Gespräch mit Asbjorn Wahl vom ITF zur neuen Positionierung der Internationalen Transportarbeiter-Federation (ITF) zu Klimawandel und Arbeitsplätzen
Als wir uns Anfang 2010 in Graz auf einem Semimar zur
Energiekrise und alternativen Energien trafen, da hörten wir
einigermaßen begeistert einem kolumbianischen Bergarbeiter-
Gewerkschafter zu, der forderte, die Kohle müsse im Boden
bleiben. Ein halbes Jahr später - vom 5. bis zum 12. August
2010 - verabschiedete der weltweite Transportarbeiterverband
ITF auf seiner Konferenz in Mexico City eine Resolution
mit einer grundsätzlich vergleichbaren Position zum
Thema Klimawandel: Verkehr und Transporte müssten weltweit
reduziert werden. Handelt es sich hier um eine von langer
Hand vorbereitete Positionsentwicklung oder geht es um
eine mehr oder weniger kurzfristige Veränderung der Position?
Wir erarbeiteten die ITF-Position im Rahmen einer Arbeitsgruppe,
die von unserem Leitungsgremium rund ein Jahr zuvor eingerichtet
worden war. In der Arbeitsgruppe gab es heftige Widersprüche,
aber die große Mehrheit unterstützte einen sehr
fortschrittlichen Ansatz beim Thema Klimawandel. Wir erhielten
auch eine sehr wichtige Unterstützung durch das Global Labour
Institute an der Cornell Universität von New York, das von uns
als beratendes Gremium ausgewählt wurde. Dennoch, es stimmt
schon: Ich war überrascht, auf wie wenig Widerstand wir während
des Prozesses zur Erarbeitung des Dokuments stießen. Obgleich
ich, als Vorsitzender der Gruppe, diese dazu bringen wollte,
dass sie eine radikale Position einnahm, erwartete ich in
Wirklichkeit nicht, dass wir das auch erreichen würden. Es war
einfach großartig. All dies bringt wohl zum Ausdruck, dass die
Wirklichkeit und Ernsthaftigkeit des Klimawandels im Bewusstsein
der Menschen weit stärker angekommen ist als ich dachte,
als wir mit der Arbeit begannen. Interessanterweise erwiesen
sich viele Gewerkschaften aus Entwicklungsländern als wichtige
Unterstützer. Andererseits, das muss ich unterstreichen: Eine
Resolution ist das eine, deren Umsetzung ist etwas ganz anderes
und eine deutlich größere Herausforderung.
Die ITF-Konferenz fand in Mexico D.F. statt und damit nicht
allzu weit entfernt vom Desaster mit der Deepwater Horizon.
Spielte das in euren Debatten eine Rolle?
Möglicherweise wurde die Deepwater Horizon-Katastrophe
während unserer Klimakonferenz ab und an erwähnt. Aber das
war nicht dominant. Da spielte es wohl eine Rolle, dass der Ölteppich
in Richtung Norden und Nordosten, also auf die US-
Küste zutrieb. Natürlich hatten viele der Delegierten diese Katastrophe
vor Augen, als wir unsere Debatten führten. Aber sie
hatten ebenso die Brände rund um Moskau, die Überschwemmungen
in Pakistan und andere extreme Witterungsverhältnisse,
deren Zeuginnen und Zeugen wir in den letzten Jahren waren,
vor Augen. Ich glaube, dass all diese tatsächlichen Auswirkungen
der globalen Erwärmung einen starken Einfluss darauf
haben, was die Leute denken. Es geht doch nicht mehr um eine
Bedrohung in der Zukunft. Die Klimaerwärmung findet hier und
heute statt. Und Millionen Menschen sind davon konkret betroffen.
Die US-amerikanische Gewerkschaft TCU* war Teil der ITFKlimawandel-
Arbeitsgruppe, die das Dokument „Transport-
Beschäftigte und Klimawandel: Hin zu einer nachhaltigen
Mobilität mit niedrigen Kohlendioxid-Emissionen" erarbeitete.
Auf der ITF-Konferenz in Mexico D.F. ergriff Robert A.
Scardelletti, der TCU-Vorsitzende, das Wort, um gegen die
Resolution zum Klimawandel zu argumentieren. Wie gingt ihr
mit einer derartig kontroversen Debatte um?
Es gab in der Arbeitsgruppe eine heftige Auseinandersetzung.
Aber Scardelletti befand sich schließlich in einer ziemlich isolierten
Position. Die eigentlich Frage war, welche Wirkung seine
Position auf die ITF-Führung haben würde. Schließlich gibt es
innerhalb der internationalen Gewerkschaftsbewegung eine
starke Tendenz und Tradition, einen Konsens zu erreichen. Wir
waren auch ein bisschen unsicher, wieviele andere Gewerkschaften
ihn am Ende unterstützen würden. Doch, wie auch
immer: Wir debattierten in einer Art und Weise, die vom Respekt
vor der Position der Gegenseite geprägt war. Bei all dem
teilten alle auf der Konferenz die Bedenken Scardellettis hinsichtlich
der Arbeitsplätze. Die deutliche Mehrheit war jedoch
der Ansicht, dass der enge Ansatz Scardellettis weit mehr Probleme
schaffen würde als unsere Vorschläge für langfristige Lösungen.
Wir haben uns im Vorfeld der Konferenz enorm dafür
engagiert, dass möglichst viele einzelne (nationale) Gewerkschaften
den Resolutionsentwurf unterstützen. Schließlich waren
es mehr als fünfzig Gewerkschaften, die bereits vor unserem
Kongress unsere Resolution mittrugen. Auf der ITF-Konferenz
stellte sich heraus, dass Scardellettis Position erstaunlich wenig
Unterstützung erhielt. Es spricht für sich, wenn selbst die eigene
Gewerkschaft am Ende für die Endfassung unseres Antrags
zum Thema Klimawandel stimmte. Die Resolution wurde
schließlich einstimmig angenommen.
Apropos: Ihr habt euch enorm um Unterstützung bemüht...
am Ende des Antrags findet sich eine lange Liste mit 51
Gewerkschaftsverbänden, die den Text unterstützen. Darunter
befindet sich keine deutsche Gewerkschaft. Wie sah die
Haltung der deutschen ITF-Mitgliedsverbände aus?
Da die Resolution am Ende einstimmig angenommen wurde,
wurde sie auch von den deutschen Gewerkschaften unterstützt.
Allerdings sandte ich im Vorfeld der Konferenz den Text an die
deutschen Transportgewerkschaften Transnet und ver.di und bat
um Unterstützung. Das blieb erfolglos.
Scardellettis Argumentation war traditionell für Gewerkschaften.
So, als er ausführte: „Die wichtigste Verantwortung
von Gewerkschaften besteht darin, den Lebensstandard
unserer Mitglieder zu verteidigen und das beginnt damit, zu
gewährleisten, dass sie einen sicheren Job haben. Es gibt viele,
die sich für Umwelt engagieren. Aber es gibt niemand
außer uns, der sich für die arbeitenden Männer und Frauen
einsetzt." Wie habt ihr gegenüber dieser traditionellen
Gewerkschaftsposition argumentiert?
Wir konzentrierten uns auf die Aussage, dass es auf alle Fälle
tiefgehende gesellschaftliche Veränderungen geben würde -
entweder als Ergebnis des Klimawandels oder als Resultat der
Klimapolitik. Es gibt keine Möglichkeit, dieser Perspektive aus
dem Weg zu gehen. Wenn es nicht die Gewerkschaften sind, die
hier die Führung übernehmen, werden dies andere tun - an
vorderster Front die internationalen Konzerne und die Regierungen
und beide dann mit völlig anderen Akzentsetzungen.
Will man sicherstellen, dass in diesem Transformationsprozess
die Interessen unserer Mitglieder und die aller arbeitenden
Menschen im Zentrum stehen, dann muss man eine aktive und
offensive Klimapolitik und eine Mobilisierung in dieser Richtung
betreiben. Niemand anderes wird die Interessen unserer
Mitglieder, der arbeitenden Menschen im allgemeinen und die
der zukünftigen Generationen verteidigen. Deshalb argumentierten
wir, dass wir als Gewerkschaftsbewegung Strategien und
eine Politik zur Verhinderung oder Eindämmung der Klimaerwärmung
entwickeln müssen - und zwar parallel zu einer Politik
zur Verteidigung von Einkommen und Arbeitsplätzen und
zur Schaffung neuer, guter Arbeitsplätze als Bestandteil des
Transformationsprozesses. Die Zahl und Qualität von Arbeitsplätzen
war niemals allein durch technologische Veränderungen
vorgegeben. Dies war immer auch ein Ergebnis der gesellschaftlichen
Kräfteverhältnisse und der gewerkschaftlichen Stärke.
Die Schaffung neuer, hoch qualifizierter und gut bezahlter
Arbeitsplätze muss daher ein Ergebnis unseres Kampfes sein.
Diejenigen, die das Dokument erarbeiteten, hatten alle eine systemkritische
Grundhaltung und vertraten einen umfassendgesellschaftlichen
Ansatz in der Klimapolitik. Wir sehen den Klimawandel
in einem breiten politischen Kontext. Das ist nicht in
erster Linie eine technologische Frage, sondern eine gesellschaftliche
Auseinandersetzung. Das vorherrschende Wachstumsmodell
und die exzessive Ausbeutung der natürlichen Ressourcen
sind integraler Bestandteil des bestehenden Wirtschaftssystems.
Das Problem ist also ein systemisches. Daher
muss der Kampf gegen die Klimaerwärmung mit einer breiten
politischen Perspektive verbunden werden. Der Klimawandel ist
einerseits eine Bedrohung, andererseits stellt er auch eine große
Chance dar. Es gibt eine Auseinandersetzung um den grundlegenden
Charakter der Gesellschaft. Um die notwendigen Veränderungen
im Transportsektor zu erreichen, ist eine demokratische
Kontrolle der Ökonomie und eine radikale Neuverteilung
des gesellschaftlichen Reichtums erforderlich. Dies kann nur erreicht
werden, wenn wir die Kräfteverhältnisse grundlegend
verändern - weg von den Markt- und Kapitalkräften und hin zu
den arbeitenden Menschen und zu einem demokratischen Prozess
jeglicher Entscheidungsfindung.
Ein Teil der ITF-Position kann so interpretiert werden, dass
sie sich gegen bestehende Arbeitsplätze im Transportsektor
richtet. So, wenn es in der Entschließung Nr. 1 heißt: Die
„Transportkosten sind zu niedrig - vor allem deshalb, weil die
meisten Transportarten die externen Kosten nicht abdecken."
Höhere Transportkosten können Transporte reduzieren, eure
Arbeitsplätze abschaffen und damit auch die Basis der ITF
unterminieren.
Die Resolution stellt auch fest, dass diese niedrigen Transportkosten
nicht nur wegen der fehlenden Einbeziehung der externen
Kosten, sondern auch dadurch zustande kommen, weil in
der 30 Jahre währenden neoliberalen Periode Löhne und Arbeitsbedingungen
unterminiert wurden. Viele Arbeitsplätze in
diesem Sektor sind „gewerkschaftsfrei", sie basieren auf Scheinselbständigkeit;
es sind Hunderttausende schlecht bezahlte, miserabel
regulierte Jobs. Es ist nicht allzu schlimm, wenn einige
dieser Jobs verschwinden. Wir stellen jedoch fest, dass wir als
Folge der ernsten Bedrohung durch den Klimawandel mutige
Schritte ergreifen müssen. Daher unterstützte der ITF-Kongress
einen „Reduzieren-Verändern-Verbessern-Ansatz." Das heißt: In
Ergänzung zur Orientierung auf bessere Energieeffizienz und
einer Abkehr von Transportarten mit hohen CO2-Emissionen hin
zu Transportformen mit niedrigen CO2-Emissionen treten wir
auch für eine Reduktion der Verkehrsbedürfnisse ein. Gleichzeitig
sehen wir das enorme Potenzial neuer Arbeitsplätze im Bereich
des öffentlichen Verkehrs, um damit gleichzeitig die Nutzung
privater Pkw radikal zu reduzieren. Schließlich handelt es
sich beim Pkw-Verkehr um den größten Emittenten von Treibhausgasen
innerhalb des Transportsektors.
„Papier ist geduldig", heißt es bei uns. Wird der ITF-Beschluss
praktische Konsequenzen haben?
Eine gute Frage. Wir leisteten harte Arbeit, um den Text und
den Beschluss zustande zu bekommen. Der härteste Kampf
steht jedoch noch vor uns - nämlich diese Resolution in die
konkrete Gewerkschaftspolitik zu implementieren. Am wichtigsten
ist jetzt wohl, den Schwung, den es gegenwärtig in der Debatte
und in den Gewerkschaften gibt, zu nutzen, um unsere
Gewerkschaften entsprechend zu erziehen, um in der Praxis
aktive und progressive Klimapolitik zu betreiben und um unsere
Klimapolitik mit Blick auf die einzelnen Transportarten zu konkretisieren.
Der Europäische Transportarbeiterverband (ETF) beschloss
bereits die Entwicklung eines Projekts nachhaltiger
Transport, in dem das ITF-Dokument zum Klimawandel eine
zentrale Rolle spielen soll. Einige nationale Gewerkschaftsverbände
haben Vergleichbares angekündigt. All das lässt mich zuversichtlich
sein.
Glaubst Du, dass die ITF-Position zum Klimawandel sich positiv
auf andere Gewerkschaften auf nationaler und internationaler
Ebene auswirkt?
Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Dokumente und Positionen
innerhalb der internationalen Gewerkschaftsbewegung
Pionierarbeit darstellen. Wir erhielten bereits ausgesprochen
ermutigende Reaktionen von Leuten in der ITUC, in der PSI und
in der ICEM.** Ich glaube, dass es in Zukunft schwer sein wird,
in der weltweiten Gewerkschaftsbewegung Positionen zum Klimawandel
zu entwickeln, die hinter diejenigen des ITF zurückfallen.
Wir haben hier Maßstäbe gesetzt. Die Verankerung der
Position in praktische Politik wird die nächste große Herausforderung.
Die Wende weg von der falschen Politik des Emissionshandels
und hin zu Forderungen nach einer tatsächlichen
Reduktion der Treibhausgase wird ein erster wichtiger Test sein.
* TCU = Transportation-Communication International Union
** ITUC = International Trade Union Confederation (weltweiter
Dachverband der größten Gewerkschaften); PSI = Public Services
International (weltweiter Zusammenschluss von Gewerkschaften im
Bereich öffentlicher Dienste); ICEM = International Federation of
Chemical, Energy, Mine & General Workers´ Unions (= weltweiter
Zusammenschluss von Gewerkschaften in den Bereichen Chemie,
Energie und Bergbau)
Asbjorn Wahl ist stellvertretender Vorsitzender der ITF-Sektion
Straßenverkehr; er war Leiter der ITF-Arbeitsgruppe Klimawandel, die
das Dokument zum Klimawandel (deutscher Titel: „Verkehrsbeschäftigte
und Klimawandel: Für eine nachhaltige, kohlenstoffarme Mobilität")
erarbeitete und maßgeblich zum Zustandekommen der Resolution
zum Klimawandel auf dem ITF-Kongress beitrug. Info zur ITF
und zum Kongress in Mexiko D.F. (in englischer und deutscher
Sprache): www.itfglobal.org
Das Interview wurde Mitte August geführt; für LP21: Winfried Wolf