Die Nakba aus Täterperspektive

in (06.01.2014)

In dem Projekt "Common Archive – Palestine 1948" und der Ausstellung "Towards a Common Archive" (Zochrot 2012) werden Aussagen von zionistischen Kämpfern und palästinensischen Flüchtlingen gekreuzt. Die Inspiration zu der Arbeit rührt von zwei Aussagen, die Michel Khleifi und Eyal Sivan bei den Dreharbeiten ihres Films "Route 181 – Fragmente einer Reise in Palästina-Israel" (2003) gehört haben. Die eine war die eines palästinensischen Friseurs in Lydda (Lod) über ein Massaker der Palmach in der Dahamsh-Moschee sowie die Vertreibung seiner Nachbarn. Die andere kam von einem Kämpfer der Yiftah-Brigade, der in den Tagen vor der Deklaration des Staates die Vertreibung und Flucht der Araber des östlichen Galiläas bei der "Besenoperation" erlebt hat. Der folgende Artikel von Eyal Sivan stammt aus dem Ausstellungskatalog.

Viele Täterinnen und Täter der Nakba wurden in der Vergangenheit interviewt und unzählige Male dokumentiert, sei es zum Zwecke der Forschung, der Propaganda, der Archivierung oder für die Massenmedien. Einige von ihnen haben ihre Memoiren geschrieben, Poesie oder Prosa, inspiriert von “diesen Zeiten”. Andere haben diese Ära professionell oder als Hobby studiert. Offizielle und Familienarchive sind voll ihrer Geschichten. Sie engagieren sich in Vereinen für Erinnerungskultur sowie in der Bildung, und viele von ihnen wurden zu Experten und professionellen Zeugen.

Auch im hohen Alter erzählen sie weiter, beantworten Fragen und legen Zeugnis ab. Manchmal als Opfer (in Selbstverteidigung), manchmal als Helden (oder Experten), und oft beides zusammen. Als Opfer und Helden wurden sie befragt, interviewt und dokumentiert. Helden und Opfer – Zeugen in der metaphorischen Welt der kollektiven Erinnerung, wörtlich und bildlich. Die meisten von ihnen wurden niemals gefragt, sondern hielten es selbst für notwendig, über sich als Zuschauer oder aktiv Beteiligte von Zerstörung, als Verursacher der Katastrophe der Anderen, von uns allen, als Täter der Nakba auszusagen.

Rekruten oder Befehlshaber, für die große Mehrheit der zionistischen Kämpfer von 1947-49 (sowie für die meisten Interviewten) war der Krieg, der das Land in diesen Jahren auseinander riss, bei weitem keine Katastrophe, Zerstörung oder Untergang. Im Gegenteil. Für sie war es ein großer Sieg - der Unabhängigkeitskrieg schlechthin. Ihre persönliche Ambition war klar: mit allen und wie alle zu sein. Und der Ruf „Jüdischer Staat“ klang zauberhaft in ihren Ohren. Es war die Zeit ihrer Jugend.

Nur manchmal wagten Einzelne sich über die Interviewfragen hinwegzusetzen oder die Kriegslegenden ihrer Kameraden zu unterbrechen und die Wahrheit aufzudecken. Das Offensichtliche, die Lügen, Leugnungen und Halbwahrheiten zu entlarven. Implizit oder explizit, mündlich oder schriftlich, beschrieben sie ihren Anteil an zivilen und militärischen Aktionen, die - gelinde gesagt - die Flucht der palästinensischen Bevölkerung ermöglichen und sicherstellen sollten, dass sie nie mehr zurückkämen. Noch seltener erzählten sie von der Vertreibung Hunderttausender Palästinenser, von Plünderungen, Massakern und der Zerstörung von Hunderten Dörfern und zig Städten. Von der Nakba.

In ihren Bekenntnissen erzählen sie selten etwas wirklich Neues. Die meisten Geschichten wurden bereits von ihren Opfern erzählt, den Überlebenden der Nakba. Den Flüchtlingen. Die Geschichten der Kämpfer hauchen den staatlichen Dokumenten, die die „Neuen Historiker“ alternativ lesen, Leben ein und fügen deren schemenhafter geschichtlicher Darstellung Tiefe hinzu.

Aber die wahre Bedeutung solcher Zeugenaussagen (wenn sie nicht zwecks moralischer oder juristischer Etikettierung der Zeitzeugen gesammelt werden) liegt in der Beschreibung der Aktionen aus der Perspektive der Erzählerin oder des Erzählers als Akteur, aus Sicht der Täterinnen und Täter. Zufällig, ob bewusst oder unbewusst, bestätigen und ergänzen die Beschreibungen der Täterinnen und Täter die Aussagen von Überlebenden und die stille Zeugenschaft von Ruinen. Ihre Geschichten fordern die Dementis heraus und füllen die Lücken der Erinnerungen der Unterdrückten mit Erinnerungsstücken der Unterdrückenden.

Abgesehen von Dokumenten in Staatsarchiven gibt es jedoch nur wenige öffentliche Orte, an denen die Täter sich Gehör verschaffen können. Das Fehlen von Methoden, die sich der Archivierung ihrer Perspektive dieser Katastrophe verschreiben, bildet einen blinden Fleck im Kern der israelischen Geschichtsschreibung.

Wie in anderen historischen Fällen, die nicht von Prozessen der Übergangsjustiz profitiert haben und vielleicht nie profitieren werden, wurde nie ernsthaft und systematisch daran gearbeitet, die mündlichen Erinnerungen der Täterinnen und Täter der Nakba zu sammeln. Wie gesagt, viele von ihnen haben in der Vergangenheit ausgesagt, aber nicht als Operateure der ethnischen Säuberungen der Jahre 1947/48. Ihre Geschichten haben das offizielle Narrativ nicht in Frage gestellt. Sie schwiegen und haben sich damit zu Komplizen einer Erinnerungskultur gemacht, die die Verbrechen von 1948, die Historie des Landes sowie die Geschichte seiner Zerstörung leugnet.

Diese Kluft in der Genealogie des Landes verweist nicht nur auf das Schweigen der Täter, sondern auch auf Drückebergerei seitens der historiographischen und kineastischen Zunft. So machen sie sich mitschuldig am Schweigen der Täter.

Fast alle Soldatinnen und Soldaten von 1948 erinnern sich an "Unannehmlichkeiten", "aus dem Rahmen fallende" lokale Ereignisse oder "unethische Akte", die Gewissensbisse hervorrufen. Vielleicht unbeabsichtigt, verwässert die ständige Präsenz solcher "Ausnahmen" (Vertreibung, Plünderung, Zerstörung und Massaker) entlang der Zeitachse der meisten Zeugenaussagen und bezüglich der gesamten relevanten Territorien die Grenzen zwischen systematischer Ausnahme und hypothetischer Regel.

Die Bezugnahme auf diese Ausnahmefälle führt bei sämtlichen Zeugen, Veteranen aller Einheiten (Hagana, Palmach, Etzel/Irgun oder Lechi/Stern-Gang), zu Rechtfertigungen, die alle Unterschiede verwischen und in ihren Augen die Schwere ihrer Taten und das Gewicht ihrer Aussagen minimieren. Oft versuchen sie zu betonen, dass sie nicht "aus Hass gehandelt haben", und poltern fast instinktiv Floskeln wie "es gab keine Wahl", "das kleinere Übel", "wir oder sie" und natürlich "sie sind geflohen, weil sie fürchteten, wir würden ihnen antun, was sie mit uns vor hatten". Der gleichförmige Sprachduktus verweist auf die Effektivität, mit der die Politruks, die politischen Emissäre, arbeiteten, die jede Einheit begleiteten, um ihre Erinnerung zu strukturieren, ihre Rechtfertigungen und ihre Sprache. Die Sprache des Opfers und des Helden. Sie sind die Charaktere der kollektiven Erinnerung und die bevorzugten Charaktere des Kinos.

Seit seinen frühen Tagen hat der (Dokumentar-)Film, wenn er sich mit historischen Ereignissen im Allgemeinen und mit Verbrechen der Mächtigen im Besonderen befasst, dazu tendiert, die Unterdrückten und Benachteiligten - also die Opfer - in die Position der Zeugin oder des Zeugen zu setzen und ihren Worten sowie ihrer physischen Präsenz Zeugenstatus zu übertragen. Wie in der Welt der kollektiven Erinnerung ist das Zeugnis des "Helden" nicht abwesend von der Kinoleinwand und der dokumentarischen Praxis. Dennoch, infolge der monumentalen Dokumentarfilmprojekte, die seit Ende des letzten Jahrhunderts entstanden sind und in deren Zentrum die Sammlung der Zeitzeugenaussagen von Überlebenden des Genozids in Europa sowie von Opfern anderer nationaler Katastrophen in Ländern wie Ruanda, Argentinien, Südafrika und Ex-Jugoslawien stehen – sowie der ausgiebige Einsatz visueller Dokumente durch Menschenrechtsorganisationen – festigte sich die Gleichsetzung von Zeuge und Opfer sowohl in den verschiedenen Strömungen der dokumentarischen und archivarischen Praxis als auch im öffentlichen Bewusstsein.

Das dokumentarische Kino schreibt dem "Opfer" die Rolle des Erinnerns zu und nutzt seine oder ihre Aussagen sowie den Körper als stichhaltigen lebenden Beweis. Somit wird die dokumentarische Praxis besonders mit der Dokumentation von Überlebenden verbunden und eng mit der Erinnerungs- und Beweisarbeit verknüpft. Dadurch werden paradoxerweise sowohl die Last der Erinnerung als auch die Pflicht, Zeugnis abzulegen, den Unterdrückten auferlegt.

So wie die Stimme des Täters (und die Figur des Mitläufers) von der imaginierten Welt der kollektiven Erinnerung abwesend ist, so wird die Figur des Täters oder der Täterin nicht intuitiv mit der des Zeugen verbunden. Sein Bild ist auf der Leinwand größtenteils abwesend, besonders in Dokumentarfilmen. Das bedeutet, dass diejenigen, die Befehle befolgten, die Täter, nur selten gefragt werden, ihre Geschichten mündlich vor der Kamera zu teilen.

Die Kraft, und manche würden sagen die Magie, des (narrativen) Kinos liegt in seiner Fähigkeit, auf der Leinwand und in der Gegenwart zu rekonstruieren, was nicht mehr existiert oder was erst in Zukunft existieren soll. Von ungefähr 2.000 narrativen (und dokumentarischen) Filmen, die seit 1948 von israelisch-jüdischen Filmschaffenden realisiert wurden, befassen sich nur wenige mit den Umständen, die zur Nakba geführt haben. Israelisches Filmschaffen ist Schuld an einer generellen historischen Amnesie, was besonders da deutlich wird, wo es um die Darstellung der Gründungsereignisse des Israelisch-Seins geht. In der Tat, "obwohl der Unabhängigkeitskrieg das entscheidendste Ereignis in der Geschichte des Staates war, ist er überhaupt nicht populär, wenn es ums Filmemachen geht", so der israelische Filmkritiker Meir Shnitzer. 1

Die Darstellungen des Krieges und die Beschaffenheit des Landes vor seiner katastrophalen Zerstörung sind eng miteinander verknüpft. Und so wie es unmöglich ist, die Zerstörung eines Seins, dessen Existenz man leugnet, darzustellen, so ist es unmöglich, das Wesen des Landes vor seiner Zerstörung auf die Leinwand zu bringen, ohne Erinnerungen an den Gewaltakt hervorzurufen. Daher kann das Kino das, was nicht zerstört wurde, so lange nicht darstellen, wie die Destruktion geleugnet wird. Die Ausführungen des Historikers Amnon Raz-Krakotzkin über den politischen Diskurs in Israel sind auf das Kino übertragbar und bedeuten entsprechend, dass der Krieg von 1948, die Nakba und die Flüchtlingskrise "Themen sind, die hier nicht gefilmt werden". Dies ist auch das Tabu, auf dem das israelische Kino, besonders das fiktionale Genre, basiert und das folglich die Quelle permanenter Angst ist. 2 Die Erinnerung an das Land und seinen Untergang werden, so Amnon Raz-Krakotzkin, im israelisch-jüdischen kollektiven Bewusstsein als existenzielle Bedrohung wahrgenommen. Daher "ist die Erinnerung an die Nakba, die Erinnerung an die Zerstörung alles Palästinensischen, der israelische Alptraum, und die Erwähnung des Themas ruft sofort Erinnerungen an Jaffa, Haifa, Lydda und Ramle hervor - die arabischen Städte, deren Zerstörung ein Teil des Staatsgründungsprozesses Israels war, der sie zu Schauplätzen der Vernichtung gemacht hat". 3

Der Verzicht, diese Geschichte zu rekonstruieren, und die Leugnung des Ortes vor dem Krieg sowie der Nakba sagen viel über das Bewusstsein im israelisch-jüdischen Kino seit 1948 aus. Die Einsichten und Perspektiven, die die "Neuen Historiker" über diese Ereignisse eröffnet haben, scheinen im israelischen Kino weitgehend ignoriert zu werden. So eine Haltung gegenüber solch einem Fundus an neueren Narrativen zeigt nicht nur die Distanz der akademischen Welt zum öffentlichen Bewusstsein, sondern, was noch wichtiger ist, die Ignoranz der israelischen Filmschaffenden gegenüber jedwedem radikalen akademischen, intellektuellen oder künstlerischen Diskurs.

In den Jahren nach dem ersten Libanonkrieg und als Teil des aufkommenden "post-zionistischen" Narratives rauschte die "palästinensische Welle" über das israelische Kino – eine Auseinandersetzung mit dem Konflikt, die im Erscheinen des Arabers auf der Kinoleinwand ihren Ausdruck fand. 4 Obwohl dies "die Rückkehr der Unterdrückten" 5 war, sticht gerade im Anbetracht des Interesses des israelisch-jüdischen Kinos für die breiteren Aspekte des israelisch-palästinensischen Konflikts hervor, dass Filme über den Krieg von 1948 und die Nakba weiterhin fehlen. 6 Die Gründe hierfür liegen mitunter darin, dass sich das israelische Kino dem "Friedenslager" unterordnet, sowie in der Tatsache, wie Ella Shohat sagt: "Je mehr sich die Filme tiefgründig mit der palästinensischen Frage auseinandersetzten, desto stärker fokussieren sie sich auf die Situation und die moralischen Skrupel der israelischen 'Tauben'". 7 Allerdings ignoriert das israelisch-jüdische Kino, vor allem das fiktionale, sogar jetzt, nachdem der palästinensische Ausdruck Nakba seit den 1990er Jahren ins Hebräische eingegangen und heute (dank des Nakba-Gesetzes) ein gewöhnlicher Ausdruck in allen politischen Lagern geworden ist, das reichhaltige historische Material und die neuen Narrative, die ihm als Fakten sowie zur Inspiration angeboten werden. Nur eine handvoll Dokumentarfilme widmen sich dem Thema und fordern das nationale Narrativ heraus. 8

Beim Betrachten der wenigen Spielfilme, die sich mit der Periode befassen, bestätigen sich die Erkenntnisse des Historikers Marc Ferro, der behauptet, dass Filmschaffende in Bezug auf Geschichtsschreibung, wenn sie versuchen, die Vergangenheit darzustellen, dazu tendieren, sich entweder blind der nationalen Ideologie oder der dominanten oppositionellen Ideologie unterwerfen. Daher sind ihre Filme nicht mehr als die Reproduktion historischer Visionen, die von anderen geschaffen wurden. Nur selten liefern Regisseure und Regisseurinnen originäre und globale Interpretationen von Geschichte, die nicht nur bloße Wiederholungen oder Nachbauten der hegemonialen Sichtweisen sind, und "tragen zum Verständnis vergangener Ereignisse und ihrer Verbindung zur Gegenwart bei". 9 Im Gegensatz dazu ist das fundamentale Problem, das der Historiker Pierre Sorlin bezüglich historischer Filme anspricht, dass sie letztendlich alle fiktional sind und, obwohl sie auf historischen Beweisen basieren, auf völlig fingierte Art fast alles rekonstruieren, was sie zeigen. Dennoch, bezüglich einiger spezifischer historischer Ereignisse, gibt es manche Filme, die mit den historischen Narrativen von Experten übereinstimmen. Daher schlägt Sorlin vor, dass ebenso wie beim Lesen von Geschichte in ihrer jeweiligen Ära Filme nicht anhand dessen analysiert werden sollten, was wir wissen, wenn wir sie sehen, sondern in Bezug auf das historische Verständnis ihrer Entstehungszeit. Allgemein jedoch gilt es, daran zu erinnern, dass die Geschichte auf der Leinwand nichts als kineastische Fiktion ist. 10

Im Fall von 1948

ist die Fiktion auch das hegemoniale zionistische Narrativ. In Filmen, die sich mit dieser Zeit und der ihr vorangegangenen Jahre befassen, wird das Land mit denselben fiktionalen Mitteln dargestellt, die auch die herrschende Ideologie bemüht: Es ist leer, und seine angebliche Wüstenei wird herangezogen, um das Gebiet zu zeigen, wie es vor der Gründung des jüdischen Staates war. Zusätzlich dazu, dass sie ein klassisches orientalistisches Symbol ist, korrespondiert die Wüste natürlich auch mit dem Slogan, die Ödnis erblühen zu lassen, und bezieht sich auf den bekannten Satz von Israel Zangwill: "ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land". Aber gerade in der Wüste als Repräsentantin des Landes kann man auch einen unterdrückten Ausdruck für seine geleugnete Zerstörung sehen. In ihrem Artikel über die Frage von Raum und der Darstellung der Grenze im palästinensischen und israelischen Kino behauptet Dorit Na’aman, dass "zeitgenössisches israelisches Kino (vor allem das Erzählkino) häufig vermeidet, sich selbst in einem identifizierbaren Raum zu verorten". 11 In der Tat, in den Filmen, in denen die Handlung vor 1948 oder während des Krieges stattfindet, sieht man leicht, dass die Landschaft voll in Trümmern liegender Dörfer ist, als seien diese bereits Anfang des 20. Jahrhunderts, lange vor ihrer Zerstörung, integraler Teil der Szenerie gewesen. So werden die verlassenen Terrassenfelder, das Grab des Scheichs und zertrümmerte Häuser Teil der Natur des Landes und nicht das kalkulierte Ergebnis von Krieg.

In jenen wenigen Filmen wird diese Bezugnahme einleitend für eine Diskussion über den Genozid in Europa genutzt. In der israelischen soziopolitischen Dialektik wird der Horror des Genozids häufig zur Rechtfertigung bemüht. Das Benutzen der Erinnerung an den Holocaust als Voraussetzung, die Nakba zu diskutieren, strukturiert das Vergessen als Ausrede für die Erinnerung und begründet "ein Gedächtnis für das Vergessen". 12 Auch das israelische Kino weicht nicht von diesem Einsatz zurück. Im Gegenteil, das Verhältnis zum Genozid und seine Darstellung dienen als doppelte Rechtfertigung. Zum einen der gängige Brauch, die palästinensische Katastrophe zu relativieren und die zionistische Gewalt zu rechtfertigen, zum anderen dient der Holocaust als notwendiger Ausgangspunkt, sogar als Autorisierung, die Erinnerung an die Nakba zu thematisieren.

Nur in seltenen Fällen gibt es im Kino eine Nähe der beiden Ereignisse, ohne dass das jüdische Leiden die Erinnerung an die Nakba und das Leiden ihrer Opfer überschattet, relativiert oder rechtfertigt. Bereits in dem bahnbrechenden Drama "Khirbet Khizeh" (Ram Levi, 1978) 13 erscheinen die Vertreibung der palästinensischen Dörfler und die jüdische Erinnerung gemeinsam in dem gequälten Gewissen des zionistischen Soldaten: "Was haben wir hier heute eigentlich angerichtet? Wir, die Juden, haben Exil verursacht … Ich habe gewünscht, unter all diesen einen finsteren, aber funkelnden Jeremias auszumachen, der Zorn in seinem Herzen formt, der vom Zug des Exils erstickt nach dem Allmächtigen ruft."

Das Nebeneinanderstellen der Erinnerung an die Shoah und an die Nakba kann bei Juden Unbehagen, Erschütterung und Zorn hervorrufen und zu Anschuldigungen der Banalisierung und Leugnung des Holocausts führen. Manche regen sich auf, andere fordern die Verdammung derer, die es wagen, das "Unvergleichliche" zu vergleichen. Aber dieser Akt des analogen Erinnerns, den der Schriftsteller und Kämpfer S.Yizhar bereits 1949 thematisiert, findet sich auch in den gefilmten Zeugenaussagen der zionistischen Kämpferinnen und Kämpfer.

Benjamin Eshet, Palmach-Kämpfer und Mitglied des Kibbutz Palmachim, beschreibt in seiner Aussage 14 den Track der palästinensischen Flüchtlinge, die im Juli 1948 die Stadt Lydda/Lod verließen: "Sie laufen mit Kindern auf den Armen, ziehen Wagen, Pferdewagen, das war … Jetzt, das war mir nicht klar – ich war in Europa, 1946 war Europa dieser Sache ähnlich. […] Mir war nicht bewusst, dass das Menschen sind, die zu Flüchtlingen werden." Und fügt hinzu: "Das war … Das hat mich traumatisiert. Den Großvater zu sehen und später all das zu sehen, wenn man noch die Erinnerungen an den Holocaust hat."

Elad Peled, ehemals Zugführer im Dritten Battalion der Palmach, erzählt in seiner Aussage, 15 dass sich Yudke Helman, Bildungsoffizier der Yiftah-Brigade und Emissär der zionistischen Halutz-Bewegung in Polen, als er den Flüchtlingszug sah, mit den folgenden Worten an ihn wandte: "Elad, diesen Anblick hatte ich in Polen, als die Deutschen Menschen aus den Städten vertrieben."

Diese Zitate stammen aus den ersten Aussagen von Kämpfern der Jahre 1947-49, die ich landesweit zusammen mit Ronit Chacham (die die InterviewpartnerInnen ausfindig machte und die historische Recherche vornahm) sammelte. Die meisten der 30 ersten Interviewpartner sind Palmach-Veteranen und vor allem Kämpferinnen und Kämpfer des Dritten "Emeq"-Batallions der Yiftach-Brigade unter dem Kommando von Yigal Allon, die im gesamten Land gekämpft hat. Einige der Interviewten sind Veteranen anderer Einheiten von Hagana, Palmach, Etzel und Lechi.

So, manchmal gegen ihren Willen, wird der interviewte Zeuge von einer Figur, die der Welt der Erinnerung und des Kino entlehnt ist, zu einem gewöhnlichen Menschen, einem von uns, jeder imaginierten moralischen oder menschlichen Überlegenheit beraubt.

 

Eyal Sivan, Dokumentarfilmer und Essayist. Aus dem Hebräischen von Irit Neidhardt.

 

1 Shnitzer, Meir, 1994. Israeli Cinema, Kinneret, Tel Aviv. [Hebräisch]

2 Raz-Krakotzkin, Amnon, 2002. "Between Brit Shalom and the Temple: The dialectics of redemption and messianism following Gershom Shalom", Theory and Criticism, 20 (Spring) [Hebräisch]

3 Ebd., S. 103

4 Z.B. Daniel Wachsmanns Hamsin (1982), Jad Ne'emans Fellow Travelers (1983), Uri Barbashs Beyond the Walls (1985), Nissim Dayans On a Narrow Bridge (1985), Rafi Bukai's Avanti Popolo (1986) und Shimon Dotans The Smile of the Lamb (1986)

5 Shohat, Ella, 2005, Israeli Cinema: East/West and the Politics of Representation, Library of Modern Middle East Studies. S. 235

6 In den 1980ern befassten sich zwei Filme mit den Kriegsereignissen, jedoch nicht mit der Nakba: Amos Gutmans Himmo, King of Jerusalem (1987) und Gideon Gananis Crossfire (1989)

7 Shohat, Ella, 2005

8 Z.B. Benny Brunners Al-Nakba (1997), Avi Mograbis Happy Birthday Mr. Mograbi (1999), Ra'anan Alexandrobichs The Inner Tour (2001), Rachel-Leah Joness 500 Dunam on the Moon (2002), Dalia Karpels The Diaries of Yosef Nachmani und Anat Evens Mikdamot/Preliminaries (2006)

9 Ferro, Marc, 1993 (1977), Cinéma et Histoire, Folio Histoire, Paris

10 Sorlin, Pierre, The Film in History, quoted in History on Film/Film on History, Robert A. Rosenstone, Pearson Education, Harlow (UK), 2005

11 Na'aman, Dorit, 2001. "Dinge, die man von dort sehen kann: Notizen zur Liminalität im israelischen und palästinensischen Kino ", Theory and Criticism 18 (Spring). S. 217 [Hebräisch]

12 Mahmoud Darwish: Ein Gedächtnis für das Vergessen. Beirut, August 1982 (dhâkira lin-nisyân, 1987) Prosa, Lenos Verlag, Basel 2001

13 Adaption des gleichnamigen Romans von S. Yizhar, 1949 (Ein Arabisches Dorf, Suhrkamp 1998)

14 Binyamin Eshet (Feingold), Yiftah Brigade Kämpfer, in seinem Haus im Kibbutz Palmachim, befragt und gefilmt von Ronit Chacham und Eyal Sivan, August 2005

15 Elad Peled, Yiftah-Brigade-Kämpfer, in seinem Haus in Jerusalem, befragt und gefilmt von Ronit Chacham und Eyal Sivan, August 2005