Honduras: Patronen statt Bohnen

Der Landkonflikt in der honduranischen Provinz Bajo Aguán eskaliert zunehmend. Polizei und Paramilitärs gehen gegen Bäuerinnen und Bauern vor

Trotz der brutalen Methoden der Großgrundbesitzer halten die Bäuerinnen und Bauern im Bajo Aguán ihren friedlichen Protest aufrecht. Der Landkonflikt verdeutlicht dabei die strukturellen Probleme von Honduras. Eine Lösung scheint unterdessen in weiter Ferne, die Regierung setzt auf Eskalation.

Neun Monate sind seit der Unterzeichnung eines Abkommens zwischen der illegitimen honduranischen Regierung und der größten BäuerInnenorganisation des Bajo Aguán, der Bäuerlichen Einheitsbewegung von Aguán (MUCA), vergangen. Der Landkonflikt in diesem Tal im Norden von Honduras hat jedoch entgegen der Erwartungen in das Abkommen jüngst ein neues Eskalationsniveau erreicht. Die idyllischen Ölpalmenhaine können dabei nicht über das Ausmaß an Gewalt hinwegtäuschen: „Letzte Woche wurden drei unserer Kollegen auf dem Weg in die Plantagen einfach erschossen“, klagt Livia Simeon vom Agrarkollektiv San Isidro.
Ein Bauer zeigt uns seine neun Schusswunden am Oberkörper, eine makabere Allegorie auf neun Monate Gewalt und Repression. In der Kooperative La Confianza erzählt Linda Castellana vom „Besuch“ der Militärs in ihrer Gemeinde: „Sie drangen in unsere Häuser ein und stahlen sämtliche Dokumente. Familienzensus, Besitzurkunden, einfach alles. Dabei bedrohten und schlugen sie uns, sagten, wir wären Hunde.“ Unter den Militärs waren auch Angehörige des privaten Sicherheitsdienstes von Miguél Facussé. Facussé ist der größte Großgrundbesitzer der Region, und gleichzeitig einer der einflussreichsten Drahtzieher des zivil-militärischen Putsches vom 28. Juni 2009.


Seine ca. 400 paramilitärisch organisierten und schwer bewaffneten Söldner agieren im Bajo Aguán wie die berüchtigten Todesschwadronen der Achtziger. Im November letzten Jahres griffen sie die Gemeinde El Tumbador an, nachdem Facussé Besitzansprüche geltend gemacht und die Räumung angeordnet hatte. Im Kugelhagel, den sie auf die zwischen die Ölpalmen flüchtenden DorfbewohnerInnen losließen, starben fünf Menschen, zwei weitere Bauern wurden nach ihrer Verschleppung Tage später mit Genickschüssen im Wald gefunden. Kurz darauf, am 21. November 2010, wurden Bäuerinnen und Bauern der Kommune Nueva Esperanza beschossen. Die Waffen dieses „Sicherheitsdienstes“: großkalibrige AK-47 Maschinengewehre, Kriegsmaterial. Längst spricht man in Honduras von der „Kolumbianisierung“ des Landkonflikts.


Schon die Verhandlungen zum Abkommen vom April letzten Jahres zwischen der Regierung von Porfirio Lobo Sosa und der BäuerInnenorganisation MUCA fanden unter militarisierten Verhältnissen statt (siehe LN 431). Mehrere Bataillone wurden in die Region mobilisiert und errichteten dort Straßensperren, führten Verhaftungen gegen MUCA-AktivistInnen durch. MUCA-Verhandler Rudy Hernández damals: „Es war ein Verhandlungsprozess, der sich in einem Szenario aus Gefahr, Drohungen und Repression entwickelte.“ Verhandelt wurde über Land, das gleichermaßen von den Bauern und den Großgrundbesitzern beansprucht wird. Das 1992 beschlossene „Modernisierungsgesetz“ und Strukturanpassungsprogramm für den Agrarsektor öffnete dem Verkauf von kommunalem und nationalem Land Tür und Tor. Seitdem hatten sich die Großgrundbesitzer ausgedehnte Landstriche angeeignet. Drohungen, Druck und Schmiergelder taten ihr übriges, um den Landkonzentrationsprozess zu beschleunigen. Mittlerweile verfügt laut der Nichtregiewungsorganisation (NRO) Oxfam in Honduras ein Prozent der Bevölkerung über 33 Prozent des fruchtbaren Landes.
MUCA fordert heute die Grundstücke zurück, die in ihren Augen illegal und unter Verletzung des Landgesetzes von 1972 verkauft wurden. Nachdem die Präsidentschaft von Manuel Zelaya die Position der Bäuerinnen und Bauern stärkte und sogar Verträge zur Landübergabe aushandelte, bedeutete der Putsch im Juni 2009 die Rückkehr zur repressiven Logik der Oligarchen. MUCA besetzte daher einige der beanspruchten Fincas, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Doch die Gewalt zwang sie, ein Abkommen mit der Regierung Lobo zu unterzeichnen, dessen Inhalt die Besitztitel der Großgrundbesitzer de facto anerkannte.


Laut Abkommen kauft die Regierung insgesamt 11.000 Hektar des Landes, das den Bäuerinnen und Bauern zur Nutzung übergeben werden soll. Den dreifach überhöhten Kaufpreis (laut Oberstem Gerichtshof) müssen die BäuerInnen allerdings in Form eines Kredites zu niedrigen Zinsen selbst tragen. „Wir verlangten von der Regierung, dass sie die abgeschlossenen Verträge mit Zelaya anerkennt. Stattdessen stecken wir nun in diesem Abkommen, das uns von heute auf morgen einen gewaltigen Schuldenberg aufbürdet“, meinte Hernández unmittelbar nach der Unterzeichnung ernüchtert.
Wie im Abkommen mit der Regierung Lobo festgehalten, sollen den Bäuerinnen und Bauern innerhalb eines Jahres 11.000 Hektar Land zugänglich gemacht werden. Dafür wird von ihnen erwartet, die übrigen besetzten Fincas freiwillig zu räumen. Vorgesehen war die sofortige Übergabe von 3.000 Hektar mit Ölpalmen bepflanzten Land. Die Übergabe weiterer 3.000 Hektar sollten nach drei Monaten und noch einmal 5.000 Hektar nach einem Jahr erfolgen. Doch von den ersten 3.000 übergebenen Hektar waren entgegen der Abmachung nur ein Drittel kultiviert. Zudem erkennt Facussé das Abkommen nicht an. Während die Bäuerinnen und Bauern begonnen haben, das Land zu bebauen, tut Facussé alles, um sie von dort wieder zu vertreiben. Der Terror seiner Privatarmee wird dabei von der Polizei im Aguán gedeckt. Uniformen wechseln schnell die Besitzer, nie ist vorhersehbar, ob in einem Polizeiwagen wirklich Polizisten sitzen oder aber vermummte Killer. Pedro Salgado von der Kommune La Confianza fragt: „Wie sollen wir unseren Teil des Abkommens einhalten, wenn die Regierung uns nach Unterzeichnung sofort wieder in den Rücken fällt? Weder die versprochene technische Unterstützung ist angekommen, noch haben wir etwas von den 3.000 weiteren versprochenen Hektar Land gesehen, die nach 90 Tagen hätten übergeben werden sollen“. MUCA forderte am 14. Dezember 2010 die Regierung in einem Kommuniqué auf, ihren Teil der Abmachung zu erfüllen: „Viel Zeit ist verstrichen und immer noch sehen wir keinerlei Fortschritt, der mangelnde Wille der Regierung ist offensichtlich.“
Tatsächlich waren die Mitglieder der MUCA nicht mit allen Punkten von Lobos Vorschlägen einverstanden. Sein Vorhaben war das einer Koinvestition, bei der Bäuerinnen und Bauern auf der einen und Unternehmer auf der anderen Seite jeweils die nötigen Investitionen tragen und eine Verbindung als GeschäftspartnerInnen eingehen. Die BäuerInnen geben ihre Ernte dann zu Fixpreisen an die Unternehmer ab. Diese kontrollieren die Weiterverarbeitung und auch die Distribution. MUCA wehrte diesen Vorschlag vorerst erfolgreich ab. Die durch das Abkommen hergestellte Kreditschuld schwächt jedoch langfristig die Position der Bäuerinnen und Bauern. Heute scheint es nicht unrealistisch, dass sie aufgrund einer finanziell prekären Situation in Zukunft dem Modell der Koinvestition doch noch zustimmen müssen.


Am 21. April 2010, wenige Tage nach dem Abkommen mit MUCA, reiste der honduranische Vizepräsident der De-facto-Regierung, Samuel Reyes, nach Mexiko, um sich dort über laufende Programme der Koinvestition zu informieren. Bei seiner Rückkehr zeigt er sich tief beeindruckt: „Durch das Modell wird den Bauern der Verkauf ihrer Ernte garantiert, und die Unternehmer, die sich der Industrialisierung widmen, verfügen zu diesem Zweck über ausreichend Rohstoffe.“
Gilberto Ríos, Exekutivsekretär von FIAN International in Honduras, einer weltweiten NRO, die sich dem Menschenrecht auf Nahrung verschrieben hat, sieht das anders: „Das System der Koinvestition ruiniert die mexikanischen BäuerInnen, bis sie schlussendlich verkaufen. Die niedrigen Fixpreise schaffen Armut und Not, während die Unternehmer hohe Gewinne mit der Verarbeitung und der Distribution der Agrarprodukte machen.“
Reyes versprach, außerdem noch nach Peru und Kolumbien reisen zu wollen, um sich über den Fortschritt der Ölpalmenpflanzungen in diesen Ländern zu informieren. Auch in Honduras solle das Modell Palmera Africana forciert werden, kündigte Reyes an. Die illegitime honduranische Regierung liegt damit ganz auf einer Linie mit der Weltbank. Sie empfiehlt allen Ländern Zentral- und Lateinamerikas Investitionen in den Export von Palmöl, um von einem weltweit wachsenden Agrospritmarkt profitieren zu können.
„Was in Honduras forciert wird, ist das alte neoliberale Konzept der Produktion für den Export bei gleichzeitigem Import von Nahrungsmitteln aus dem Ausland“, resümiert Ríos. In diese Logik reiht sich auch das im Mai 2010 in Madrid unterzeichnete Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union ein. Die EU erschließt sich damit wichtige Segmente des honduranischen Lebensmittelmarktes, etwa durch den zollfreien Handel mit Milch. Die hoch subventionierte Landwirtschaft des Wirtschaftsblockes verdrängt dabei honduranische ProduzentInnen, die mit den Dumpingpreisen der EU-Konzerne nicht mithalten können. Ríos sagt dazu: „Das läuft den Empfehlungen von FIAN diametral entgegen, hätte Honduras doch die Kapazitäten, seine Bevölkerung aus eigener Kraft zu ernähren. Was Honduras bräuchte, wäre eine neue Strategie ländlicher Entwicklung, die die KleinproduzentInnen als wichtiges Potential für die Entwicklung des Landes anerkennt“.
Währenddessen werden auf den Lebensmittelmärkten von Honduras die Bohnen knapp, eines der Grundnahrungsmittel im Land. Die Regierung sah sich Anfang Dezember 2010 genötigt, ein Ausfuhrverbot für Bohnen zu erteilen. Auf der Agrarmesse in Tegucigalpa, der Hauptstadt des Landes, sind Bohnen erstmals nicht handelbar. Die Regierung hat eine Obergrenze für Bohnenpreise für Endverbraucher festgesetzt. Dies macht den Kauf und die Abfüllung aufgrund der hohen Preise, die die ProduzentInnen im Zuge der Verknappung verlangen, nicht rentabel.


An diesem Beispiel lassen sich die fatalen Konsequenzen der Export-Import-Prioritäten der Regierung Lobo ablesen. In einem Land, in dem über 50 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, würde bei freiem Spiel der Marktkräfte ein Gutteil der Bevölkerung verhungern. „Es gibt kein politisches Interesse, in die Nahrungsmittelsouveränität der Bevölkerung zu investieren“, meint Ríos. Mit einer solchen Agrarpolitik lässt sich die Festsetzung von Preisobergrenzen nicht aufrechterhalten. Eine solche Politik muss den Landkonflikt notwendigerweise weiter verschärfen. Der Eskalation, die gegenwärtig beobachtbar ist, liegt eben dieses neoliberale Verständnis der Funktion der honduranischen Landwirtschaft zugrunde. Während der monokulturelle Anbau von Ölpalmen vorangetrieben wird, fehlen die Ackerflächen für Nahrungsmittel. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, was das für die Landbevölkerung bedeutet, leben doch laut der UN-Kommission CEPAL 81 Prozent von ihr von weniger als zwei Dollar am Tag, angewiesen auf Subsistenzlandwirtschaft.
Die Regierung von Pepe Lobo verfolgt weiter die Strategie der Repression. Nachdem MUCA-Aktivisten Lobo aufgefordert hatten, zu seinem Teil des Abkommens zu stehen, verlegte dieser kurzerhand mehrere Bataillone in die Region des Bajo Aguán. Als die Bäuerinnen und Bauern mit Straßenblockaden auf die Militarisierung reagierten, verhängte Lobo am 8. Dezember den Ausnahmezustand über das Departamento. Wieder fielen Schüsse während der Räumungen der Blockaden, wie durch ein Wunder wurde niemand getötet.


Nach der Niederschlagung der Proteste wird der Terror gegen den Widerstand und seine ProtagonistInnen fortgesetzt. Am 8. Januar 2011 entführten Angehörige des „Sicherheitsdienstes“ von Facussé Juan Ramón Chinchilla. Chinchilla ist führender Aktivist von MUCA und Jugendreferent der honduranischen Widerstandsbewegung (FNRP). Er wurde 48 Stunden festgehalten und misshandelt, bis ihm die Flucht gelang. In einem Interview, nachdem er seinen Entführern entkommen war, sagte er: „Sie waren sehr gut organisiert, die Operation war offensichtlich minutiös geplant.“
Entführungen, willkürliche Morde, Massaker. Und all das, während Militär und Polizei in der Region massiv präsent sind. Dass dieses Szenario an die Verhältnisse in Kolumbien erinnert, ist kein Zufall.
Der kolumbianische Ex-Präsident Álvaro Uribe hatte am 21. November 2010 Honduras besucht, um seine Solidarität mit der Regierung Lobo auszudrücken und eine strategische Partnerschaft mit dem Land anzukündigen. Dabei lobte er die Politik Lobos in den höchsten Tönen. „Auch wenn einige das Hirngespinst verbreiten, in Honduras gäbe es so etwas wie Instabilität“, so Uribe.


Schon im Oktober 2009 berichtete eine Arbeitsgruppe, eingesetzt von der UN-Menschenrechtskommission unter der Leitung von José Luis Gómez del Prado, über Hinweise auf Operationen von Paramilitärs mit kolumbianischer Herkunft gegen BäuerInnenkollektive im Aguán. Dass die „Kolumbianisierung“ des Landkonfliktes im Bajo Aguán den Widerstand nicht zum Verstummen bringen wird, lässt sich an der Entschlossenheit der AktivistInnen von MUCA ablesen: „Wir werden den Putsch nie akzeptieren, auch wenn sie uns umbringen. Ich werde nie aufhören zu kämpfen. Lieber der Tod als der Verrat“, trotzt Chinchilla dem Versuch, ihn zum Schweigen zu bringen.
Während im Bajo Aguán unterernährte Menschen zwischen den Palmenhainen in Hütten aus Plastikplanen hausen, lautet das Motto der Regierung: „Patronen statt Bohnen“. Auf dem ehemals ihnen gehörenden Land hacken die BewohnerInnen des Aguán heute für einen Hungerlohn die Früchte der Ölpalmen Facussés von den Bäumen.
Ein Ende der Geschichte des Landkonflikts in Honduras ist noch lange nicht abzusehen. Gilberto Ríos weiß: „Es ist eine Geschichte, die sich wiederholt, Dekade für Dekade. Es ist die Geschichte von Honduras.“

 

Text: // Fabian Unterberger
Ausgabe: Nummer 440 - Februar 2011


Weitere Artikel zum Thema Land und Freiheit: