Occupy Nigeria

Was vom Generalstreik geblieben ist

Gegen die Erhöhung des Benzinpreises um 120% kam es Anfang 2012 im westafrikanischen Nigeria zu landesweiten Protesten, die in einen achttägigen Generalstreik mündeten. In über 50 Städten des Landes gingen Millionen von Menschen auf die Straße. Bei Zusammenstößen zwischen Polizei und Bevölkerung kamen fünf Menschen ums Leben. In der Vergangenheit kam es in Nigeria immer wieder zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen christlichen und muslimischen Gruppen. Während des Generalstreiks spielte Religion offenbar keine Rolle. Die Protestierenden, die sich unter anderem auf den Arabischen Frühling und die Occupy-Bewegung bezogen, solidarisierten sich über alle vermeintlichen religiösen und ethnischen Grenzen hinweg. Obwohl Präsident Jonathan es zunächst strikt ablehnte, die Kürzungen zu überdenken, erzielte die Bewegung schließlich doch einen Teilerfolg.

Die DA sprach mit Baba Aye, Gewerkschafter und Vorsitzender der Socialist Workers League.

Warum ist die Reduzierung der staatlichen Subventionen und die daraus resultierende Erhöhung der Kraftstoffpreise ein Thema, dass zu einer so starken Mobilisierung gegen die Regierung führte?

Die Lebenshaltungskosten der Menschen steigen einfach alle an. Am wichtigsten sind die Transportkosten, Lebensmittel und Mieten. Dadurch ist die Preiserhöhung gewissermaßen eine indirekte Art der Lohnkürzung. Außerdem wird Kraftstoff nicht nur für Autos gebraucht, sondern auch für Generatoren. Die Stromversorgung in Nigeria ist alles andere als stabil. Und schließlich ist der subventionierte Kraftstoff das einzige, wodurch die NigerianerInnen von dem enorm korrupten und ineffizienten Staat profitieren. Da Nigeria Öl im Überfluss besitzt, sehen die Menschen keinen Grund, warum die Unterstützung durch günstigen Treibstoff zurückgenommen werden sollte. Seit 1988, als die ersten Aufstände wegen der Reduzierung der Kraftstoffsubventionen stattfanden, hatten etwa 70% der Massenproteste irgendwie mit der Erhöhung der Treibstoffpreise zu tun.

Was forderte die „Occupy Nigeria-Bewegung“? 

Die „Occupy Nigeria-Bewegung“ stellt für unterschiedliche Leute etwas Unterschiedliches dar. Sie war vor allem gekennzeichnet durch eine neue Sprache, die von der Occupy-Bewegung aus den USA abgeleitet wurde. Die zentralen Gruppen in dieser Bewegung waren NigerianerInnen in der Diaspora. Aber auch in der nigerianischen Mega-City Kano gingen zehntausende Menschen auf die Straße. Mobilisiert wurden sie vor allem durch Studierende; aber auch die Gewerkschaften und radikale zivilgesellschaftliche Gruppen spielten eine entscheidende Rolle. Sie besetzten das Stadtzentrum und benannten es in „Liberation Square“ um. In der Folge wurde ein Camp errichtet, das schließlich von Soldaten und Sondereinheiten der Polizei geräumt wurde. Der zweite Versuch fand in der Hauptstadt Abuja statt, wo ein heterogener Zusammenschluss einiger Dutzend Jugendlicher versuchte, ein Camp auf dem Eagle Square zu etablieren, einem Symbol der Macht, wo Paraden und andere für die nationale Identität wichtige Veranstaltungen abgehalten werden. Die Forderungen der Menschen waren die komplette Rücknahme der Preiserhöhungen, Bekämpfung der Korruption und der Aufbau eines neuen Nigeria, in dem die Menschen eine sichere Zukunft haben. Auch der Slogan „Präsident Jonathan muss gehen!“ wurde zu einer zentralen Forderung der Bewegung.

Ich würde diese Art von Bewegung nicht als revolutionär bezeichnen. Sie bestand wirklich aus sehr verschiedenen Strömungen. Manche waren vielleicht etwas radikaler, aber alle trugen reformistische Züge.

Was ist von der Bewegung mehr als sechs Monate später noch übrig geblieben?

Nach dem Januar-Aufstand kam es zu Momenten der Mobilisierung, von denen viele erwartet hatten, dass sie direkt in einen weiteren Flächenbrand übergehen würden. Im April und Juni 2012 gab es Versuche, ein „globales Erwachen“ von NigerianerInnen hervorzurufen. Das bisherige Scheitern dieser Mobilisierungen zeigt aber, dass Kampagnen von einigen aktiven Leuten nicht ausreichen, um einer Revolution Dynamik zu verleihen.

Welche Rolle spielten die Gewerkschaften während der Proteste und des Generalstreiks?

Ihre Rolle war ziemlich ambivalent. Als der Aufstand begann, standen die Gewerkschaften zunächst in der Kritik. Am 4. Januar beschlossen die zwei großen Gewerkschaftsföderationen des Landes, Nigeria Labour Congress und Trade Union Congress, auf ihren Versammlungen ein Programm zur Verteidigung der Nigerianischen Arbeiter. Dieses Programm beinhaltete einen unbegrenzten Streik ab dem 9. Januar. Ein Ende des Generalstreiks sollte es nur geben, falls die Regierung die Preiserhöhung an den Zapfsäulen komplett zurücknähme. Als die Gewerkschaften den Streik am 16. Januar beendeten, war aber nur eine teilweise Rücknahme erreicht worden. Die Gewerkschaften feierten das als Sieg und behaupteten, das Leben der Bevölkerung geschützt zu haben, da die Regierung bereits das Militär eingesetzt hatte. Seit der Streik beendet wurde, verläuft die Protestbewegung im Sand. Der Streik wurde zum Kernstück der Proteste. So gesehen war der Abbruch des Streiks durch die Gewerkschaften auch der Todesstoß für die Protestbewegung.

Das Interview erschien zuerst in der Direkten Aktion 213 - September / Oktober 2012