Austreten oder nicht?

Christos Laskos, John Milios und Euclid Tsakalotos* über kommunistische Dilemmata, Teil II

Im letzten express hatten Christos Laskos, John Milios and Euclid Tsakalotos zunächst die Argumente der VertreterInnen der Forderung nach einem Austritt Griechenlands aus dem Euro vorgestellt und diskutiert – darunter vor allem die Position von Costas Lapavitsas, der prominent für die »Exit-Option« steht. Dabei gingen sie auch auf die dieser Position zu Grunde liegende Dependenztheorie ein, der sie eine gewisse »Klassenvergessenheit« attestieren. Entsprechend beschäftigen sie sich hier im Teil II mit klassenpolitischen Aspekten der Krise und der Frage nach den Möglichkeiten eines linken Internationalismus, um zum Schluss Alternativen zur Hegemonie des Kapitalismus auch ohne Austritt aus der Euro-Zone und der EU zu diskutieren.

 

Eine Kritik der nationalen Wege zum Sozialismus: Klassenpolitik revisited

 

Oben haben wir argumentiert, dass die finanzielle und wirtschaftliche Architektur der Euro-Zone, die nicht einfach auf einer einheitlichen Währung beruht, als Mechanismus fungiert, in allen Mitgliedsländern Druck auf die Reorganisation der Arbeit auszuüben. Der Druck auf die deutsche Arbeiterklasse, der lange vor dem Ausbruch der Krise begann, ist ein wichtiger Teil der Geschichte. Die Schuldenkrise hat darüber hinaus dazu gedient, die Schrauben bei ArbeiterInnen in allen Bereichen der Euro-Zone anzuziehen. Die Austeritätspolitik wurde fast überall übernommen, obwohl es ihr nicht gelang, die Krise der Euro-Zone zu stoppen.

 

Exit-Strategie: eine Antwort auf die Krise in der Eurozone?

 

Aus unserer Sicht liegt das grundsätzliche Problem nicht in der vermeintlichen Radikalität der Exit-Strategie, sondern darin, dass es ihr nicht gelingt, die vorherrschenden Ansichten über das Wesen der griechischen Situation in Frage zu stellen. In diesem Sinne gelingt es ihr nicht, mit herrschenden Vorstellungen über die Bedeutung der nationalen Wirtschaft und die Wettbewerbsfähigkeit zu brechen. Als gravierende wirtschaftliche und soziale Folgen des Ausbruchs aus dem Euro können (vermutlich in schneller Folge) vorhergesagt werden: Kapitalverkehrskontrollen, Verstaatlichung des Bankensektors und führender Industrien. Das heißt, wir haben eine nationale Antwort angesichts einer globalisierten Welt, mit all den zahlreichen Abhängigkeiten, die damit verbunden sind, sowie eine Kapitalistenklasse, die vereint und organisiert auf Weltebene agiert.

Die von uns hier unterstützte Alternative ignoriert nicht die Bedeutung von Nationalstaat und lokalen Kämpfen. Im Gegenteil, sie gesteht gerne zu, dass der primäre Ort der Auseinandersetzung innerhalb des Nationalstaats liegt und diese gegen die bürgerliche Klasse des betreffenden Staates geführt wird. Aber sie ist sich auch darüber im Klaren, wie wichtig es ist, darüber hinauszugehen, jenseits der Ländergrenzen Allianzen zu schließen und Initiativen zu fördern. Arbeiter in den PI(I)GS und den nördlichen Volkswirtschaften haben eine Menge gemeinsamer Interessen, die genutzt werden müssen. Einige VertreterInnen des Exit-Lagers haben Wert darauf gelegt, ihren Ansatz in der Tradition des linken Internationalismus zu verorten. So ist manchmal behauptet worden, dass Griechenland das schwächste Glied in der kapitalistischen Kette darstelle, und dass ein radikaler Bruch mit der Euro-Zone in Griechenland zu radikalen Initiativen andernorts führen werde. Aber es ist nicht überzeugend, wenn eine Strategie, die mindestens in der Anfangsphase auf einer kompetitiven Abwertung beruht, um die Wettbewerbsfähigkeit der griechischen kapitalistischen Wirtschaft zu fördern, als eine Übung in Internationalismus verkauft werden soll. Darüber hinaus erweckt eine Betonung der nationalen Ökonomie nicht gerade den Endruck, dass ein wesentlicher Bestandteil dieser Strategie darin bestehen könne, die größtmögliche Konzentration von Arbeitern zusammenzubringen, um es mit dem Klassenfeind aufzunehmen.

Zudem scheint es, dass solche Ansätze wenig Sensibilität gegenüber historischen Pfaden zeigen, die sich als problematisch erwiesen haben: Nationale Strategien in Verbindung mit der Dämonisierung des fremden »Anderen«, ohne die notwendigen Klassenunterschiede herauszuarbeiten, und ohne die Integration in einen regionalen Klassenkampf, können leicht durch nationalistische Kräfte manipuliert werden. Dies ist besonders schmerzlich im griechischen Kontext, wo die Schuldenkrise und die Euro-Exit-Option von einer breiten Palette nationalistischer Kräfte aufgegriffen wurden, deren antiimperialistische Rhetorik wiederum von bestimmten Teilen der Linken nicht immer leicht zu unterscheiden ist.[1] Der Schuldenschnitt wird in diesen Strömungen unterstützt, weil Griechenland »nicht etwas schuldet, sondern sie schulden uns etwas«. Das Land sehe sich einer neuen Form der »Besatzung« gegenüber, ein Begriff, der immer noch eine starke Resonanz in einem Land hat, das seine Kriegserfahrungen und alles, was daraus folgte, nicht vergessen hat. Es ist unnötig zu sagen, dass diese Argumentationslinie keine Unterscheidung zwischen dem »Volk« und der »Nation« zulässt.

Syriza hat dazu klar Stellung bezogen. Auch die Generalsekretärin der KKE, Aleka Papariga, hat mehrfach darauf hingewiesen, dass ein Ausstieg aus dem Euro unter den gegenwärtigen Umständen katastrophale Folgen haben könnte. Für die KKE ist klar, dass der Austritt eine langfristige Perspektive darstellt und an die Bedingung der »Volksherrschaft« gebunden ist. Dementsprechend hat die Haltung von Syriza und in gewisser Hinsicht auch die der KKE zur Exit-Strategie nichts damit zu tun, dass diese die »Rolle eines passiven Auffanglagers für den Volkszorn« akzeptieren würden (Kouvelakis, 2011, S. 31). Sie hat vielmehr mit der jeweiligen Klassen-Analyse der kapitalistischen Krise und dem historischen Verständnis der Dynamik nationalistischer Politik zu tun.

Die lange Tradition innerhalb der griechischen Linken, den Fokus auf den Wiederaufbau der Wirtschaft zu legen, hat sich auch im herrschenden Diskurs niedergeschlagen – insbesondere in jenen Modernisierungsströmungen, die mit der ersten PASOK-Regierung unter Kostas Simitis im Jahr 1996 in den Vordergrund traten. Hier galt der Wiederaufbau als nach Außen gerichtete, pro-europäische Option. Was in der Tat jedoch im Angebot war, war eine nationale Strategie innerhalb der EU. Die Modernisierer waren zwar vor und nach dem Ausbruch der Krise bereit, Kritik an den bestehenden EU-Politiken und -Institutionen zu formulieren, doch deren Veränderung wurde nie als ein unverzichtbares Element der von ihnen angebotenen Lösungen gesehen. Seit 1974 war die Wiederherstellung der Volkswirtschaft ein zentrales Thema der gesamten Linken. Doch während PASOK und KKE glaubten, dass dies am besten außerhalb der (damaligen) EWG erreicht werden könne, argumentierte die KKE-Inland mit Bezug auf eurokommunistische Tendenzen innerhalb Griechenlands, dass eine nationale Strategie innerhalb der EWG besser sei. Dieser Konflikt, der später in verschiedenen Verkleidungen mehrfach wieder auftauchte, führte dazu, dass eine Strategie, die wenigstens teilweise auf übernationalen Lösungen basiert hätte, nicht entwickelt wurde.

Aber es ist interessant, dass die nationale Schwerpunktsetzung sozialistischer Politik in den Jahren vor dem Ausbruch der Krise einer ernsthaften Kritik unterzogen wurde. Vieles dabei drehte sich um den Ökonomismus und Etatismus der traditionellen Linken sowie um ihre Konzentration auf Wahlerfolge und Regierungsbildungen – ihren »Gouvernementalismus«, um einen griechischen Ausdruck zu verwenden. Man kann nicht sagen, dass diejenigen, die die Exit-Strategie unterstützen, große Bereitschaft gezeigt hätten, sich mit solcher Kritik auseinanderzusetzen.

Die ökonomistische Neigung dieses Ansatzes kann beispielsweise herausgearbeitet werden an der Bedeutung, die der Einführung einer nationalen Währung eingeräumt wird: Möglicherweise führt die damit verbundene Abwertung zu einem vergleichbaren Reallohn-Rückgang, aber bei geringerer Arbeitslosigkeit, doch es ist nicht ausgemacht, dass eine solche Abwertung immer jener Form von Deflation vorzuziehen ist, die derzeit durch die Troika verfolgt wird. Der Dirigismus des Ansatzes scheint nichts aus früheren Erfahrungen mit Links-Regierungen gelernt zu haben, wie z.B. dem französischen Experiment aus den frühen 1980er-Jah-ren. Die Vorstellung, dass die Bildung einer linken Regierung eine hinreichende Bedingung für einen Wandel politischer Macht sei, hält sich offenbar hartnäckig. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Schwerpunkt so sehr auf der Rekonstruktion der produktiven Basis der Wirtschaft zur Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit liegt, und so wenig auf der Veränderung der Produktionsverhältnisse und der Förderung neuer Formen der gesellschaftlichen Produktion.

Der Gouvernementalismus des Ansatzes zeigt sich darin, welche Bedeutung den Aufgaben einer linken Regierung zugemessen wird, um Griechenland aus der Krise zu bringen. Die gesamte Linke ist in eine oft bissige Debatte darüber verwickelt, was getan werden muss, sobald die Linken an der Regierung sind. Dies kann jedoch lediglich eine Randbedingung für die zentralen Herausforderungen bei der Entwicklung einer Bewegung in diese Richtung sein – mit einem Maß an aktiver Beteiligung, das, wie die bisherige Erfahrung gezeigt hat, eine lebenswichtige Voraussetzung ist, um die Regierung bestmöglich nutzen zu können.

Hinter diesem Triptychon scheint eine Rückkehr zu einer Form der Volksfront zu stehen: Es ist, als ob die Menschen ein gemeinsames Interesse gegen das große Kapital haben und dabei die Probleme der Volks- und Staatsmacht erheblich vereinfachen. Auch dies kann das Resultat eines »Zentrum-Peripherie«-Denk-ansatzes sein, der suggeriert, dass der griechische Kapitalismus und damit auch die Kräfte der Reaktion schwach seien. Dieser Ansatz steht, wie wir gesehen haben, aus theoretischer Sicht nicht gut da, was aber vielleicht noch wichtiger ist: Er ist nicht aus den Ereignissen nach dem Ausbruch der Krise entstanden. So weist Rylmon (2011) darauf hin, dass die »oberen sozialen Gruppen wie auch ein großer Teil der Mittelschichten die zunehmende Ungleichheit in Bezug auf Einkommen und soziale Dienste ebenso akzeptieren wie den Anstieg der Arbeitslosigkeit und die Ausbreitung der Armut. Es ist eine Tatsache, dass die Folgen der Krise und die Politik in der Krise Auswirkungen auf fast alle Teile der Bevölkerung hatten. Dennoch wurden die Verschlechterungen, die durch diese Politik verstärkt wurden, von einer großen Mehrheit der Privilegierten mit großem Enthusiasmus aufgenommen ... Firmen entlassen in großer Zahl diejenigen, die für die Wahrung der legalen Rechte der Arbeiter kämpfen ... deshalb bedeuten unter diesen Bedingungen Rufe nach nationaler Einheit einen Fehler, der das wirkliche Problem verkennt«.

Die Austeritätspolitik hat die Arbeitsbedingungen erheblich verschlechtert. Die »Gleichheit der Unsicherheit«, die, wie John Gray sagt, sowohl die Beschäftigten des privaten wie des öffentlichen Sektors trifft, ist eine Erfahrung, die sehr viele Menschen verbindet und die Möglichkeit individualistischer Antworten stark einschränkt. Zugleich hat sie zu einer Proletarisierung von Teilen der Mittelschicht geführt. Was wir erleben, ist die Rückkehr der sozialen Frage, und eine zunehmende Bedeutung von Arbeitsplatz- und Lohnfragen. Dies ist die Grundlage für eine Rückkehr zu einer klassenorientierten Politik und zu der Notwendigkeit, von Grund auf neu zu beginnen. Insofern hat ein Teil der Linken die radikale Umverteilung der Einkommen in den Mittelpunkt ihrer Antwort gestellt. Dabei geht es nicht um »eine einfache Ablehnung der Austeritätspolitik«, wie Kouvelakis (2011, S. 29) suggeriert. Eine solche Position erfordert zudem eher mehr Klarheit darüber, wer Freund und wer Feind ist, als die Anhänger der Exit-Strategie zuzugestehen bereit sind.

Die zentrale Frage dreht sich zumindest für uns darum, ob der grundlegende Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit oder zwischen Kapital und Volk besteht. Was wir brauchen, ist ein Diskurs, der die Klasse betont und nicht das »Volk«, ein Diskurs, der das Potential hat, IndustriearbeiterInnen, prekär Beschäftigte und Supermarkt-Angestellte zu vereinen.

Dies bedeutet nicht, dass es keine Mittelklassen gäbe, die sich auf die Seite der Arbeiterklasse stellen könnten. Doch darüber nachzudenken heißt, über die antimonopolistischen Schemata hinauszugehen, die einige Teile der griechischen Linken dominieren. Die Kategorie der Mittelklassen, einschließlich des Kleinbürgertums (Milios / Economakis 2011), deckt ein breites Spektrum von Erfahrungen und sozialem Handeln ab. Die Linke muss diese Unterschiede analysieren. Es braucht zudem eine hegemoniale Politik, die versucht, einige dieser Klassen einzubeziehen, aber nicht auf der Grundlage traditioneller Vorgehensweisen, die im Fall Griechenlands einfach Steuerhinterziehung oder Schlimmeres implizieren würden, sondern auf der Basis neuer Methoden sowie neuer Typen von Konsum und Produktion.

 

Alternativen zur Hegemonie des Kapitalismus

 

Wir kritisieren hier eine Position von eigenartig konservativer Qualität. Es ist, als habe die Linke den Weg zum Sozialismus schon immer gekannt, einschließlich der dazu erforderlichen optimalen ökonomischen Interventionen, und als sei nur ein angemessenes politisches Klima erforderlich, um diese vorhandenen Formeln zu reaktivieren. Offenbar muss man lediglich aus der Not eine Tugend machen, den Euro verlassen, und das Aussetzen der Schuldentilgung bietet einen idealen Rahmen für die Umsetzung der üblichen Palette von linken ökonomischen Antworten: Kapitalverkehrskontrollen und Verstaatlichung der Banken, Preiskontrolle, Renationalisierung des größten Teils der öffentlichen Versorgungsunternehmen, (die von den Regierungen der Nea Demokratia und der PASOK seit 1996 privatisiert wurden), Industriepolitik und so weiter...

Angesichts dessen könnten diejenigen, die sich die Erfahrung, oder besser das Schicksal der alternativen ökonomischen Strategie in Großbritannien oder das gemeinsame Programm der Linken in Frankreich in Er-innerung rufen, versucht sein, eine gewisse milde Überraschung darüber auszudrücken, dass sich in der Zwischenzeit so wenig geändert hat. Man kann auch nicht behaupten, dass die Befürworter der Exit-Strate-gie großes Interesse an der Erörterung der Gründe für diese Misserfolge in der Vergangenheit gezeigt hätten, an alternativen ökonomischen Experimenten oder dem Ausmaß, in dem die wirtschaftliche Entwicklung seit den 1970er-Jahren, Globalisierung und Finanzialisierung, neue Ausgangspunkte erzwungen hat.

Doch über Alternativen nachzudenken, ist nicht nur eine Frage der Beurteilung von Fehlern in der Vergangenheit. In den meisten marxistischen Konzeptualisierungen sollte sich Theorie – und damit Praxis – zumindest teilweise auf die Verallgemeinerung der tatsächlichen Erfahrungen der Arbeiterklasse stützen. Aktueller formuliert: Die Linke müsste sich darum bemühen, in diese Formulierung die Erfahrungen der feministischen, antirassistischen und anderer Bewegungen einzubeziehen, die gegen die Kommerzialisierung von sozialen und öffentlichen Gütern gekämpft haben. Die Erfahrungen der Anti-Globalisierungs-Bewegung könnten angesichts ihrer weiten Verbreitung in den mageren Jahren der neoliberalen Hegemonie eine ausgezeichnete Lektion für die Linke abgeben, wie sie an alternative ökonomische und politische Strategien herangehen könnte. Grassroot-Aktivismus, Selbstorganisation, Selbstmanagement, soziale Ökonomie, social auditing, fairer Handel und ethisches Bankwesen können als Erfahrungen angesehen werden, die auf der ganzen Welt entstanden sind und die realistische Elemente eines neuen Ansatzes bilden könnten – nicht unbedingt als Alternativen zu demokratischer Planung oder Industriepolitik, aber zumindest als sinnvolle Ergänzungen. Wir möchten zwei Themen betonen, die vielen dieser Innovationen gemein sind: Soziale Bedürfnisse stellen den wesentlichen Ausgangspunkt für das Nachdenken über Alternativen dar (siehe Lebowitz, 2003). Und es bedarf einer aktiven Antwort von den VertreterInnen des Wandels selbst, um diese Bedürfnisse zu adressieren. Deshalb müssen diese politische Bestandteile jeder Übergangs-Strategie sein.[2]

Es ist nicht so, dass eines dieser beiden Themen bei früheren Experimenten komplett gefehlt hätte. Um nur ein Beispiel zu nennen: Britische Linke, die sich für eine alternative ökonomische Strategie eingesetzt haben, waren bemüht, die Rolle der Wirtschaftsdemokratie und die Teilhabe der Arbeiter zu betonen. Es wäre verfehlt zu behaupten, dass die Strategie ausschließlich in der Verstaatlichung großer Banken und Unternehmen bestanden hätte. Aber es geht nicht zu weit zu behaupten, dass es übertriebene Erwartungen gab, inwiefern ein solcher Transfer aus sich selbst heraus neue Möglichkeiten für einen sozialistischen Übergang eröffnen würde. Im Rückblick scheint es so, als ob ein von der Linken kontrollierter Staat auf dem Wissen hätte gegründet werden können, welche Bedürfnisse der ArbeiterInnen zu priorisieren sind, während deren aktive Beteiligung von unten im besten Fall ein zusätzliches Moment war.

Im Gegensatz dazu bietet unsere Konzeption, was die beiden Themen – Bedürfnisse und aktive Mitwirkung von unten – anbelangt, eine Basis für die Vereinigung der Erfahrungen aus einer Vielzahl von Bewegungen. Einige davon sind antikapitalistisch, aber viele haben (nur) eine antikapitalistische Dynamik, ohne dass sich ihre Vertreter bewusst dazu bekennen würden. Quer durch diese Zusammenhänge wird versucht, typisch kapitalistische Formen von Produktion und Konsumtion in Frage zu stellen, nicht bloß deren neoliberale Variante. Auf neuen und interessanten Wegen wird die historische marxistische Frage wieder auf die Tagesordnung gesetzt: Wer produziert was für wen und wie? Diese Bewegungen eröffnen die Frage nach neuen Technologien und wie diese der Gemeinschaft, nicht aber der Kontrolle der Kapitalisten über Produktions- und Verteilungsprozesse dienen können. Sie beziehen sich direkt auf ökologische Bedenken hinsichtlich einer nachhaltigen Entwicklung oder feministische Bedenken hinsichtlich der Rolle der »Pflege« in unseren Gesellschaften.

Seit 2008, und in Griechenland vor allem seit 2010 erfasste der soziale Widerstand gegen die Sparmaßnahmen vielfältige Formen der Solidarität und Initiativen zum Aufbau einer parallelen sozialen Ökonomie. Zwar könnte eingewandt werden, dass diese Experimente nur zögerlich und sporadisch waren und die kritische Masse verfehlten, die notwendig ist, um tragfähige alternative Formen von Konsumtion und Produktion zu entwickeln, geschweige denn, dass sie ernsthaft das System in Frage gestellt hätten. Aber in der Position, die wir hier kritisieren, werden solche Experimente, wenn überhaupt, eher als nützliche Proteste gesehen, mit denen die Unzufriedenheit mit der Sparpolitik der Regierung zum Ausdruck gebracht wird. Ihnen wird wenig Einfluss auf das große Bild der Einrichtung einer lebensfähigen sozialistischen Wirtschaft zugestanden.

Wir sagen dagegen, dass dies ist sehr eine beschränkte Konzeption ist. Wenn Kouvelakis (2011) behauptet, dass Syriza ihre politische Strategie darauf beschränkt, gegen die Sparmaßnahmen zu opponieren und gleichzeitig zu hoffen, dass das griechische Schuldenproblem irgendwann in der Zukunft irgendwie gelöst würde, dann ist dies in doppelter Hinsicht irreführend.

Erstens argumentiert ein Teil der radikalen Linken, dass wir über die Diskussion der Schuldenproblematik, so wichtig sie ist, hinausgehen müssen, um überzeugende Antworten auf die Krise geben zu können. Wenn man dieses Problem als Kampf zwischen denen darstellt, die für Sparmaßnehmen innerhalb des Euro eintreten, und jenen, die für einen Austritt aus dem Euro eintreten, um Raum für eine Restrukturierung der Ökonomie und Wachstum zu erlangen, dann verbleibt man auf dem Terrain der herrschenden Ideologie. Für diese Ideologie, meist als Bedrohung erlebt, bleibt als einzige Alternative zur Sparpolitik, aus der Euro-Zone ausgewiesen zu werden – mit allen damit verbundenen Konsequenzen. Diesem Dilemma kann man nur entkommen, wenn das Problem der Verschuldung neben den Krisenproblemen in der kapitalistischen Produktion und Konsumtion richtig gewichtet wird, so wie oben beschrieben.

Zweitens war der Teil der Linken, den Kouvelakis kritisiert, intensiv in all diesen oben diskutierten Bewegungen engagiert, und das nicht nur als Ausdruck der Solidarität. Diese Linken waren auch der Überzeugung, dass sie sich nicht nur in Worten, sondern auch in Taten von den herrschenden Eliten unterscheiden müssen, wenn sie ihre Hegemonie zurückgewinnen wollen. Der Neoliberalismus hat zu einer Abwertung der Politik und ihres Potenzials, die Dinge tatsächlich zu ändern, geführt. Es ist also die Frage nach den Akteuren des sozialen Wandels zu stellen. Für uns sind diese Formen der Solidarität und der sozialen Ökonomie eine Praxis mit radikalem Potenzial. Zum einen stellen sie eine unmittelbare Reaktion auf die Bedürfnisse der Menschen dar, die unter der neoliberalen Reaktion auf die Krise am stärksten leiden. Zum anderen bieten sie transformative Strukturen (Suchting, 1983), in denen Menschen den Wert der Solidarität praktisch erleben und erkennen können, dass Politik im weitesten Sinne tatsächlich Dinge ändern kann. Um es klar zu sagen: Menschen ändern ihre Auffassungen in erster Linie aufgrund materieller Umstände und einer ideologischen Neubesinnung. Aber Praktiken, die im Widerspruch zu kapitalistischen Werten stehen, können ebenfalls eine wichtige Rolle spielen: In einem Kontext, in dem Gewerkschaften oder Organisationen der Ar-beiterklasse aller Art nicht in der Lage sind, eine solche Rolle zu erfüllen, zumindest so wie in der Vergangenheit, muss die Linke sehr ernsthaft über die Rolle alternativer Praktiken nachdenken.

Es sei denn, man denkt, dass das wichtigste Element bei der Transformation darin besteht, in Bezug auf die gegenwärtige Konjunkturlage auf der »richtigen« politischen Linie zu liegen. Wir fürchten, dass für viele der griechischen Linken die Strategie eines Austritts aus dem Euro und einer Aussetzung der Schuldentilgung – deren Fragwürdigkeit wir schon erläutert haben – eine solche Linie war bzw. ist. Aber der Punkt hier ist, dass man mit der richtigen »Linie« offenbar nicht viel erreichen kann. Es wundert insofern nicht, dass die Position, die wir kritisieren, daran scheitert, jene schwierigen Fragen danach zu stellen, wie sie die notwendige Unterstützung für die von ihr gewählte Strategie erhalten könnte.

In Griechenland besteht selbst unter fortschrittlichen Teilen der Bevölkerung eine weit verbreitete Skepsis, dass der bestehende Staat ein Werkzeug des Wandels in irgendeine gewünschte Richtung sein könne. Dies spiegelt nicht nur die Auswirkungen so vieler Jahre neoliberaler Hegemonie, sondern auch die tatsächliche Funktionsweise des griechischen Staates – ein hierarchischer, ineffizienter, klientelistischer und autoritärer Staat, der den griechischen Kapitalisten und ihren Verbündeten gute Dienste geleistet hat.

Einige der drängendsten Fragen für die griechische Linke müssten darin bestehen, wie man einen solchen Staat herausfordert, wie er zu demokratisieren ist, wie man ihn für soziale Bedürfnisse sensibilisieren könnte und wie man ihn mit Formen direkter Demokratie verbinden könnte. Nicht so für die Ansicht, die wir hier kri-tisieren und die annimmt, dass: 1) der Staat in der Lage ist, die traditionelle Palette linksgerichteter wirtschaftlicher Alternativen umzusetzen, und dass 2) genügend Leute glauben, dass dies der Fall ist. Es scheint wenig Berechtigung für diese Behauptungen zu geben. Es ist nicht so, als gäbe es einfache Antworten auf solche Fragen. Aber es ist schwer zu glauben, dass Fortschritt möglich ist, ohne sie zumindest auf verschiedenen Ebenen zu stellen. Können sich zum Beispiel Gewerkschaften des öffentlichen Sektors so verändern, dass sie in der Lage sind, ihre traditionellen Forderungen mit denen von Verbrauchergruppen und sozialen Bewegungen zu verbinden, die bessere öffentliche Dienstleistungen fordern?

Sind wir nun ernsthaft der Auffassung, dass Fortschritt in Richtung Sozialismus oder zumindest ein linker Ausweg aus der Krise, der neue Agenden eröffnet, auf die Lösung solch schwieriger Fragen warten muss? Natürlich nicht. Aber unsere Einwände klären ein in der Linken lange diskutiertes Thema. Im Zusammenhang mit der griechischen Konjunktur muss man ganz schlicht fragen, ob ein Programm der Linken vor und unabhängig von der Bewegung existieren kann. Eine Frage, die unabhängig davon bestehen bleibt, ob wir die Entwicklungen in Richtung auf eine andere Gesellschaft als einen langen Prozess evolutionärer Veränderungen innerhalb des Kapitalismus verstehen, als eher kurzfristigen Bruch mit dem kapitalistischen System oder als etwas dazwischen (von mittelfristigen »Brüchen« entlang des Wegs zum Sozialismus, wie linke Eurokommunisten zu argumentieren pflegten).

Als Gegner der Linie des Austritts aus dem Euro und der Aussetzung der Rückzahlung der Schulden war und ist es uns wichtig, darauf hinzuweisen, dass, was immer wir über diese Frage denken, dies kein Hindernis für eine gemeinsame Arbeitsbasis im Hier und Jetzt sein muss. Derzeit kündigt niemand eine Abwertung an – doch lasst uns darüber nachdenken, was mit Bankeinlagen am Vorabend einer Wahl geschehen würde, wenn ein Sieg der Linken zu erwarten ist. Die wichtigste Frage ist aber, ob wir, wenn die Bewegung auf einen radikalen Bruch mit dem gegenwärtigen System zusteuert, die wesentliche Einheit der Bewegung und ihre Vernetzung über gemeinsame Anliegen und Wünsche in den Vordergrund stellen oder, auf der anderen Seite, die »richtige« politische Linie? Soll die Bewegung jetzt gespalten werden aufgrund der unterschiedlichen Antworten, die sie auf die Frage gibt, was eine linke Regierung – einmal an der Macht – in Bezug auf den Wechselkurs und die Verminderung der Schuldentilgung tun sollte? Problematischer als die konkrete Antwort ist die Bedeutung, die der Frage nach dem richtigen Wechselkursregime gegeben wird, vor allem, wenn sie als Ausrede benutzt wird, sich dem sozialen Druck zugunsten einer Einheit der Linken als gemeinsamer Reaktion auf die Sparprogramme zu widersetzen.

 

(Im Original erschienen in: http://thetrim1.blogspot.de/2012/02/communist-dilemmas-on-greek-euro-crisis.html)

 

Übersetzung aus dem Englischen: Ralf Kliche

 

Literatur

Kouvelakis, S.: »The Greek Cauldron«, New Left Review, 72, November-December 2010, S. 17-32

Lapavitsas, K. / Kaltenbrunner, A. et al.: »Eurozone Crisis: begger thyself and thy neighbour, Research on Money and Finance«, Occasional Report 2010

Lapavitsas, K. / Kaltenbrunner, A. et al: »Breaking Up? A Route Out of the Eurozone Crisis«, Research in Money and Finance, Special Report 3, 2011

Lapavitsas, K.: »Default and Exit from the Eurozone: A Radical Left Strategy«, Socialist Register 2012: The Crisis and the Left, vol. 48, 2012

Laskos, Ch. / Tsakalotos, E.: »No Turning Back: capitalist crises, social needs, socialism«, KaPsiMi publications, Athens (in Greek) 2011

Lebowitz, D.: »Beyond Political Economy: Marx’s Political Economy of the Working Class«, Palgrave Macmillan 2003

Milios, J. / Sotiropoulos, D.: »Rethinking Imperialism: A Study of Capitalist Rule«, Palgrave Macmillan 2009

Milios, J. / Economakis, G.: »The Middle Classes, Class Places, and Class Positions: A Critical Approach to Nicos Poulantzas’s Theory«, Rethinking Marxism Vol. 23 No. 2, April 2011, S. 226-245

Rylmon, P.: »There is no quick exit strategy«, Epoxi, 30. Dezember 2011

Suchting, W. A.: »Marx: An Introduction«, Wheatsheaf Books 1983

 

 

erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 5/12

express im Netz unter: www.express-afp.info, www.labournet.de/express



[1] So hat D. Kazakis, ein ursprünglich aus der KKE kommender unabhängiger Ökonom, seine eigene Partei mit identifizierbaren nationalistischen Ansichten gegründet. Seine Unterstützung der Schuldenschnitt- und Exit-Option hatte ihm zuvor eine Plattform bei linken Organisationen geboten, die es besser hätten wissen müssen. Ein anderer Fall ist der von Spitha (Funke), einer Gruppe rund um den Musiker Mikis Theodorakis. Theodorakis ist eine historische Figur der Linken, aber seine zunehmend patriotische Rhetorik und eine unappetitliche Entourage haben dazu geführt, dass heute die nationalistischen Aspekte in Spitha dominieren.

[2] Diese beiden Themen stehen im Mittelpunkt von Laskos’ und Tsakalotos’ (2011) Buch (in griechischer Sprache), das die Antwort der Linken auf die Krise aus historischer Perspektive betrachtet. Der Titel des Buchs »Keine Umkehr« bezieht sich nicht nur auf die sozialdemokratischen und neoliberalen Experimente der Nachkriegszeit, sondern auch auf die Antwort der Linken auf die Krise der 1970er-Jahre – die nationalen Strategien, insbesondere die Rekonstruktion der inländischen Wirtschaft.