Dass beim Sextourismus der Tourismus weiblich und der Sex männlich sein kann, zeigt das Beispiel „Karibik“
Mit der Entwicklung des internationalen Tourismus zum Massenphänomen seit den 90er Jahren fand die globale Verbreitung des Phänomens des klassischen Sextourismus statt.
Tausende Männer und Frauen aus Europa und Nordamerika kommen jedes Jahr in die Karibik, um Sonne, Strände und Sex zu genießen.
Zunehmend reisen besonders Frauen in die Karibik, mit dem Ziel einige Tage in den Armen eines gutaussehenden Mannes zu verbringen. Nach wie vor unterliegt Sextourismus geschlechts-, klassenspezifischen und rassistischen Machtverhältnissen, die in der Kolonialzeit wurzeln. Allerdings geht es beim Sextourismus häufig um mehr, als um kurzfristigen, billigen Sex. Über das Thema sprach die DA mit dem genderpolitischen Aktivisten Svenn Grant aus Trinidad/Tobago.
Jedes Jahr kommen gut 80.000 Frauen aus einer Vielzahl relativ wohlhabender westlicher Länder allein nach Jamaika. Welchen ökonomischen Einfluss hat weiblicher Sex-Tourismus auf die Karibischen Inseln?
Ich habe keine empirischen Daten über weiblichen Sex-Tourismus in der Karibik, weder in Bezug auf die Quantität, noch auf die Preise. Es lohnt sich aber auch ohne Daten auf diese Frage zu antworten. Frauen, die Sexarbeit betreiben, gelten hier als Prostituierte, Huren und leichte Mädchen. Männer gelten als Gigolos, Beach Boys oder Nichtstuer. Diese Begriffe geben männlichen Sexarbeitern einen sozial eher akzeptablen Status. Frauen werden als Teilnehmerinnen an kriminellen Aktivitäten gebrandmarkt, während männliche Sexualität gefeiert wird – oder sie gilt als Wohltätigkeit.
Der Tourismus in der Karibik gilt zumeist als besonders paradiesisch. Touristen können hier mal richtig „rauskommen“ und sich auf die Schönheit der Inseln einlassen. Für viele weibliche Reisende ohne Begleitung macht dieser Reiz, in Verbindung mit den Männern, die die patriarchalen Erwartungen eines unersättlichen Sexualtriebes erfüllen, das Angebot besonders attraktiv. Obwohl ich keinen Zweifel daran habe, dass Frauen zum Sex-Tourismus in der Karibik beitragen, ist es weit bekannt, dass Prostitution „offiziell“ eher weiblich ist.
Die Erfahrung des sexuellen Tausches besteht darin, dass Frauen von Männern sexuell befriedigt werden und im Gegenzug geht die Frau mit dem Mann aus, kauft ihm Sachen, manchmal springt sogar eine vollbezahlte Reise in ihr Heimatland dabei heraus.
Wie beeinflussen sexuelle Normen und ökonomische Unterschiede die gesellschaftliche Sichtweise auf diese Interaktionen?
Der Mann wird zunächst einmal als Mann zelebriert. Manchmal erhält er einen höheren Status, weil er eine Frau mit hellerer Haut an seiner Seite hat. Das Verhältnis wird als Kurzbeziehung angesehen und selbst wenn Leute die Stirn runzeln, ist hier und da ein Witz über den Mann das Schlimmste, was ihm passieren kann. Kurzum: männliche Sexarbeiter werden gefeiert, weibliche gefickt!
Nur wenige männliche Sexarbeiter verstehen sich als Opfer der Verhältnisse, wenn sie irgendwo in Europa in ein Apartment oder eine Hütte gesperrt werden. Es gibt keinen Zweifel daran, dass einige Männer die Flucht aus der Armut suchen und gerne eine Beziehung mit einer ihrer „Klientinnen“ hätten.
Ich erinnere mich an einen Mann, der mir erzählte, wie aufgeregt er sei zu reisen. Viele der Männer haben nur durch diese Tausch-Arrangements die Möglichkeit zu dieser Erfahrung. Als er an seinem Ziel ankam, wurde er ohne Schlüssel in ein Haus gesperrt. Er wurde zum Sexsklaven, der gehandelt wurde. Die Wahrscheinlichkeit, dass andere Männer hier von solchen Erfahrungen hören, ist minimal. Die traditionellen Vorstellungen von Männlichkeit bringen Männer zum Schweigen über ihre Verletzlichkeit. Es ist erstaunlich: Wenn wir verletzt werden, können wir es nicht ausdrücken...denn wir sollen nicht verletzt sein, wir sind ja Männer.
Frauen genießen Gelegenheitssex und Prostitution, aber offensichtlich auf informellere Art. Sie sehen ihre sexuellen Begegnungen nicht als ein Prostituierte-Freier-Verhältnis. Ist das nicht schlichte Heuchelei?
Viele „normale“ sexuelle Beziehungen basieren mit großer Wahrscheinlichkeit auf Tausch. Nur dass es, wenn die Frau den Mann nicht bar bezahlt, nicht als Sexarbeit betrachtet wird.
Diese sexuelle Kultur ist besonders ausgeprägt zwischen älteren Männern und jüngeren Frauen oder Mädchen in der Karibik. Und sie ist ein Hauptverursacher von HIV, vor allem weil diese sexuellen Partnerschaften zahlreich und gleichzeitig stattfinden und in der Regel ohne geschützten Verkehr. Diese Praktiken würde ich auch als eine Form von Sexarbeit bezeichnen, da sie natürlich auf bestimmten Formen von Ungleichheit basieren.
Vielleicht halten konservative Geschlechterrollen oder Moralvorstellungen einige Frauen davon ab, mehrere sexuelle Beziehungen mit Männern einzugehen. Sowohl Männer als auch Frauen können in diesen Beziehungen verletzlich sein. Für viele ist Verletzlichkeit schwer zu erkennen, wenn Männer betroffen sind.