Tag für Tag werden uns die verschiedenen Facetten der »Krise« präsentiert: Manager haben sich »verzockt«, Banken »leiden Not«, Unternehmer »tragen schwer an ihrer Verantwortung«. Die Antworten sind entsprechend: »Notleidenden muss geholfen werden«. Der Staat springt mit Milliarden ein, um Banken und private Unternehmen zu retten. Doch bislang stand nur auf den Wahlplakaten, dass »Zockern« und »Spekulanten« in Zukunft Grenzen gesetzt würden. Dagegen setzt sich die gigantische Umverteilung zugunsten der Unternehmensgewinne fort. Insofern wird die Rede von der Krise m.E. nur benutzt. Dazu trägt bei, dass in der Krise so über »Ökonomie« gesprochen wird, als hätte diese nur etwas mit Börsenkursen zu tun. Ich schlage eine völlig andere Tagesordnung vor: Gerade jetzt müssen wir über die konkreten Arbeits- und Lebensbedingungen von Frauen sprechen.
Wer spricht in der Krise - und über welche Krise?
Es geht um die Durchsetzung der Gewinnmaximierung von Banken und Unternehmen - um kapitalistische Interessen. »Schlechte Aktien« und nicht funktionierende Immobiliengeschäfte werden »vergesellschaftet«, das heißt, der Gesellschaft in Rechnung gestellt. Waren, die keinen Abnehmer mehr finden, werden aus Steuergeldern subventioniert, siehe die Abwrackprämie. Unternehmen werden auf Kosten der Belegschaften und aller Sozialversicherten saniert. Was nicht mehr verwertbar erscheint, wird abgebaut. Mit Unterstützung der Bundesregierung wird ein modernisiertes - noch besser funktionierendes - Ausbeutungssystem geschaffen. Es ist keine Krise, sondern ein Umbau! Die Bundesregierung ist die »Hilfstruppe« in diesem Geschäft. Und wir sind es, die dafür auch in Zukunft bezahlen sollen. Das heißt: Wenn jemand in der Krise ist, dann sind es wir - als Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, als Beschäftigte, als Verbraucherinnen und Verbraucher.
Die Krise wird benutzt, um einen seit vielen Jahren stattfindenden Angriff auf unsere Einkommen, unsere Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten, auf öffentliche Güter fortzusetzen. Dieser Angriff richtet sich besonders gegen eine Gruppe, die weniger als andere gesellschaftliche Gruppen wahrgenommen wird: die Frauen. Frauen machen mehr als die Hälfte der Bevölkerung aus. Sie sind bereits jetzt diejenigen, die stärker mit Armut, Not und Elend konfrontiert sind, aufgrund ihrer eigenen Arbeits- und Lebensverhältnisse, aber auch aufgrund der stärkeren Verantwortung, die ihnen für die Versorgung von Kindern und Alten überlassen wird. Aber was bedeutet das genau, und gibt es Gegenstrategien? Dazu fünf Thesen, die wir dringend diskutieren müssen:
These 1: Frauen werden bislang in der »Krisendebatte« kaum wahrgenommen
Wissenschaftler, die die Welt bewerten, werden herumgereicht - Wissenschaftlerinnen sind nicht zu sehen. In der »Krise« sprechen die Männer über die großen Fragen, Manager sind zu 99 Prozent männlich, in Aufsichtsräten und Vorständen sind Frauen »Mangelware«. Die wenigen Frauen wie Angela Merkel erleben wir als Staffage und »Erfüllungsgehilfinnen« für kapitalistische Interessen. Wir wissen nicht, ob die wenigen Frauen, die sich in der Öffentlichkeit zur derzeitigen Situation äußern, nicht mehr wollen oder nicht mehr können, wir wissen nur: Die Debatte wird von Männern dominiert. Ob in Talk-Runden im Fernsehen, auf den Wirtschaftsseiten der Tageszeitungen oder bei Auftritten von Politikern - unsere alltäglichen Probleme und Anliegen kommen in den Szenarien, Debatten und Vorschlägen so gut wie nie vor. Unterdessen wird allerdings unser Alltag immer mehr zum »Krisenalltag«.
These 2: Frauen sind die Verliererinnen dieser »Krise«
Aktuell werden diejenigen, die in unsicheren und schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen stehen, als Erste mit den Angriffen von Unternehmern und Staat konfrontiert. Die große Mehrheit dieser Menschen sind Frauen. So sind mehr als zwei Drittel der Teilzeitbeschäftigten weiblich. Dass viele Frauen immer noch als »Zuverdienerinnen« gesehen werden, verschärft das Problem: Ihre Arbeit wird weiterhin abgewertet, und aktuell nimmt der Druck auf ihre Einkommen zu.
Schon heute verdienen Frauen im Schnitt 22 Prozent weniger als Männer, Tendenz steigend. Besonders in den Bereichen Pflege, Hausarbeit und Kindererziehung gilt Arbeit oft nach wie vor als »Liebesdienst«. Die schon lange fällige Verbesserung der Arbeitssituation lässt auf sich warten. Auch unter den registrierten wie unter den nicht (mehr) registrierten Erwerbslosen sind die Frauen in der Mehrheit. Die steigende Erwerbslosigkeit führt dazu, dass viele auf Dauer von Hartz IV abhängig bleiben. Hinzu kommen 800000 Frauen, die durch die Agenda 2010 ganz aus dem Leistungsbezug ausgegrenzt worden sind. Die Doppel- und Dreifachbelastung bleibt erhalten: Verantwortung für die Familie oder als Alleinerziehende, schlecht bezahlte Arbeit, unsichere Beschäftigung. Und dann droht Altersarmut, da die Renten sich am Lohn orientieren und entsprechend niedriger sind.
These 3: Der Druck auf Frauen, unbezahlte Arbeit zu machen, nimmt zu
Frauen leisten gesellschaftlich notwendige Arbeiten: Verantwortung für Haushalt, Kindererziehung, häusliche Pflege, Krankheit und Tod. Solche Arbeiten sind oft schlecht oder gar nicht bezahlt. In sozialen und pflegerischen Bereichen, aber auch im Bildungssektor, sind weitere Sparmaßnahmen und Personalkürzungen zu erwarten. Deshalb wird der Druck zunehmen, unbezahlte Verantwortung zu übernehmen. Zugleich wird der Alltag schwieriger: Immer das billigere Produkt suchen, immer den billigsten Einkauf tätigen und immer einen Weg finden, trotz aller Schwierigkeiten doch noch Unterstützung durch Ämter u.ä. zu erreichen. Frauen werden zwar nicht gefragt, ob sie das wollen, aber sie werden de facto oft zu »Retterinnen« in der Krise.
These 4: Männer werden arbeitslos, Frauen tragen einen großen Teil der Last
Schon seit vielen Jahren werden Vollzeitstellen abgeschafft, aktuell nehmen Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit zu. Die Existenz sichernde Arbeit von Männern verschwindet. Teilweise wird diese Arbeit durch diverse Formen ungesicherter Arbeit wie Mini-Jobs, Ein-Euro-Jobs, Leiharbeit, befristete Arbeit oder Teilzeitarbeit ersetzt. Je mehr solche Arbeitsverhältnisse installiert werden, desto mehr nehmen Frauen diese Jobs ein. Auch deshalb ist der Frauenanteil an der Zahl der Erwerbstätigen kontinuierlich gestiegen. Dies hat Frauen jedoch allzu oft kein eigenständiges Leben gesichert. Es ist zu befürchten, dass sich diese Entwicklung fortsetzen wird. Frauen werden zunehmend, unter stark erschwerten Bedingungen, auch die Rolle der Famili-enernährerin übernehmen müssen.
These 5: Rechte von Frauen werden der »Krise« untergeordnet
Schon jetzt ist es so, dass Forderungen der Frauen nach Gleichberechtigung, Gleichstellung und Gleichbehandlung immer weniger Gehör finden. Es wird suggeriert, die Gleichberechtigung sei »vollzogen«. Jede Frau sei jetzt emanzipiert und für sich selbst verantwortlich. Dies geschieht, obwohl in allen Bereichen Frauen immer noch benachteiligt sind. Außerdem: Um Rechte wahrnehmen zu können, braucht es Ressourcen. Eine immer stärkere Polarisierung der Einkommen und damit immer stärkere Arbeitsbelastung schränkt die Möglichkeiten von Frauen ein, sich gleichberechtigt in der Gesellschaft zu bewegen. Es besteht die Gefahr, dass erreichte Rechte in der Krise und selbst die formale Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt sowie gegen Diskriminierung gerichtete Vorschriften usw. angegriffen werden, weil sie angeblich nicht mehr bedeutend sind.
Ich meine, dass wir über diese Probleme sprechen müssen. Es geht um etwas anderes als um das, was im Moment den öffentlichen Krisen-Diskurs beherrscht: um Frauenrechte, um Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt, um würdige Arbeits- und Lebensbedingungen für alle, eine gute Versorgung von Kindern und Alten, existenzsichernde Einkommen und Lohnersatzleistungen! Darum geht es, das müssen wir auf die Tagesordnung setzen! Frauen müssen sich deshalb offensiv in die »Krisendebatte« einmischen, sich an Diskussionen beteiligen und Positionen einfordern, über ihren Alltag reden. Sie müssen sich gegen die aktuelle Politik wehren, Bündnisse mit anderen Frauen und Männern schaffen und sich politisch beteiligen, in den Gewerkschaften und anderswo.
Eröffnen wir endlich diese Diskussion!
Sieglinde Friess ist ver.di-Fachbereichsleiterin für den Bereich »Bund/Länder und Gemeinden« in Hamburg. Der vorliegende - leicht bearbeitete - Text basiert auf einem Vortrag, der im August 2009 vor dem ver.di-Frauennetzwerk Hamburg gehalten wurde.
Kontakt: ver.di Fachbereiche 6/7, Frauennetzwerk, Besenbinderhof 60, 20097 Hamburg
Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 11/09