Antiziganismus

Die Diskriminierung und Verfolgung von Sinti und Roma

in (28.04.2010)
Antiziganismus, eine relativ neue Wortschöpfung, stellt den Versuch dar, ein kompliziertes Phänomen zu bezeichnen, das schon sehr viel älter ist als der Begriff: die stereotype Konstruktion von „Zigeunern” durch die Mehrheitsgesellschaften, denen bestimmte – zumeist negativ konnotierte – Eigenschaften und Merkmale zugeschrieben werden, einhergehend mit einer Diskriminierung und Verfolgung von Menschen – zumeist Roma – als „Zigeuner”.

Als eines der ersten Ereignisse, die als Antiziganismus bezeichnet werden können, wird meist ein Beschluss des Reichstages des Heiligen Römischen Reichs in Freiburg von 1498 genannt. Der Reichstag beschloss damals, „die Zigeuner” aufgrund vermeintlicher Spionage für „die Türken”, mit denen zu dieser Zeit Krieg geführt wurde, für vogelfrei zu erklären. Auch aus dem Osmanischen Reich sind für diese Zeit Vorurteile über „Zigeuner” und Sondergesetze nachweisbar. Spätestens seit dem 15. Jahrhundert also wurden Menschen in ganz Europa immer wieder auf verschiedenste Art und Weise als „Zigeuner” diskriminiert und verfolgt. Dabei reichten die Strategien und Praktiken von einer zeitweisen Duldung der „Fremden” über Ausweisungen bis hin zu regelrechten Menschenjagden. Sie werden als Antiziganismus zusammengefasst, weil Menschen als „Zigeuner” verfolgt wurden und häufig auch die Begründungen und die Inhalte der Vorurteile sehr ähnlich waren.

Antiziganismus ist also ein Phänomen, das sich seit über 500 Jahren vom Osmanischen Reich bis auf die Britischen Inseln in ähnlichen Grundformen manifestiert. Zentral sind dabei Vorwürfe der „Arbeitsscheue” (daraus folgen Vorurteile wie „Betteln”, „Betrug” und „Diebstahl”), des „Nomadentums” (daraus leiten sich „Heimatlosigkeit”, „Umherziehen” und die „Spionage” ab) und der „Primitivität” (mit der „ungezügelte Sexualität” und „Triebhaftigkeit”, der Fokus auf „Kindlichkeit” und der Vorwurf, „schmutzig” zu sein, zusammenhängen). Daneben gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Vorurteile, die – je nach Kontext, Interesse oder Bedürfnis der Vorurteilenden – genannt werden. Entgegen diesen Negativbewertungen entstand mit dem Einsetzen der literarischen Romantik im 18. Jahrhundert auch das Bild des „freien”, „ungebundenen”, „lebenslustigen” „Zigeuners”, der „am Lagerfeuer” sitzt, „Geige spielt”, „tanzt”, „aus der Hand liest” und einfach „in den Tag hinein lebt”. Diese romantisierenden Bilder stellen allerdings nur die positiv gewendete Kehrseite des gleichen Ressentiments dar und sind somit ebenso als antiziganistisch zu bezeichnen.


Die 1950er Jahre in der BRD: „Zweite Verfolgung”

Die Verfolgung und Vernichtung von Roma, Sinti und anderen Gruppen im NS stellt den Höhepunkt der Verfolgung von Menschen als „Zigeuner” dar. Gleichzeitig wird sie bis heute in der Geschichtsschreibung des Holocaust lediglich am Rande behandelt. Und das, obwohl davon ausgegangen wird, dass zirka 500.000 als „Zigeuner” verfolgte Menschen ermordet wurden. Ungezählte weitere wurden Opfer von Zwangssterilisierungen, Deportationen und Lagerhaft.

Die Ignoranz gegenüber der Massenvernichtung der Roma und Sinti durch die Deutschen und ihre HelferInnen in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte verdeutlicht besonders eindrücklich das weitreichende Fortwirken des Antiziganismus in der BRD. Anstatt das Ressentiment gegenüber „Zigeunern” zu ächten und somit den vorherrschenden Bildern der Mehrheitsbevölkerung entgegenzuwirken, führten Legislative, Exekutive und Judikative die Ausgrenzung und Stigmatisierung fort. Drei Beispiele: 1953 wurde in Bayern eine „Landfahrerordnung” beschlossen, die wesentliche Elemente des 1926 beschlossenen Gesetzes „zur Bekämpfung von Zigeunern, Landfahrern und Arbeitsscheuen” fortführte. Dazu gehörten besondere Ausweise, regelmäßige Meldepflichten bei den Behörden und die Vorstellung, „Landfahrer” seien eine generelle Gefahr. Im bayerischen Landeskriminalamt (LKA) wurde eine „Landfahrerzentrale” eingerichtet, die ab den 1950ern, genau wir ihre Vorgängerinstitutionen in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich”, wieder bundesweit zuständig war. In Bayern – wie in anderen Landeskriminalämtern – wurde mit den während des NS über Roma und Sinti angelegten Akten weitergearbeitet, teilweise bis in die 1980er Jahre. Die Beteiligung der Judikative zeigte sich beispielsweise in dem berüchtigten Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) von 1956, in dem er feststellte, dass Roma und Sinti bis 1943 nicht aus rassistischen Gründen, sondern aufgrund ihrer „Asozialität” verfolgt worden seien und somit für die Zeit vor 1943 keinen Anspruch auf Entschädigung hätten. Faktisch wurden Roma und Sinti bereits in den frühen 1930ern häufig Opfer des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses”, auf Grund dessen viele als vermeintlich „Schwachsinnige” zwangssterilisiert wurden. Und bereits 1936 führten Hans Globke, späterer Staatssekretär und enger Vertrauter von Bundeskanzler Konrad Adenauer, und Wilhelm Stuckart in ihrem Kommentar zu den „Nürnberger Rassegesetzen” aus: „Artfremden Blutes sind in Europa regelmäßig nur Juden und Zigeuner.” Das Urteil des BGH von 1956 wurde erst 1963 teilweise aufgehoben.

Doch nicht nur die staatlichen Institutionen, die Gemeinden und Städte beteiligten sich an der Nachkriegsverfolgung von Roma und Sinti, auch die Bevölkerung tat ihr Übriges, wie die „Affäre Magolsheim” zeigt. Eine Sinti-Familie hatte 1957 in der kleinen Gemeinde Magolsheim auf der schwäbischen Alb ein Haus erworben. Nachdem die Gemeinde Magolsheim ohne Erfolg alle möglichen legalen Wege beschritten hatte, um die Ansiedlung der Familie zu verhindern, griffen die MagolsheimerInnen zur Selbstjustiz. Am Abend, bevor die Familie einziehen sollte, versammelten sie sich in der Dorfkneipe, um zu beratschlagen. Am Ende legte sich der Bürgermeister schlafen, während mehrere Dutzend DorfbewohnerInnen, angeführt vom Dorflehrer, das Wohnhaus in gemeinschaftlicher Arbeit bis auf die Grundmauern einriss. 31 Personen wurden später wegen Landfriedensbruchs und der Zerstörung von Bauwerken zu Bewährungsstrafen verurteilt. Das sehr geringe Presseecho verurteilte zwar die Methode der Magolsheimer BürgerInnen, äußerte aber zwischen den Zeilen Verständnis.


Die jüngere Vergangenheit

Benachteiligende Gesetze sind zwar zwischenzeitlich offiziell abgeschafft, doch immer noch geben Behörden häufig das Kürzel MEM für „mobile ethnische Minderheit” an, wenn sie in Pressemeldungen von Straftaten berichten, die angeblich von Roma und Sinti begangen wurden. Das Amtsgericht Bochum entschied 1996, dass ein Vermieter einen vom Mieter vorgeschlagenen Nachmieter nicht akzeptieren müsse, weil dieser der Minderheit der Roma und Sinti angehörte. Und diese seien als „traditionsgemäß überwiegend nicht sesshafte Bevölkerungsgruppe” als Mieter nicht geeignet. Im April 1995 umstellten zirka 150 PolizistInnen eine Kölner Flüchtlingsunterkunft, durchkämmten sie und zwangen zirka 50 Romni im Alter zwischen 15 und 55 zur Abgabe von Blutproben und zu gynäkologischen Untersuchungen. Anlass war, dass in der Nähe der Unterkunft ein totes Neugeborenes gefunden worden war, dessen Pigmentierung ein Arzt als „roma-typisch” eingestuft hatte. Auch die Selbstjustiz bleibt ein wichtiges Mittel: Als sich AnwohnerInnen 1992 in Rostock-Lichtenhagen durch – nach einer behördlich vermeidbaren Überbelegung der „Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber” zum Aufenthalt im Freien gezwungene – zumeist osteuropäische Roma gestört fühlten, griffen sie gemeinsam mit Neonazis die im Wohnblock lebenden Menschen mehrere Nächte hintereinander mit Steinen und Molotowcocktails an. Der antiziganistische Charakter dieses Pogroms und das aufgeheizte Medien-Umfeld, das vor einer „Flut” von „Zigeunern” aus Osteuropa warnte, werden in der Rückschau zumeist übersehen.

Abgesehen von Rostock-Lichtenhagen riefen diese Ereignisse jedoch keinen Aufschrei in Medien und Öffentlichkeit hervor. Lediglich Roma-Organisationen versuchen, solche Vorfälle zu thematisieren. Auch die antiziganistischen Ausschreitungen und Morde in verschiedenen EU-Ländern wie Ungarn, der Tschechischen Republik und Italien finden in deutschen Medien nur sehr geringen und meist sehr verspäteten Niederschlag. Diese exemplarische Bestandsaufnahme ist symptomatisch für alle Bereiche der Gesellschaft: Ob Politik, Kultur, Medien, Wissenschaft oder Bildung, eine Beschäftigung mit Antiziganismus spielt meist nur eine marginale Rolle. Über die Gründe dafür kann nur spekuliert werden. Aber es ist immerhin möglich, zwei Anhaltspunkte zu liefern. Obwohl sich die Verfolgung in der Praxis häufig ähnelte, spielte der Antiziganismus, beispielsweise im Vergleich zum Antisemitismus, in der Propaganda des NS eine eher vernachlässigbare Rolle. Auch der Grund hierfür ist nicht geklärt. Entweder erschien der Antiziganismus den Nazis so selbstverständlich, dass sie ihn nicht zu propagieren brauchten, oder – was wahrscheinlicher ist – die „Aufklärung” über die vermeintliche „jüdische Weltverschwörung” war ihnen wichtiger, die vermeintliche „Bedrohung” größer. In jedem Fall kann diese Nichterwähnung als ein Grund für die fehlende „Reeducation” der Deutschen durch die Alliierten bezüglich Antiziganismus gelten. Damit einher geht, dass die antiziganistischen Bilder vom „Zigeuner” seit Jahrhunderten tief in das kulturelle Gedächtnis der Deutschen eingeschrieben sind. Als letzten Sommer in Berlin eine Gruppe rumänischer Roma aus einem Park vertrieben und daraufhin zum Spielball der Behörden wurde, konnten die Medien offensichtlich nicht anders, als von „Diebstahl”, „Bettel-Roma” oder „Nomaden” zu berichten.


Ambivalente Entwicklung
Andererseits muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass von der Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma in der BRD, deren Stimmen gegen Ende der 1970er Jahre verstärkt Gehör fanden, graduelle und trotzdem wichtige Verbesserungen unter anderem in punkto Diskriminierung und Gedenkpolitik erkämpft wurden. Forderungen nach Entschädigungszahlungen für während des NS erlittenes Leiden wurden aufgestellt und eine offizielle Anerkennung des Völkermordes sowie eine Beendigung der staatlichen Diskriminierung eingefordert. Seitdem hat es zumindest in der offiziellen Politik Verbesserungen gegeben. Bundeskanzler Helmut Schmidt erkannte 1982 den Völkermord an Roma und Sinti offiziell an, ein Schuldeingeständnis, das von späteren Bundesregierungen bestätigt wurde. Mittlerweile ist das Gedenken an die als „Zigeuner” Ermordeten fester Teil des bundesdeutschen Gedenkkanons, wenn auch weiterhin an marginaler Stelle. Ein zentrales Mahnmal wird gerade – versteckt im Berliner Tiergarten – gebaut. Auch die Anerkennung als „nationale Minderheit”, für die sich der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma jahrzehntelang eingesetzt hat, wurde vor einigen Jahren durchgesetzt. Die Anerkennung als „nationale” Minderheit hat zwar immer auch einen zweischneidigen Charakter – es wird ein „fundamentaler Unterschied” zwischen „Mehrheit” und „Minderheit” festgeschrieben –, gleichzeitig ermöglicht der Status als „Minderheit” aber die Durchsetzung wichtiger Forderungen im Bereich des Schutzes vor Diskriminierung.

Auch wenn auf der offiziellen politischen Ebene einige Verbesserungen erreicht wurden, gilt es festzuhalten, dass die Vorurteilsstruktur des Antiziganismus in Deutschland und Europa weiterhin sehr weit verbreitet ist. Insbesondere für Deutschland ist die Diagnose dabei zweischneidig. Einerseits spielen „Zigeuner” in der Wahrnehmung der deutschen AntiziganistInnen selbst häufig keine zentrale Rolle. Das heißt, dass Themen wie beispielsweise der antiziganistische Vorwurf der „Zigeunerkriminalität”, der in Rumänien oder Italien gerade im öffentlichen Diskurs weit verbreitet ist und häufig geäußert wird, in der BRD vergleichsweise selten Thema sind. Andererseits kann Antiziganismus aber jederzeit, unverhohlen und potenziell auch mit Bereitschaft zu physischer Gewalt abgerufen werden. Um bei dem zitierten Beispiel zu bleiben, verstehen auch alle Deutschen, wer gemeint ist, wenn in Köln von „Klau-Kids” gesprochen wird oder wenn die Offenbach-Post in Zusammenhang mit einem Betrugsfall im August 2009 von Angehörigen einer „Volksgruppe” mit einer „Vorliebe für bunte Kleidear” schreibt.


Gesellschaftliche Ursachen

Eine Erklärung für die zuletzt genannten Beispiele ist, dass die Ursachen des Antiziganismus von den Anlässen seiner Äußerungen unterschieden werden müssen. Die Ursachen liegen in den sozialen Verhältnissen der Mehrheitsgesellschaften begründet, lassen sich also nicht einfach so in kurzer Zeit verändern. Die Bedrohungsvorstellung durch die angebliche Nichtsesshaftigkeit der „Zigeuner” beispielsweise steht in engem Zusammenhang mit der Durchsetzung der Territorial- und später der Nationalstaaten in Europa. Dabei wurden feste Grenzen und eine eindeutige „nationale Identität” sehr wichtig. Diese Entwicklung war jedoch schon immer ambivalent und uneindeutig. In manchen Staaten finden sich mehrere „Nationen”, manche „Nationen” waren lange Zeit auf mehrere Staaten aufgeteilt. Das Konzept selbst ist in sich widersprüchlich: Einerseits soll erst der Staat die Staatsbürgerschaft verleihen, andererseits sollen die „Nationen” aber bereits Tausende Jahre vorher existiert haben. „Blutrecht” und „Bodenrecht” werden miteinander vermischt. Diese Ambivalenzen werden nun in der Vorstellung der Mehrheitsgesellschaft unter anderem den „Zigeunern” zugeschrieben. Diese repräsentieren dabei einen angeblich vormodernen Gegenpol zu dieser nationalstaatlichen Entwicklung. In der Vorstellungswelt des Antiziganismus ignorieren sie die staatlichen Grenzen und lassen sich nicht in die angeblich fest verwurzelten „nationalen Identitäten” einteilen. Werden sie verfolgt und beseitigt, wird auf diese Art und Weise symbolisch die „nationale Ordnung der Welt” wiederhergestellt. Das heißt, dass sich eine „nationale Identität” ganz eindeutig in Abgrenzung zu „den Zigeunern” herstellt. Zum Zweiten macht es all jenen, die sich nicht so eindeutig mit der Nation identifizieren, klar, dass sie potenziell mit Verfolgung zu rechnen haben, weil sie sich „zigeunerisch” verhalten. So wird der Vorwurf des „vaterlandslosen Gesellen” zu einer offenen Drohung.

Auf eine ähnliche Art und Weise entstehen die Stereotype der „zigeunerischen Faulheit” und der „Zigeunerkriminalität”. Diese Vorstellungen stehen in engem Zusammenhang mit der Durchsetzung der Arbeitsgesellschaft in Europa seit dem 17. Jahrhundert. „Fleiß” und später „Produktivität” werden zu zentralen Tugenden der europäischen Gesellschaften. „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht leben”, könnte dieses neue Motto genannt werden. „Zigeuner” werden in den antiziganistischen Vorstellungen der Mehrheitsgesellschaft wiederum zum vormodernen Gegenpol stilisiert. Ihnen wird vorgeworfen, nicht zu arbeiten und trotzdem zu leben, indem sie sich vorgeblich wie ein „Parasit” am Leib der „Wirtsgesellschaft” – oder, in NS-Termini ausgedrückt, am „Volkskörper” – schadlos hielten. Auch hier tauchen beide oben erwähnten Funktionen wieder auf. Zum Ersten benötigt der Stolz auf die eigene „ehrliche Arbeit” und auf den „Fleiß” zur Abgrenzung die Vorstellung von der „zigeunerischen Faulheit”. Wenn diese „ehrliche Arbeit” – wie in Krisenzeiten – nicht dazu führt, dass die Volkswirtschaft rund läuft, werden folglich unter anderem „die Zigeuner” dafür verantwortlich gemacht. Zum Zweiten werden auch hier Drohungen an all jene ausgesprochen, die sich vermeintlich „zigeunerisch” verhalten. In vielen Diskursen werden Begriffe wie „Asoziale”, „Bettler” und eben „Zigeuner” beinahe synonym verwendet. Eine ähnliche Analyse lässt sich für viele andere zentrale Stereotype des Antiziganismus durchführen: Beispielsweise benötigen patriarchale Vorstellungen von einer tugendhaften Weiblichkeit, die sich dem Mann unterzuordnen hat, als Gegenbild die Vorstellung der triebgesteuerten hochsexualisierten „Zigeunerin” à la Carmen, die die Männer um den Verstand bringt und somit ihre Vorherrschaft bedroht.


Perspektiven?
Diesen Ursachen zur Seite gestellt sind mögliche Anlässe für die Äußerung antiziganistischer Vorurteile oder antiziganistische Gewalttaten. Diese finden sich beispielsweise in der gegenwärtigen ökonomischen Krisensituation, im Wiedererstarken des Nationalismus in Osteuropa oder eben auch im Campieren einiger rumänischer Roma in einem Berliner Park. Diese Anlässe dürfen allerdings auf keinen Fall als Erklärung des Antiziganismus missverstanden werden; eine solche Analyse würde den Kern des Ressentiments verfehlen. Es ist aber gut möglich, dass die derzeit auf den ersten Blick nicht besonders bedrohlich wirkende Situation in der BRD einfach einem Mangel an Anlässen geschuldet ist. Ein Roma-Aktivist äußerte sich dazu vor kurzem in ironischer Weise folgendermaßen: „Solange es Deutschland gut geht, geht es seinen ‘Zigeunern’ auch gut. Da wir in jüngster Zeit den Wachstumsabbau erleben, wird es nicht lange dauern – was zu befürchten ist –, bis wir Zustände wie in Südosteuropa bekommen.”

Die Ursachen des Antiziganismus zu beseitigen, scheint auf kurze Sicht nicht durchsetzbar. Konkret möglich wäre es aber, antiziganistische Äußerungen und Praxen im gesellschaftlichen Diskurs zu ächten sowie von staatlicher und behördlicher Seite konsequent und eindeutig gegen sie vorzugehen. Der politische Wille und das Interesse, die Diskriminierung von Roma und Sinti nachhaltig und konsequent auf allen Ebenen zu bekämpfen, scheinen allerdings weder in der BRD noch auf europäischer Ebene vorhanden zu sein. Ganz im Gegenteil muss Antiziganismus immer noch als allgegenwärtiger Normalzustand an-gesehen werden. Angesichts der Zunahme antiziganistischer Übergriffe, Pogrome und Morde ist das eine traurige und gefährliche Realität.