The Golden Voice of the Great Southwest

Ein Nachruf auf den Folksänger, Anarchisten und Gewerkschafter Utah Phillips (15. Mai 1935 – 23. Mai 2008)

Mit Utah Phillips verstarb Ende Mai 2008 ein Singer-Songwriter, der in der Landschaft der US-amerikanischen Gegenkultur über Jahrzehnte seinen Platz hatte und der in den 70er und 80er Jahren so etwas wie der offizielle Botschafter der Industrial Workers of the World war, in einer Phase, in der die Gewerkschaft mangels Nachwuchs beinahe verschwunden wäre.

 

„In Amerika ist das Langzeit-Gedächtnis die radikalste aller Ideen“, zitierte er seine Freundin Rosalie Sorrels. Utah Phillips war ein Fackelträger in düsteren Zeiten, auch wenn das pathetisch klingen mag.

Phillips repräsentiert seine Ge­neration in einer Reihe politischer Folk-Sänger, die von Joe Hill (1879-1915) über Woody Guthrie (1912-1967) und Pete Seeger (*1919) reicht. Zu dieser Tradition gehörten neben einer Musik, in der sich Folk, Country, Hillbilly, ein wenig Blues und irische Balladen mischten, politische, oft tagesaktuelle und berichterstattende Texte, sowie ein Lebensstil, der es erlaubte und erforderte herum zu reisen und - wo es ging - aktuelle Kämpfe zu unterstützen. Was die US-Sänger von ihren deutschen Kollegen wie Wader, Degenhardt, Süverkrüp unterschied, war Coolness, Humor, auch Selbst-Ironie (und vom stalinistischen Pathos eines Barden wie Ernst Busch wollen wir gar nicht reden). Kein falsches Betroffenheits-Gedu­sel, pseudo-religiöses Gehabe, keine Belehrungen, die Musik musste rollen und mitreißen.

Utah schrieb viele eigene Songs, zu seinen Verdiensten gehört aber auch, dass er die Lieder der frühen Wobblies, Lieder von Joe Hill und anderen wie „There is Power in a Union“, „Halleluhjah I´m a bum“, „Dump the bosses of your back“, die aus einer Zeit stammen, die keine Aufnahmetech­nik kannte, in das digitale Zeitalter überführte.

Utah. Sein Name erzählt bereits eine Menge. Bruce Duncan Phil­lips benannte sich wie eines seiner Vorbilder, der Country-Star T. Texas Tyler (1916-1972), nach dem Bundes-Staat, aus dem er stammte. Phillips kam aus Salt Lake City. „War jemand schon mal in Utah?“, fragt er auf einem Konzert-Mitschnitt, nachdem er den ersten Song beendet hat. Einer im Publikum antwortet schüchtern: „Ja.“

Phillips zurück: „Warum?“ Das Publikum reagiert mit spontanem Gelächter. Der Landstrich scheint das zu haben, was man heute ein Image-Problem nennt. Phillips setzt noch einen drauf: „Wenn Du Dir einen run­terholst, gilt das in Utah schon als Inzest.“

Joe Hill (vgl. GWR 330) ist 1915 in Salt Lake City, der Hauptstadt des bigotten Mormonen-Staates, hingerichtet worden.

Er verfügte in seinem Testament, dass er überall, nur nicht in Utah begraben sein wollte. Utah Phillips zog mit dem christlichen Anarchisten und IWW-Mitglied Ammon Hennacy (1893-1970), dem Mann, der ihm die Augen öffnete, 1961 in Salt Lake City das „Joe-Hill-Haus der Gastfreundschaft“ auf, ein Asyl für Wanderarbeiter, Landstreicher und Penner. Es war vermutlich keine Tat der Wiedergutmachung an Joe Hill, sondern gelebte Renitenz gegenüber dieser Stadt. Salt Lake City bot sich als Knotenpunkt an. Im Winter kamen viele Ho­bos und Tramps aus Chicago auf dem Weg ins mildere Ka­lifornien vorbei. Das Projekt musste 1968 schließen und Utah ging auf Reisen. Im Gepäck die Lebensgeschichten al­ter Vagabunden und die Songs der Wobblies.

Phillips war von Zügen fasziniert. Er erzählte in seinen Liedern von der vergangenen Zeit, in der ein Spinnen-Netz aus Bahnlinien die USA überzogen, als die Kinder sich die Namen von berühmten Zügen nannten, wie sie später von Buick, Chevrolet, Dodge und Lincoln sprachen: dem Wabash Can­nonball, Montreal Limited, City of New Orleans, Portland Rose. Der Song „Daddy what´s a train?“ spielt damit, dass Kinder eines nahen Tages keine Vorstellung von diesem prächtigen Medium haben würden. Utah Phillips beklagte seit Jahren, dass dieses Netz durch Fixierung auf das Automobil systematisch zerstört wurde. Heute spielen Züge in den USA nur noch im Güter-Verkehr eine Rolle. Im Zuge von Ölpreis-Entwic­klung und wirtschaftlicher Depression werden sich in Zukunft weit mehr AmerikanerIn­nen mit Wehmut daran erinnern, dass Züge früher auch Passagiere befördern konnten.

Eine große Karriere ist ihm erspart geblieben. Sein Erstling, die LP „Good though“ (1972), kam gut an, sie blieb über Jahre die einzige. Seine darauf enthaltene Erzählung „Moose Turd Pie“, ein humoriger Spoken-word-Vortrag, in dem er seine Erfahrungen als Arbeiter und Koch unter Schienenlegern verarbeitete, wurde 1973 häufig im Radio gespielt, so dass Utah bundesweit bekannt wurde. Emmylou Harris machte aus „Green Rolling Hills“ einen Hit; „The Goodnight-Loving Trail“ wurde zu einem häufig geco­verten Klassiker. Über die Jahre baute er sich auf seinen Reisen eine treue und solide Pub­likumsbasis auf. Seine Monologe, Erzählungen und launischen Jokes zwischen den Songs waren vermutlich genau­so wichtig für Utahs Bühnen-Show wie seine Songs. Mit viel Understatement sagte er über sich selbst: „Es ist wichtiger sympathisch zu sein, als Talent zu haben.“ In den 90ern wurde er zu einem Elder-Statesman der US-Folk-Szene. Ani di Franco nahm zwei Alben mit ihm auf, eines wurde für den Grammy nominiert, mehr nicht.

Als er 2004 aufgrund von Herz-Problemen weniger reisen konnte, startete er eine Radio-Show, die von verschiedenen Stationen in den USA übernommen wurde - Loafer’s Glory: The Ho­bo Jungle of the Mind. Als sein Herz ihn zwang, 2007 auch die wichtigsten Folk-Festivals sausen zu lassen, war klar, dass es ernst würde. Die IWW und die Folk-Community begannen, für ihren Veteranen Geld zu sammeln, um ihm einen würdigen Lebensabend zu ermöglichen. Der wurde recht kurz.

Am 23. Mai 2008 soll ein fürchterliches Unwetter seinen letzten Wohnort, Nevada City in Kalifornien, heimgesucht ha­ben. Seine Angehörigen erzählen sich, dass Bruce Duncan Phillips, genannt Utah „The Golden Voice of the Great Southwest“, auf einem prächtigen Blitzschlag heimwärts geritten sei.

Sliding Stuhlfauth (IWW Köln)

 

 

Quellen/Links: David Rovichs - Some thoughts on Utah Phillips, 25. Mai 2008: www.iww.org/de/node/4176

Washingtion Post, 29. Mai 2008 -  www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2008/05/29/AR2008052902087.html

Amy Goodman interviewt Utah Phillips, Januar 2004  - http://www.zmag.org/zaudio/2705

Wikipedia - http://en.wikipedia.org/wiki/Utah_Phillips

 

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 331, 37. Jahrgang, September 2008, www.graswurzel.net