Saúl Méndez über soziale Proteste und gewerkschaftliche Perspektiven
Saúl Méndez ist Vorstandsmitglied der Koordination sozialer Bewegungen (Frenadeso) und Sekretär der Bauarbeitergewerkschaft Suntracs. Beide Organisationen zählen auf Grund ihrer Mobilisierungskraft zu den Stützpfeilern der sozialen Bewegungen in Panama. Die große soziale Ungleichheit im Land geht einher mit der brutalen Unterdrückung von Protesten und gewerkschaftlichem Engagement. Saúl Méndez war Mitte November 2008 auf einer Rundreise durch Italien, Spanien und Deutschland, um über die Situation in Panama zu informieren.
Panamakanal, Wolkenkratzer, Schiffe unter panamaischer Flagge, Geldwäsche. Den Menschen in Panama müsste es doch ganz gut gehen?
Einigen wenigen geht es phänomenal. Aber wir leben in einem Land mit
zwei Gesellschaften. Wer in Panama auf dem Flughafen landet, sieht
überall die modernen Anlagen und Bürotürme der Stadt. Die Reichen in
Panama leben besser als die Reichen Europas. Aber rund 70 Prozent der
Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze und Panamas Indígenas –
rund zehn Prozent der Bevölkerung – leben fast alle in extremer Armut.
Das ist die Realität Panamas: Du siehst im 21. Jahrhundert Kinder, die
barfuß in die Schule gehen, die meist nicht mehr ist als ein Schuppen.
Öffentliche Krankenhäuser sind Räume ohne Apparate und ohne
Medikamente.
Was sind die Gründe für diese auseinander klaffende Schere zwischen Arm
und Reich? Strukturprobleme, unterschiedliche
Entwicklungsgeschwindigkeiten zwischen Stadt und Land?
Nein, viel einfacher: Panamas Oligarchie plündert dieses Land aus.
Inseln, Strände und Wälder werden verscherbelt, Indigene und
Bauerngemeinden werden vertrieben. Internationale Bergbaukonzerne
graben das Land um und vergiften die Umwelt. Milliarden sollen in den
Ausbau des Panama-Kanals gesteckt werden, ohne dass klar ist, ob sich
das jemals auszahlt. Panama ist ein Transitland für den Menschen-,
Drogen- und Waffenhandel. Und natürlich wird in Panama Geld gewaschen.
Die Oligarchie verdient überall kräftig mit. Im Bausektor sind in den
letzten zehn Jahren mehr als 200 Arbeiter durch Unfälle zu Tode
gekommen, weil die Unternehmer einfachste Sicherheitsstandards nicht
anwenden, um ihre Profite zu erhöhen. Und jetzt will die Regierung die
Wasserversorgung privatisieren. Auch davon wird nur die Oligarchie
profitieren.
Was sind dagegen die Forderungen und Ziele von Suntracs und Frenadeso?
Das dringlichste Problem sind die hohen Lebenshaltungskosten. Wir
fordern daher eine Anhebung des Mindestlohns ebenso wie eine Senkung
der Preise, vor allem für Grundnahrungsmittel. Am 4. September haben
wir mit einem Generalstreik die wichtigsten Wirtschaftszweige des
Landes lahm gelegt. An diesem Streik beteiligten sich fast alle
Sektoren der Gesellschaft, auch Lehrer und medizinisches Personal – die
traditionelle Mittelschicht also. Denn ihnen ist klar geworden, dass
die Ausbeutungspolitik der Regierung auch sie in die Armut treibt.
Wichtiger ist uns aber, mit den herrschenden Machtverhältnissen zu
brechen und diesen Staat neu zu gründen. Das ist nur durch Aufklären,
Informieren und Organisieren der Bevölkerung zu erreichen – in diese
Richtung gehen unsere Anstrengungen. Unser Ziel ist eine
Verfassunggebende Versammlung, die das Volk selbst einberuft. In dieser
sollen ein neuer Sozialpakt, eine neue Verfassung und neue Spielregeln
ausgearbeitet werden, nach denen gewählt wird. Das Ziel ist es, freie
und faire Wahlen auszurufen, statt dieser Karikatur einer Demokratie,
die eine Diktatur von hundert Familien ist, die die Eigentümer der
wichtigsten Parteien, der wichtigsten Medien und der wichtigsten
Unternehmen sind.
Das wird diese hundert Familien nicht freuen. Wie reagiert der Staat auf Ihre Forderungen?
Im letzten Jahr haben wir die brutalste Repression durch den Staat und
die derzeitige Regierung erlebt. Drei Gewerkschaftsführer von Suntrax
und Frenadeso sind ermordet worden – Ali Romeo Smith am 12. Februar
dieses Jahres, Luis Arruello und Oswaldo Lorenzo im August 2007. Im
selben Zeitraum wurden mehr als 1.500 Menschen verhaftet. Die
Staatsanwaltschaft wird genauso wie die Justiz instrumentalisiert, um
die Gewerkschaften und die sozialen Bewegungen zu verfolgen und zu
kriminalisieren. Und abgesehen davon werden die Medien dazu benutzt,
die sozialen Bewegungen zu „satanisieren“ und zu disqualifizieren.
Sie haben gesagt, dass das Informieren der Bevölkerung eine zentrale
Rolle spielt. Welche Strategien verfolgen Sie angesichts von Medien,
die – wie Sie sagen – allein dem Zweck dienen, den Status Quo zu
erhalten?
Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen uns, dass wir uns gegenüber
dieser Medienmacht eigene, alternative Medien aneignen müssen. Wir
haben Dokumentarfilme produziert, in denen es um die Unterdrückung der
sozialen Bewegungen und die Ermordung von Aktivisten geht. Es eröffnen
sich aber unserer Ansicht nach noch viel größere Möglichkeiten durch
die Verbreitung von Programmen über das Internet und vor allem über
alternative Radios. Bislang waren unser Kommunikationsformen Flyer,
Plakate und Demonstrationen. Mit alternativen Medien wird es uns
gelingen, nicht nur die eigene Bevölkerung zu informieren, sondern auch
international viel besser darauf aufmerksam zu machen, was in Panama
passiert.
// Interview: Markus Plate
Ausgabe: Nummer 415 - Januar 2009