Radikal und permanent öffentlich

Das "1. Lesben- und Schwulenhaus in Wien" feiert sein 25-jähriges Bestehen. Mit der rosaroten Fassade hat das Haus den öffentlichen Raum unübersehbar für LesBiSchwule und Transgender-Personen bese

Die Motive der HausbesetzerInnen Anfang der 1980er Jahre ergaben sich nicht zuletzt daraus, dass Wohnungen einerseits Mangelware waren, gleichzeitig aber ganze Häuser dem Verfall preisgegeben wurden und leer standen. Eine Gruppe von Lesben und Schwulen, die rund um die Hausbesetzungen in der Gasser- und Ägidigasse mit dabei waren, kämpften erstmals für ihren "eigenen Raum", Instandbesetzung nannte man das damals offiziell. Schwule Aktionen füllten die Schlagzeilen, wie z.B. beim Neujahrskonzert 1982, als Florian Sommer und Robert Herz lautstark "Freiheit für Schwule" verlangten. Homosexuelle Anliegen wurden
öffentlich diskutiert, ein guter Zeitpunkt, nun von der Politik etwas Handfestes zu verlangen.
Verhandlungen mit Vize-Bürgermeisterin Fröhlich-Sandner führten zu einer erstaunlich raschen Übereinkunft. Das baufällige Gebäude sollte für zumindest dreißig Jahre in die Verantwortung der AktivistInnen übergeben werden. Die Lesben und Schwulen der Villa konstituierten sich als Selbsthilfegruppe und begannen ihre politischen Anliegen und persönlichen Lebenskonzepte unter einem Dach zu vereinen. 1984 erfolgte mit dem Baurechtsvertrag der geglückte Abschluss einer Hausbesetzung. Der "Rosa Lila Tipp" wurde ins Leben gerufen und ist seither Trägerverein und Beratungsstelle in einem. Die neuen EigentümerInnen verpflichteten sich, das Abbruchhaus auf eigene Kosten zu renovieren und eine Beratungsstelle für Lesben und Schwule einzurichten. Diese sollte eine jährliche Förderung von der Stadt Wien erhalten, die für Infrastruktur und die Beratungseinrichtung verwendet werden musste. Heute beläuft sich die Subvention auf jährlich 16.400,- Euro, vor 25 Jahren waren es umgerechnet noch über 25.000,- Euro.

Neben der Besetzung des Hauses war es den InitiatorInnen von Anfang an ein Anliegen, eine politische Botschaft zu senden. Das Gebäude selbst wurde zum politischen Konzept des "Permanent-Öffentlich-Seins", wie Marty Huber, Villa-Bewohnerin und ehrenamtliche Mitarbeiterin der Lesbenberatung (Lila Tipp), formuliert. Dem Aktionismus der Villa-GründerInnen standen aber auch einige kritisch bis ablehnend gegenüber - innerhalb der homosexuellen Community hauptsächlich vertreten durch die Schwulen der Homosexuellen Initiative (HOSI). Jene, die seit langem versuchten, sich bei den politisch Verantwortlichen Gehör zu verschaffen, sahen ihre Arbeit durch manch radikale Position der Villa-AktivistInnen gefährdet. "Wohlgemerkt, die Lesben aus der Villa und die der HOSI verstanden sich auch während dieser Grabenkämpfe prächtig und haben sich gegenseitig unterstützt", erklärt Helga Pankratz, damals erste Lesbe im HOSI-Vorstand.
Das Haus, seine Botschaft und seine aufdringliche Forderung nach Sichtbarkeit sind auch heute noch Aushängeschild, Wahrzeichen und Symbol einer lebendigen, vielfältigen Politik von Lesben, Bisexuellen, Schwulen und Transgender-Personen (LBST) für Toleranz, Freiheit und gegen Diskriminierung und Homophobie. Aber die Villa will mehr sein: "Sie muss eine radikale Position einnehmen, innerhalb der Community, aber auch gegenüber der Gesellschaft", stellt Marty Huber klar. Im Laufe der Zeit hat sich die Gemeinschaft der LBST um ein Vielfaches verbreitert, unterschiedliche Lebenskonzepte werden proklamiert und diskutiert.
Anpassung an den Mainstream, Forderung nach völliger Gleichstellung und Heirat auf dem Standesamt? Oder doch lieber die Sonderrolle beibehalten und im eigenen Raum Alternativen überlegen und leben? Die Heterogenität innerhalb der verschiedenen LBST Initiativen spiegelt wider, wie vielfältig die Diskussionen, Positionen und die politische Arbeit sind.
"Die reproduktive Arbeit für die Community in Form der Beratungsgespräche, Gruppen, Infoveranstaltungen für Schulen usw. werden ehrenamtlich geleistet, d. h. es braucht Verantwortung und verlangt ein gewisses Maß an Selbstausbeutung", beschreibt Marty Huber ihr Arbeitsfeld. Gleichzeitig macht es die Selbstverwaltung möglich, dass das Wohnen in der Villa vergleichsweise günstig ist, denn die Höhe der Miete sowie die Verwaltung der Einnahmen gehören zu den Aufgaben des Mietvereins. Neben den Wohnungen und dem Restaurant Willendorf ist das Beratungszentrum mit seinen rund 15 MitarbeiterInnen das Herzstück des Projekts. Das Restaurant ist kommerzialisiert und zählt zu den wenigen Einnahmequellen des Vereins.
Das Wiener Antidiskriminierungsgesetz lege für LBST, über das Arbeitsleben hinaus, Schutzbestimmungen fest und gehe damit weiter als die Bundesgesetzgebung, erklärt Angela Schwarz von der Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen. Im Bereich der Pflegefreistellung und Hospizkarenz gelte seit 2004 die Antidiskriminierungsrichtlinie, die es gleichgeschlechtlichen PartnerInnen ermögliche für ihren Lebensgefährten bzw. ihre Lebensgefährtin da zu sein. "Nach ÖVP-Meinung steht uns dieses Recht allerdings weiterhin nicht zu", kritisiert Schwarz.
Darüber hinaus hat die Stadt als Arbeitgeberin lesbisch-schwule PartnerInnenschaften den heterosexuellen gleichgestellt. Die gemeinsame Gemeindewohnung kann man als Lesbe oder Schwuler aber nur dann übernehmen, wenn die/der PartnerIn verstorben und eine Lebensgemeinschaft nachweisbar ist.

Bis 1997 galten zwei Paragraphen (§220, §221) des Strafgesetzes, die rund um die Gründung der Villa eine gewichtige Rolle spielten. So war es bis dahin verboten, einen Verein zu gründen, der Homosexualität unterstützt, und es war untersagt, Werbung für Homosexualität zu machen. Es blieb aber zum Glück von Seiten des Gesetzgebers bei der Androhung Subventionen zu streichen.
Österreich ist EU-weit Schlusslicht bei der rechtlichen Gleichstellung von LBST. In Wien wurde manches durchgesetzt, doch in vielen Fragen, z. B. beim Erb- und Familienrecht, kann nur der Bund Entscheidungen treffen und "dort fehlen derzeit eindeutig die Mehrheiten", beklagt Angela Schwarz. Gleichzeitig hat es die Politik nicht mit eindeutigen Forderungen von Seiten der Community zu tun. Was es ihr leicht macht, einfach abzuwarten und eine Minderheit, die nicht mit einer Stimme spricht, einfach zu überhören. Trotzdem oder gerade deshalb sieht Angela Schwarz die Villa als eine starke und wichtige Institution, damit "LBST sich organisieren und ihre Interessen vertreten und wahrnehmen können."

Der Umgang mit Diskriminierung und die Begegnung mit homophoben Mitmenschen ist Teil der Arbeit in der Lesben- und Schwulenberatung. Oft sind es die eigenen Bilder im Kopf, die es erschweren eine Beleidigung überhaupt als solche zu erkennen oder adäquat darauf zu reagieren. "Es geht darum, solche Bilder zu entmachten", so Beraterin Marty Huber. Dabei spielt strukturelle Gewalt eine entscheidende Rolle. Was bedeutet es z. B., wenn die eigene Partnerin konsequent nicht zu Familienfesten eingeladen wird, die PartnerInnen der Geschwister aber schon? Könnte die Erfahrung mit dem Coming Out nicht als eine Referenz für Konfliktmanagement in einem Lebenslauf dargestellt werden? Solche und ähnliche Fragen werden in der Beratungsstelle im persönlichen Gespräch oder in der Gruppe diskutiert.
"Wir sind keine herkömmliche Beratungsstelle und wir arbeiten konsequent an unserer Selbstauflösung", sagt Huber. Es geht bei der Beratung nicht nur um die Weitergabe von Informationen, sondern auch darum, das Selbstbewusstsein der Betroffenen zu stärken, versteckten und offenen Anfeindungen entgegen zu treten und sich nicht klein machen zu lassen. Nach einer Messer-Attacke auf einen Schwulen in der Villa vor fast genau einem Jahr, prangte Tags darauf ein Plakat in leuchtender Schrift über dem Eingang: "Sichtbar und Selbstbewusst".
Marty Huber bekräftigt: "Die Fassade der Villa ist so eindringlich und unübersehbar, das ist wichtig für mein ganz persönliches Selbstverständnis." Angela Schwarz wünscht sich "weiterhin viele LBST, die die Villa als IHRE Anlaufstelle und Treffpunkt nutzen!" und Helga Pankratz ist überzeugt: "LBST-Sichtbarkeit im Stadtbild, das braucht die Gesellschaft!".

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at