendgefährdenden Schrifttums setzen zu lassen, ist damit jedoch gescheitert.

Maßstab unserer Publikationen ist nicht das bürgerliche Recht, sondern das emanzipatorische Interesse.

 

GWR: Könnt ihr von der Verlagsarbeit leben?

 

Theo Bruns: Wir haben beide den Verlag jahrelang ehrenamtlich betrieben. In den letzten Jahren lebe ich zum Teil vom Verlag, arbeite aber immer noch parallel als freier Lektor, Redakteur und Übersetzer, um meinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Den Verlag betreiben wir also nicht aus ökonomischem Interesse – in jedem anderen Job würden wir mehr Geld verdienen –, sondern aus politischer Überzeugung und Leidenschaft. Und selbstverständlich, weil es eine wundervolle, abwechslungsreiche und persönlich befriedigende Tätigkeit ist, gute und schöne Bücher herauszubringen und mit ihnen in die politische Debatte einzugreifen.

 

Rainer Wendling: Definitiv: Nein. Ich habe noch einen anderen Job im Bereich erneuerbarer Energien, bei dem ich mich glücklicherweise so flexibel bewegen kann, dass die Verlagsarbeit weiterhin möglich ist.

 

GWR: Welche Bücher gefallen euch aus dem Assoziation-A-Programm besonders gut?

 

Theo Bruns: Ein absolutes Highlight der Verlagsgeschichte war zuletzt sicherlich die Veröffentlichung der Bücher von Luiz Ruffato, der mit seiner kritischen Eröffnungsrede zur Buchmesse 2013 mit dem Ehrengastland Brasilien Furore gemacht hat. Sein Buch „Es waren viele Pferde“, das die Romanform buchstäblich zertrümmert und die Großstadtliteratur auf höchstem Niveau neu erfindet, ist ein Geniestreich, ein Jahrhundertwerk. Sein Versuch, mit literarisch avantgardistischen Mitteln die Welt der kleinen Leute, der Armen, der Migranten, der Arbeiter zum literarischen Sujet zu erheben, hat uns begeistert. Das ist das gerade Gegenteil von Sozialistischem Realismus und Werkkreis Literatur der Arbeitswelt. In der Vereinigung von politischem Inhalt und experimentellem Ausdruck ähnelt er einem anderen Lieblingsautor des Verlages, Nanni Balestrini, der mit seinem Romanzyklus „Die große Revolte“ der italienischen Autonomia der 60er und 70er Jahre ein literarisches Denkmal gesetzt hat.

Und natürlich lieben wir „Vier Hände“ von Paco Ignacio Taibo II. Der Mann ist als Historiker, Che-Guevara-Biograf, Begründer des neuen lateinamerikanischen Kriminalromans und Organisator der Krimi-Messe von Gijón sowieso ein Phänomen und lebendes Gesamtkunstwerk – und über die Jahre auch ein persönlicher Freund. Und schließlich wollen wir auch Dominique Manotti, die Grande Dame des französischen Roman noir, nicht unerwähnt lassen.

Auf Sachbuchebene haben wir u.a., was die Geschichte der Linken, Stadtsoziologie und urbane Bewegungen, Studien zu Migration und Rassismus, kritische Untersuchungen zum Nationalsozialismus angeht, klare Akzente gesetzt. Man denke nur an die Bücher von Mike Davis. Für mich persönlich war zuletzt u.a. die Herausgabe des Gängeviertelbuches über die kulturelle und politische Inbesitznahme von zwölf leerstehenden Häusern in der Hamburger Innenstadt durch 200 KünstlerInnen und AktivistInnen eine bereichernde und beglückende Erfahrung. Wir haben das Buch – getragen von der Euphorie des Aufbruchs – mit vier Herausgeberinnen, sechs Grafikern und ca. 20 AutorInnen gemeinsam gestaltet. Eine tolle Erfahrung, die in schönster Weise für einen selbst erneut transparent macht, warum man ein so anstrengendes Ding wie einen Verlag immer noch macht.

 

GWR: Aus eurem aktuellen Programm gefällt mir das neue „Kommunebuch“ besonders gut. Das haben wir durch einen Vorabdruck in Graswurzelrevolution Nr. 391 und ein Interview mit der Kommunardin Bettina Kruse in der GWR 393 sozusagen „abgefeiert“. Ein bisschen irritierend ist, dass es, wie schon der im Werkstattverlag erschienene Vorgängerband, einfach nur „Kommunebuch“ heißt? Führt das nicht zu Verwechslungen?

 

Theo Bruns: Das Kommunebuch ist die Fortsetzung des ersten Kommunebuchs aus dem Werkstattverlag und knüpft an es an. Ein großer Teil der damaligen Projekte ist noch dabei und auch einige Autorinnen und Autoren waren an beiden Büchern beteiligt. Die Beibehaltung des Namens ist also Ausdruck einer realen Kontinuität innerhalb des Netzwerks politischer Kommunen und nicht der Versuch, einen erfolgsträchtigen Buchtitel abzukupfern.

 

GWR: Was sind allgemein eure persönlichen Lieblingsbücher?

 

Theo Bruns: Außer unseren eigenen Büchern immer noch „Hundert Jahre Einsamkeit“ von García Márquez. „Unter dem Vulkan“ von Malcolm Lowry. „weiter leben“ von Ruth Klüger und die Autobiografie von Marcel Reich-Ranicki. Shakespeares Sonette und ein paar Gedichte Goethes.

 

Rainer Wendling: Oje, das sind so viele. Das hängt auch von der jeweiligen Lebensphase ab. Als Jugendlicher die Bücher von James Baldwin: „Sonnys Blues“, „Eine andere Welt“, aus denen ich viel über den Rassismus und das Leben der Schwarzen in den USA gelernt habe, und durch „Giovannis Zimmer“ zum ersten Mal etwas über das Schwulsein. Und nicht zu vergessen Dostojewskis „Schuld und Sühne“, „Die Brüder Karamasow“.

Unter den deutschsprachigen Autoren Oskar Maria Grafs „Gelächter von außen“, auch Jurek Beckers „Jakob der Lügner“. Zur literarischen Auseinandersetzung mit dem Holocaust „Die Atempause“ von Primo Levi; Italo Svevos wunderbar selbstironisches Buch zur damals aufkommenden Psychoanalyse „Zenos Cosini“; George Orwells „Erledigt in Paris und London“ und jede Menge andere.

 

GWR: Viele linke Buchläden sind mittlerweile verschwunden, viele Verlage stecken in der Krise. Wo seht ihr Gründe dafür? Wie schätzt ihr die aktuelle Situation und die Perspektiven von Assoziation A und anderen linken Verlagen ein?

 

Theo Bruns: Das sollte man auf zwei unterschiedlichen Ebenen diskutieren. Zum einen spiegelt sich darin die Krise der Linken, die zurzeit kein schlüssiges Konzept einer gesamtgesellschaftlichen Umwälzung aufzuweisen hat. Früher lebten wir mit dem Gefühl: Die Revolution steht vor der Tür. Heute führen wir eher Abwehrkämpfe gegen eine weitere Zunahme der Barbarei.

Zum anderen haben wir es mit einer Krise des Produktes Buch zu tun. Gutenbergs Welt ist zwar nicht untergegangen, hat aber einen erheblichen Bedeutungsverlust erlitten.

Aufgrund des Internets und der fortschreitenden Digitalisierung ist das gedruckte Buch heute nicht mehr der privilegierte Informationsträger von einst und die Welt des Wissens nicht mehr eine große Bibliothek.

Die Bachelorstudiengänge mit ihrem permanenten Prüfungsdruck haben dazu geführt, dass der heutigen Generation der Studierenden wesentlich weniger freie Zeit zur politischen Betätigung und Debatte zur Verfügung steht. Um die kurzfristigen Leistungsnachweise zu erbringen, ist die Lektüre von Büchern immer weniger das probate Mittel.

Das stellt linke Verlage vor riesige Herausforderungen für die Zukunft. Um die gleiche Leserschaft wir früher erreichen und zumindest gleichbleibende Umsätze realisieren zu können, werden sie Bücher publizieren müssen, die deutlich aus dem Durchschnitt herausragen.

Wir werden den Bereich Print mit dem digitalen Publizieren verbinden müssen und denken darüber nach, auch Freebooks zum kostenlosen Download als Teil einer allen zur Verfügung stehenden Wissensallmende anzubieten.

Gute Bücher und moderiertes Wissen, das der Informationsüberflutung etwas qualitativ Überzeugendes entgegensetzt, werden weiter ihren Platz haben.

Das Redigieren, Lektorieren, Auswählen, Programmgestalten, Wissenbestände-in-Beziehung-Setzen und die Organisation von Diskussion werden weiter unverzichtbar bleiben.

Dies alles ein Teil einer linken Debatte, die dazu beitragen soll, die Welt ein Stück freier und gerechter zu machen. Verleger zu sein ist ein echtes Abenteuer. Wie ein Buchverlag in zehn, fünfzehn Jahren aussehen wird, weiß niemand.

 

GWR: Assoziation A ist sozusagen ein Verlag „von der Bewegung, für die Bewegung“.

Wie schätzt ihr die aktuelle Situation anarchistischer und anderer undogmatisch linksradikaler Bewegungen ein?

 

Theo Bruns: Seit dem Epochenbruch 1989 haben weltweit ethnonationalistische, rassistische und religiös fundamentalistische Bewegungen, die eine reaktionäre Antwort auf die soziale Frage artikulieren, in Besorgnis erregender Weise Zulauf erfahren. Das hat auch mit der Leerstelle zu tun, die die Krise der Linken hinterlassen hat. Antworten der undogmatischen Linken, die sich auf der Höhe der Zeit bewegen, sind notwendiger denn je. Die Debatte um die Commons, die Recht-auf-Stadt-Bewegung, die Solidarität mit den Flüchtlingen oder die breiten Proteste gegen die Austeritätspolitik in Südeuropa sind ermutigende Beispiele. Kennzeichen vieler dieser Bewegungen ist ihre Distanz zum Staat und die Ablehnung traditioneller Formen der politischen Repräsentanz.

Hier gibt es Anknüpfungspunkte an das Ideengut der anarchistischen Bewegung, die sich aber gleichfalls neu erfinden muss, wenn sie nicht museal erstarren und in Bedeutungslosigkeit versinken will.

 

Rainer Wendling: Zwar fühle ich mich nach wie vor als Teil dieser Bewegungen, aber ich empfinde es als großes Manko, dass sie oft zu selbstbezogen denken und agieren und einen entsprechenden Habitus an den Tag legen. Das erschwert den Zugang zu und das Verständnis von weltweiten sozialen Kämpfen, die ja gerade seit Beginn der 2010er Jahre immens zugenommen haben. Linksradikale Bewegungen müssen, wollen sie nicht in Bedeutungslosigkeit versinken, Bezüge zu den weltweiten Sozialprozessen suchen, finden und herstellen. Das ist einer der Gründe, warum mir unsere sozialhistorischen Bücher besonders am Herzen liegen.

 

GWR: Welche Pläne, Visionen und Projekte habt ihr für die kommenden Jahre?

 

Theo Bruns: Mit unseren politischen Titeln wollen wir nach wie vor die aktuellen linken Protest-, Widerstands- und Aneignungsbewegungen begleiten und in produktiver Weise zu ihren politischen Debatten beitragen. Was das literarische Programm angeht, haben wir kürzlich die deutschen Buchrechte von drei Romanen des italienischen Autorenkollektivs Wu Ming erworben.

Wir setzen in dieses Editionsprojekt große Hoffnungen und investieren unseren Elan darein. Außerdem werden wir unseren Autoren treu bleiben und z.B. den fünfbändigen Romanzyklus „Vorläufige Hölle“ von Luiz Ruffato vollständig veröffentlichen.

 

GWR: Gibt es etwas, das ihr noch loswerden wollt? Ein Schlusswort?

 

Theo Bruns: Rebellischsein hält jung, gerade in unserem Alter eine tröstliche Nachricht. Und um es mit den Worten unseres südafrikanischen Autors Denis Goldberg zu sagen: „Es gilt, leidenschaftlich an den Ereignissen seiner Zeit teilzunehmen.“ Ein linker Verlag ist dafür ein wunderbares Instrument.

 

Interview: Bernd Drücke

 

Das Interview wurde im Februar 2015 per E-Mail geführt.

 

Anmerkung:

Assoziation A auf der Leipziger Buchmesse, 12. bis 15. März 2015, Halle: 5, Standnummer: E 402.

Weitere Infos: www.assoziation-a.de

 

Verlag Graswurzelrevolution auf der Leipziger Buchmesse, 12. bis 15. März 2015 in Halle 5, Gang C, Standnummer: 411. Infos: www.graswurzel.net

 

Interview aus: Graswurzelrevolution Nr. 397 (Libertäre Buchseiten), März 2015, http://www.graswurzel.net/397/LiBu397.pdf