Affektive Arbeit, feministische Kritik und postfordistische Politik
Feministische Theoretikerinnen beschäftigen sich seit langer Zeit mit immaterieller und affektiver Arbeit, auch wenn diese Begriffe selbst eine eher jüngere Erfindung sind. Die frühen feministischen Untersuchungen zu Tätigkeiten und Verhältnissen der immateriellen Arbeit waren wesentlicher Bestandteil des Kampfes für die Erweiterung des Arbeitsbegriffes zu einem Begriff, der mehr Formen der geschlechtlichen Arbeitsteilung umfasst.Im Besonderen affektive Arbeit wurde in bestimmten feministischen Traditionen als fundamental sowohl für zeitgenössische Modelle der Ausbeutung als auch für die Möglichkeit ihrer Subversion verstanden. Gegenwärtige Diskussionen der Begriffe immaterielle und affektive Arbeit könnten durch ein besseres Verständnis dieser Entwicklungslinien bereichert werden. Zu diesem Zweck legt dieser Text den Fokus auf zwei richtungweisende feministische Projekte. Das sind erstens die Bemühungen des sozialistischen Feminismus der zweiten Welle der Frauenbewegung, der marxistischen Analyse der produktiven Arbeit eine kritische Betrachtung der Reproduktionsarbeit hinzuzufügen. Zweitens wird Arlie Hochschilds Ergänzung der kritischen Analysen der immateriellen Angestelltenarbeit (White Collar) von C. W. Mills um die emotionale Arbeit der Dienstleistungsarbeiterinnen (Pink Collar) behandelt, die einen Meilenstein darstellt. Wenn wir den Fokus darauf legen, welchen Beitrag diese beiden feministischen Interventionen – die eine zu marxistischer Kritik und die andere zur kritischen Soziologie der Dienstleistungen – geleistet haben, so werden die Besonderheiten von immateriellen Formen der Arbeit sowie die Schwierigkeiten ihrer Theoretisierung besser verständlich.
Die Bedeutung dieser beiden feministischen Projekte liegt jedoch nicht allein in der Qualität ihrer Analysen, sondern auch in den Stärken ihrer Kritik; d.h., nicht nur ihre theoretische Ausarbeitungen zu diesen Entwicklungen, sondern auch die Art und Weise, in der sie ihnen politisch entgegentreten, ist weiterhin von Interesse. Daher möchte ich besonderes Augenmerk auf ihre Beiträge als kritisches politisches Projekt legen: kritische Einschätzungen mit politischer Absicht oder Analysen, die den Blick auf mögliche antagonistische Auseinandersetzungen richten. Sozialistische Feministinnen z.B. stützen sich auf die marxistische Kritik der Politischen Ökonomie, um unbezahlte Reproduktionsarbeit, im Besonderen Care-Arbeit im Haushalt, sowohl als Ort der Ausbeutung als auch als Ort fassen zu können, von dem aus widerständige Subjekte und alternative Sichtweisen entstehen könnten. Mills und Hochschild hingegen beziehen sich auf Varianten der marxistischen Theorie der Entfremdung, um einen kritischen Hebel für die wachsende Abhängigkeit des Kapitals von immateriellen und speziell affektiven Formen der Arbeit zu finden.
Meiner Ansicht nach scheitern letztlich beide kritischen Strategien. Wie sich jedoch herausstellt, sind ihre Schwächen ebenso lehrreich wie ihre Errungenschaften. Trotz vieler Durchbrüche ist jeder dieser Zugänge durch seinen Rekurs auf einen kritischen Standpunkt und einen Begriff des politischen Widerstandes begrenzt, die in einem Außen begründet liegen: entweder in einer Sphäre der Reproduktion, die von der eigentlichen kapitalistischen Produktion getrennt ist, oder in einem Modell des Selbst, das seiner Entfremdung vorgängig ist. Egal ob diese Zugänge einmal adäquat waren oder nicht, erweist sich unter den Bedingungen der postfordistischen Produktion und Reproduktion ein solches Zutrauen in ein Außen als zunehmend unhaltbar.
Der erste Abschnitt dieses Essays gibt einen kurzen Abriss der sozialistisch feministischen Tradition, während der zweite Abschnitt einer etwas ausführlicheren Diskussion der Arbeiten von Mills und Hochschild gewidmet ist. Im letzten Teil möchte ich beginnen, über Begriffe eines alternativen theoretischen Zugangs nachzudenken. Bezug nehmend sowohl auf die Einsichten als auch auf die blinden Flecken dieser frühen Versuche, präsentiere ich einige sehr vorläufige Vorstellungen, wie eine Annäherung an die Entwicklung einer immanenten Strategie der kritischen/politischen Intervention aussehen könnte, die möglicherweise einen anderen Blickwinkel leisten und eine andere Form der politischen Antwort auf postfordistische Arbeitsregime bilden könnte.
Sozialistischer Feminismus und die Ausbeutung der Hausarbeit
Um einerseits einen besseren Umgang mit dem Begriff der immateriellen Arbeit und andererseits ein tieferes Verständnis der durch diesen gestellten Herausforderungen zu gewinnen, ist es – wie ich denke – nützlich, auf die angloamerikanische sozialistisch feministische Tradition zurückzugreifen und zwar speziell auf die Analysen, die von den späten 1960ern bis zu den frühen 1980ern erarbeitet wurden. Diese zählen zu den frühesten Versuchen – in einer Zeit, die noch vom Paradigma der materiellen Produktion dominiert wurde –, die Besonderheiten der immateriellen Arbeit zu verstehen. Als Projekt, das dem Verstehen der kapitalistischen Ökonomien und der Regime der geschlechtlichen Arbeitsteilung aus einer gleichzeitig marxistischen und feministischen Perspektive gewidmet war, legte diese Tradition den Schwerpunkt auf die Frage, wie verschiedene Praxisformen der geschlechtlichen Arbeitsteilung einerseits im Dienste der kapitalistischen Produktionsverhältnisse eingesetzt werden, jedoch andererseits auch potentiell Unruhe stiftend gebraucht werden können. Die Literatur war ziemlich breit gefächert und mannigfaltig. Ich werde nur zwei der spezifischen Diskurse behandeln, einen aus der Frühphase der Periode und einen, der in den späteren Jahren entwickelt wurde. Es handelt sich um die Debatten über Hausarbeit, die sich mit dem Verhältnis von Hausarbeit zur Marxschen Theorie der Ausbeutung befassten, und die feministische Standpunkttheorie, die stärker an im kapitalistischen und patriarchalen System situierten – aber auch potentiell gegen dieses handelnden – Subjekten interessiert war.[1] Auf der höchsten Ebene der Abstraktion kann gesagt werden, dass der sozialistische Feminismus dieser Periode den Fokus auf den Widerspruch zwischen Prozessen der Kapitalakkumulation und der gesellschaftlichen Reproduktion legte. Obwohl in diesen Theorien der Gestus auf einen weiteren Begriff der Reproduktion – als Schaffen und Erhalten sozialer Formen und Beziehungen der Kooperation und Sozialität – gerichtet war, gaben sie sich normalerweise mit einer engeren Konzeption zufrieden, die mit unbezahlter Hausarbeit und Care-Arbeit gleichgesetzt wurde und auf den Raum des Haushalts beschränkt war. Sie setzten sich mit der Frage auseinander, wie das Verhältnis zwischen kapitalistischer Produktion und Reproduktion im Haushalt zu verstehen und zu bewerten sowie wie diesem Verhältnis entgegenzutreten sei. Diese Anerkennung des Haushalts als Ort der gesellschaftlichen Reproduktion schließt den wichtigen Kampf um die Erweiterung existierender Begriffe von Arbeit mit ein. Sicherlich war es eine der wesentlichen Errungenschaften des sozialistischen Feminismus dieser Periode, herrschende Konzeptionen dessen, was als Arbeit zählt, neu zu denken und der geschlechtlichen Arbeitsteilung Beachtung zu schenken – zu einer Zeit, als Arbeit üblicherweise noch mit bezahlter Produktion materieller Güter gleichgesetzt wurde.
Wie jedoch schon weiter oben angemerkt, ist die Tradition des sozialistischen Feminismus der 1970er Jahre nicht nur aufgrund ihrer Erfolge, sondern auch aufgrund ihres Scheiterns lehrreich. Im Besonderen bin ich der Ansicht, dass es sinnvoll ist, sich daran zu erinnern, wie viel Widerstand dieser feministischen Erweiterung der Kategorien der Arbeit und der Produktion entgegengesetzt wurde. Das früheste dieser Projekte, die unter dem Titel der Hausarbeitsdebatten zusammengefasst werden, ist aufgrund einiger spezifischer Streitpunkte und deren Auswirkungen von besonderem Interesse. Obwohl die Debatten ziemlich breit gefächert waren, fixierten sich die Argumente mit der Zeit auf die Frage, ob Hausarbeit besser innerhalb oder außerhalb der kapitalistischen Produktion selbst gefasst werden sollte. War die Haushaltssphäre Teil des kapitalistischen Systems oder eine davon getrennte Produktionsweise? War Hausarbeit eine Form der „unproduktiven“ Arbeit, die – da sie keinen Mehrwert schafft – nicht zentral oder fundamental für das Kapital ist? Oder war sie eine Form von „produktiver“ Arbeit, die entweder indirekt oder direkt Mehrwert produziert und daher als integraler Bestandteil der kapitalistischen Produktion begriffen werden muss? Unterlag sie dem Wertgesetz oder war sie davon befreit? War sie daher integraler Bestandteil des Verwertungsprozesses oder lag sie an dessen Rändern? Kurz gesagt, befand sich Hausarbeit eigentlich innerhalb oder außerhalb der kapitalistischen Produktion?[2] Die Debatte war also – grob gesehen – auf zwei Positionen reduziert: Die eher unorthodoxen Beteiligten konzipierten Lohnarbeit und Arbeit im Haushalt in totalisierenderen Begriffen und kämpften darum, die grundlegende Entschlüsselung der kapitalistischen Produktion herauszufordern, wohingegen jene, die die orthodoxere Linie vertraten, die die Debatte letztendlich zu dominieren begann, auf einer Art Unterscheidung von dualen Systemen bestanden. Sich auf die ursprüngliche Unterscheidung zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit von Marx stützend, verteidigten die orthodoxeren Autorinnen ein enges Verständnis der kapitalistischen Produktion, das direkt an das industrielle Paradigma gebunden war.
Wenn wir die Dominanz dieses im Wesentlichen fordistischen industriellen Bezugsrahmens der Hausarbeitsdebatten berücksichtigen, mutet es vielleicht nicht überraschend an, dass auf beiden Seiten eine Tendenz vorherrschte, das Beispiel der Hausarbeit im engeren Sinne gegenüber affektiven Formen der Arbeit im Haushalt zu privilegieren. Tatsächlich ist es aus einer heutigen Perspektive einer der auffälligsten Punkte, wie selten die Besonderheiten der Care-Arbeit angesprochen werden – eine Tendenz, die vielleicht der Feminisierung dieser Arbeit (und folglich ihres Status als „Schattenarbeit“), dem Übergewicht einer eher orthodoxen Strömung des Marxismus und der Hegemonie der fordistischen Vorstellungswelt zuzuschreiben ist. Sogar die unorthodoxeren Beteiligten, die den fundamental kapitalistischen Charakter der Hausarbeit behaupteten, neigten dazu, Care-Arbeit zu übersehen oder zu vernachlässigen. Auf der einen Seite erkannten sie an, dass Arbeit nicht nur aus Tätigkeiten besteht, die Gegenstände schaffen. Auf der anderen Seite tendierten sie in dieser Zeit dazu, sich auf die Ähnlichkeiten von Hausarbeit mit eben diesen Tätigkeiten zu konzentrieren, möglicherweise um Argumente dafür zu liefern, dass Hausarbeit und Frauen, die für diese zuständig waren, relevante Objekte der marxistischen Analyse und Subjekte der revolutionären Politik sind. In dem Ausmaß, in dem z.B. Hausarbeit in den Begriffen der Produktion von Gebrauchswerten für den Konsum charakterisiert werden konnte, war es vielleicht einfacher, sie als Arbeit zu akzeptieren. In diesem Kontext war es zweifelsohne schwieriger, die Beziehung zwischen Care-Tätigkeiten und Wertproduktion zu begreifen.
In den späten 1970er Jahren hatte sich die Hausarbeitsdebatte selbst an den Untiefen der Kontroverse „innen oder außen“ festgefahren. Was als breit gefächerte Untersuchung der Beziehung zwischen Kapitalismus und Hausarbeit begonnen hatte, verengte sich auf wiederholte Inszenierungen der Debatte, ob die Tätigkeiten und Verhältnisse in der Hausarbeit Bestandteil der kapitalistischen Produktion seien oder relativ autonom von dieser.[3] Die eher orthodoxe Behauptung, dass Hausarbeit von kapitalistischer Produktion zu unterscheiden sei und daher Teil eines getrennten Kreislaufes außerhalb dieser, wurde zur dominanten Linie. Reproduktionsarbeit in der häuslichen Sphäre wurde dann entweder zu einem Bereich außerhalb der eigentlichen kapitalistischen Produktion herabgestuft oder falls doch darin eingeschlossen, nur insofern, als sie entweder der industriellen Produktion ähnlich oder direkt in diese verwickelt war. Die Logik der dualen Systeme, die auf einem Modell getrennter Sphären beruhte, dominierte schließlich nicht nur die spezifischen Begriffe dieser Debatte, sondern einen großen Teil der sozialistisch feministischen Literatur dieser Zeit.
Sozialistisch feministische Standpunkttheorie und die Subjekte des Widerstands
Im Gegensatz zu den frühen Hausarbeitsdebatten legte die sozialistisch feministische Standpunkttheorie – und hier konzentriere ich mich auf die späten 1970er und frühen 1980er Jahre – den Schwerpunkt öfter auf Care-Arbeit, wobei sie deren Unterschiede zu industrieller Produktion als potentielle Quelle von alternativen Epistemologien und Ontologien begrüßte. Die Standpunkttheorie ist mithin von besonderer Relevanz für unsere Zwecke hier, und zwar sowohl aufgrund ihrer frühen Untersuchungen der affektiven Arbeit als auch aufgrund ihres Augenmerks für die Möglichkeiten des Widerstands, die dieser innewohnen könnten. Zwischen den Sphären des Haushalts und der Ökonomie verursacht der Widerspruch zwischen den Erfordernissen der Kapitalakkumulation und der gesellschaftlichen Reproduktion eine Vielzahl von Brüchen und Konflikten, die kritisches Denken und politisches Handeln erzeugen könnten. Wo sich die Literatur zur Hausarbeit darauf konzentrierte, die geschlechtlichen Muster der Ausbeutung nachzuzeichnen und einzuordnen, fokussierten frühe Standpunkttheorien stärker auf die Möglichkeit der Entstehung von revolutionären Subjekten aus diesen ausgebeuteten Tätigkeiten und marginalisierten Subjektpositionen heraus. Reproduktion, die meist wiederum mit der Sphäre des Haushalts gleichgesetzt wurde, ist der Ort, von dem aus feministische politische Subjekte sich konstituieren und alternative Visionen entworfen werden könnten.[4]
In diesem Diskurs erscheinen die Begriffe der Teilung innen/außen in einer anderen Weise. Im Kontext der Hausarbeitsdebatten waren aus heutiger Perspektive gesehen die zwingendsten Beiträge jene unorthodoxen Argumentationslinien, die auf einen radikalen Neuentwurf der kapitalistischen Produktion abzielten, um die Haushaltssphäre als integralen Knoten im Kreislauf der Wertproduktion fassen zu können. Wieder wurde allerdings die Arbeit im Haushalt – immer unter Berücksichtigung der Art und Weise, wie die Debatte strukturiert war – oft nur insoweit als innerhalb des Kapitalverhältnisses begriffen, insoweit sie der industriellen Lohnarbeit ähnlich und ihr daher vergleichbar war. Standpunkttheorien untersuchten im Gegensatz dazu die Unterschiede der Tätigkeiten der Arbeit im Haushalt und begrüßten die Andersartigkeit von Care-Arbeit als potentiell kritischen Hebel und Ort der Handlungsfähigkeit.
Diese reproduktive „Frauenarbeit“, die gleichzeitig notwendig für die kapitalistischen Verwertungsprozesse ist und von diesen marginalisiert wird, wurde als potentielle Quelle von feministischen Standpunkten gesetzt: alternatives Wissen, widerständige Subjektivitäten und feministische Kollektivitäten. Die Möglichkeit von Alternativen wurde in der Produktivität der Praxen verortet, in einer Behauptung weniger darüber, was wir sind, als vielmehr darüber, was wir tun. Hilary Rose, um ein Beispiel aus dieser Zeit zu zitieren, besteht darauf, dass „[d]ie Produktion von Menschen … sich qualitativ von der Produktion von Dingen unterscheidet“, und argumentiert, dass Frauenarbeit im Haushalt eine bestimmte Art von emotional fordernder Care-Arbeit beinhaltet, die Arbeit der Liebe (2004: 74). Sie untersucht dann die Möglichkeit einer feministischen Epistemologie, welche die in Hand-, Kopf- und Gefühlsarbeit gewonnenen Kenntnisse zusammenbringt. „Das Einbringen der Care-Arbeit und des aus dieser herrührenden Wissens in die Analyse“, behauptet Rose, „wird ausschlaggebend für ein Transformationsprogramm sowohl in der Wissenschaft als auch in der Gesellschaft“ (2004: 78).
Das Problem besteht darin, dass obwohl Care-Arbeit und ihre potentiell subversive Differenz ans Licht gebracht werden, die Errungenschaften dieses Projekts durch die Annahme behindert werden, dass der Widerstand von außen her und durch die räumliche Trennung zwischen Produktion und Reproduktion, durch die das Außen hergestellt wird, entstehen muss. Obwohl also Rose entlohnte Formen der affektiven Arbeit klar erkennt, tendiert sie nichtsdestoweniger zu der Annahme, dass es die affektive „Arbeit des Herzens“ ist, die reproduktive von produktiver Arbeit unterscheidet, und fixiert so die Unterscheidung zwischen materieller und immaterieller Arbeit zu von einander getrennten gesellschaftlichen Sphären. Dies bedeutet, dass die Besonderheit der affektiven Arbeit durch den Rekurs auf dieselbe Logik getrennter Sphären abgesichert wurde, die auch in den Hausarbeitsdebatten dominierte. Diese Differenz in den Praxisformen der Arbeit sowie die Subjektivitäten, die auf deren Grundlage entwickelt werden könnten, waren gleichzeitig durch die Logik getrennter Sphären nach einem ziemlich strikten Zwei-Geschlechter-Modell ergänzt und geformt. Die weiblichen Arbeitspraktiken in der häuslichen Sphäre, dem Bereich der Reproduktion, werden so – obwohl notwendig – als nichtsdestotrotz fundamental verschieden von den männlichen Arbeitspraktiken in der Produktionssphäre gesetzt. Durch die Berufung auf die getrennten Sphären, um eine radikale Differenz zwischen Männerarbeit und Frauenarbeit zu postulieren, laufen diese Standpunkttheorien– trotz strenger methodologischer Festlegungen des Gegenteils – Gefahr, undifferenzierte und naturalisierende Geschlechtermodelle zu reproduzieren. Die Theorien der revolutionären Subjektivität werden also durch den Bezug auf einen Geschlechterdualismus behindert, der zu dieser Zeit ebenso allgemein üblich war, wie die Homogenisierung und Verdinglichung von Geschlechteridentitäten, die diesen ermöglichten.
Der heutige Nutzen dieser älteren Analysen wird außerdem durch die Besonderheiten der postfordistischen Arbeit und Produktion in Frage gestellt. Erstens basiert die Unterscheidung zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit, auf der die Behauptungen über ein Innen und Außen in den Hausarbeitsdebatten beruhen, wiederum auf dem Paradigma der industriellen Produktion und dem Modell stofflicher Waren. Egal, ob diese Herangehensweise jemals adäquat war, speziell unter den Bedingungen der postfordistischen Produktion produzieren ein und dieselben Praxen, die an dem einen Ort als unproduktiv angesehen werden, an einem anderen Ort direkt Wert, und so wird diese simple Unterscheidung zwischen Innen und Außen der kapitalistischen Verwertungskreisläufe zunehmend unhaltbar (vgl. z.B. Negri, 1996: 157; dt.: 5). Zweitens wird die Unterscheidung zwischen Männer- und Frauenarbeit, auf der die Hoffnung auf einen feministischen Standpunkt außerhalb des Kapitals basierte, zusätzlich durch die zunehmende Integration dessen beeinträchtigt, was als die getrennten Orte von Produktion und Reproduktion vorgestellt wurde. Die weitere Entwicklung der posttayloristischen und postindustriellen Arbeitsprozesse z.B. bringt das Modell der getrennten Sphären durcheinander, sowohl im Hinblick auf die jeweiligen Produkte als auch auf die unterschiedlichen Arbeitsprozesse. Die Vermischung von Reproduktion und Produktion wird z.B. daran sichtbar, wie Waren immer mehr im Haushalt produzierte Güter ersetzen, sowie daran, wie Dienstleistungen und viele Formen von Care- und Hausarbeit in feminisierte, rassifizierte und globalisierte Formen von Lohnarbeit im Dienstleistungssektor transformiert werden. Darüber hinaus integrieren die heutigen Produktionsprozesse im Besonderen in den Dienstleistungssektoren zunehmend Hand-, Kopf- und Gefühlsarbeit, da mehr Jobs von den ArbeiterInnen erfordern, ihre Kenntnisse, Affekte, kooperativen und kommunikativen Fähigkeiten zu nützen, um nicht nur materielle, sondern in wachsendem Ausmaß auch immaterielle Produkte zu schaffen (vgl. z.B. Hardt/Negri 2004: 108; dt.: 2004: 126). Produktion und Reproduktion sind also vollständiger integriert sowohl im Hinblick darauf, was (re)produziert, als auch darauf, wie es (re)produziert wird. Was früher einmal vielleicht als ein „Außen“ vorgestellt werden konnte, ist nun viel stärker „innen“; gesellschaftliche Reproduktion kann nicht mehr länger sinnvollerweise mit einem besonderen Ort identifiziert, geschweige denn als eine von der Kapitallogik abgeschirmte Sphäre gedacht werden.
Auch kann Reproduktion nicht mit einem bestimmten Geschlecht gleichgesetzt werden, obwohl die Geschichte hier kompliziert ist. Während Frauen weiterhin die vorrangige Verantwortlichkeit für die privatisierte Care-Arbeit innehaben und immer noch gerne in die geschlechtlich getrennten Beschäftigungsnischen abgedrängt werden – die durch die häusliche Arbeitsteilung mit abgesichert sind –, überschreiten die Praxis der affektiven Arbeit und vermutlich die potentiellen politischen Subjekte, die auf deren Basis konstituiert werden können, die alten binären sowohl räumlichen als auch geschlechtlichen Trennungen. Frauen und Männer sind in der Tat oft in verschiedenen Arbeitspraxen tätig, diese Unterschiede können jedoch nicht in einem binären Geschlechterschema beschrieben werden, das durch den Rekurs auf ein Modell getrennter Sphären bestimmt wird. Diese Rekonfiguration der Geschlechterordnung im Kontext des Postfordismus stellt also die Fortdauer der geschlechtlichen Arbeitsteilung in einer Situation dar, in der die Binaritäten produktiv versus reproduktiv, entlohnt versus nicht entlohnt, und mit ihnen „Männerarbeit“ versus „Frauenarbeit“, zunehmend inadäquat werden. Unter den Bedingungen des Postfordismus erfordert das, was Donna Haraway einmal als die „paradoxerweise gleichzeitige Verschärfung und Aushöhlung der Bedeutung von Gender selbst“ (1985: 87; dt.: 1995: 56) beschrieben hat, kompliziertere Kartierungen der geschlechtlichen Teilung von materieller und immaterieller Arbeit.[5]
Mills und Hochschild: White Collar Arbeit und emotionale Arbeit
Einer der Gründe dafür, warum diese sozialistisch feministischen Analysen in eine Sackgasse gerieten, waren ihre Schwierigkeiten, den Übergang vom Fordismus zum Postfordismus adäquat zu erfassen. Um über diese Beschränkung hinaus zu gelangen, verschieben wir nun unseren Blick von den frühen sozialistisch feministischen Theorien hin zu einer anderen intellektuellen Tradition, die von den bahnbrechenden Analysen der postindustriellen Arbeit von Mills und Hochschild repräsentiert wird. Indem wir uns von den klassischen sozialistisch feministischen Texten ab- und diesen Beiträgen zur Soziologie der Arbeit zuwenden, verschiebt sich der Fokus vom Fordismus zum Postfordismus, von der unbezahlten zur bezahlten Arbeit und von der Kritik der Ausbeutung zum Problem der Entfremdung. Wenngleich die zwei Texte sowohl in Hinblick auf ihre analytische Orientierung als auch auf ihren kritischen Apparat vergleichbar sind, ermöglichen Hochschilds Konzentration auf die Spezifika der emotionalen Arbeit sowie ihr Interesse für deren geschlechtliche Dimensionen einige wesentliche Einsichten in die Bedeutung des Aufstiegs der immateriellen Formen der Arbeit.[6]
In seinem 1951 erschienenen Buch White Collar (dt. Menschen im Büro) liefert Mills eine vorwegnehmende Analyse des Charakters und der Bedeutung der Verschiebung von einer industriellen zu einer postindustriellen Arbeitsordnung – ein theoretisches Unterfangen, für das zum damaligen Zeitpunkt, wie Mills bemerkt, wenige instruktive Vorarbeiten oder brauchbare Anleitungen vorhanden waren. „Um uns herum beginnen sich die Umrisse einer neuen Gesellschaft abzuzeichnen“, erklärt er, und die Kategorie einer White Collar Mittelklasse (in der deutschen Übersetzung: „eines neuen Mittelstandes von Angestellten“) – eine Klasse zwischen oder jenseits von Proletariat und Bourgeoisie – ist „ein Versuch, die jüngste Entwicklung der gesellschaftlichen Struktur und des menschlichem Charakters verständlich zu machen“ (Mills, 1951: xx, dt. 1955: 25). Laut Mills involviert White Collar Arbeit – die alles vom Management bis zu LehrerInnen, Büroarbeit und VerkäuferInnen umfasst – den Einsatz von Subjektivität in Jobs, in denen weniger Dinge gehandhabt werden als vielmehr mit Menschen und Symbolen umgegangen wird (1951: 65, dt. 1955: 104). Aus einer heutigen Perspektive sind Mills’ Einsichten in das, was er den „Markt der Persönlichkeit“ nennt, auf dem „die persönlichen Wesens- und Charaktermerkmale des Angestellten kommerziellen Wert (erhalten) und auf dem Arbeitsmarkt gehandelt (werden)“, außergewöhnlich aktuell (1951: 182; dt. 1955: 254). Dieser Handel mit Persönlichkeit umfasst neue Einstellungskriterien, die eher auf der Bewertung der Persönlichkeit als der Qualifikation basieren, ein neues Ideal der erfolgreichen Kindererziehung, ein neues Ziel managerialer Intervention und vor allem eine neue Art der Kommodifizierung des arbeitenden Subjekts. Wie Mills beobachtet, macht die rasche Expansion der Verkaufsaktivität in neue gesellschaftliche Räume und Beziehungen diesen vergrößerten Markt paradoxerweise „zugleich unpersönlicher und vertraulicher“ (1951: 161; dt. 1955: 226).
In vielerlei Hinsicht beginnt Hochschild 1983 dort, wo Mills 1951 aufhört, obwohl sie ihren Fokus vom weiten Feld der immateriellen Arbeit in White Collar Beschäftigungen auf die emotionale Arbeit der Pink Collar Arbeiterinnen beschränkt, für die die Stewardess als paradigmatisches Beispiel dient. Im Vorwort von The Managed Heart (dt.: Das gekaufte Herz) würdigt Hochschild, wie viel sie der Untersuchung der Frage, wie und mit welchen Auswirkungen wir „unsere Persönlichkeit verkaufen“, durch Mills verdankt, legt zugleich jedoch auch die Schwächen seiner Analyse frei (Hochschild, 1983: ix; dt.: 2006: 11). Hochschild schlägt den Begriff der emotionalen Arbeit vor (emotional labor; in der dt. Übersetzung: Gefühlsarbeit), die „das Zeigen oder Unterdrücken von Gefühlen (verlangt), damit die äußere Haltung gewahrt bleibt, die bei anderen die erwünschte Wirkung hat“ (1983: 7; dt.: 2006: 30-31), um das in den Blick zu rücken, was in Mills’ Analyse des Marktes der Persönlichkeit im Dunklen verbleibt. Genauer gesagt, fehlte Mills „ein Blick für die aktive Gefühlsarbeit, die mit dem Akt des Verkaufens untrennbar verbunden ist“ (Hochschild, 1983: ix; dt.: 2006: 11). Während Mills „anzunehmen (schien), dass es ausreiche, eine Persönlichkeit zu sein, um ‚personality‘ zu verkaufen“ (1983: ix; dt.: 2006: 11), macht Hochschilds Analyse klar, dass diese „aktive Gefühlsarbeit“ erstens eine fachkundige Tätigkeit und zweitens eine Praxis mit konstitutiven Effekten darstellt.
Erstens erkennt Hochschild im Unterschied zu Mills die besonderen Fähigkeiten, die Gefühlsarbeit erfordert. Wo Mills den Schwerpunkt auf Tauschbeziehungen auf dem „Markt der Persönlichkeit“ legt, verschiebt Hochschilds Kategorie der „Gefühlsarbeit“ den Blick hin zum Arbeitsprozess selbst. Die Verkäuferin oder Flugbegleiterin z.B. verkauft nicht nur ihre Persönlichkeit, sondern ist an einer bestimmten Art von Arbeit beteiligt. Tatsächlich ist Gefühlsarbeit (emotion work) nicht nur eine Form von Arbeit, sondern ein Beispiel für gesellschaftlich notwendige Arbeit. Da Mills diese Tätigkeiten allein aus der Perspektive des Tausches auf dem Markt behandelte, fand er nichts von Wert in diesen Praxen, die – wie Hochschild festhält – auch Teil der Arbeit der gesellschaftlichen Reproduktion sind, die der Aufrechterhaltung von kooperativen und zivilisierten Beziehungen dient. Unter einem feministischen Fokus erkennt Hochschild das strategische Management der Gefühle, um soziale Effekte zu erzielen, als eine Alltagspraxis, die – da traditionell privatisiert und feminisiert – im Allgemeinen nicht als Arbeit anerkannt oder gewertet wird. Es existieren also im Besonderen im „privaten“ Bereich Bemühungen als Formen der Schattenarbeit (1983: 167; dt.: 2006: 137), wie Hausarbeit, die das Wohlbefinden und den Status anderer unterstützen, verstärken und aufwerten (1983: 165; dt.: 2006: 135). Da der Ausdruck von Gefühlen nicht nur feminisiert, sondern als Prozess auch – eher als spontane Eruption, denn als sichtbare Kulturpraxis – naturalisiert wurde, bleiben die Fähigkeiten, die an seiner erfolgreichen Handhabung beteiligt sind, schwierig zu fassen.
Zweitens bietet Hochschild mit ihrem Konzept der „aktiven“ Arbeit im Gegensatz zu Mills eine bestechende Analyse der konstitutiven Effekte der immateriellen Arbeit. Mills erkannte die z.B. von der Verkäuferin zur Schau gestellten fachkundigen Praktiken nicht, die er auf die allgemeine und pejorative Kategorie der Manipulation – auf das räuberische Benehmen – reduzierte: „Wie moderne Machiavellis im Kleinformat stellen die modernen Angestellten ihr Geschick im Umgang mit Menschen gegen kleines Entgelt in den Dienst anderer“ (Mills, 1951: xvii; dt. 1955: 21). Darüber hinaus verstand er den Arbeitsprozess nicht wirklich als Prozess der Subjektivierung, geschweige denn die spezifische Performativität von Gefühlsarbeit. Was für Mills allein die Produktion von Unaufrichtigkeit in diesen modernen Zeiten der „Käuflichkeit“ (Mills, 1951: 161; dt. 1955: 226) war, wird von Hochschilds Zugang für seine hochgradig konstitutiven Effekte anerkannt. Wie Hochschild erklärt, geht es hierbei nicht nur darum, dass die Gefühlsarbeiterin etwas zu sein scheint, sondern auch um ihr Werden; die Arbeit erfordert nicht nur den Gebrauch, sondern die Produktion von Subjektivität. Wenn also z.B. die emotionale Oberfläche der Arbeiterin Teil dessen ist, was in der Dienstleistungsarbeit verkauft wird, wird „[d]er Schein ‚die Arbeit zu lieben‘ selbst zum Teil der Arbeit“; darüber hinaus jedoch „helfen die Bemühungen, ihn zu lieben und sich über die Kunden zu freuen, den Angestellten bei ihrem Job“ (Hochschild, 1983: 6; dt.: 2006: 29). Tatsächlich sind die Auswirkungen dieser Arbeit, die eine Koordination von Verstand und Gefühl verlangt und „dabei zuweilen auf eine Quelle des Selbst zurück(greift), die wir als tief in unserer Persönlichkeit verankerten Bestandteil unserer Individualität hoch bewerten“ (Hochschild, 1983: 7; dt.: 2006: 31), nicht nur beschränkt auf das, was wir tun oder denken, auf die körperliche Gesundheit und Energie oder die Gedanken des Verstandes. Die Auswirkungen erstrecken sich auf das affektive Leben des Subjekts, greifen in das Gewebe der Persönlichkeit hinein.[7] In Hochschilds Terminologie ausgedrückt, ist nicht nur das „Oberflächenhandeln“ sondern auch das „innere Handeln“ beteiligt: Praxen, die einen transformativen Effekt auf die/den Handelnde/n haben. Die Frage, die Hochschilds Untersuchung leitet und auch heute noch von entscheidender Bedeutung bleibt, fragt danach, was mit den Individuen und sozialen Beziehungen geschieht, wenn Techniken des inneren Handelns durch das Kapital und für seine Zwecke nutzbar gemacht werden.[8]
Auch Gender wird produziert und ist produktiv, wenn Persönlichkeit in die Arbeit eingebracht wird. Wie Hochschild unterstreicht, sind Persönlichkeiten geschlechtlich normiert, was einen Teil ihres Wertes für die Arbeitgeber darstellt. Obwohl Mills berichtete, dass 1940 Frauen 41% der White Collar Angestellten ausmachten (1951: 74-75; dt. 1955: 114-115), schien er die Bedeutung dieses hohen Frauenanteils im Hinblick auf die Geschlechtlichkeit der postindustriellen Lohnarbeit nicht zu erfassen. Das heißt jedoch nicht, dass Mills das Geschlecht ignorierte oder sich einer geschlechtlichen Rhetorik enthielt. Tatsächlich ruft er eine betrogene Männlichkeit an, um seiner Kritik des „kleinen Mannes“ mit dem weißen Kragen mehr Schlagkraft zu verleihen, indem er in die Kerbe eines nostalgischen Ideals männlicher Autorität schlägt, um die Realität der Machtlosigkeit und Unterordnung der neuen Arbeiter zu beleuchten. Vermittels von Metaphern der Entmännlichung werden die Mitglieder der White Collar „Avantgarde“ in scharfem Gegensatz zu einem Bild des heroischen Proletariats als „politische(n) Eunuchen, die kraftlos (without potency) und gleichgültig der zwingenden Notwendigkeit eines politischen Machtkampfes gegenüberstehen“ (1951: xviii; dt. 1955: 24), charakterisiert. Soweit er also eine Verschiebung der Geschlechtlichkeit in der Arbeit wahrnimmt, stellt er diese als Ent-Geschlechtlichung und nicht als Veränderung der Geschlechtlichkeit dar. Wie Hochschild so eindringlich dokumentiert, wird das Geschlecht der ArbeiterInnen – feminisierte FlugbegleiterInnen und maskulinisierte Inkassobeauftragte in ihrer Studie – nicht so sehr beeinträchtigt, als vielmehr geformt und ins Werk gesetzt.
Die Entfremdung der immateriellen Arbeit
Trotz ihrer unterschiedlichen Analysen bedienen sich Mills und Hochschild sehr ähnlicher kritischer Strategien, denen beiden eine marxistische Analyse der entfremdeten Arbeit zugrunde liegt, um eine Perspektive auf diese neuen Formen der kognitiven, kommunikativen und affektiven Arbeit zu entwerfen. Beide weiten die bekannte Kritik von Marx an der industriellen Fabrikproduktion – die die ArbeiterInnen ihrem Produkt, ihrem Arbeitsprozess, ihrem Selbst und anderem mehr entfremdet – auf neue Formen der relativ gut bezahlten Arbeit mit hohem Status aus. „Nicht nur die Lohnarbeiterschaft hat heute unter den entfremdenden Tendenzen der modernen Arbeitsverhältnisse zu leiden“, stellt Mills fest, „sondern auch die Angestellten“ (1951: 227; dt. 1955: 312). Hochschild zufolge liegt bei den manuellen und emotionalen Formen der Arbeit eine Ähnlichkeit in den möglichen Kosten des Arbeitens vor: Die ArbeiterIn kann einem Aspekt ihres Selbst, das in die Arbeit eingebracht wird – entweder der Körper oder die Randzonen der Seele –, entfremdet werden (1983: 7; dt.: 2006: 31). Gemeinsam stellen sie die bestechende These auf, dass die Kritik der entfremdeten Arbeit auf die Bedingungen der immateriellen Arbeit sogar noch besser zutrifft, als es bei der industriellen Produktion je der Fall gewesen ist. Die Entfremdung der immateriellen ArbeiterInnen von ihrem Produkt und dem Arbeitsprozess ist der Erfahrung in der Industriearbeit vergleichbar. Arbeit jedoch, die die Anwendung und Anpassung von Persönlichkeit erfordert, birgt die Gefahr in sich, „zu äußerster Selbstentfremdung und auch zur gesellschaftlichen Entfremdung“ (Mills, 1951: 225; dt. 1955: 309) zu führen. Auch Hochschild zielt genau auf die Möglichkeit der Selbstentfremdung und der gesellschaftlichen Entfremdung ab, auf die Konsequenzen für das Selbstverständnis des Individuums und für die Qualität der sozialen Interaktionen, wenn das „psychologische Geschick der ArbeiterInnen“ (1983: 185; in der dt. Ausgabe nicht vorhanden)[9] dem Wertgesetz und somit dem Diktat des Kommandos und der Durchsetzung der Standardisierung unterworfen ist. „Die Entfremdung von der Darstellung, von den Gefühlen und davon, was Gefühle uns sagen können, ist nicht einfach das berufliche Risiko einiger weniger“, stellt sie fest; vielmehr „hat sich diese selbst fest in der Kultur als permanent vorstellbar verankert“ (1983: 189; in der dt. Ausgabe nicht vorhanden). Mit der wachsenden gegenseitigen Durchdringung von Produktion und Tausch – von machen, dienen und verkaufen – sind die Probleme der Selbstentfremdung und des gesellschaftlichen Zynismus zunehmend miteinander verknüpft. „So werden die Menschen (Männer)[10] [sic] einander entfremdet, weil jeder heimlich versucht, den anderen als Werkzeug zu benutzen. Und eines Tages schließt sich dann der Kreis: man macht aus sich selbst ein Werkzeug und entfremdet sich damit der eigenen Seele“ (Mills, 1951: 188; dt. 1955: 262).
Wieder einmal jedoch erweist sich Hochschilds Zugang als zeitgemäßer. Mills nutzt die Kritik der entfremdeten Arbeit, um ein Argument anzubringen, das einer der Behauptungen von Marx sehr ähnlich ist, nämlich dass es das Problem der Arbeit sei, dass sie zu wenige unserer Fertigkeiten und kreativen Fähigkeiten erfordere. Durch „Verzicht auf mögliche schöpferische Leistungen, (…) Langeweile und Vernachlässigung der besten Fähigkeiten“ bleibt uns nichts anderes übrig, als Sinn in Freizeitaktivitäten zu finden (Mills, 1951: 236; dt. 1955: 324). „Täglich verkaufen die Menschen (Männer) Teile ihrer selbst, um des abends oder am Wochenende zu versuchen, das Fehlende durch ‚Spaß‘ zurückzukaufen“ (1951: 237; dt. 1955: 325). Dieser Fokus auf das Problem der Arbeit, die das Selbst nicht ausreichend in Gang setzt, war auch jene Version der Kritik der Entfremdung, die ihren Weg in den 1970er Jahren in den populären öffentlichen Diskurs in den USA fand. Die neuen Managementmethoden, die schließlich in den 1980er Jahren als Heilmittel gepriesen wurden – und versprachen, eine Arbeitskultur zu schaffen, die größeren Einsatz erwarten, Loyalität hervorrufen und kreative Initiative honorieren würde –, schufen ein völlig neues Set von Problemen. Hochschild, die im Kontext einer weiter entwickelten Dienstleistungsökonomie schreibt, sieht, was Mills noch nicht erfassen konnte: Wenn die ArbeiterInnen „ein Lächeln, eine Stimmung, ein Gefühl oder eine Beziehung“ (Hochschild, 1983: 198; dt.: 2006: 155) unter Kommando zum Verkauf anbieten, dann kann es sein, dass die Arbeit nicht zu wenig, sondern zu viel an Selbst verlangt. Demzufolge müssen wir uns den Modi zuwenden, in denen die Arbeit uns also nicht nur einfach den Nicht-Arbeit-Zwecken überlässt, sondern von den Subjekten in die Zeitordnungen, Subjektivitäten und Sozialitäten der Nicht-Arbeit hineingetragen wird. Hochschilds Analyse erstreckt sich also auch auf die Kolonialisierung des Lebens durch die Arbeit, statt ausschließlich auf die übliche Kritik der Kolonialisierung des Lebens durch den Markt – z.B. mittels Kritik der Konsumkultur – abzuzielen.
Irgendwann erweist sich jedoch die Kritik der Entfremdung als problematisch. Beide AutorInnen sind sich der klassischen Grenzen der Theorie der Entfremdung, wie sie im humanistischen Marxismus entwickelt wurde, sehr wohl bewusst: der Verknüpfung der Kritik mit einem nostalgischen Ideal von vorindustrieller handwerklicher Arbeit und mit einer essentialistischen Ontologie der Arbeit. So misstrauisch sie gegenüber diesen Tropen sein mögen, würde ich dennoch argumentieren, dass sie diese, oder Varianten davon, immer noch als Standards, an denen die Entfremdung der Arbeit im heutigen Kontext zu messen ist, entfalten. Genauso wie im Fall der Standpunkttheoretikerinnen, die ihre kritischen Analysen in einem reproduktiven Außen gründen, stützen sich auch diese AutorInnen auf ein Außen – in diesem Fall sowohl ein Ort der nicht entfremdeten Arbeit als auch ein Modell des seiner Entfremdung vorgängigen Selbst –, um ihre Kritik mit Leben zu erfüllen.
Der erste dieser traditionellen Fixpunkte der Kritik der Entfremdung war, was Mills als das Ideal der Kunstfertigkeit (1951: 220; dt. 1955: 303) beschrieb, als Standard dessen, was Arbeit sein sollte, und Maßstab, gegen den die neuen Formen der Arbeit beurteilt werden könnten. Obwohl Mills sehr sorgfältig vorgeht, wenn er die Bedingungen der postindustriellen White Collar Arbeit gegen ein essentielles vorindustrielles Ideal der handwerklichen Produktion misst, hegt er keinerlei Illusionen gegenüber der zeitgenössischen Resonanz dieses Ideals. Er weiß, dass – da die ArbeiterInnen selbst keine Erinnerung an die Welt der Arbeit haben, gegen welche die Gegenwart beurteilt wird – die Kritik wenig praktische Konsequenz für die Arbeitskraft des 20. Jahrhunderts hat. „Nur der Phantasie des Historikers ist es möglich, solche Vergleiche anzustellen, als ob sie irgendwelche psychologische Bedeutung hätten“ (1951: 228; dt. 1955: 313). Da jedoch die Distanz zwischen diesem oft zitierten Ideal der nicht entfremdeten Arbeit und der heutigen Realität sogar noch größer geworden ist, hat sich die klassische Kritik der entfremdeten Arbeit, die auf einem historischen Außen basiert, das nicht länger erinnert wird, aus der politischen Relevanz verflüchtigt.[11]
Im Gegensatz dazu blickt Hochschild nicht zurück, um ein Ideal mit kritischer Hebelwirkung zu finden. Stattdessen findet sie einen Standpunkt im privaten Bereich, von dem aus die Bedingungen der emotionalen Arbeit zu beurteilen sind; in Praxisformen, Subjektivitäten und Beziehungen, die – wie sie vorschlägt – nicht in der gleichen Art oder im gleichen Ausmaß den Verengungen der kapitalistischen Verwertung unterworfen sind. Diese Unterscheidung öffentlich-privat war tatsächlich zentral in der ursprünglichen Kritik von Marx. Die Irritationen von privat und öffentlich – sich in der Nicht-Arbeit zu Hause fühlen und sich in der Arbeit nicht zu Hause fühlen – waren bei Marx als eines der hervorstechendsten Symptome der Entfremdung der Arbeit präsent.[12] In seiner Darstellung des „big split“ zwischen Leben und Arbeit gibt Mills diese Analyse sehr getreu wieder. Unsere Unzufriedenheit in der Arbeit, behauptet Mills, führt uns zu Überaktivität in der Freizeit und im Konsum. Hochschilds Analyse hingegen beruht zwar auf dieser Unterscheidung privat-öffentlich, bringt sie jedoch gleichzeitig auch durcheinander. Auf der einen Seite richtet sie ihre kritische Aufmerksamkeit auf die Verwandlung eines privaten emotionalen Systems in ein öffentliches, wobei sie darauf achtet, was passiert, wenn „Gefühlsarbeit, Gefühlsnormen und soziale Interaktion aus dem privaten Bereich herausgelöst und in einen öffentlichen eingebracht werden, wo sie weiterentwickelt, standardisiert und der hierarchischen Kontrolle unterworfen werden“ (1983: 153; in der dt. Fassung nicht vorhanden).[13] Auf der anderen Seite untergräbt sie eben diese Unterscheidung zwischen den gesellschaftlichen Sphären selbst, auf die ihre Kritik angewiesen ist, sehr wirkungsvoll. Hochschild ist kritisch gegenüber dem, was passiert, wenn das private Gefühlsmanagement in der öffentlichen Sphäre für die Zwecke des Profits gesellschaftlich organisiert wird, während sie zugleich auch erkennt, dass das private Reich der Gefühle ebenfalls der Durchsetzung von standardisierten Gefühlsnormen, der Instrumentalisierung von Affekten und Ungleichheiten im emotionalen Austausch unterworfen ist. Die Unterschiede zwischen den privaten und öffentlichen Instanzen der emotionalen Arbeit – die Behauptung z.B., dass wir im Privatleben frei seien, emotionale Tauschverhältnisse zu verhandeln, die wir im öffentlichen Bereich der Arbeit oft gezwungen seien zu akzeptieren (1983: 85; dt.: 2006: 94) – werden von ihren eigenen scharfsinnigen Beobachtungen über das soziale Management und geschlechtliche Hierarchien in den so genannten privaten Beziehungen irritiert. Der private Bereich dient mithin als Alternative zum kapitalistischen Markt, zugleich werden jedoch die Kriterien der Unterscheidung von diesem Markt in Frage gestellt.
Traditionellerweise wird die Kritik der entfremdeten Arbeit noch in einem zweiten Außen verankert – nicht nur in einem spezifischen Ideal der nicht entfremdeten Arbeit, sondern in einem bestimmten Modell des arbeitenden Selbst, von dem wir entfremdet sind und in das wir wieder eingesetzt werden sollten. Beide AutorInnen sind dem Essentialismus dieses Zugangs gegenüber misstrauisch. Mills weigert sich, seine Analyse auf „die metaphysische Ansicht (…), dass das eigentliche Wesen des Menschen (Mannes) seinen stärksten Ausdruck in einer Arbeitstätigkeit findet“ (1951: 225; dt. 1955: 309), zu gründen, und Hochschild vermeidet es, ihre Kritik an die Authentizität von Gefühlen zu binden, indem sie darauf besteht, dass diese niemals unabhängig von Akten des Managements und folglich immer schon gesellschaftlich sind (1983: 17-18; dt.: 2006: 41). Trotz dieser Bedenken und Vorsichtsmaßnahmen bleibt jedoch die Tatsache bestehen, dass die Kritik der Entfremdung damit arbeitet, ein gegebenes Selbst zu evozieren, wobei unsere Entfremdung von eben jenem eine zwingende Krise hervorruft. Mills behauptet die Möglichkeit einer Strategie der Kritik ohne Zuhilfenahme einer Metaphysik der Arbeit, allerdings tendiert er dazu, eine Ontologie des liberalen Individuums anzurufen, um seine Kritik des Schicksals des „kleinen Mannes“ mit Leben zu erfüllen. Ebenso findet sich – wieder einmal – in den Kernaussagen der Analyse Hochschilds ein Spannungsverhältnis: Sie beharrt auf der sozialen Konstruktion und Formbarkeit der Gefühle, während sie diese zugleich auch als solchermaßen fundamental für das Selbst postuliert, dass ihre Entfremdung ein Problem darstellt. Ihre Strategie, Referenzen auf das „reale“, „wahre“ und „authentische“ Selbst unter Anführungszeichen zu setzen, dient paradoxerweise der – wenngleich sehr produktiven – Problematisierung genau jenes Essentialismus, von dem ihre Analyse nichtsdestotrotz abhängt. Mit anderen Worten, ihre Argumentation ist von einem Ideal des „nicht gemanagten (gekauften) Herzen“ mit Leben erfüllt – das entweder mit einer separaten privaten Welt der emotionalen Praxis und des emotionalen Kontakts oder mit der Erfahrung eines „wahres“ Selbst assoziiert wird –, dessen Möglichkeit ihre Argumentation gleichzeitig leugnet. Sowohl Mills als auch Hochschild erkennen mithin die Grenzen von kritischen Strategien, die auf nostalgischen Idealen von Arbeit und essentialistischen Modellen des Selbst beruhen, enden jedoch letztendlich bei deren Reproduktion.
Leben, Arbeit und die Logik der immanenten Kritik
Im Zuge der Diskussion dieser beiden Traditionen haben wir einige wichtige Einsichten geborgen und einige wesentliche Probleme frei gelegt. Wenn wir uns zunächst ihren vielen noch gültigen Ansatzpunkten zuwenden, möchte ich die sozialistisch feministische Betonung des Widerspruchs zwischen Akkumulation und gesellschaftlicher Reproduktion erwähnen, sowohl in seinem funktionalen Moment als Art und Weise der Realisierung und Aufrechterhaltung der Ausbeutung der Arbeit als auch in seinem potentiell dysfunktionalen Moment als Ort des Antagonismus. Als Ergebnis des Rückblicks auf die Analysen der White Collar und Pink Collar Arbeit von Mills und Hochschild ist es deren Fokus auf den Einfluss dieser Formen von Arbeit auf die Subjektivität, der meiner Ansicht nach von besonderer Relevanz für die Gegenwart bleibt. Hochschilds Analyse der konstitutiven Effekte der affektiven Arbeit und der Kolonisierung des Lebens durch die Arbeit ist meiner Meinung nach von besonderer Bedeutung für das heutige Projekt der Kartierung der Organisation der immateriellen/affektiven Arbeit und der Auseinandersetzung mit derselben. Und schließlich werden wir sowohl von Hochschild als auch von der sozialistisch feministischen Tradition an die Notwendigkeit erinnert, der weiterhin existierenden Produktion von Gender und geschlechtlicher Arbeitsteilung in der affektiven Arbeit – in ihrer bezahlten ebenso wie in ihrer unbezahlten Form – Aufmerksamkeit zu widmen.
Trotz ihrer vielen heute noch gültigen Ansatzpunkte erweisen sich diese älteren Kritiken der Reproduktionsarbeit und der emotionalen Arbeit jedoch nur begrenzt als richtungweisend für künftige Interventionen. Aufgrund der Fundierung ihrer Analysen in den jeweiligen Logiken von getrennten Sphären und entfremdeter Arbeit beziehen sich beide auf einen Standpunkt, der in einem Außen verortet ist: in einem Ort, der vom Kapitalismus selbst getrennt existiert, oder in einem Modell des Selbst, das seiner Entfremdung vorgängig ist, d.h. in irgend einer Art von räumlicher oder ontologischer Position der Exteriorität.
Wie ich allerdings bereits zuvor festgestellt habe, sind die Schwächen dieser kritischen Strategien ebenso lehrreich wie ihre Stärken. Tatsächlich ist vielleicht die wichtigste Lektion, die aus dieser genealogischen Übung gezogen werden kann, ein klareres Erkennen unseres heutigen Dilemmas. Ist das Modell der getrennten Sphären einmal nicht mehr aufrechtzuerhalten, stellt sich das Problem, wie eine Politik in Abwesenheit eines Außen, in dem diese verortet ist, definiert werden kann. Könnten andere Versionen dieser kritischen Strategien entwickelt werden, die nicht auf einer Existenzweise oder einem Subjektmodell außerhalb des Kapitals basieren? Wie könnten die Begriffe einer immanenten Kritik der Arbeit und des Widerstands gegen die postfordistische Organisation der Arbeit konzipiert werden? Wenn, wie Hardt und Negri argumentieren, „sich kein Zeichen, kein Subjekt, kein Wert, keine Praxis mehr ausmachen (lassen), die ‚außerhalb‘ liegen“ (2000: 385; dt. 2002: 392), auf welcher Grundlage könnte dann ein kritischer Standpunkt eingenommen werden? Auf welchen Wegen kann eine Theorie des Handelns vorangebracht werden, ohne ein Modell des Subjekts zu entfalten, wie es vermutlicherweise einmal war oder jetzt außerhalb der Reichweite des Kapitals existiert? In den Worten Judith Butlers ausgedrückt: „Gibt es einen Weg, Komplizenschaft als Grundlage der politischen Handlungsfähigkeit zu nehmen und zugleich daran festzuhalten, dass politische Handlungsfähigkeit mehr kann als die Wiederholung der Unterordnungsbedingungen?“ (1997: 29-30; dt. 2001: 33) Und nicht zuletzt stellt sich das feministische Problem, wie die geschlechtlichen Arbeitsteilungen im Hinblick auf die Konstruktion von Subjektivitäten und Hierarchien sichtbar gemacht und bekämpft werden können, ohne naturalisierte Modelle eines Geschlechterdualismus zu reproduzieren und auf den ausgetretenen Pfaden der Identitätspolitik stecken zu bleiben.
Der hartnäckige Fokus des sozialistischen Feminismus auf die Antagonismen, die in der Überschneidung von Kapitalakkumulation und gesellschaftlicher Reproduktion entstehen, kann immer noch als überzeugender Ausgangspunkt fungieren.[14] Die sich manchmal widersprechenden Erfordernisse der Mehrwertschöpfung und der Aufrechterhaltung der Verhältnisse der Vergesellschaftung, von denen erstere abhängt, geben Anlass zu einer Reihe von Problemen, deren Analyse wichtige kritische Hebel erbringen kann. Diese Problematik diente z.B. der Formulierung von dringlichen Fragen über den relativen Wert von Arbeitspraxen, u.a. insbesondere der Frage nach der Unterbewertung von bezahlten ebenso wie unbezahlten Care-Tätigkeiten bezogen auf das Erbe von geschlechtlichen und rassifizierten Zuschreibungen. Ist jedoch einmal „das gesellschaftliche Leben selbst zu einer produktiven Maschine“ (Hardt/Negri, 2004: 148; dt.: 2004: 169) geworden, müssen die Begrifflichkeiten dieser Unterscheidung und ihrer Konflikte komplexer – als früher vorgestellt – gefasst werden. In Kontexten, in denen Reproduktion nicht mehr mit einem spezifischen Raum oder einem bestimmten Set von Praxisformen identifizierbar ist und die Grenzen zur Produktion durchlässiger werden, besteht die Notwendigkeit der Suche nach neuen Wegen, um den Antagonismus zu setzen und sich kritische Ansatzpunkte zu erarbeiten.
Ich möchte – wenn auch nur kurz umrissen und spekulativ – die Grundzüge einer solchen alternativen Strategie vorschlagen. Vielleicht sollten wir die frühere Trennung von Reproduktion und Produktion durch die Unterscheidung zwischen Leben und Arbeit ersetzen? Wie könnte uns diese andere Art und Weise der Kartierung des Terrains der kapitalistischen Verhältnisse sowie der Risse und Bruchlinien von Antagonismen helfen, die Begriffe der politischen Analyse zu verschieben? Meiner Ansicht nach ist ein solcher Bezugsrahmen potentiell produktiv. Erstens hat der Begriff „Leben“ – verglichen mit der Kategorie der Reproduktion – den Vorteil, umfassender zu sein. Als weiter gefasste Kategorie birgt er nicht das Risiko, die für das soziale Leben konstitutiven Praxisformen in den Raum des Haushalts einzuschließen oder – sogar noch enger – sie mit der Institution der Familie gleichzusetzen. Mithin ist der politische Kampf, der das Leben gegen die Arbeit setzt, weniger leicht mit dem Projekt der Wiederaufwertung der privaten Welt der Familie und der Verteidigung ihrer traditionellen Werte zu identifizieren und darauf zu reduzieren.
Wichtiger jedoch für unsere Diskussion hier ist die Frage, ob die kritische Unterscheidung zwischen Leben und Arbeit vielleicht der besseren Erfassung einer der Schlüsseleinsichten über Arbeit und die Konstruktion von Subjektivitäten dienen kann, die wir aus den Analysen von Mills und speziell von Hochschild gewinnen. Wenn wir einmal anerkennen, dass Arbeit Subjekte produziert, so werden die Grenzen dieser Arbeit in Frage gestellt. Nicht nur, dass Arbeit und Leben nicht auf besondere Orte beschränkt werden können, durchdringen sich Arbeit und Leben aus der Perspektive der Produktion von Subjektivität gegenseitig durch und durch. Die in der Arbeit geformten Subjektivitäten bleiben nicht in der Arbeit, sondern bewohnen alle Räume und Zeiten der Nicht-Arbeit und umgekehrt. Wer wir in der Arbeit und im Leben werden, ist wechselseitig konstitutiv. Es gibt keine Position der Exteriorität in diesem Sinn; Arbeit ist ganz klar Teil des Lebens und Leben Teil der Arbeit.
Das bedeutet allerdings nicht, dass Arbeit und Leben ununterscheidbar wären. Tatsächlich wird die Rede von der Arbeit und vom Leben auch allgemein benutzt, um die Begriffe des Konflikts zwischen ihnen zu setzen. Betrachten wir die Wahrnehmung, dass jemand, die/der zu viel arbeitet, mehr „Leben bräuchte“. Auf welche Unterscheidung und welchen Antagonismus zwischen Arbeit und Leben wird in dieser Aussage Bezug genommen? Es geht nicht notwendigerweise darum, etwas zu bekommen, das nicht vorhanden ist; vermutlich hat die betreffende Person schon ein Leben. Noch geht es notwendigerweise um das Beteiligtsein an anderen Tätigkeiten als in der Arbeit. Wenn die eigene Arbeit z.B. die Ausübung affektiver Tätigkeiten beinhaltet, um soziale Beziehungen zu KlientInnen oder KundInnen herzustellen, und der Wunsch danach besteht, dies auch in der Nicht-Arbeitszeit mit der Familie oder FreundInnen zu tun, dann meint „mehr leben können“ nicht, etwas tun zu können, was bei der Arbeit nicht getan werden kann. Eher scheint es, dass sich solch populäre Begriffe der Entgegensetzung in erster Linie auf den Wunsch nach Erlangung oder Vergrößerung der Qualität des Lebens beziehen.
Was passiert, wenn wir diese allgemein bekannte Demarkationslinie zur Basis eines politischen Projekts machen? Könnte dieser Begriff eines Lebens, das begehrt werden könnte – das sich von der Arbeit unterscheidet und mit dieser in Konflikt steht –, auf eine Art entwickelt werden, die in die Richtung eines Befreiungsprojekts weist? Eines Projekts, das Verhältnisse anstrebt, die von Gleichheit und Autonomie anstelle von Hierarchie und Kommando geprägt sind? Insoweit es als immanenter kritischer Standpunkt dienen könnte, wäre das Leben vollständig in die Arbeit involviert, zugleich nichtsdestotrotz potentiell gegen die Räume, Verhältnisse und Zeitordnungen gesetzt, die jetzt von der Arbeit dominiert werden.[15]
Es bleibt jedoch die Frage, wie die Produktion der geschlechtlichen Organisation der Arbeit innerhalb dieses Rahmens beschrieben und in Frage gestellt werden kann. Die begriffliche Teilung Produktion/Reproduktion wurde entworfen, um Aufmerksamkeit auf die geschlechtliche Spaltung zwischen entlohnter und nicht entlohnter Dienstleistungsarbeit zu ziehen, wenn auch nicht immer in Begriffen, die der Gleichsetzung von Reproduktion mit der häuslichen Sphäre und „Frauenarbeit“ entkommen konnten. Damit dieses alternative Bezugssystem einem feministischen Projekt dienen kann, müssen die geschlechtlichen Hierarchien und Arbeitsteilungen sowohl in der Arbeit als auch im Leben sichtbar und zum Thema der Auseinandersetzung gemacht werden. Die Begriffe für sich selbst sichern keinen feministischen Inhalt von Untersuchungen, die in ihrem Namen geführt werden. Aber vielleicht könnten wir die Unterscheidung zwischen Leben und Arbeit dazu nutzen, wichtige Fragen z.B. über den Status und die Organisation – einschließlich der geschlechtlichen Teilung – von nicht entlohnten Haushalts- und Care-Tätigkeiten zu stellen: Wo könnte in diesem Fall die Grenze zwischen Arbeit und Leben gezogen werden? Was als Arbeit und was als Leben zählt – und die Grenze, die dazwischen liegt –, ist nicht vorgegeben, sondern vielmehr Gegenstand der politischen Bestimmung und, so würde ich hinzufügen, wichtiger Brennpunkt feministischer Kämpfe. Das bedeutet meiner Ansicht nach, dass mit der zunehmenden Integration von Frauen in die Lohnarbeit im Postfordismus und der Reprivatisierung von Hausarbeit im Neoliberalismus das Projekt der Sichtbarmachung und Bekämpfung von geschlechtlichen, rassifizierten und internationalen Teilungen der Hausarbeit nun schwieriger geworden ist (vgl. B. Young, 2001).
Um auf das Erbe der Untersuchungen von Mills und Hochschild zurückzukommen, so denke ich, dass ihre Analysen der Auswirkungen der Märkte und der Prozesse der immateriellen Arbeit auf Individuen und die Gesellschaft die fortbestehende Bedeutung eines kritischen Standpunkts nahe legen, der in einem Diskurs über Subjektivität verwurzelt ist und sich auf eine Vorstellung eines alternativen Modells des Subjekts bezieht. Die gegenwärtige Expansion der affektiven Formen der Arbeit macht diese kritischen Untersuchungen der Auswirkungen der affektiven Arbeit darauf, wer wir als emotionale ArbeiterInnen auf dem „Markt der Persönlichkeit“ werden, und auf die Textur und Qualität von sozialen Beziehungen im „großen Verkaufsraum“ nur umso dringlicher. Wenn wir einmal die konstitutive Macht von Arbeit im affektiven Modus anerkennen, wenn es Subjektivität ist, die angestellt und gemanagt wird, und in der Arbeit „statt Aufgaben und Abläufen (…) die Subjektivitäten selbst bestimmt und vorgezeichnet“ werden (Lazzarato, 1996: 135; dt. 1998: 42), werden Fragen danach, wie regiert wird und wer wir werden, ausschlaggebend. Das Problem besteht meiner Ansicht nach darin, wie die kritische Aufmerksamkeit auf Arbeit als Mechanismus der Subjektivierung ohne den begrifflichen Apparat der Entfremdung sowie die Unterscheidung zwischen Existenz und Essenz, auf der dieser offensichtlich beruht, zu fokussieren ist. Wie könnten kritische Beurteilungsmethoden dessen, was wir in und durch die Arbeit werden, formuliert werden, ohne sich auf ein gegebenes Modell dessen zu berufen, was wir wirklich sind?
Ein Zugang könnte sein, den kritischen Standpunkt auf Subjektivität zu gründen – nicht in der Behauptung eines wahren oder essentiellen Selbst, sondern in einem potentiellen Selbst. Was, wenn wir dieses alternative Modell von Subjektivität, aus dessen Perspektive existierende Modelle kritisch beurteilt werden können, nicht auf bereits existierende, sondern auf potentiell werden könnende Subjektivitäten bezogen denken? Wenn einmal der zeitliche Horizont einer möglichen Zukunft die räumlichen Grenzen einer existierenden Sphäre der Praxis oder eines Identitätsmodells ersetzt, könnte der Standard, gegen den die Gegenwart beurteilt wird, auf Visionen dessen erweitert werden, was wir wollen könnten – über die Verteidigung dessen, was wir bereits haben, wissen oder sind, hinaus. Das Selbst in der Arbeit könnte also gegen ein Selbst beurteilt werden, das mensch zu werden wünschen könnte, und sowohl Arbeits- als auch Nicht-Arbeitszeit könnten im Licht der Möglichkeit, anders zu werden, betrachtet werden. Was, wenn die Kritik, die rund um die Logik der Entfremdung entwickelt worden ist, so recodiert werden würde, dass sie sich nicht länger auf ein zu rettendes oder wieder zu entdeckendes, sondern auf ein zu erfindendes Selbst bezieht?
Wieder einmal stellt sich allerdings die Frage, was mit dem Geschlecht passiert, wenn der diskursive Rahmen der Analyse in dieser Art verschoben wird. Solange Arbeit durch Gender Bedeutung erhält und gespalten wird, muss die Kritik der Arbeit als Modus der Subjektivierung ein feministisches Projekt sein. Was dieser Zugang jedoch in Frage stellt, ist die Eignung von Geschlechtsidentität als Basis für politische Forderungen und als Mittel der politischen Mobilisierung. Viele haben, speziell im Zusammenhang mit Sexualität und Race, die Probleme dieser Modelle feministischer Identitätspolitik, die die Gefahr in sich bergen, ausschließende und normative Geschlechtermodelle abermals zu verstärken, herausgestrichen. Aber was, wenn feministische politische Analysen und Projekte nicht auf Behauptungen darüber beschränkt wären, wer wir als Frauen oder als Männer sind, oder eben darüber, dass die Identitäten durch das, was wir tun, produziert werden, sondern der Akzent auf kollektiv imaginierte Visionen dessen gelegt werden würde, was wir sein oder tun wollen? Die Konfrontation mit der fortbestehenden Produktion von Geschlechtlichkeit (in) der Arbeit sowie ihrer Subjekte wäre dann eher eine Frage des Ausdrucks von feministischem politischem Begehren als ein Wiederholen von Geschlechtsidentitäten.[16]
Nicht von einem wahren Selbst versus seiner entfremdeten Form oder von einer von der eigentlichen kapitalistischen Produktion getrennten reproduktiven Tätigkeitssphäre müsste eine alternative kritische Strategie ausgehen, sondern vielmehr von der Unterscheidung von Leben und Arbeit und einer Vision dessen, was Subjekte in Hinblick darauf werden könnten – im Gegensatz zu dem, was sie sind. Das wären, kurz gesagt, kritische Standpunkte, die nicht in getrennten Sphären oder Praktiken begründet sind, sondern in der Möglichkeit verschiedener Qualitäten von Leben; nicht in einer Behauptung darüber, wer wir sind, sondern eher in einer Vision dessen, wer wir werden wollen könnten; nicht in einer Essenz, sondern in einer Logik des politischen Begehrens, das der Existenz immanent ist. Diese biopolitischen Standpunkte könnten somit möglicherweise in Richtung neuer viel versprechender Linien kritischer Erkenntnis weisen und zwingendere politische Antworten auf die Organisation der Arbeit im Postfordismus bereitstellen.
Kathi Weeks hat Politikwissenschaften an der University of Washington studiert und ist zurzeit Dozentin im „Women’s Studies Program“ an der Duke University in Durham (North Carolina/USA).
Die Originalversion dieses Essays erschien unter dem Titel „Life Within and Against Work: Affective Labor, Feminist Critique, and Post-Fordist Politics“ im Februar 2007 in ephemera, theory and politics in organization, volume 7, number 1: 233-249 (http://www.ephemeraweb.org/journal/7-1/7-1weeks.pdf). In der Übersetzung wurde der Text um das Abstract zu Beginn gekürzt. Die Übersetzerin und die Redaktion der Zeitschrift grundrisse danken der Autorin sowie der Redaktion von ephemera für die unkomplizierte Überlassung der Übersetzungsrechte.
Aus dem Amerikanischen von Renate Nahar
Auswahl an Publikationen:
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K. Weeks. Life within and Against Work: Affective Labor, Feminist Critique, and Post-Fordist Politics. Ephemera: Theory & Politics in Organization 7.1 (2007): 233-249.
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[1] Ein dritter Diskurs, die sozialistisch feministische Systemtheorie, die sich auf die Kartierung des Verhältnisses zwischen den Systemen des Kapitalismus und des Patriarchats konzentriert, dominierte die Periode zwischen den Hausarbeitsdebatten und der frühen Entwicklung der sozialistisch feministischen Standpunkttheorie. Für Beispiele zu den Hausarbeitsdebatten vgl. Malos (1995); für einige der ursprünglichen Beiträge zur Standpunkttheorie in seiner sozialistisch feministischen Variante vgl. Harding (2004); für Vertreterinnen der Theorie zweier Systeme vgl. Sargent (1981). Alternative Versionen dieser drei Projekte, die nicht den gleichen Beschränkungen unterworfen sind, die ich im weiteren herausarbeiten werde, und die sich heute noch als wertvoll erweisen, sind „Lohn für Hausarbeit“ (vgl. z.B. Dalla Costa/James, 1972; dt. 1973), postfordistische sozialistisch feministische Standpunkttheorie (vgl. z.B. Haraway, 1985; dt. 1995) und integrative oder intersektionale Theorie zweier Systeme (vgl. z.B. I. Young, 1981 und Glenn, 1985). Obwohl der sozialistische Feminismus weiterhin existiert, markiert die Periode von den späten 1960ern bis zu den frühen 1980ern seinen Höhepunkt.
[2] Hier stand auch folgende Frage der politischen Strategie zur Debatte: Sollten feministische Kämpfe autonom von den Organisationen und Agendas der ArbeiterInnenklasse geführt werden oder in diese integriert sein?
[3] Für einen nützlichen Überblick und eine kritische Analyse der Hausarbeitsdebatten vgl. die Einführung und den Schlussessay von Ellen Malos in Malos (1995).
[4] Vgl. z.B. die klassischen Essays von Hartsock und Rose (in: Harding, 2004). Für Beispiele dafür, wie die Standpunkttheorie nach dieser Periode weiterhin ein fruchtbarer Bezugsrahmen bleibt, vgl. die Einführung sowie die einzelnen Beiträge in Harding (2004) und Hartsock (1998).
[5] Dieses Vorhaben wurde z.B. von Haraway (1985; dt. 1995) brillant vorangetrieben, indem sie die Tradition der sozialistisch feministischen Standpunkttheorie erweiterte und transformierte.
[6] Im Vergleich der beiden Analysen ist es frappierend, wie stark der jeweilige Stil von einer eher traditionellen Zuschreibung der Geschlechtlichkeit geprägt ist. In den Texten werden völlig verschiedene affektive Register gezogen. Mills’ Studie nimmt die Form einer äußerst kritischen Entlarvung an, Hochschilds Text hingegen jene einer mitfühlenden Untersuchung; der eine Text entfaltet Leidenschaft und Empörung, wo der andere Mitleid und Besorgnis zeigt; Mills will Entrüstung in einer Zeit der politischen Gleichgültigkeit hervorrufen, während Hochschild – ganz in der Tradition des Feminismus – auf das Verhältnis zwischen dem Persönlichen und dem Politischen insistiert und auch versucht, zu Identifikation und Selbstreflexion anzuregen
[7] Der Begriff des Affekts wäre weitaus geeigneter für die Einordnung der konstitutiven Auswirkungen dieser Praxisformen in Hochschilds Analyse als jener der Emotion. Da die Kategorie des Affekts die Trennungen von Geist und Körper, von Verstand und Gefühl quert und die ontologische Eingrenzung, die diese Dichotomien ermöglicht, durcheinander bringt, kann sie die Macht des Subjektivierungseffekts besser erfassen, die von Hochschilds Analyse enthüllt wird. Darüber hinaus kann sie – als Kategorie, die die produzierten und produktiven Qualitäten des Phänomens betont – der Naturalisierung von Emotion besser widerstehen, die Hochschild in Frage stellen will. Hier wird auch einer der Vorteile sichtbar, der aus der Fokussierung auf affektive Arbeit statt auf kognitive Arbeit erwächst, wobei in Mills’ Argumentation – ebenso wir in vielen gegenwärtigen Analysen der immateriellen Arbeit – der Schwerpunkt des Öfteren auf die kognitive Arbeit gelegt wird. Noch einmal, da diese Formen der Arbeit Affekte sowohl ausdrücken als auch hervorbringen, sind ihre Auswirkungen potentiell durchdringender als solche, die nur eine potentielle Verschiebung im Bewusstsein anzuzeigen scheinen.
[8] Mithin erkennt Hochschild, dass die Herausforderung, vor die die Ideale des liberalen Individualismus durch die neue Ordnung der Arbeit gestellt wurden, nicht nur, wie Mills behauptet, daraus bestand, dass diese das unabhängige Individuum auf einen „kleinen Mann“ reduzierte, sondern eine weit tief greifendere Herausforderung der Identität war; „Das ist auch der Grund dafür, warum in dem Land, in dem das Individuum in der Öffentlichkeit besonders feierlich beschworen wird, die Menschen sich privat zu fragen beginnen (ohne diese Frage auf ihre letzte soziale Ursache zurückzuverfolgen): Was sind meine echten, wahren Gefühle, wie empfinde ich wirklich?“ (Hochschild, 1983: 198; dt.: 2006: 155).
[9] Leider fehlen in der deutschen Ausgabe weite Teile der Originalversion von „The Managed Heart“. Unglücklicherweise wurde dieser Mangel auch in der erweiterten Neuausgabe von 2006 nicht behoben.
[10] Da in der deutschen Fassung „men“ mit Menschen wiedergegeben wird, geht die Ironie in der Übersetzung der Zitate Mills’ verloren. Um die Ironie von Weeks nicht unkenntlich werden zu lassen, habe ich daher in den Zitaten Mills’ auf „Menschen“ stets (Männer) folgen lassen. (Anm.d.Ü.)
[11] Diese Position steht in Einklang mit Mills’ politischem Pessimismus und seinem Beharren darauf, dass die White Collar ArbeiterInnen eine dominante Tendenz darstellen, jedoch keine führende Position einnehmen können – eine aufstrebende Klasse, jedoch keine entstehende Avantgarde.
[12] „Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet, ist er nicht zu Haus. (…) Es kömmt daher zu dem Resultat, daß der Mensch (der Arbeiter) nur mehr in seinen tierischen Funktionen, Essen, Trinken und Zeugen, höchstens noch Wohnung, Schmuck etc., sich als freitätig fühlt und in seinen menschlichen Funktionen nur mehr als Tier.“ (Marx, 1978: 74; dt. MEW 40, Ergänzungsband 1: 514-515)
[13] Wenn man wie Hochschild einen kategorialen Gegensatz zwischen Gefühlsmanagement (emotion work or management) als privatem Akt mit Gebrauchswertcharakter und Gefühlsarbeit (emotional labor) als öffentlichem Akt mit Tauschwertcharakter postuliert, scheint dies nahe zu legen, dass diese Unterscheidung dazu dienen kann, letzteres vom Standpunkt des ersteren aus zu beurteilen (1983: 7; dt. 2006: 30).
[14] Für ein aktuelles Beispiel dieses Projekts vgl. Bakker und Gill (2004).
[15] Die Kategorie des Lebens hat hier eine kritische Funktion analog zur Philosophie Nietzsches, in der sie als Mittel dient, durch das die Kritik der asketischen Werte vorangetrieben wird; Leben wird als eine Art Stenogramm dafür verwendet, was asketische Werte – in diesem Fall Arbeit und ihre traditionelle Ethik – leugnen, und für das, was asketische Weisen der konzeptionellen und institutionellen Eingrenzung überschießt und zerreißt.
[16] Wendy Brown umreißt eine ähnliche Alternative zu feministischer Identitätspolitik, wenn sie fragt: „was, wenn wir versuchen würden, die Rede von ‚ich bin‘ … durch die Rede von ‚ich will das für uns‘ zu ersetzen?“ (1995: 75)