Die Krise des Spekulationskapitalismus

Schon wieder geht sie um, die große Angst vor dem Börsen-Crash. Dabei sollten die Mega-Spekulanten in den Banken und Fonds in ihrer rasenden Jagd nach Rendite längst eines "Besseren" belehrt sein.

Schon wieder geht sie um, die große Angst vor dem Börsen-Crash. Dabei sollten die Mega-Spekulanten in den Banken und Fonds in ihrer rasenden Jagd nach Rendite eigentlich längst eines "Besseren" belehrt sein: Keine sieben Jahre ist es nämlich erst her, dass mit der New-Economy-Blase die Illusion von der Börse als einem Roulette mit permanenter Gewinngarantie geplatzt ist. Doch seit Ende Juli wird die Weltwirtschaft durch eine neue, überraschend harte Krise der Finanzmärkte geschockt. Damit geraten die internationalen Finanzmärkte in diesem noch so jungen Jahrhundert schon zum zweiten Mal aus den Fugen - und dies absehbarerweise in immer kürzeren Abständen.

Trotz der vollmundigen Absichtserklärungen nach dem letzten Börsenabsturz fehlt offensichtlich immer noch der Mut zur Regulierung der Finanzmärkte, um auf diese Weise deren durch Spekulationen angetriebene Abkoppelung von der Produktionswirtschaft in Zukunft zu verhindern. Im Gegenteil: Wie die jüngste Immobilienkrise zeigt, sind in letzter Zeit scheinbar seriöse "Finanzinnovationen" geschaffen worden. Dabei handelt es sich in Wirklichkeit jedoch um hoch riskante und vor allem unseriöse Finanzierungsinstrumente, die zum Teil gezielt an den Aufsichtsbehörden der Kapitalmärkte vorbei kreiert worden sind.

Hypothekenbanken in den USA haben die Niedrigzinspolitik von Alan Greenspan seit 2003 (mit einem Leitzinssatz von damals einem Prozent) dazu missbraucht, einkommensschwache Hausbesitzer mit üblen Lockmitteln zur Umfinanzierung ihres Eigenheims auf der Basis von Krediten mit variablen Zinsen anzustiften. Den nur in den ersten beiden Jahren billigen Darlehenskosten folgte anschließend eine regelrechte Abzocke, die viele Immobilienbesitzer mittlerweile in die Knie gezwungen hat. So sind allein in den Jahren 2005 und 2006 in den USA bei einem Gesamtvolumen an Hypothekarkrediten von über 3200 Mrd. US-Dollar 20 Prozent als sogenannte Sub-Prime- Darlehen vergeben worden, sprich: Hypothekardarlehen mit unzureichender Zahlungsfähigkeit und damit Bonität der Kreditnehmer. Im nächsten Schritt haben auch deutsche Banken über die Gründung von Zweckgesellschaften ("Conduits") diese Kredite gekauft und gebündelt, um auf der Basis von langfristigen, großenteils faulen Forderungen vor allem kurzfristige Wertpapiere zu schaffen und zum Kauf anzubieten.

Das bislang prominenteste deutsche Beispiel für verantwortungslose Zockerei mit dem Vermögen ihrer Anleger ist die Landesbank Sachsen (LBS). Vereinfacht dargestellt funktionierte diese Zockergesellschaft wie folgt: Die sächsische Landesbank gründet eine Zweckgesellschaft mit dem Namen "Ormond Quay" in der irischen Hauptstadt Dublin. Diese kauft gebündelte Hypothekarkredite, etwa von der US-amerikanischen Hypothekenbank "Countrywide", mit einem Abschlag auf. Dafür erhält die Hypothekenbank in den USA frisches Geld und kann damit entweder Schulden abbauen oder neue Darlehen vergeben. Die Zweckgesellschaft in Dublin refinanziert sich ihrerseits am Kapitalmarkt über die Ausgabe von Wertpapieren, die durch die Hypothekenkredite besichert sind. Dabei handelt es sich oftmals um recht kurzfristige sogenannte Commercial Papers. Diese werden wiederum von Finanzinvestoren in ihr Portefeuille übernommen. Die Zweckgesellschaft setzt also auf den Profit aus der Differenz zwischen dem Preis für die gekauften Kredite gegenüber dem Verkaufspreis der forderungsbesicherten Wertpapiere. Zusätzlichen Gewinn einbringen soll der Unterschied zwischen den Kreditzinsen, die von den Immobilieneigentümern in den USA bezahlt werden müssen, und den Rückzahlungen, die an die Finanzinvestoren fließen.

Solange der Immobilienmarkt gut läuft und die Ausfallrisiken klein sind, profitiert die Zweckgesellschaft der Sachsen LB. Im Klima des Booms steigt der Preis wegen wachsender Nachfrage nach diesen Wertpapieren. Sobald jedoch die Kredite in den USA nicht mehr bedient werden können, gerät die Zockerstiftung in Liquiditätsschwierigkeiten. Dann setzt nämlich außerdem eine Flucht aus den durch "Ormond Quay" begebenen Anleihen ein. Genauso geschah es: Die völlig unzureichende Ausstattung mit Grundkapital wurde der Gesellschaft letztlich zum Verhängnis - und damit auch der Sachsen LB. Die Wertverluste einerseits und andererseits ausbleibende Käufer dieser meist sehr kurzfristigen Anleihen führten bei der Landesbank Sachsen zu einem Liquiditätsbedarf in Höhe von 17,3 Mrd. Euro. (Nach einer Schätzung der Bundesanstalt für die Finanzdienstleistungsaufsicht soll bereits zum Bilanzstichtag 31. Dezember 2003 außerhalb der Bilanz ein Portfolio mit dem unglaublichen Umfang von 30,7 Mrd. Euro für windige Spekulationen eingesetzt worden sein.)

Nachdem anschließend noch zusätzliche Risiken entdeckt wurden, erzwang die Bundesaufsicht für Finanzdienstleistungen Ende August die Übernahme der Sachsen LB durch die Landesbank Baden-Württemberg. Damit wurde der absehbaren Pleite dieses Geldinstituts, von der der verantwortliche sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt hätte wissen müssen, vorgegriffen. Die bisher stets als erfolgreicher Beitrag sächsischer Selbstständigkeit gefeierte Landesbank wurde zum Preis von 300 Mio. Euro (plus einer Kapitalspritze von 250 Mio. Euro) zur Zweigstelle der Konzernmutter in Stuttgart degradiert. Was mit den 600 Arbeitsplätzen passieren wird, ist ungewiss, zumal auch bei der Landesbank Baden-Württemberg Arbeitsplatzverluste drohen. Zudem behalten sich die Schwaben ein "Rückgaberecht" vor, falls neue untragbare Risiken entdeckt werden sollten.

Unabhängig davon bleibt das Land Sachsen auf den Risiken aus dem Zockerfonds in Dublin sitzen. Denn für jene Verpflichtungen, die zwischen 2001 und 2005 eingegangen wurden, gilt die seit Mitte 2007 abgeschaffte Gewährsträgerhaftung. Im Klartext heißt dies, dass am Ende die sächsischen Steuerzahler für die Flops in die Pflicht genommen werden. Alle Sparbemühungen des Freistaats in den letzten Jahren sind damit schlagartig für die Katz, weil - wie bereits zuvor im Fall der Berliner Landesbank - die verantwortlichen Banker, die Politiker in den Kontrollorganen, aber auch die zuständigen Rating-Agenturen, die die Bonität der Unternehmen bewerten, komplett versagt haben.
Vor dem "Minsky-Kollaps"

Der Fall der Sachsen LB stellt jedoch nur die Spitze des Eisbergs im weltweiten Finanzpoker dar. Sie ist längst ein verallgemeinerbares Beispiel für globale Raffgier, Inkompetenz und Unverantwortlichkeit. Insofern geht die Einschätzung von Bundesbank-Präsident Axel Weber, der etwa die Probleme der Industrie- und Kreditbank (IKB), die ebenfalls durch die Geschäfte mit verbrieften Krediten in die Krise geraten ist, auf Fehler "institutsspezifischer Natur" zurückführte, an der Dramatik der Angelegenheit vorbei. Die derzeitige Krise hat System: Bei der Suche nach schnellen Profiten für die überschüssige Liquidität scheint den Managern der Pensionsfonds, Banken, aber auch der als Heuschrecken bekannten Hedgefonds und Privaten Beteiligungsfonds jedes Mittel recht zu sein. Zur anfänglichen Überraschung der bundesdeutschen Öffentlichkeit sind an der Jagd nach dieser schnellen, aber faulen Beute viele deutsche Banken beteiligt - neben der Sächsischen Landesbank etwa auch die IKB.

Bei diesen dubiosen Geschäften mischen aber auch die großen Privatbanken mit. Auf diese Weise sind regelrechte, auf Sand gebaute Kreditpyramiden entstanden. Mit der durch die Hypothekenbanken in den USA forcierten Zahlungsunfähigkeit ihrer Kreditkunden war der Zusammenbruch absehbar. Auch die Aktienkurse an den Börsen gerieten anschließend schnell in den Absturzsog. Derzeit werden uns die vorhersehbaren Folgen der vorausgegangenen Kreditorgie lediglich vorgeführt. Immer neue Kredite wurden und werden weiterhin aufgenommen, nur um fällige Zahlungen aus früheren Krediten zu begleichen. Zu diesem Zweck werden immer häufiger hoch spekulative "Ramschanleihen", sogenannte Junk-Bonds, eingesetzt. Dabei handelt es sich um Anleihen von Emittenten, die selbst durch Ratingagenturen bereits eine schlechte Bewertung erhalten haben. Irgendwann kommt jedoch unweigerlich die Stunde der Wahrheit: Wenn Schuldner nicht bezahlen können und sich am Ende eine Insolvenzkrise entwickelt, platzt die Blase.

Der US-Ökonom Hyman Minsky (1919-1996) hat den herrschenden "Spekulationskapitalismus" frühzeitig analysiert. Gegen die neoliberale Mär von den effizienten Finanzmärkten wies er nach, wie Spekulationsblasen auf unregulierten Finanzmärkten entstehen und schließlich platzen müssen. Heute stehen die Finanzmärkte am Rande des "Minsky-Kollaps". Die Zeche für die Profitgier über den Handel mit Krediten muss bezahlt werden. Derzeit erleben wir eine brutale Reinigungskrise, durch die die spekulativen Überbewertungen auf den Finanzmärkten korrigiert werden. Damit schiebt sich die realistische Bewertung der Kurswerte der Unternehmen der Produktionswirtschaft wieder in den Vordergrund - solange bis sich mit neuen Finanzierungsinstrumenten die nächste Überbewertungsblase bildet.

Diese Marktkorrekturen, so notwendig sie sind, produzieren unweigerlich Verlierer. Auch in der Bundesrepublik ist mit einer Delle beim Wirtschaftswachstum zu rechnen. Denn viel Kapital wird für die erforderlichen Auffanggesellschaften verbraucht werden - im Falle der Sächsischen Landesbank allein über 17,3 Mrd. Euro, für die die beteiligten Sparkassen und das Land Sachsen aufkommen müssen.

Noch gravierender sind jedoch die negativen Folgen für die Produktionswirtschaft. Nicht wenige Finanzinstitute sehen sich aufgrund der Liquiditätsklemme und unter dem Eindruck des Schocks zu einer restriktiven Kreditvergabe veranlasst. Die Leidtragenden sind die kleinen und mittleren Firmen, die jetzt trotz seriöser Investitionspläne für die unseriösen Spekulationsgeschäfte anderer bestraft werden. Auch die ohnehin schwache private Konsumnachfrage in Deutschland dürfte in Mitleidenschaft gezogen werden.

Um so mehr muss im Lichte dieser Krise in Deutschland über die private Kapitalvorsorge für das Alter kritisch nachgedacht werden - zumal diese dank intensiver propagandistischer Bemühungen immer mehr auf finanzspekulativer Basis erfolgt. Eines ist gewiss: Da die neoliberale Verheißung unerschöpflicher und stabiler Weltfinanzmärkte eine Chimäre ist, bleibt Altersvorsorge auf dieser Basis höchst unsicher, solange sie für eine hoch riskante Renditejagd missbraucht werden kann. Also muss zumindest die gesetzliche Mindestsicherung ausgeweitet werden, vom rechtlichen Schutz gegen Spekulantengier ganz zu schweigen.
"Kontrolliert die Kontrolleure"

Was aber ist zu tun, um diese konkrete Finanzkrise zu bewältigen und künftige Fehlentwicklungen zu vermeiden? Zunächst ist die Geldpolitik gefordert. Auch die Krise der New Economy wurde nur deshalb verhältnismäßig schnell überwunden, weil die Zentralbanken mit massenhafter Liquidität die durch den Zusammenbruch der Kreditpyramiden entstandenen Finanzierungslöcher gestopft haben. Die angeschlagenen Banken benötigen darüber hinaus ein Signal für billige Liquiditätsversorgung durch die Notenbanken, um einen negativen Dominoeffekt der Finanzkrise zu verhindern. Die US-Notenbank hat zwar sehr schnell den Diskontsatz gesenkt, dieser ist für die Geldsteuerung allerdings nicht so wichtig. Auch die Europäische Zentralbank hat entgegen ihrer ersten Ankündigung Anfang September den Leitzins, zu dem sich die Banken frisches Geld verschaffen können, zwar nicht erhöht, aber bei 4 Prozent belassen. Erforderlich ist jedoch in Abstimmung mit der japanischen und der US-Notenbank eine deutliche Senkung der Leitzinsen durch die Geldhüter in Euroland. Alles andere wäre geldpolitische Rechthaberei - mit absehbar negativen Konsequenzen für die Finanz- und Produktionswirtschaft.

Andernfalls gerieten die Märkte nämlich noch stärker in die gegenwärtige Liquiditätskrise. Denn hier liegt das eigentliche kritische Paradox der Lage: Auf der einen Seite sind auf den internationalen Finanzmärkten ungeheure Mengen an Kapital im Umlauf, die unter anderem nach Deutschland und Europa drängen. Auf der anderen Seite werden aber im Augenblick der Krise diese ganz schnell abgerufen. Wir haben es somit aufgrund unzureichender Verwendung der Profite zur Produktion vor allem im Konsumbereich mit einer lang anhaltenden Überangebotskrise zu tun, die sich wegen der steigenden Gier nach Profiten kurzfristig immer wieder in einer Liquiditätskrise niederschlagen kann. Das eine bedingt das andere. Und noch kann von einer grundsätzlichen Überwindung der Krise nicht die Rede sein.

Deshalb muss es letztlich auch um weit grundsätzlichere Instrumente gegen die Systemkrise gehen, die in den unregulierten Finanzmärkten angelegt ist. Wenn die globale Ökonomie nicht in immer größerer Geschwindigkeit von Krisen heimgesucht werden soll, muss der Missbrauch durch spekulative Finanzinvestoren an der Wurzel bekämpft werden.

Zu diesem Zweck müssen die Vorstände der Banken zur Rechenschaft gezogen werden, die die dubiosen Geschäfte mit verbrieften Krediten zugelassen haben, obwohl sie diese möglicherweise im Einzelfall nicht einmal kannten. Hier mangelt es an einem seriösen Risikobewusstsein. Auch hier ist aus der Beinahe-Pleite der Sachsen LB zu lernen: Die außerhalb der Bilanz geführten und damit nicht mehr durch die Aufsichtsgremien kontrollierbaren Portfolios, die über Zweckgesellschaften verwaltet werden, müssen künftig innerhalb der Bilanz offen gelegt werden. Zu überlegen ist auch, ob das Finanzierungsinstrument der Verbriefung von Anleihen auf der Basis fauler Kredite nicht generell verboten werden sollte.

Insgesamt offenbart sich in der gegenwärtigen Systemkrise ein in jeder Hinsicht erschreckender Mangel an Kontrolle der Finanzmärkte. Insbesondere die privatwirtschaftlichen Ratingagenturen, die bei ihrer Bewertung von Unternehmen die Risiken in den Bilanzen erfassen sollen, haben völlig versagt. "Kontrolliert die Kontrolleure", muss deshalb die Devise in Zukunft lauten. Tatsächlich gibt es einen entsprechenden Vorschlag des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, der dem nächsten Finanzminister-Treffen der G8-Staaten vorliegt, das in diesem Monat stattfindet. Außerdem muss die Arbeit der Aufsichtsbehörden für den Finanzdienstleistungssektor gestärkt und vor allem international vernetzt werden. Dazu gehört die Einrichtung eines weltweiten Kreditregisters. Und dazu gehört auch die Prüfung und Genehmigung neuer Finanzierungsinstrumente.

Heute rächt sich bereits, dass der G8- Gipfel von Heiligendamm in dieser Hinsicht keinerlei Fortschritt gebracht hat. Denn obwohl Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem Willen zur Verbesserung von Transparenz und Kontrolle in die Verhandlungen ging, scheiterte sie vor allem an der Ablehnung durch die angelsächsischen Staaten, aber auch an den Widerständen der Finanzgiganten im eigenen Lande. Letztlich wird sich jedoch nur über die weltweite Regulierung der Finanzmärkte deren Kollaps vermeiden lassen - samt den verheerenden Auswirkungen auf Produktion und Beschäftigung. Sollte jedoch, wie leider zu befürchten ist, das unbedingt Erforderliche in absehbarer Zeit keinen Erfolg haben, wird die gegenwärtige Krise nicht die letzte gewesen sein - sondern nur der Vorschein auf jene, die sich heute bereits anbahnen.