Linke Perspektiven aus der DDR 1968
Im derzeitigen Erinnerungsgetöse um 1968 wird linke Geschichte zum national konstituierenden Moment, zur rehabilitierenden Geschichte der "Deutschen". Die 68er werden als ModernisiererInnen ...
... der Gesellschaft gefeiert - gemeint ist vor allem die der BRD. Die Auswirkungen auf die DDR bleiben als Ausrutscher der Geschichte höchstens am Rande erwähnt. Dabei eröffnen die damaligen Treffen von ProtagonistInnen aus beiden politischen Systemen den Blick auf die Perspektiven der Linken des Ostens auf die Neue Linke im Westen und nicht zuletzt auf die Möglichkeiten der Geschichte. Kurz vor dem 1. Mai 1968 holten sich einige Gruppen rund um die APO Regenmäntel und Helme aus einer Wohnung in Ostberlin ab. Die APO hatte um Unterstützung gegen Wasserwerfer und Gummiknüppel gebeten, und einige Jugendliche in Ostberlin sammelten in Eigeninitiative Geld in den Kreisen, die der Initiator dieser Aktion "unser Establishment" nannte - insgesamt kamen 8.000 DDR-Mark zusammen. Für das Geld wurden die Demo-Utensilien gekauft und die EmpfängerInnen bekamen gegen Quittung ein Papier, auf dem die Sachen als "Solidaritätsgeschenk für die Westberliner APO zum 1. Mai 1968" ausgewiesen waren. (1) Neben solch praktischer Solidarität bestimmte vor allem der inhaltliche Austausch das Verhältnis zwischen Ost- und West-Linker. Hier soll die Geschichte der Kontakte, der inhaltlichen Nähe und Differenzen zwischen beiden Gruppen anhand von zwei Treffen gezeigt werden, die 1968 und 1969 stattfanden. Obwohl die konkreten Hoffnungen und das Interesse der Linken in der DDR eher auf den Prager Frühling gerichtet waren, wurden die Studentenproteste in Westberlin aufmerksam und kritisch verfolgt. Vom Westen aus suchte man den Rat der alten AntifaschistInnen in der DDR. Vor allem der intellektuelle Kommunist und DDR-Dissident Robert Havemann und der Liedermacher und Sohn eines kommunistischen jüdischen Hafenarbeiters Wolf Biermann waren geschätzte Gesprächspartner der Westberliner Linken. (2)Neugier, Bezugnahmen und Vorbehalte in Ost und West
Welche Themen die Diskussion zwischen Ost- und West-Linker beherrschten, zeigen Dokument, die bisher zum Teil unbeachtet im Archiv des MfS lagerten. Es handelt sich um Spitzelprotokolle eines Treffens im Januar 1968 sowie eine 78 Seiten lange Tonbandmitschrift eines Gesprächs im Frühsommer 1969 (3) zwischen dem Havemann-Biermann-Kreis und APO-VertreterInnen. Am 27. Januar 1968 organisierte die Bildhauerin Ingeborg Hunzinger-Franck ein Treffen in ihrem Haus in Berlin-Rahnsdorf. (4) Die 30-35 Teilnehmenden lesen sich wie das who is who der kritischen linken Kunst- und Intellektuellenszene. Neben Robert Havemann, Wolf Biermann, Heiner Müller, Robert Riehl und Eva-Maria Hagen war da ein Kreis von jungen Leuten, die sogenannten Kinder des roten Adels, die später die bekanntesten Ost-68er werden sollten. (5) Die West-Delegation bestand u.a. aus Rudi Dutschke, Fritz Teufel, Dieter Kunzelmann, Rainer Langhans und Klaus Wagenbach. Beiden Seiten ging es darum, sich über Ziele und Aktionsformen der anderen Seite zu informieren. Die Ost-Linken sahen sich im "antifaschistischen Grundkonsens" mit der Regierung der DDR und einer "positiven Haltung zum Sozialismus insgesamt". (6) Ihre Kämpfe führten sie auf theoretischer Ebene, inhaltlich ging es um eine Kritik am Stalinismus und an der Parteibürokratie. Ihr Ziel: eine "sozialistische Demokratie". (7). Die Westberliner BesucherInnen propagierten hingegen die Praxis der direkten Aktion, die auch ohne grundlegendes Konzept ihre Wirkung entfalten würden. Die Westler kritisierten die "Passivität" und "Kleinbürgerlichkeit", die im Osten herrsche, und meinten, "Großveranstaltungen und Ernte-Einsätze" sollten in der DDR genutzt werden, um "Tumulte" entstehen zu lassen. Das Treffen hatte zunächst wenig Folgen. Die Unterschiedlichkeit der Kämpfe und Ansätze war in Berlin-Rahnsdorf beiden Seiten klar geworden. Im Anschluss an die Diskussion war in Abwesenheit der Westler im Osten die Meinung zu hören, dass die APO über "keine revolutionäre Theorie" verfüge und auch keine "tatsächliche revolutionäre Bewegung" repräsentiere. Gleichwohl riss der Gesprächsfaden nicht ab, wie ein Treffen im Frühjahr 1969 zeigt. In Westberlin hatte sich die Situation im Vergleich zum Vorjahr dramatisch verändert: Demonstrierten 1968 am 1. Mai noch 40.000 Leute durch Berlin-Neukölln, waren es ein Jahr später nur noch einige Hundert. Die Bewegung war in der Krise und suchte ausdrücklich bei Havemann um Rat. Es kam zu einem geheimen Gespräch zwischen Biermann, Havemann und einem APO-Delegierten, der in dem einzig vorhandenen Dokument nur mit einem Vornamen auftaucht. In dem Gespräch ging es um Fragen der Organisierung, Ziele einer radikalen Linken, um Bündnispolitik, das Problem einer marxistischen Linken mit (klein-)bürgerlichem Hintergrund, um Fragen von Abgrenzung und Positionierung und um die Politik der (Nicht-)Anerkennung der DDR durch die BRD. (8) Im Osten betrachtete man die Situation in Westberlin als gefährlich, da die Bewegung sich der "sektiererischen Spaltung und des Zerfalls, des Unterliegens gegenüber der Enttäuschung" ergeben könnte. Havemann mahnte mehrfach an, dass sich die Linke im Westen ihrer "historischen Aufgabe" bewusst werden müsste. Das Problem im Westen sei, dass sie mittlerweile nicht mehr über ein "Spektrum an (...) Sympathie für linke Bewegung" verfügen würden, das noch vor zwei Jahren vorhanden gewesen sei. Wurde das verlorene Mobilisierungspotenzial von der APO als qualitativen Gewinn verstanden, hielt man im Osten das quantitative Mobilisierungspotenzial für kein kleines Problem und warnte vor einer "Selbsterkenntnisbefriedigung". Aus Sicht der West-Linken war der Sozialismus in der DDR und den anderen sozialistischen Ländern noch nicht verwirklicht, es würden die "1.000 kleinen Schritte" fehlen. Die Produktionsverhältnisse zu ändern, reiche alleine nicht aus. Im Westen würde man deshalb auch auf anderen gesellschaftlichen Ebenen, nicht nur auf der ökonomischen, über eine Veränderung der Gesellschaft diskutieren. Havemann entgegnete, dass er die "Umstülpung der Besitzverhältnisse" für die Basis halte, um über "kulturelle Ziele" einer Gesellschaft nachdenken zu können. Allerdings sei diese Umverteilung in der DDR nicht realisiert, sondern lediglich der Übergang von Privateigentum in Staatseigentum vollzogen worden.Die West-Linke und der Realsozialismus
Das Dilemma der West-Linken angesichts des Realsozialismus lag aus Sicht des APO-Delegierten einerseits darin, dass sie "wirklich auf der politischen Ebene" vom Osten nicht anerkannt würde, andererseits sei das, was dort als Sozialismus gelebt würde, nicht das, was man unter einem neuen Gesellschaftsmodell verstünde. Im Gegenteil diskreditiere der Realsozialismus das Potenzial linker Gesellschaftsentwürfe und Kritik. Statt auf diese Kritik einzugehen, forderte Havemann dazu auf, sich zu öffnen und machtvolle Bündnisse zu schließen. Dabei sollte neben der "Arbeiterklasse und ihren Organisationen" auch unter den Intellektuellen und KünstlerInnen nach entsprechenden Verbündeten gesucht werden. Aus diesem Argument sprach die Erfahrung der rigiden Kulturpolitik in der DDR nach 1965, die alle emanzipatorischen Ansätze der Kunst- und Kulturschaffenden zurückgedrängt hatte. Angesichts dessen sei im Westen eine Erweiterung der Perspektive auf alle gesellschaftlichen Bereiche dringend notwendig, um überall nach den "Bestandteilen des Neuen" zu suchen. Über die Frage hinaus, dass sich die Linke im Westen klar für eine Anerkennung der sozialistischen Staaten positionieren solle (was ohnehin eine Selbstverständlichkeit sei), forderten die Ost-Dissidenten von der APO auch eine klare Stellungnahme gegen den Einmarsch in Prag. Und kritisierten, dass die APO zu sehr in den Kampf gegen das vermeintliche Kleinbürgertum verstrickt sei und die rabiate Art, wie im Ostblock mit vermeintlichen "Kleinbürgern" umgegangen würde, im Grunde "ganz in Ordnung" fände.Fragen, die nicht nur Geschichte sind
Anlass für dieses Gespräch war die Krise der APO und die Frage, wie sie sich organisieren soll. Im Westen gab es Vorbehalte gegenüber jeder Form der Institutionalisierung von Bewegung, da die Bildung einer Organisation immer auch die Gefahr einer autoritären Struktur in sich berge. Havemann hielt dagegen, dass eine Organisation geschaffen werden müsste, um praktische Fragen zu lösen, keine theoretischen und dass deren Form sich erst dann finden würde, wenn die Aufgaben und das Ziel klar definiert seien. Organisierung wäre der Beginn einer verbindlichen Politik, weshalb man im Westen erkennen müsse, dass eine Organisation vonnöten sei: "Wichtig ist zunächst, dass ihr wisst, dass ihr überhaupt ein Auto braucht und nicht immer sagt, dass es ein Schaukelpferd auch tut." (Biermann) Um Bündnisse schließen zu können, müsse man selbst ein respektabler Bündnispartner sein. Zwar hätte die APO mit ihren Aktionen die bürgerliche Gesellschaft "erschrecken" können, allerdings fehle ihr ein Konzept zur Veränderung der Gesellschaft. Während Havemann kritisierte, dass die StudentInnen ein schlechtes Gewissen wegen ihres bürgerlichen Elternhauses hätten, und forderte, dass sie eher die "Chance auf Bildung und die Möglichkeit, den Verstand zu gebrauchen" als Glück ansehen sollten, das man nicht wegwerfen dürfe, beschrieb Biermann die Haltung der Intellektuellen im Osten als ein echtes Problem, da sie immer ein schlechtes Gewissen hätten, und dadurch weder revolutionäre Intellektuelle noch ArbeiterInnen werden würden. Er nannte "dieses chronische Schuldbewusstsein der deutschen linken Intellektuellen, dass sie keine Arbeiter" seien, eine "ganz sublime Art von Hochmut". Im Westen sei es die Aufgabe, konkrete Modelle und Projekte zu entwickeln und zu überlegen, was die größten Gefahren für die Bewegung wären und wie ihnen zu begegnen sei. Es gäbe "den ungeheuren Vorteil der Legalität", in der man "alles frei und offen machen" könne. Viele Facetten dieses Gesprächs bleiben bis heute interessant. Es zeigt, wie unterschiedlich einerseits die Generationen die Aufgaben einer Linken nach dem Nationalsozialismus und dem Holocaust in den beiden deutschen Staaten einschätzten und wie andererseits die Perspektive von dem jeweiligen Gesellschaftsmodell, in dem man lebte, geprägt war. Die Diskurse und Kämpfe sind heute andere. Es bleibt abzuwarten, inwieweit es in den Diskussionen um 68 gelingt, die Ost-Perspektive mit einzubeziehen. Sie ist nicht zuletzt hilfreich, den national konstituierenden Duktus des 68er-Gedenkens zurückzudrängen und auf die explizit linken Kämpfe und Fragen einer Bewegung Bezug zu nehmen, die sich von Anfang an transnational verstand und 1968 mit den antikolonialen Kämpfen und einer Reformierung des sozialistischen Modells begonnen hatte. Ulrike Hamann Anmerkungen: 1) Jahre später entdeckte Klaus Schlesinger, Initiator dieser Aktion, auf den Quittungen u.a. die inzwischen bekannt gewordenen Namen "A. Proll" und "H. Meins". Klaus Schlesinger: Fliegender Wechsel. Eine persönliche Chronik. Frankfurt/Main 1990, S.155-157, 169. 2) Biermann und Havemann äußerten sich auch in Interviews zu den Ereignissen in Westberlin, insbesondere zu den staatlichen Angriffen auf die Westberliner Proteste. In einem Interview mit der dänischen Tageszeitung Information (rückübersetzt und abgedruckt in der FR am 26.4.1968) nahmen beide im Frühjahr 1968 auf die Frage nach der Legitimität der Militanz der Proteste nach dem Anschlag auf Rudi Dutschke Bezug: "Der Mordversuch an Rudi Dutschke hat in der deutschen Geschichte seine bekannten Vorläufer, die alle Mordversuche an der Demokratie waren. Wenn man bedenkt, wohin politische Morde in Deutschland geführt haben, kann keine Protestaktion stark genug sein, sie wird eher zu schwach sein. (...) Die Spielregeln dieser Demokratie machen jede Opposition, die sich an sie hält, lächerlich." Seine Angst, dass die seit kaum zwanzig Jahren entmachteten Nazis wieder an Einfluss gewinnen könnten, war der Gradmesser, nach dem der 1943 vom Volksgerichtshof unter Roland Freisler zum Tode verurteilte kommunistische Professor die Proteste bewertete. 3) Die Aufnahme stammte von Robert Havemann, Wolf Biermann und einem der Stasi nur mit dem Vornamen bekannten Westberliner APO-Delegierten. Teile dieses Gesprächs wollten sie später für Veröffentlichungen nutzen. Dazu kam es nicht, da das MfS das Band bei einer illegalen Hausdurchsuchung von Havemann mitnahm. 4) Ingeborg Hunzinger organisierte auch in den Jahren zuvor immer wieder Treffen mit US-JournalistInnen, westdeutschen VerlegerInnen, türkischen ProfessorInnen und der DDR-linken Dissidenz-Szene. 5) Da zu gehörten u.a. die Havemann-Kinder, Nina Hagen, Franziska Groszer, Thomas Brasch, Sanda Weigl. 6) Alle Zitate aus BStU-Akte: AU 145/90, Bd. 2, S. 05-019. 7) Robert Havemann: Fragen, Antworten, Fragen. München 1972, S.50 8) Diese ganze Breite der Themen ist im Dokument nachzulesen. Ich werde hier nur einige heraus greifen. aus: ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 527/18.4.2008