Turbulenzen im imperialen Dollarsystem

Die Grenzen des neuen Rentierkapitalismus

Peter Gowan, einer der großen marxistischen Ökonomen Britanniens, stellte in seinem Beitrag auf dem Kongress "Kapitalismus - reloaded" fest,

dass das angelsächsische Modell des Rentierkapitalismus mit dem "Interesse des Geldkapitals, kurzfristige Gewinne aus dem industriellen Sektor abzuschöpfen," sich in Europa und Japan bisher nicht hat durchgesetzten können und auch in den Ursprungsländern zunehmend an seine Grenzen stößt. Auch die imperiale Rolle des US-Dollars, die im permanenten Leistungsbilanzdefizit der USA mit dem Rest der Welt zum Ausdruck kommt, ist nicht auf Dauer haltbar. Er beobachtet eine Stärkung der EU, Russlands und Chinas gegenüber den USA. "Ein Zusammenbruch des Dollar-Wall-Street-Regimes würde sich auf die amerikanische Wirtschaft verheerend auswirken und käme einer ziemlichen Gefährdung der Integrität der US-zentrierten internationalen politischen Ökonomie gleich." Er sieht Anzeichen für ein steuerloses Dahintreiben des internationalen Kapitalismus und die "Rückkehr zu einem stärker dezentralisierten, regionalisierten Großraumsystem, das der Epoche vor 1914 ähneln könnte".

Der Beitrag, den wir hier in Auszügen abdrucken, bekommt durch die aktuelle Finanzmarktkrise eine besondere Schärfe und Aktualität. Wichtige Texte des Kongresses sind jetzt in Buchform erschienen (Arrighi u.a.: Kapitalismus Reloaded, VSA, Hamburg 2007)

1. Probleme in der internationalen politischen Ökonomie

Das Dollar-Wall-Street-Regime

Dem kapitalistischen Zentrum mangelt es schon seit den 1970er Jahren an einem stabilen Vertragsgefüge, das sozusagen die Rolle der tragenden Säule jedweder internationalen kapitalistischen Wirtschaft sein muss: eine internationale Währungs- und Finanzarchitektur. An ihrer Stelle haben wir etwas, das wir als ein imperiales Dollarsystem bezeichnen könnten und das sich auf die zentrale Bedeutung der Wall Street und der Londoner Börse im Finanzsektor stützt.

In diesem System mangelt es den internationalen kapitalistischen Akteuren an einer stabilen internationalen Währungseinheit, welche die gesamte Weltwirtschaft umgreift. Stattdessen betreiben diese ihre Aktivitäten mit der Währung eines einzelnen kapitalistischen Staates, die ausschließlich den makroökonomischen Interessen ihres Ursprungslandes, den Vereinigten Staaten, "gehorcht".

Dieses Arrangement sorgt für äußerst brisante und instabile Rahmenbedingungen bei der Durchführung internationaler kapitalistischer Aktivitäten, da der Wechselkurs des Dollars zu anderen Währungen wild hin- und herschwankt. Eine Konsequenz dieses Systems ist, dass die kapitalistischen Unternehmen dadurch gezwungen werden, sich bei all ihren internationalen ökonomischen Operationen gegen Wechselkursschwankungen abzusichern, indem sie Derivatverträge über ausländische Währungen abschließen, mit Forderungsrechten besicherte, festverzinslich strukturierte Wertpapiere ausgeben, Bankdarlehen aufnehmen oder Kredit/Schulden-Arrangements aushandeln etc. Allerdings lösen solche Derivatverträge das Problem des internationalen Handels nicht wirklich, da sie nur eine Laufzeit von sechs Monaten haben. Dies hat dann wiederum eine ganze Reihe von weiteren Veränderungen im modus operandi der Weltwirtschaft zur Folge gehabt. Hierzu gehören u.a. die Notwendigkeit für Unternehmen, sogenannte transplant investments in anderen Zentren vorzunehmen, um die aus den Wechselkursschwankungen resultierenden Risiken zu mildern, oder auch die Notwendigkeit von Transferpreissetzungen.

Dieses aus der Sicht der internationalen kapitalistischen Wirtschaft äußerst dysfunktionale Währungssystem beruht nun auf dem Fortbestand einer Reihe von Umständen und Begebenheiten, die - wie sich zeigen könnte - nicht auf Dauer am Leben erhalten werden können:

(1.) die Zentralität der Wall Street und Londons als die Hauptzentren der Werteeinlagerung (value storage) und ihre Funktion als finanzielle Clearinghäuser der Weltwirtschaft;

(2.) der Fortbestand der Zentralität des amerikanischen Gütermarktes für das ökonomische Wachstum in weiten Teilen des übrigen Teils der Weltwirtschaft;

(3.) die weiterbestehende Bereitschaft der hauptsächlichen Warenproduzenten - insbesondere der Ölwirtschaft -, ihren Handel mit diesen Waren in Dollars zu betreiben; und

(4.) der fortbestehende Unwille der eurasischen kapitalistischen Hauptzentren, ein eigenes internationales Währungs- und Finanzregime zu konstruieren, das die beiden Enden der eurasischen Landmasse unabhängig vom Dollar miteinander verknüpft.

Für den Augenblick besteht das Dollar-Wall-Street-Regime ohne einen unmittelbar erkennbaren Herausforderer fort. Gleichzeitig konnte man beobachten, wie es in den letzten Jahren sehr deutlich unter Belastungsproben aller Art litt. Hierzu zählt die Bereitschaft der europäischen und japanischen Politikgestalter, den Aufbau eines eurasischen Währungsregimes ins Auge zu fassen, was ein Anzeichen für Spannungen ist.

Ähnliches kann gesagt werden für

(1.) die zwischen 2001 und 2003 artikulierten Andeutungen einiger Ölproduzenten, dem Dollar als Handelswährung den Rücken zu kehren;

(2.) die Weigerung der ostasiatischen Finanzbehörden nach 2002, ein Absinken des Dollarkurses hinzunehmen; und

(3.) die Auseinandersetzungen über die bestehenden enormen Zahlungsungleichgewichte und die hieraus resultierende Frage, ob die Kosten für die Abmilderung dieser Ungleichgewichte von den eurasischen Ökonomien durch Wechselkursbewegungen oder von der amerikanischen Ökonomie durch Hinnahme einer tiefen Rezession geschultert werden sollten.

(4.) Schließlich zeichnet sich am Horizont ab, dass der amerikanische Absatzmarkt seine makroökonomische Bedeutung für andere Wirtschaften verlieren könnte. Dies gilt insbesondere für Asien, denn hier entsteht in der Folge des Aufstiegs von China ein neues Wachstumszentrum nicht bloß für Investitionen und billige Arbeitskräfte, sondern auch für Absatzmärkte.

Ein Zusammenbruch des Dollar-Wall-Street-Regimes würde sich auf die amerikanische Wirtschaft verheerend auswirken und käme einer ziemlichen Gefährdung der Integrität der US-zentrierten internationalen politischen Ökonomie gleich. Im Augenblick schützt das Dollar-Wall-Street-Regime allerdings noch jene unerschütterliche Säule ihrer langfristigen Robustheit, nämlich die politische Macht der Vereinigten Staaten und deren Fähigkeit, vermittels ihres politischen Einflusses sich die Unterstützung der Zentralbanken und Finanzministerien der anderen kapitalistischen Kernländer für dieses System zu sichern.

Amerikas Verlust der Führungsposition in Sachen industrieller Arbeitsteilung und der Versuch, sich über den industriellen Kapitalismus "zu erheben"

Ungeachtet des Erfolgs des von den USA angeführten informations- und kommunikationstechnologischen Sektors ab den 1990er Jahren ist die industriell-technologische Führerschaft im Zentrum heute gestreut, wenn man die gegenwärtige Situation mit den 1950er Jahren vergleicht. Tatsächlich kann der Durchbruch in der Informations- und Kommunikationstechnologie in vielerlei Hinsicht eher als die Ausnahme angesehen werden, welche die Regel des Zerfalls des Industriekapitalismus in den USA bestätigt. Denn der Durchbruch in dieser neuen Wachstumsbranche war zu großen Teilen das Ergebnis amerikanischer staatlicher Industriepolitik und war abhängig von umfangreichen staatlichen Subventionen für Forschung und Entwicklung und von der Ankurbelung der Wirtschaft durch Staatsaufträge.

Tatsächlich ist das angestrebte Ziel, den industriellen Sektor in den USA dadurch wiederzubeleben, dass man seit den 1970er Jahren politisch auf eine Vermögens- und Einkommensumverteilung zugunsten der Unternehmerklasse und zuungunsten der Arbeiterklasse drängte, nicht Wirklichkeit geworden. Stattdessen hat es den Aufstieg eines neuen Typus von Rentierkapitalismus befördert, bei dem es im Kern darum geht, im Interesse des Geldkapitals kurzfristige Gewinne aus dem industriellen Sektor abzuschöpfen. In seinem Buch über die Geschichte des Industriekapitalismus in der atlantischen Welt sieht Alfred Chandler diesen Trend schon in den frühen 1960er Jahren einsetzen.

Der Nettoertrag einer Gesellschaft gehört den Aktionären (den Shareholder mit ihren breiten gesellschaftlichen Netzwerken). Sie erhalten ihn entweder in der Gestalt von Dividenden oder in der Gestalt eines Wertzuwachses bei den Aktien. Dieser entspricht der zusätzlichen Ertragskraft, die aus re-investierten Gewinnen geschaffen wurden. Sie können diese Kapitalgewinne ohne weiteres in Konsum umsetzen. So weit sie das nicht tun, schreibt ihnen das System sozusagen Ersparnisse gut. Was technischer Fortschritt, Kapitalakkumulation, Arbeit und Geschäftstüchtigkeit an Vermögen schaffen, fällt damit den Rentiers in den Schoß, während sie zuhause sitzen oder sich anderen Aufgaben widmen." (John Robinson, Die fatale politische Ökonomie, Frankfurt 1966)

Man kann diesen Trend unter anderem als die Entstehung eines freien Marktes für industrielle Unternehmen verstehen.
In der Phase des industriekapitalistischen Aufstiegs in den Vereinigten Staaten, d.h. zwischen den 1930er und den 1970er Jahren, bestand eine bemerkenswerte Kontinuität in industriellen Firmen in den Vereinigten Staaten und der Markt für industrielle Wertbestände war im Grunde genommen eine Restgröße mit bankrotten Firmen. Im Zuge der sich verschärfenden industriellen Konkurrenz durch japanische und europäische Unternehmen versuchten viele Unternehmensführungen schließlich gar nicht erst, die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Industrieunternehmen wiederherzustellen, sondern beschränkten sich darauf, unrentable Bereiche stillzulegen und industrielle Vermögenswerte zwecks der Erzielung kurzfristiger eigener Shareholdergewinne abzustoßen oder aufzukaufen. Dieser Trend beschleunigte sich in den 1980er Jahren, und zwar im Zuge des entstehenden Marktes für fremdkapitalfinanzierte Unternehmensübernahmen, und damit mit dem Eintreten der Wall-Street-Investmentban-ken, der Hedge- und Privat-Equity-Fonds in diesen Bereich.

Ein augenfälliges Moment dieses Trends sind die Spannungen zwischen den unmittelbar aus den Fusionen oder Übernahmen entspringenden Ausschüttungen an die Shareholder (um gar nicht erst von den Ausschüttungen an die bei diesen Operationen involvierten Finanzdienstleister zu sprechen) sowie den strategischen Aussichten der Industrieunternehmen, um die es dabei geht: So haben es große Teile der neufusionierten Einheiten in der Folge versäumt, sich im industriellen Wettbewerb zu behaupten. Und doch hat diese Tatsache dem allgemeinen Trend keinen Abbruch getan. Ganz im Gegenteil. Vielmehr haben die Vereinigten Staaten diesen neuen Rentierkapitalismus auch in den kapitalistischen Zentren jenseits des Atlantiks und Pazifiks befördert und eine Umstrukturierung deren Kapitalismen nach ihrem eigenen Vorbild angestrebt.

Gleichzeitig haben sowohl der europäische (insbesondere der deutsche) und der japanische Kapitalismus weiter daran gearbeitet, die Wirtschaftssysteme in diesen Ländern so auszurichten, dass in ihnen industrielle Modernisierung und die Eroberung der Weltexportmärkte funktionieren können. Im Falle Europas hat das europäische Binnenmarktregime ferner die Rahmenbedingungen für einen Markt von der Größenordnung der Vereinigten Staaten geschaffen. Und während Japan vorerst zwar eine solche autonome Marktbasis vermissen lässt (was Japan für den äußerst wirksamen Wirtschaftskrieg der USA verwundbar macht, weil es vom amerikanischen Absatzmarkt abhängig ist), könnte die anhaltende dynamische Entwicklung des ostasiatischen Wirtschaftsraums (allen voran die der chinesischen Wirtschaft) in absehbarer Zukunft Japan ein alternatives Umfeld für seine industrielle Expansion liefern.

Diese Trends verlaufen nun parallel zu den Konfigurationen der makroökonomischen Wirtschaftssteuerung. Während die makroökonomische Politik der USA entlang des Wachstums in der nachfragegeleiteten Binnenkonsumwirtschaft orientiert war und dabei typischerweise ein Hauptaugenmerk auf den nicht gewerblichen Sektor und hierbei insbesondere den Immobilienmarkt richtete, hat sich die makroökonomische Politik Japans und Deutschlands weiterhin an der binnenökonomischen Maßgabe der Deflation und dem Außenwirtschaftsziel der Handelsüberschüsse und Exporterfolge orientiert. In diesem Sinne korrespondieren die amerikanischen Zahlungsbilanzdefizite und die steigende internationale Verschuldung der USA mit diesen deutschen und japanischen Überschüssen.

Das angelsächsische Projekt eines neuen Rentier-Gesellschaftssystems

Die Entstehung der neuen Kapitalismusform des Rentierkapitalismus hat in den 1990er Jahren den Aufstieg eines neuen angelsächsischen Projektes begünstigt, bei dem es darum geht, die kapitalistische Gesellschaft in toto entlang des Rentiermusters umzustrukturieren. Wir haben es hier mit einem Vorstoß zu tun, die Lohnabhängigen direkt von der Performance der Wertpapiermärkte abhängig zu machen - und zwar nicht allein hinsichtlich ihres Arbeitsplatzes, sondern auch im Hinblick auf Sozialleistungen, insbesondere die Rente, die Gesundheitsfürsorge und die Hochschulbildung. Ist dieses Projekt erfolgreich zu Ende geführt, dann wird sich die Arbeiterklasse in einer Position der viel totaleren Marktabhängigkeit wieder finden als sie es jemals zuvor war.

Im letzten Jahrzehnt hat dieses Projekt in der angelsächsischen Welt auf der makroökonomischen Ebene bedeutende Erfolge feiern können. Während die Wettbewerbsfähigkeit in angloamerikanischen Firmen mit steigender Tendenz in Richtung Kostenverringerung gezielt hat, ist das Wirtschaftswachstum in zunehmendem Maße von einem Boom im nicht gewerblichen Sektor abhängig, d.h. von Industrien, welche die binnenökonomischen Konsumentenmärkte versorgen und nicht exportwirtschaftlich tätig sein können. Hieraus ist ein Widerspruch zwischen dem Drängen auf niedrigere Löhne, d.h. Kaufkrafteinschränkungen und der gleichzeitigen Abhängigkeit von einem Anstieg des Massenkonsums für das Wirtschaftswachstum entstanden. Die Quadratur des Kreises bewerkstelligte man, indem man die Sparquote der privaten Haushalte senkte und gleichzeitig Anreize für eine zunehmende Verschuldung dieser privaten Haushalte schuf. Dabei hat man sich die Rentieraspekte im Alltag breiter Teile der Arbeiterschaft in der angelsächsischen Welt zunutze gemacht, nämlich den hohen Grad an privatem Hauseigentum. So gelang es den angelsächsischen Kapitalismen, vermittels der Förderung eines Booms im Immobiliensektor und des gleichzeitigen umfangreichen Angebots von historisch niedrigverzinsten Krediten Finanzmittel aus den Hausbesitzvermögen zu extrahieren, indem die Arbeiter ihre Häuser mit neuen Hypotheken belasten konnten, und diese Mittel dann in den konsumbasierten binnenökonomischen Boom zu kanalisieren. Eben genau dieser Zusammenhang ist der Kern der wirtschaftlichen Aufschwünge in den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Australien und Neuseeland im vergangenen Jahrzehnt.

Allerdings scheint sich dieses Projekt nicht aus eigenem Antrieb am Leben erhalten zu können. Die mit ihm so eng verknüpfte steigende Verschuldung der Privathaushalte gerät allmählich an die Grenzen ihrer Belastbarkeit und Gleiches gilt für die Leistungsbilanzdefizite all jener Länder. Auf einer mehr strukturellen Ebene impliziert das Rentierprojekt, dass die Kosten für Renten, Gesundheit und Hochschulbildung den Privathaushalten aufgebürdet werden, die in Rentiersaktivitäten aktiv sind und die Fonds der Versicherungsindustrie auffüllen und dabei hoffen, dass solche Investitionen ihre Gesundheitsfürsorge und Renten für die Zukunft absichern.

Die Schlacht um die Marktstrukturen im kapitalistischen Zentrum

Dieses angelsächsische Projekt und sein Ziel der Umstrukturierung des kernkapitalistischen Gefüges ist in den anderen Hauptzentren des Kapitalismus, in Deutschland und in Japan, auf Widerstand gestoßen. Beide Zentren sind bis heute im Kern Industriekapitalismen geblieben mit dem Ziel des Industrieexports und der Verteidigung ihrer Führungsposition in Sachen industrieller Wettbewerbsfähigkeit. Hierfür ist die Beibehaltung diversifizierter und integrierter Industriestrukturen und die Erhaltung der Kapazitäten für einen langfristig-strategischen Investitionsansatz im industriellen Sektor notwendig.

Über einen Zeitraum von zwanzig Jahren haben die Vereinigten Staaten einen unbarmherzigen Vorstoß unternommen, den japanischen Kapitalismus umzustrukturieren. Dieser Versuch wurde durch die lange Abhängigkeit der japanischen Wirtschaft vom amerikanischen Gütermarkt begünstigt. Im Falle Deutschlands ist diese Abhängigkeit dagegen deutlich geringer ausgeprägt, da die deutsche Wirtschaft einen großen Gütermarkt in der Europäischen Union besitzt. Die US-Kampagne gegen Japan in den 1980er und 1990er Jahren implizierte die Auferlegung regulierter Handels- und regulierter Produktionsbeziehungen für eine ganze Reihe von japanischen Industriebranchen, das Drängen auf eine Zulassung amerikanischer Akteure im japanischen Finanzsektor, eine von Erfolg gekrönte und durch europäische Hilfe zustande gekommene Kampagne zur Benachteiligung japanischer Banken (vermittels des Baseler Bankenregimes) und einen ebenfalls erfolgreichen Versuch, die enge japanische Koordination von Regierungspolitik, Banken- und Industriestrategie sowie die Keiretsu-Verbindungen zwischen den Industrieunternehmen und den Banken zu beenden.

Und dennoch: Ungeachtet dieses nicht nachlassenden Drangs, den japanischen Kapitalismus umzustrukturieren, haben weder der japanische noch der deutsche Kapitalismus das angelsächsisch-rentierkapitalistische Modell übernommen. Trotz der erfolgreichen Angriffe Vodafones auf Mannesmann im Jahr 2000 und trotz des Vorstoßes US-amerikanischer Investmentbanken, in Japan eine feindliche Übernahmekultur zu etablieren, haben diese beiden Staaten der Entwicklung eines freien Marktes für Industrieunternehmen erfolgreich widerstanden und sich eine wirksame Binnenkontrolle über ihre Industriestrukturen erhalten. Auch der Weichenstellung in Richtung eines an die "Rentierisierung" der Arbeiterklasse gekoppelten konsumbasierten Booms haben sich Japan und Deutschland widersetzt.

Die hieraus resultierende Pattsituation ist nun wiederum keine rein ökonomische Frage, bei der es sich um die Wettbewerbsbedingungen zwischen verschiedenen Kapitalen dreht. Es handelt sich dabei vielmehr um eine tiefgreifend politische Frage, nämlich die Frage nach der Legitimität verschiedener kapitalistischer Gesellschaftsmodelle und Staatstypen.

2. Der Mangel an einem kohärenten Klub

Diese Probleme in der internationalen politischen Ökonomie des Gegenwartskapitalismus wären einigermaßen leicht zu behandeln, wenn denn die Hauptzentren des Systems in einem stabilen und politisch kohärenten Klub zusammengeschlossen wären. Das ist aber nicht der Fall. Und es ist absolut nicht auszuschließen, dass es in absehbarer Zeit nicht zur Entstehung eines solchen Klubs kommt, der in der Lage wäre, alle Beteiligten in einer neuen Ad-hoc-Totalität zum Steuern des Systems zu organisieren. Im Folgenden werde ich kurz die Ursachen dieser Sackgasse behandeln.

Der abgeschwächte Schutzmachtstellenwert des amerikanischen Militärapparats für die US-amerikanische Führung des Zentrums

Die Differenzen und realen oder potenziellen Spannungen in der internationalen politischen Ökonomie wären nicht zwangsläufig mit einer Krise der Weltordnung gleichzusetzen, wenn sie durch ein robustes internationales Rahmenwerk amerikanischer geopolitischer Kontrolle in Grenzen gehalten würden.

Ein solches Rahmenwerk bestand zur Zeit des Kalten Krieges, da die politische Gegnerschaft zur kommunistischen Welt die deutschen und japanischen Kapitalisten dazu zwang, ihre Akkumulationsraumstrategien nach innen in das amerikanisch kontrollierte Zentrum zu richten. Im selben Atemzug stellte die anhaltende militarisierte Konfrontation mit dem Ostblock sicher, dass die eurasischen kapitalistischen Kernländer auf die amerikanische Militärmaschine angewiesen blieben, um ihre eigene Sicherheit zu gewährleisten.

In einem solchen Kontext konnten die Vereinigten Staaten das Dollar-Wall-Street-Regime aufbauen und sich zufrieden zurücklehnen, in dem Bewusstsein, dass die zentrale Stellung der US-amerikanischen Wirtschaft für den Rest des Zentrums gesichert blieb. Und insofern, als das amerikanische Militär und ihre Geheimoperationsressourcen auch den Süden weltpolizeilich überwachten und dort antikapitalistische oder radikale nationalistische Regimes und Bewegungen, welche die Investitionen des Zentrums dort gefährdeten, bekämpften, besaß die politische Vorherrschaft der USA über die Länder des Zentrums einen weiteren stabilisierenden Baustein.

Auf diese Weise spielte der gigantische Militärapparat der USA eine funktionale Rolle für die amerikanische Vormachtstellung in der kapitalistischen Weltordnung des Kalten Kriegs. Gleichzeitig verankerte sich die militarisierte amerikanische politische Ökonomie mit tiefen Wurzeln in der Binnenstruktur der USA und sicherte sich so die innenpolitische Unterstützung für die expansionistische Tendenz des amerikanischen Kapitalismus. Dabei spielte der Wehretat der USA eine zunehmend wichtigere Rolle für die Erneuerung der hochtechnologischen Führerschaft der Vereinigten Staaten, da er hierfür als Transmissionsriemen diente.

Diese innenpolitische Bedeutung der militarisierten politischen Ökonomie hatte auch über das Ende des Kalten Krieges hinaus Bestand. So beschäftigte das amerikanische Verteidigungsministerium 2006 unmittelbar 2,143 Mio. Menschen. Hinzu kommen noch einmal 230.000 Beschäftigte der Veterans Administration. Weitere 3,6 Mio. Menschen waren im Dienst von Kontraktoren des US-Verteidigungsministeriums tätig. Alles in allem hat man es hier also mit einer Gesamtbeschäftigtenzahl von 5,973 Mio. Menschen zu tun. Das entspricht mehr als 4% der Summe aller Beschäftigten in den USA. Zählen wir hierzu noch die 25 Mio. Kriegsveteranen, die qua ihres Status Transferleistungsbezieher des Verteidigungsministeriums sind, und nehmen wir weiter an, dass jeder Amerikaner mit einer finanziellen Anbindung an das Verteidigungsministerium einem Haushalt mit durchschnittlich einer weiteren wahlberechtigten Person angehört, dann kommen wir auf eine Zahl von ungefähr 60 Mio. amerikanischen Wählern, die finanziell mit dem amerikanischen Militärestablishment verknüpft sind.

Gleichzeitig haben aus der Sicht der spezifisch kapitalistischen Machtinteressen des amerikanischen Staates der Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer kommunistischen Verbündeten die politische Bedeutung des Militärapparats untergraben. Die militärische Schutzmachtfunktion der USA in Europa ist im Grunde genommen in sich zusammengefallen und auch in Ostasien ist ihre bleibende Wirksamkeit ambivalenter und spannungsgeladener geworden. Im Falle des südkoreanischen Kapitalismus ist die Legitimität des militärischen Schutzes durch die USA stark untergraben worden sowohl hinsichtlich Nordkoreas als auch Chinas, denn der südkoreanische Kapitalismus hat seine Aktivitäten massiv in Richtung eines Handels mit China selbst orientiert. Und während die amerikanische militärische Schutzmachtfunktion für Japan weiterhin bedeutsam ist, haben sich in dem Maße, wie Japan sich zunehmend in Richtung China orientiert, auch hier neue und belastende Ambivalenzen ergeben.

Freilich bleibt es dabei, dass die bis in die entlegendsten Regionen reichenden Investitionen des kapitalistischen Zentrums an ihren Investitionsstandorten im Süden von nationalen Kräften bedroht werden können, und tatsächlich ist es denkbar, dass dies der Ansicht Auftrieb verleiht, dass der US-amerikanische Militärapparat seine Bedeutung als ein Apparat zur Unterdrückung von antikapitalistischen Bewegungen und Regimes in dieser Region beibehält.

Und doch ist es ein auffallendes Merkmal des heutigen US-militärischen Apparats, dass dies genau jene Funktion ist, für welche die amerikanische Militärmacht schlecht gerüstet ist. Die Vereinigten Staaten haben die militärische Kontrolle der Ozeane, des Weltalls und des Luftraums oberhalb von 5.000 Metern praktisch monopolisiert, auch besitzen sie überwältigende Vorteile im Bereich des Bodenkriegs in offenen Zonen, wie z.B. Ebenen und Wüsten. Unterhalb der 5.000-Meter-Marke, bei kriegerischen Auseinandersetzungen in Küstennähe und vor allem in Bodenkriegen in urbanen Räumen oder Dschungel- und Bergregionen jedoch ist ihre uneingeschränkte Vorherrschaft keineswegs unangetastet. Dabei sind es exakt diese Räume, in denen kriegerische Auseinandersetzungen mit antikapitalistischen oder radikalen nationalistischen Kräften aller Wahrscheinlichkeit nach stattfinden würden.

De facto sind wir heute im Besitz von zahlreichen Hinweisen auf diese maßgebliche Schwäche der politischen Funktionalität des gigantischen Militärapparats der Vereinigten Staaten.

Radikale politische Kräfte, die ihre politische Basis bei den städtischen Armen besitzen, scheinen sehr effektiv in der Lage zu sein, sich der amerikanischen Militärmacht erfolgreich zu widersetzen. Das zeigt sich bei den urbanen Aufständischen in den irakischen Städten und im militärischen Erfolg der Hisbollah in ihrem Widerstand gegen das israelische Militär, das in seiner Form der Gefechtsmacht mit der amerikanischen Militärmaschine identisch ist. Und solche Städtekriege fordern den amerikanischen Bodentruppenkapazitäten einen unhaltbaren Blutzoll ab.

Paradoxer Weise mangelt es dem gigantischen Militärapparat der USA in den urbanen Zonen des Südens somit an Glaubwürdigkeit als eine wirksame Polizeimacht im Namen der übrigen Länder des kapitalistischen Zentrums. Viel besser ist der amerikanische Militärapparat dafür gerüstet, kapitalistische Regimes mit ausgeprägten zivilen Infrastrukturen in die Knie zu zwingen. Hier kann die Macht seiner Luftstreitkräfte eingesetzt werden, verheerende Erschütterungen des Zivillebens und der ökonomischen Aktivitäten am Boden vor Ort zu verursachen. Allerdings reicht diese Kapazität beileibe nicht aus, das Vertrauen der anderen kapitalistischen Zentrumsstaaten zu gewinnen und die starke diplomatische Führungsrolle der Vereinigten Staaten gegenüber den anderen Zentrumsstaaten zu sichern. Die Annahme der Bush-Regierung, dass der unilaterale Einsatz ihrer Militärmacht gegen ein außerhalb des Zentrums liegendes und als Angriffsziel auserkorenes Land den Rest des kapitalistischen Zentrums hinter sich scharen würde, hat sich als irregeleitet erwiesen. Stattdessen hatte sie zum Ergebnis, dass das Misstrauen gegenüber der amerikanischen außenpolitischen Strategie vergrößert und die diplomatische Machtstellung der Vereinigten Staaten geschwächt worden ist.

Wir befinden uns also in einer Situation, in der sich die weiterhin bestehende massive Binnenlogik des riesigen Militärapparats in den Vereinigten Staaten nicht in die wirksame Waffe übersetzt hat, die qua amerikanischer Militärmacht die politische Kohäsion des Zentrums erzwingt. Das dramatischste Anzeichen für dieses Problem war die mögliche Entstehung eines neuen Typs von Einflusssphäre und eines neuen Typs von internationaler Politik, den man in den 1990er Jahren in der europäischen Peripherie entwickelte, unter der Vorherrschaft der westeuropäischen EU-Staaten. Die EU-Institutionen wurden genutzt, um in Zentral- und Osteuropa einen abhängigen Großraum (im Sinne des eingangs beschriebenen deutschen Begriffs) zu schaffen. Dabei war dies keine exklusive Sicherheitszone, sondern blieb im Rahmen der NATO rein formell unter der Kontrolle der USA, und doch entstand hier eine genuin politische Einflusssphäre. Überhaupt ergriff die Europäische Union eine Reihe von weltpolitischen Maßnahmen, die den politischen Stellenwert der amerikanischen Militärmacht verringern oder eindämmen und die USA in die politische Defensive drängen sollten. Hierfür diente der EU ihre Fähigkeit, Initiativen ins Leben zu rufen, die bei den anderen kapitalistischen Zentren für Zuspruch sorgen, wie z.B. das Kyoto-Protokoll, die Internationale Handelskammer (ICC) oder Rüstungskontrollen. Zwar gelang es der Bush-Administration, de facto der EU vermittels ihres britischen Satellitenstaates Großbritannien und der mittelosteuropäischen Klientenstaaten (vor allem Polen) die Suppe zu versalzen und ihre politische Initiative zu paralysieren; doch bleibt die Tatsache bestehen, dass die Versuche der USA, die aus dem Kalten Krieg überlieferte Form der zentrumsübergreifenden politischen Kohäsion aufrechtzuerhalten, auf wackligen Beinen stehen. So treibt auch die NATO in einem ziemlichen Kuddelmuddel ziellos dahin.

Bühne frei für die neuen Aspiranten des Eintritts ins Zentrum: Russland und China

Angesichts der Tatsache, dass kapitalistische Weltordnungen die Form von Ad-hoc-Totalitäten annehmen, bei denen es auf Kompromisse zwischen Insidern in einer ganzen Reihe von potenziell konfliktträchtigen Themen ankommt, ist der Eintritt von neuen Mitgliedern in diesen Weltordnungsklub eine Quelle von sehr heftigen Spannungen. Die Entscheidung der Vereinigten Staaten, Japan in den frühen 1960er Jahren die volle Klubmitgliedschaft zu garantieren, war seinerzeit eine Quelle verbitterter Proteste von Seiten der westeuropäischen Staaten. Und die Hinwendung Russlands und Chinas zum Kapitalismus erweist sich auch eine Quelle von ziemlich wahrscheinlich zunehmenden akuten Spannungen.

In den 1990er Jahren richtete die Clinton-Administration große Aufmerksamkeit darauf, zu gewährleisten, dass der neue russische Kapitalismus so strukturiert wurde, dass er in eine untergeordnete und von den USA abhängige Stellung geraten würde. Washington unterstützte in Russland mit großem Eifer die Entstehung einer Form von "Ganovenkapitalismus" und damit einhergehend die korrupte Privatisierung russischer Vermögenswerte in den Händen von Oligarchen mit engen Verbindungen zu angloamerikanischen Unternehmerinteressen. Das russische Wirtschaftsregime wurde in diesem Zuge auf breiter Front den westlichen Unternehmen und ihrem Erwerb von russischem Eigentum sowie für westliche Finanzakteure geöffnet. Im selben Atemzug wurde der russische Staat durch die rapide Auftürmung von Schulden in eine abhängige Stellung zu den westlichen Finanzzentren gebracht. Damit waren schließlich die Weichen des russischen Kapitalismus so gestellt, dass dieser als eine seltsame Erscheinung mit quasi saudiarabisch-rentierkapitalistischen Zügen entstehen konnte, beherrscht von Oligarchen, die ihre gigantischen Einkommen aus den Eigentumswerten an insgesamt sinkenden Rohstoffressourcen schöpfen.

Dieser Vorstoß kam jedoch gegen Ende der 1990er Jahre zu einem Halt - zunächst mit der russischen Schuldenkrise von 1998 und dem damit zusammenhängenden Währungszusammenbruch und dann schließlich mit dem Machtantritt Putins 1999/2000 und der Bestimmtheit der neuen russischen Regierung, Russland als einen starken, integrierten und fortgeschrittenen Industriekapitalismus wiederaufzubauen. Der Versuch des Yukos-Konzernchefs Chodorkowsky (dessen Vorstandsabteilung einige ehemalige Mitglieder der Clinton-Administration angehörten), eine politische Alternative zu Putin auf die Beine zu stellen, ging als Schuss nach hinten los und der Anstieg der Öl- und anderer Warenpreise erlaubten es Putin, Russlands Staatsschulden zu verringern, die Binnenökonomie wiederzubeleben und Russlands industrielle Struktur zu reorganisieren.

Versuche von Seiten der USA, Russlands Nicht-Mitgliedschaft in der WTO als Hebel zur Gefügigmachung der russischen Regierung zu verwenden, ging ebenfalls als Schuss nach hinten los, indem die Nicht-Mitgliedschaft Putin erst freie Hand ließ, den russischen Kapitalismus intern umzustrukturieren, ohne dabei auf WTO-Restriktionen achten zu müssen.

All dies bedeuten für die Bestrebungen der Vereinigten Staaten, die kapitalistische Transformation Russlands so zu gestalten, dass Russland im Ergebnis in eine subalterne und abhängige Stellung gebracht würde, gewaltige Rückschläge. Zudem hat diese Politik Washingtons große Spannungen innerhalb der EU verursacht, und zwar zwischen einem deutschen Kapitalismus, der die industrielle Stärke besitzt, mit Russland an seiner Entwicklung zu arbeiten, auf der einen Seite und anderen west- (und mittel-)europäischen Mitgliedsstaaten der EU auf der anderen Seite.

So würde ein sich dynamisch entwickelnder russischer Industriekapitalismus in einer anderen Liga spielen als die anderen europäischen Kapitalismen und gleichzeitig die ihn umgebenden Ökonomien, insbesondere diejenigen der ehemaligen Sowjetrepubliken, in Reichweite des deutschen Kapitalismus bringen.

Der Charakter der langfristigen Herausforderung, die China darstellt, ist freilich noch gewaltiger als die russische Herausforderung. Die Aussicht auf ein anhaltendes Wachstum der chinesischen Wirtschaft in den kommenden zwanzig Jahren markiert eine fundamentale Herausforderung der gesamten Struktur des Weltkapitalismus.

Der Hauptgrund hierfür liegt in der schieren Größe Chinas. Mit einem 20% überschreitenden Anteil an der Weltbevölkerung ist China zweimal so groß wie das kapitalistische Zentrum am Ende des 20. Jahrhunderts zusammengenommen. Allein die bis heute noch weitgehend staatskapitalistische Ökonomie entlang der chinesischen Küstenregion umfasst eine Bevölkerung, die größer ist als die Bevölkerungszahl der mit Abstand größten kapitalistischen Ökonomie des 20. Jahrhunderts, der USA. Und wenn es dem chinesischen Staat gelingen sollte, die Bevölkerung im Inland auf eine stabile Weise in diese kapitalistische Entwicklung einzubinden, dann wird dies die gesamte Dynamik des internationalen Kapitalismus in allen seinen Bereichen - der Politik, der Wirtschaft und der Kultur - dramatisch umschichten. Selbstverständlich bleibt hierbei die entscheidende Frage, ob die politische Ökonomie Chinas ihre Verbindung mit der Welt als eine integrierte, unabhängige Kraft eingeht, oder ob sie dies als eine gebrochene, subalterne und innenpolitisch desintegrierte Zone zum Austoben der anderen Kapitalismen tut. Und doch ist - den meisten Schätzungen zufolge - das Bruttoinlandsprodukt Chinas heute schon beinahe so groß wie das Deutschlands und gleichzeitig bleibt Chinas gesellschaftlich-politische Kohäsion erhalten.

Die Herausforderung, die China verkörpert, zeigt sich besonders deutlich, wenn man die Bedeutung von Skalenökonomien und learning economies für die kapitalistisch-industrielle Entwicklung im Allgemeinen betrachtet. Diese belohnen sowohl den Grad der autonomen Marktbasis für Kapitale als auch den Grad der öffentlichen Ressourcen für die effektive Aus- und Weiterbildung des Gesamtarbeiters.

Vor diesem Hintergrund kann der Politikansatz der Vereinigten Staaten zur Russland- und Chinafrage nicht mehr die Kalte-Kriegs-Formel der Eindämmung sein. Während die Eindämmungspolitik als ein Mittel der Druckausübung durch die amerikanische Regierung über und zugleich zugunsten der traditionellen kapitalistischen Zentrumsstaaten von diesen selbst zum Schutz vor der Bedrohung durch Russland und China gewünscht werden könnte, wirken Russland und China gleichzeitig doch als gewaltige Magneten, welche die Kapitalismen des Zentrums magisch anziehen: Russland ist ein Energielieferant und ein potenzielles neues Wachstumszentrum für die kapitalistische ökonomische Expansion und China ist das prinzipiell neue Wachstumszentrum der Weltwirtschaft als solcher.

Unter diesen Bedingungen lautete die amerikanische Formel bisher nicht "Con-tainment", sondern "Enter-tainment".

Das beinhaltet erstens das Bestreben, Zugang zu den inneren gesellschaftlichen Systemen beider Länder zu erlangen und diese dann so umzustrukturieren, dass sie den Marktverbindungen entsprechen, welche das US-Kapital begünstigen.

Zweitens zielt diese Politik darauf ab, Russland und China geopolitisch so einzuschachteln, dass sie nicht in der Lage sind, eigene autonome Einflusssphären und kapitalistische Expansionszonen in ihrer geographischen Umgebung zu errichten.

Und schließlich haben die USA den Versuch unternommen, die politische Kontrolle über einen Großteil der globalen Ölressourcen und Ölhandelsrouten zu erlangen, um damit in der Lage zu sein, wirksamen Druck auf den chinesischen Staat auszuüben, der in zunehmendem Maße von Energieimporten abhängig wird.

Die amerikanische Strategie scheint allerdings unwirksam und extrem widersprüchlich zu sein. Die amerikanischen "Enter-tainment"-Bestrebungen gegenüber Russland sind - zumindest für den Augenblick - gescheitert. Im Verhältnis zu China läuft die Eindämmungspolitik innerhalb der amerikanischen Strategie auf den Versuch hinaus, China in der Taiwanfrage offen zu konfrontieren. Dies allerdings führt eher zum gegenteiligen Effekt, nämlich zu einer Stärkung des national(istisch)en Zusammenhalts des Regimes. Gleichzeitig besteht für die USA die Gefahr, dass die chinesische Taktik, die darin besteht, enge wirtschaftliche Verbindungen mit seinen Nachbarn aufzubauen, sich letzten Endes als trojanisches Pferd innerhalb der zahlreichen amerikanischen Sicherheitsbündnisse in der Region erweisen könnte. Dieser Prozess zeigt sich heute schon mit besonderer Deutlichkeit im Fall von Südkorea.

China ist heute das mit Abstand bedeutendste neue Wachstumszentrum der Weltwirtschaft. Dabei sichert China seine makroökonomische Stabilität ab, indem es Kapitalkontrollen und eine effektive zentrale Kontrolle über sein Bankensystem behält, was bedeutet, dass China die ökonomische Entwicklungsrichtung durch Investitionsplanung beibehält. Wenn es hierbei bleibt und wenn es dem chinesischen Regime gelingt, seine innenpolitische Stabilität zu wahren, dann bedeutet das nichts weniger, als dass die absolut zentralste Frage, welche die zukünftige Bedeutung Amerikas und die Struktur einer möglichen neuen Weltordnung bestimmen wird, jenseits der Kontrolle Washingtons beantwortet werden wird.

Die institutionelle Malaise

Die Entstehung einer fast ausschließlich kapitalistischen Weltgesellschaft und der Aufstieg der ostasiatischen Kapitalismen hat für einen weitaus höheren Grad an Komplexität in der Politik und der Wirtschaft der Welt gesorgt, die deutlich mehr Systemsteuerung erfordert, als das noch vor 100 Jahren der Fall war. Dabei hat die Gewohnheit unipolarer Führerschaft, die sich in den letzten 50 Jahren in den USA zusammen mit der beschriebenen inneren Konfiguration, auf der diese Gewohnheit fußt, herausgebildet hat, stetig umtriebigere Versuche Washingtons, diesen neuen Kontext zu meistern, hervorgerufen. Das Resultat sowohl dieser US-amerikanischen Versuche als auch der hierauf erfolgenden Reaktionen von Seiten der anderen Zentren ist die schleichende institutionelle Auflösung: Keine Reform der Vereinten Nationen, keine Kohärenz in der NATO, eine Sackgasse und das steuerlose Herumtreiben in der Europäischen Union, die Auflösung von Abrüstungsregimes, die Marginalisierung des IWF, die Blockaden innerhalb der WTO als Folgen der Versuche einzelner Zentrumsländer, sich Handelsvorteile vertraglich zu sichern. Mögen die amerikanische High-Tech-Militärmaschine und die vermeintlichen handwerklichen Zauberkunststückchen der Derivatmarktakteure auch noch so schillernd glänzen, Anzeichen dafür, dass das steuerlose Dahintreiben des internationalen Kapitalismus in der näheren Zukunft ein Ende finden könnte, sind keine in Sicht.

Theoretisch besteht in diesem Kontext die Möglichkeit einer Rückkehr zu einem stärker dezentralisierten, regionalisierten Großraum-System, das der Epoche vor 1914 ähneln könnte, dabei - zweifellos - mit besonderen Privilegien für die USA bei gleichzeitigem Entstehen kohärenterer regionaler Zentren in Europa und in Ostasien. Praktisch jedoch ist der amerikanische Staat so konfiguriert, eben die Entstehung eines solchen denkbaren neuen Klubsystems zu verhindern. Eine neue Konfiguration ist vor diesem Hintergrund somit gezwungen, einige krampfartige Erschütterungen und tiefgreifende Turbulenzen zu erwarten und zu erdulden, bis dann aus diesen eine neue und stabilere Konfiguration entspringen mag - oder auch nicht.

Aus dem Englischen von Ingar Solty, Toronto.