Rebellion im Schützenclub

»Unpolitisch« als Totschlagargument

in (05.04.2012)

Über die schottische Band „Bakers Dozen“ lässt sich einiges erzählen: beispielsweise dass sie in den vergangenen Jahren mehrfach in der Neonazi-Kneipe „De Kastelein“ und ihrer Nachfolgerin „Moloko Bar“ im belgischen Brügge auftrat, dass sie im thüringischen Nazi-Treffpunkt „Skinhouse Menfis“ spielte und für ein (verhindertes) „Fuck P.C.“-Fest des extrem rechten „Adler-Versandes“ in Niedersachsen angekündigt war, dass der Sänger in Shirts der Naziband „Tattooed Motherfuckers“ und des „De Kastelein“ auf den Bühnen stand und dass die Band dem deutschen Neonaziheft „Violence“ in einem Interview mit Lobeshymnen über die „exzellente deutsche Skinszene“ schmeichelte. Man mag sich darüber streiten, ob Bakers Dozen nun „rechtsoffen“ oder schlicht und einfach eine Rechtsrock-Band ist, nicht aber darüber, dass sich Bakers Dozen in einem rechten politischen Milieu bewegt und dass sie wissentlich und willentlich Nazihefte, Nazibands und Nazitreffpunkte unterstützt und für diese wirbt.

Als Bakers Dozen für den 26. Februar 2010 zusammen mit der saarländischen Band Krawallbrüder im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein – bezeichnenderweise in einem Schützenclub – angekündigt war, intervenierten Antifaschist_innen. Pascal Gaspard, Frontmann der Krawallbrüder, legte sich mächtig für Bakers Dozen ins Zeug. Bakers Dozen, so schrieb er, hätte in der Vergangenheit ja auch mit Kultbands des Oi-Genres zusammengespielt, ergo: „Bestimmt gibt es in Schottland auch eine existierende Rechte, aber Bakers Dozen gehören nicht dazu!“ Mit dem Ausrufezeichen hinter dieser ebenso schlichten wie falschen Behauptung war das Thema beendet. Das Konzert fand statt.

Opferinszenierung

Das Beispiel der Episode um das Konzert in Idar-Oberstein zeigt, wie einfach das Leben sein kann – zumindest in der so genannten Grauzone. Nicht nur Antifa-Strukturen verweisen seit Jahren darauf, dass sich unter dem Label des „unpolitischen Oi“ eine Musikszene etabliert, die vielfältige Schnittmengen mit der extremen Rechten aufweist. Zum einen über bestehende gemeinsame Projekte und Auftritte, zum anderen aber auch über die allgegenwärtige Inszenierung martialischer Männer-Gangs und reaktionärer Geschlechterbilder und über Texte, die bisweilen patriotisch, frauenfeindlich, homophob und rassistisch sind, wenngleich sie selten das „Stammtisch-Niveau“ verlassen.

Ein „Rotes Hetzpamphlet“, verfasst von linken Skinheads, lieferte im Oktober 2008 fast 80 Seiten Argumente und Material über die deutsche Grauzone-Band Stomper 98, um deren bevorstehenden Auftritt im „linken“ Zentrum Conne Island in Leipzig zu verhindern. Das Antifaschistische Infoblatt (AIB) widmete sich im Sommer 2011 auf 16 Seiten dem „Kult der Beliebigkeit“ und den „Grauzonen und rechten Lebenswelten in Punk und Oi“ und beleuchtete das Problem von verschiedenen Seiten.

Und die Musiker_innen, Fans und Veranstalter_innen der Grauzone? Sie sagen: Stimmt alles nicht. Alle Fakten werden ignoriert, stattdessen folgt die kollektive Inszenierung als Opfer linker Hetze. So warf Stomper 98 in einem Statement vom 30. Oktober 2008 den Verfasser_innen des „Roten Hetzpamphlets“ vor, „Sachen verdreht und manipuliert“ zu haben, ohne einen einzigen Nachweis zu bringen, was denn manipuliert gewesen sein soll. Nur drei Tage später amüsierten sich Stomper 98-Bandmitglieder auf einer Party der Bootboys Hildesheim mit bekannten Neonazis. Für das Punk & Disorderly-Festival, das im April 2012 in Berlin stattfinden wird, stand Stomper 98 als erste Band fest.

Sozialkritisch und unpolitisch

Die Krawallbrüder haben einen Coup gelandet. Seit wenigen Wochen fungieren sie als Sponsoren für „Laut gegen Nazis“. Zehn Cent pro Konzertbesucher_in wollen sie der Initiative spenden und dürfen sich dafür ein antifaschistisches Label anheften, das sie in Zukunft gegeen Kritik immunisieren soll. Die fortschreitende Sinnentleerung anti-rechter Labels ist eine Entwicklung, die das Problem vergrößert.

Mit Politik wollen Bands wie Krawallbrüder nichts zu tun haben. „Politaffen und solche die es werden wollen“ sind per Konzertplakat von ihren Konzerten ausgeschlossen. Bei einem Auftritt der Band auf dem Punk-Festival Force Attack im Jahr 2007 stimmten rechte Fans, toleriert von der Band, die Parole „Ein Baum, ein Strick, ein Antifa-Genick“ an. Das Krawallbrüder-Label KB-Records produziert Bands wie Gerbenok und bietet diesen auf dem von ihnen veranstalteten Back on the Streets-Festival eine Bühne – und somit auch Textzeilen wie „Das soll jetzt nicht rassistisch klingen, doch es ist nun einmal so. Irgendwelche Asylanten dealen auf dem Bahnhofsklo“. Mit Politik hat dies alles, folgt man den Ausführungen der Musiker, nichts zu tun, man drücke doch darüber nur ehrliche Gefühle und Sorgen aus.

Die Reduzierung von „Politik“ auf Parteien, Parlamente und Antifa ist ein Merkmal der Grauzone. Dieses offenbart ein Politikverständnis, das im Kern reaktionär ist. Denn es spricht den „einfachen“ und „ehrlichen“ Menschen, als deren Sprachrohr sich Bands wie Krawallbrüder verstehen, die Fähigkeit und Berechtigung ab, politisch zu handeln, und entbindet sie von jeder Verantwortung für ihre Worte und Taten. Es suggeriert fälschlicherweise, dass ein soziales Miteinander in einem per se politikfreien Raum stattfinden könne. Die Bands und Fans der Grauzone schmücken sich mit dem Label des Rebellischen und der Außenseiter, entziehen sich jedoch jeder politischen Logik. Genau darin liegt ihre Attraktivität. Die Krawallbrüder schließen „Politaffen“ von ihren Konzerten aus und verweisen auf ihre angeblich sozialkritischen Texte. Die Schweriner Band Gumbles singt „Oi! Oi! Oi! ist gesellschaftskritisch, Oi! Oi! Oi! ist unpolitisch“, ohne die offenkundige Widersprüchlichkeit ihres Textes zu erkennen. Wie soll das funktionieren? Gesellschaftskritik, Sozialkritik und erst recht Rebellion sind Handlungen, die zwingend in einem politischen Rahmen stattfinden (müssen). Das Konstrukt der „unpolitischen Rebellen“, die sich selbst genügen und sich stets nur als Opfer politischer „Extremist_innen“ sehen, sozialisiert eine kulturelle Generation mit Verantwortungs- und Empathielosigkeit. Bands und Fans können sich jeder Auseinandersetzung entziehen und bei Kritik umgehend in den Schmollwinkel der Unverstandenen zurückziehen. Und sich gleichzeitig hemmungslos Räume nehmen, ohne sich darüber Gedanken machen zu müssen, wen sie mit ihrer Brachial-Ästhetik, ihren meist konservativen Wertebildern und ihrer Inszenierung des Männerstammtisches vor den Kopf stoßen und verdrängen.

Radikalisierte Oi-Cliquen

Nutzt die zunehmende Etablierung der Grauzone extrem rechten Strukturen oder schadet sie ihnen? Die Grauzone bietet die Möglichkeit, konservative bis reaktionäre Wertewelten mit einem Rebellenetikett zu ummanteln. Für Manche aus der extremen Rechten ein durchaus attraktives Angebot: Ihnen öffnen sich Konzert- und Partyräume, die bislang verschlossen waren und es verringern sich die Risiken, die mit der Zugehörigkeit zu einer explizit rechten Gruppe verbunden sind. Dafür stellt man „die Politik“ gerne hinten an, blendet sie gegebenenfalls ganz aus und entfremdet sich mitunter von ihr. Die Naziszene verliert darüber Aktivist_innen. Nur leider funktioniert es auch anders herum. Wie hoch die Affinität und Anfälligkeit für rechte Einflussnahme sein kann, zeigt das Beispiel einer „unpolitischen“ Skinhead-Clique aus dem Raum Koblenz und Westerwald, die sich um 2009 als eine Oi-Clique, bestehend aus Punks und Skins, formierte, sich deutlich von Nazis abgrenzte und in alternativen Räumen bewegte. Einzelne der Clique entdeckten schließlich die Bremer Band Endstufe für sich. Die 1982 gegründete Band zählt zum harten Kern der Nazirockszene, stand zeitweise dem Netzwerk der militant-neonazistischen Hammerskins nahe. Doch Endstufe stellt in ihren Texten und Statements stets das Skinhead-Sein in den Vordergrund und distanziert sich von (Partei-)Politik. So wurden sie zu einer Skinhead-“Kultband“, deren Fankreis weit über die Naziszene hinausreicht. Das Tragen von Endstufe-Shirts von einzelnen Angehörigen der Koblenzer Clique sorgte für Ärger in alternativen Räumen und untereinander. Einige zogen sich zurück, und die Endstufe-Fans richteten nun einen eigenen Treffpunkt ein. Schnell entstanden Kontakte zu Neonazis, mit denen man sich auf den gemeinsamen Nenner „Skinheadkult“ einigte. Es folgten Besuche neonazistischer Konzerte und 2011 eine erste Beteiligung Einzelner an einem Naziaufmarsch. Führende Personen der Clique fanden Anschluss an Neonazis in Franken, und als Silvester 2011 um die 20 Neonazis im bayerischen Ansbach eine linke Party angriffen, waren mehrere dieser Clique, die gerade in der Gegend zu Besuch waren, mit dabei.

Völkische Töne im Südtiroler Deutschrock

Auf der Suche nach der Band, die die 2005 aufgelösten Böhsen Onkelz be-erben kann, waren die Krawallbrüder eine Zeit lang ernsthafte Konkurrenten der Südtiroler Band Frei.Wild, die nunmehr in den Mainstream enteilt ist und 2010 vor über 100.000 Zuhörer_innen auf der Fanmeile der Fußball-WM in Berlin aufspielten. Selbst Leitmedien wie die Süddeutsche Zeitung kritisieren den Nationalismus von Frei.Wild, der weitaus mehr beinhaltet als den romantisch verklärten Traum eines deutschen Großtirols. In ihrem Song „Wahre Werte“ auf ihrem Erfolgsalbum „Gegengift“ – erschienen 2010 – singt die Band: „Da, wo wir leben, da wo wir stehen, ist unser Erbe, liegt unser Segen, Heimat heißt Volk, Tradition und Sprache, für uns Minderheiten eine Herzenssache […] Wo soll das hinführen, wie weit mit uns gehen, selbst ein Baum ohne Wurzeln kann nicht bestehen [...] Sprache, Brauchtum und Glaube sind Werte der Heimat, ohne sie gehen wir unter, stirbt unser kleines Volk“. Die Annahme, der Mensch müsse mit seiner Heimat-(Erde) verwurzelt sein und könne Heimat – als Synonym für Zugehörigkeit und Geborgenheit – nur finden, wenn er die Tradition, die Sprache, das Brauchtum und den Glauben des dort lebenden „Volkes“ teile, ist die Kernsubstanz völkischer Ideologie. Verbunden mit der apokalyptischen Vision vom Untergang des Volkes, das diese wahren Werte verliere. Gleichwohl konstruieren sich Frei.Wild als unpolitisch und ihr großer Fankreis vermag das stets zu bestätigen. So mancher Konzertveranstalter, mitunter aus dem „links-alternativen“ Milieu kommend, verzieht bei Frei.Wild das Gesicht, ohne jedoch von einem Engagement der Band Abstand zu nehmen. Würde man Frei.Wild ablehnen, so die Begründung, dann bekäme man wohl von der großen Konzertagentur, die Frei.Wild promotet, keine lukrativen Angebote mehr. Die Durchführung von Konzerten mit der deutsch-völkischen Südtiroler Band gerät somit zur finanziellen und existenziellen Frage. Womit ein Hauptproblem ins Blickfeld rückt: Der Kommerz.

Das Subkultur-Business

Das Angebot eines schlichten, bürgerlichen, jedoch harten und rebellischen Lebens brachte auf dem Grauzone-Jahrestreffen, dem Back on the Streets-Festival, das am 22. und 23. Juli 2011 auf der Loreley bei Koblenz stattfand, immerhin 3.000 Fans vor die Bühnen und wird eine ähnliche Zahl zum Punk & Disorderly-Festival in April 2012 nach Berlin bewegen. Die Grauzone ist mittlerweile mehr als eine Marktnische. Die Krawallbrüder, die sich im Spagat zwischen Deutschrock und Punk-Untergrund üben, haben den Anschluss an die Charts geschafft. Selbst Bands wie Stomper 98 sind eine sichere Bank für Konzertveranstalter_innen und traten in den letzten Jahren mehrfach in linken Zentren auf. Nicht nur das Antifaschistische Infoblatt sieht die Etablierung der Grauzone in links etikettierten Räumen als ein „Resultat der Kommerzialisierung und Verbürgerlichung linker Subkultur“. Alleine in den Berliner Stadtteilen Kreuzberg und Friedrichshain ernährt das Punk-Business viele Dutzend Menschen – in den Clubs, den Agenturen, den Labels, den Klamottenläden, im Catering und so weiter. Alle sind aufeinander angewiesen: Die Bands brauchen bezahlte Auftritte; die Agenturen Clubs, die Kiez-Credibilty versprechen; die Clubs Bands und Agenturen, die eine volle Hütte garantieren. Mit Blick auf den Kontostand fällt es zunehmend schwer, den finanziellen Verlockungen des unpolitischen Oi und Deutschrock zu widerstehen. Booking-Agenturen, die beständig auf ihre antifaschistische Glaubwürdigkeit verweisen, machen sich zu Protektionistinnen von Bands wie Stomper 98 und stimmen in deren selbstgerechtes Opfer-Lamento ein. Das Hauptargument ist: Man kenne die Band persönlich, sie sei „echt in Ordnung“. Eine weitere Auseinandersetzung findet auch hier nicht statt.

Die Kulturindustrie schafft und vermarktet Identitäten, die massentauglich und einfach zu konsumieren sind. Die „Subkultur“ wird zur Modemarke, die dem gesellschaftlichen Mainstream des „anything goes“ angepasst wird. Dieser Dynamik können die Strömungen, die Punk, Rebellion oder Antifaschismus eben nicht als inflationär gebräuchliche Label definieren, nicht standhalten. Sie haben alle Hände voll zu tun, die eigenen Nischen gegen die Beliebigkeit, Oberflächlichkeit und gegen rechte Einflussnahmen zu verteidigen.

 

Der Artikel erschien in der Ausgabe 47/Frühjahr 2012 der Lotta - antifaschistische Zeitung für NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen.