Peak Oil: Der globale Krieg ums Öl

Spätestens seit dem Ende des Ersten Weltkriegs steht und fällt die kapitalistische Industrialisierung mit der Verfügbarkeit von Öl. Wenn jedoch derzeit über die Reichweite der weltweiten Erdölvorkommen diskutiert wird, dann zumeist auf Grundlage sehr optimistischer Schätzungen. Diese werden überwiegend von der Internationalen Energieagentur (IEA) in Paris erstellt, die sich wiederum auf Daten der US-amerikanischen Bundesbehörde für geologische Studien stützt.1 Dabei lassen sich bereits heute am Marktverhalten Entwicklungen ablesen, die diesen offiziellen Daten von Grund auf widersprechen.

Im Zentrum der Auseinandersetzung steht dabei die Peak-Oil-Theorie. Peak Oil, auf Deutsch: der Erdölgipfel bzw. das Fördermaximum, bezeichnet den Zeitpunkt, ab dem die Gesamtförderung von Öl ihr Maximum erreicht, um anschließend stetig abzunehmen. Nun lässt sich am Marktverhalten zeigen, dass spätestens seit 2005 die Peak-Oil-Theorie zumindest von der Ölindustrie als Gegebenheit betrachtet wird. Während die Märkte über einen Informationsvorsprung verfügen, wird dagegen in der Öffentlichkeit Peak Oil immer noch als eine zweifelhafte und unbewiesene Theorie wahrgenommen. Dies verhindert nicht nur die dringend notwendige Debatte über die drohenden wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen. Es täuscht zudem darüber hinweg, dass zahlreiche geopolitische Ereignisse der letzten Jahre bereits Effekte der bevorstehenden Energiekrise sind.

Inwieweit lässt sich jedoch aus dem Investitionsverhalten der Ölindustrie erkennen, dass heute am Öl-Markt die Peak-Oil-Theorie zugrunde gelegt wird? Zunächst fällt auf, dass die Entwicklung der Märkte den optimistischen Prognosen der Internationalen Energieagentur widerspricht. Die IEA hatte zuletzt in ihrem World Energy Outlook 2006 prognostiziert, dass sich die Ölförderung in den nächsten 23 Jahren um 50 Prozent steigern ließe. Wäre diese Einschätzung richtig, so müsste sie einen Investitionsboom im Bereich der Raffinerien, der Tankerflotte sowie der Pipelines ausgelöst haben. Interessanterweise trat jedoch genau das Gegenteil ein. Kaum ein Marktteilnehmer ist gegenwärtig bereit, auf der Basis der IEA-Prognose neue Raffinerien zu errichten - obwohl die letzte Raffinerie in den USA im Jahr 1976 gebaut wurde unddie Infrastruktur somit bereits veraltet ist. Die praktizierte Zurückhaltung bei den Investitionen in die Ölinfrastruktur führte sogar dazu, dass es in den letzten Jahren immer wieder zu Engpässen im Bereich der Raffineriekapazitäten kam.2 Selbst das US-Pipelinenetz stammt zum Teil noch aus den 50er Jahren und ist extrem marode.3 Auch hier lässt das Ausbleiben dringend notwendiger Investitionen darauf schließen, dass Peak Oil von den Märkten bereits vorweggenommen wird. Und schließlich verwenden auch die Ölkonzerne ihre in den letzten Jahren stark angestiegenen Einnahmen nicht vollständig darauf, neue Ölfelder zu suchen und zu erschließen. Stattdessen gebrauchen sie einen immer größeren Teil ihrer Gewinne, um eigene Aktien zurückzukaufen oder kleinere Konkurrenten zu übernehmen.

Legt man die Peak-Oil-Theorie zugrunde, so macht dieses Investitionsverhalten durchaus Sinn. Da die Wahrscheinlichkeit, neue Ölfelder zu finden, immer geringer wird und sich die Ölförderung in den bestehenden Feldern kaum noch steigern lässt, kann die Übernahme kleinerer Ölfirmen tatsächlich lohnender sein als die immer schwieriger werdende Suche nach unentdecktem Öl.4 Hinzu kommt, dass ein Rückgang des Ölangebots bei gleichzeitig steigender Nachfrage den Ölpreis dramatisch in die Höhe treiben dürfte. Dies hätte auch einen Anstieg der Aktienwerte von Ölfirmen zur Folge - was wiederum die Konzentrationsprozesse in der Ölindustrie erklären würde.

Legt man dagegen die optimistischen Prognosen der IEA zugrunde, wirkt das gesamte Marktverhalten der Ölindustrie höchst irrational. Es ist allerdings sehr rational, wenn man es stattdessen mit den Prognosen der "Association for the Study of Peak Oil" (ASPO) zu erklären versucht. Die überwiegend von Geologen gegründete ASPO geht nämlich davon aus, dass das Fördermaximum bereits im Jahr 2010 erreicht sein wird.5 Die Märkte folgen in ihrem Verhalten also überwiegend den Angaben der ASPO.
Der Countdown läuft

Die in der ASPO vereinigten Geologen gehen davon aus, dass der Förderrückgang nach dem Peak zwei bis sechs Prozent jährlich betragen wird, wobei zwei Prozent eine sehr optimistische Schätzung bedeuten, da bereits jetzt in einzelnen Ölfördergebieten oft ein wesentlich stärkerer Förderrückgang zu beobachten ist. So hat die Ölförderung in der britischen Nordsee bereits 1999 ihren Höhepunkt erreicht und ist seitdem bereits um rund 30 Prozent abgefallen. 6 Zusätzlich problematisch ist auch die Abhängigkeit fast der gesamten Ölförderung von einem Prozent aller Ölfelder; 75 Prozent des geförderten Öls stammt aus diesen besonders großen Ölfeldern. Die meisten von ihnen sindjedoch schon seit 30 bis 50 Jahren in Betrieb. Allein neun Prozent der weltweiten Ölförderung kommt aus den drei größten Ölfeldern der Welt, den sogenannten Giant Fields, nämlich Ghawar in Saudi Arabien, Burgan in Kuwait und Cantarell in Mexiko. Alle drei haben bereits um das Jahr 2005 ihr Fördermaximum erreicht.7 Der Förderrückgang, der sich seitdem bemerkbar macht, fällt oft dramatischer aus als erwartet. So ging die Ölförderung des mexikanischen Ölfelds Cantarell im Jahr 2006 gleich um acht Prozent zurück. Für 2007 wird sogar mit 11,6 Prozent ein Förderrückgang im zweistelligen Prozentbereich prognostiziert, Tendenz steigend. Die Förderung in Ghawar brach innerhalb eines Jahres ebenfalls um acht Prozent ein.8

Doch selbst wenn man von einem moderaten Förderrückgang zwischen zwei und sechs Prozent ausgeht, werden die Folgen für die industrialisierte Welt dramatisch sein. Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist auf ständiges Wachstum programmiert. So wie ein Fahrradfahrer sein Gleichgewicht nur halten kann, solange er fährt, so bleibt auch unser Wirtschaftssystem nur solange im Takt, solange es wächst. Wachstum bedeutet aber konkret die Zunahme des zirkulierenden Geldes, der produzierten Güter und des Ressourcenverbrauchs sowie die Ausdehnung der Handelswege und die Globalisierung der Wirtschaft. All dies war in den zurückliegenden Jahrzehnten nur auf der Basis ständig steigenden Energieverbrauchs möglich. Und dieser wird weltweit zu gut einem Drittel mit Ölderivaten befriedigt (in der Bundesrepublik zu 35,7 Prozent).9 Insbesondere für den Transportsektor und damit auch für den Welthandel ist Öl als natürlicher Primärenergieträger von absolut zentraler Bedeutung. Am weltweiten Primärenergieverbrauch verfügt Kohle über einen Anteil von 28 Prozent und Gas über einen Anteil von 22 Prozent. Die Kernkraft hat weltweit nie mehr als zehn Prozent des Primärenergieumfangs erreicht (Deutschland 12,5 Prozent, USA 8,1 Prozent).10 Stellt man nur den Endenergieverbrauch in Rechnung und zieht die Übertragungs- und Umwandlungsverluste ab, dann ist der Anteil der Kohle- und Atomenergie sogar noch geringer zu veranschlagen. Und selbst wenn die erneuerbaren Energien in nächster Zeit die Kernkraft überrunden sollten, wären auch sie immer noch weit davon entfernt, Erdöl ersetzen zu können.
Regionale Ungleichgewichte

Doch die gesamte Problematik von Peak Oil wird nicht hinreichend verstanden, solange man nicht berücksichtigt, dass der Rückgang der Ölförderung nicht alle Regionen der Welt gleich stark treffen wird. Aufstrebende Schwellenländer wie China dürften von Peak Oil anders betroffen sein als westlicheLänder. Da aufstrebende Schwellenländer Energie in der Regel viel ineffizienter nutzten als hoch entwickelte Länder, würden diese jungen Ökonomien sehr empfindlich von einem massiven Anstieg des Ölpreises getroffen werden. Andererseits ist aber in diesen Ländern der von modernen Wirtschaftsstrukturen abhängige Anteil der Bevölkerung prozentual auch viel geringer als in Europa und den USA. Je größer der Anteil der Bevölkerung, der noch in traditionellen bäuerlichen Dorfgemeinschaften lebt, desto eher kann ein Gesellschaftssystem eine Energiekrise überstehen. Außerdem sind aufstrebende Ökonomien wie China in der Lage, beim Aufbau ihrer Infrastruktur die kommende Energiekrise von Anfang an zu berücksichtigen und beispielsweise den öffentlichen Verkehr gegenüber dem Individualverkehr aufzuwerten. Aufgrund ihres ausgedünnten Eisenbahnnetzes dürfte es dagegen für die USA eine Herkulesaufgabe sein, das schon bestehende dichte Netz an Highways durch ein ebenso dichtes Netz an Eisenbahn- und U-Bahn-Linien zu ersetzen.

Auch innerhalb des Westens dürften sich die Auswirkungen von Peak Oil unterschiedlich stark bemerkbar machen. So kommen Europäer gegenüber den US-Amerikanern auf einen nur halb so großen Energieverbrauch pro Person.11 Das liegt zum einen daran, dass Europa und die Vereinigten Staaten unterschiedlich auf die Ölkrisen in den 70er Jahren reagiert haben. Während die USA mit der Carter-Doktrin ihre Militärpräsenz im Nahen Osten zum wesentlichen Faktor ihrer Außenpolitik machten, begann man in Europa damit, durch die Besteuerung von Energie wenigstens das Wachstum des Energieverbrauchs zu verlangsamen. Hinzu kommt, dass Europa dichter besiedelt ist und somit Handels- und Reisewege im Allgemeinen kürzer sind. Zudem verfügt Europa durch den Golfstrom über ein gemäßigteres Klima. Außerdem erstrecken sich in Nordamerika die Gebirge von Norden nach Süden und verlaufen nicht wie in Europa von Ost nach West. Dadurch fallen die Temperaturschwankungen zwischen Sommer und Winter in den USA wesentlich stärker aus, was den Bedarf an Energie zum Heizen im Winter und zum Kühlen im Sommer zusätzlich erhöht. Schließlich haben die Vereinigten Staaten einen viel größeren Anteil der eigenen Industrieproduktion nach Südostasien ausgelagert. Was zu Zeiten billiger Ölpreise als Wettbewerbsvorteil gedacht war, kann sich im Zuge einer Energiekrise jedoch leicht als Bumerang erweisen. Denn bei einer dramatischen Verteuerung des Öls und damit auch der Treibstoffe erweisen sich lange Transportwege als unproduktive Verschwendung wertvoller Energie.
Problemfall USA: Allzweckwaffe Erdgas?

Doch selbst wenn all diese Faktoren nicht wären, gibt es doch eine ganz wesentliche Ursache dafür, warum die USA stärker als jedes andere Land der Welt von der kommenden Ölkrise betroffen sein werden. Denn die einfachsteLösung, Versorgungsengpässe beim Erdöl auszugleichen, besteht darin, weite Teile der Energieversorgung auf Erdgas umzustellen. Erdgas wird schon seit Jahrzehnten als Energieressource verwendet; die Technik ist daher ausgereift. Heute ist es möglich, Autos und LKWs auch mit Erdgas fahren zu lassen. Dort, wo es zu Engpässen beim Heizöl kommt, könnte man leicht auf Erdgas umsteigen. Auch der Ölbedarf der Industrie ließe sich in vielen Bereichen relativ schnell auf Erdgas umstellen. Gas eignet sich somit am ehesten von allen Energieträgern als Ölersatz. Erdgas hat nur einen Nachteil: Im Gegensatz zu Öl wird es fast ausschließlich über Pipelines auf dem Landweg transportiert. Der Transport von Erdgas über den Seeweg ist dagegen teuer, aufwändig und gerade erst im Aufbau begriffen. Das Erdgas muss dafür auf minus 161,5 Grad gekühlt werden, um es in eine flüssige Form zu bringen. Sein Volumen reduziert sich dabei um den Faktor 600. Anschließend kann es mit speziellen Tankschiffen transportiert werden. Dabei muss man die niedrige Temperatur ständig beibehalten. Dieses sogenannte LNG (Liquefied Natural Gas) wird dann in speziellen Umschlagterminals entladen und in Verdampfungsanlagen durch die Anpassung an die Außentemperatur wieder in den gasförmigen Zustand gebracht. Auf diesem Wege wird es dann in das Pipelinenetz eingespeist. Der gesamte Prozess ist nicht nur extrem aufwändig und kostenintensiv; beim Transport werden zudem 20 Prozent des flüssigen Gases allein zur Kühlung verbraucht.12

Aufgrund dieser Schwierigkeiten sind die Erdgas- im Gegensatz zu den Ölmärkten bislang regionale Märkte. Dies hat zur Folge, dass man, anders als bei Öl, bei Erdgas sinnvollerweise nicht von einem weltweiten Fördermaximum sprechen kann. Viel bedeutender ist bei Erdgas das Fördermaximum einzelner Kontinente. Die größten Erdgasvorkommen finden sich in Russland und im Iran. Beide Länder verfügen zusammen über rund 45 Prozent der weltweiten Gasvorkommen. Nicht zuletzt deshalb kamen in letzter Zeit immer wieder Gerüchte auf, dass beide Länder die Gründung einer Gas- OPEC vorantreiben würden.13 Auf dem eurasischen Gasmarkt ließe sich der Gasverbrauch somit noch schätzungsweise 20 Jahre steigern.14 Eurasischen Wirtschaftsmächten (wie China, Indien und Europa) eröffnet sich damit die Möglichkeit, die abnehmende Ölförderung für ein bis zwei Jahrzehnte durch Gas zu kompensieren. Gas bietet sich also als zwischenzeitlicher Energieträger im Übergang zu erneuerbaren Energien an.

Ganz anders stellt sich die Lage für die USA dar. Die Gasvorräte des nordamerikanischen Kontinents sind viel geringer als diejenigen Eurasiens. So erlebte die US-amerikanische Gasproduktion ihren Förderhöhepunkt bereits 1973. Seither konnte die verfügbare Gasmenge mit Hilfe von Importen aus Mexiko und Kanada lediglich auf einem Plateau knapp unterhalb des dama-ligen Fördermaximums gehalten werden. Vieles deutet darauf hin, dass ein Einbruch der nordamerikanischen Gasförderung unmittelbar bevorsteht.15

Während Europa, China und Indien somit versuchen könnten, die einbrechende Ölförderung durch Gasimporte aus Russland, Zentralasien und dem Nahen Osten auszugleichen, sehen sich die USA gleich mit einer doppelten Energiekrise konfrontiert. Die bevorstehenden Engpässe in der Ölförderung und die sich bereits jetzt in Mexiko, Kanada und den USA abzeichnenden Schwierigkeiten bei der Gasförderung könnten sich gegenseitig multiplizieren. Erschwerend kommt noch hinzu, dass der Förderrückgang bei Erdgas viel schneller vonstatten geht als beim Öl. Das zeitliche Zusammenfallen des weltweiten Öl-Peaks und des Rückgangs der nordamerikanischen Gasproduktion stellt die USA vor enorme Probleme. Die Folge könnte eine Energiekrise bislang nicht gekannten Ausmaßes sein.16

Die Energiekrisen der 70er Jahre waren politisch motiviert und führten lediglich zu zeitlich begrenzten wirtschaftlichen Rezessionen. Die kommende Energiekrise dagegen ist geologisch bedingt und somit dauerhaft. Dabei sind die USA stärker bedroht als jede andere Wirtschaftsregion der Welt. Die gleichzeitige Verknappung von Öl und Gas bedroht die USA nicht nur mit einer Rezession, sondern mit einem möglichen Zusammenbruch ihrer industriellen Infrastruktur.
Rettungsanker Militär

Nun ist es allerdings kaum denkbar, dass ausgerechnet die größte Militärmacht der Welt tatsächlich am stärksten unter der kommenden Energiekrise leiden wird. Nicht umsonst kontrollieren die Vereinigten Staaten alle Transportrouten für Öl auf dem Seeweg bis in den pazifischen Raum hinein. Zudem haben die USA in vielen Ländern des Nahen Ostens Militärbasen errichtet. Nach dem 11. September 2001 ist es den USA außerdem gelungen, ihre militärische Präsenz auch in der zweiten wichtigen Förderregion für Öl und Gas, direkt um das Kaspische Meer herum, auszubauen. Bis dahin war diese Region überwiegend Teil der russischen Einflusszone. Die USA besitzen heute Basen in Kasachstan, Kirgistan und Turkmenistan und sind somit die Macht mit dem direktesten militärischen Zugriff auf die beiden größten verbliebenen Förderregionen der Welt, den Nahen Osten und Zentralasien. Es wäre naiv, davon auszugehen, dass die USA im Falle einer Energiekrise von dieser Vormachtstellung keinen Gebrauch machen würden.

Im Gegenteil: Sowohl der Afghanistan- als auch der Irakkrieg lassen sich als Vorentscheidung dafür deuten, dass die USA entschlossen sind, die kommende Energiekrise vorzugsweise militärisch zu lösen. Diese Vermutung wird durch eine Rede gestützt, die Vizepräsident Dick Cheney bereits am 15. November1999 vor dem Institute of Petroleum in London hielt. Darin skizzierte er die Peak-Oil-Problematik und bezeichnete den Nahen Osten "mit zwei Dritteln der weltweiten Ölreserven und den geringsten Förderkosten" als die Region, "wo letztlich der Hauptgewinn liegt" (where the prize ultimately lies).17

Man schätzt, dass der gut drei Jahre später begonnene Irakkrieg die Vereinigten Staaten bislang bereits mehr als 400 Mrd. US-Dollar gekostet hat. Eine ungeheure Summe, die besser in die Entwicklung und den Ausbau erneuerbarer Energien investiert worden wäre. Das ist jedoch nicht geschehen. Große staatliche Investitionsanstrengungen, wie wir sie beispielsweise vom Manhattanprojekt während des Zweiten Weltkriegs oder dem Mondprogramm der 60er Jahren her kennen, stehen im Bereich der erneuerbaren Energien bis heute aus - allen ökologischen Lippenbekenntnissen der Regierung Bush zum Trotz.

Der amerikanische Wissenschaftler Michael T. Klare, Autor des Buches "Resource Wars",18 hat kürzlich diese ausschließliche Konzentration auf militärische Maßnahmen als ein Verbrechen an der jungen Generation bezeichnet. Die vierjährige Besetzung des Iraks hat bislang nicht einmal die Ölförderung des Iraks steigern können. Jeder Versuch, Öl militärisch zu sichern, sei zum Scheitern verurteilt, so Klare, da man im Endeffekt jede Pipeline mit tausenden Soldaten bewachen müsste. Das auf diese Weise zum Fenster herausgeworfene Geld fehle den USA, um die Energieformen der Zukunft zu entwickeln. Die Folge ist, dass der heranwachsenden Generation keine effektive Energieform zur Verfügung steht, wenn das Öl dereinst erschöpft sein wird.
Realitätsblindheit allerorten

All dies wirft die Frage auf, wieso die USA sich derart kurzsichtig auf die militärische "Lösung" des Energieproblems festgelegt haben. Hier kommt eine Vielzahl von Faktoren ins Spiel: Zum einen befindet sich die amerikanische Wirtschaft seit 150 Jahren, mit Ausnahme der Weltwirtschaftskrise von 1929, in einem Zustand ständiger Expansion. Anfangs nach innen, durch die sich stetig nach Westen verschiebende Grenze. Doch als das letzte indianische Territorium erobert war, begann die wirtschaftliche Expansion in die übrige Welt, zunächst als Handels- und seit dem Zweiten Weltkrieg zunehmend als imperiale Macht. Auf diese Weise ist die Erfahrung wirtschaftlicher und militärischer Expansion zu einem zentralen Bestandteil des amerikanischen Lebensgefühls und Gesellschaftsmodells geworden.

Zudem gab es in der amerikanischen Geschichte keine Zusammenbrüche, die sich mit den europäischen Erfahrungen der zwei Weltkriege oder der deutschen Inflation vergleichen ließen. Während die "Katastrophen" des 20. Jahrhunderts in Europa ein Bewusstsein der eigenen Schwäche erzeugt haben, sind im Gegensatz dazu die USA bis heute von ihrer Stärke überzeugt undhalten daher auch brachiale militärische Lösungen für ein taugliches Mittel der Politik.

Hinzu kommt, dass beim Aufstieg der Vereinigten Staaten zu einem Imperium zwei Faktoren von zentraler Bedeutung waren: zum einen die Rolle des US-Dollars als Weltwährung, welche das Geld(schöpfungs)monopol der USamerikanischen Notenbank und somit enorme Seignioragevorteile mit sich brachte; und zum anderen die Kontrolle über große Teile des weltweiten Handels mit Öl, seiner Fakturierung und seines Transports. Diese Kombination von Weltwährung und Ölhandel ermöglichte es den USA, ohne Rücksicht auf ihr Handelsbilanzdefizit wirtschaftlich zu expandieren. Tatsächlich könnte die Geschichte der USA - von einer Wirtschaftsmacht zu einem Imperium - am Beispiel einer Geschichte des Öls geschrieben werden.19 Aber gerade diese geopolitische Abhängigkeit vom Öl erklärt vermutlich auch, warum die amerikanischen Eliten die Möglichkeit eines rechtzeitigen Umstiegs auf erneuerbare Energien ungenutzt verstreichen ließen.

Schließlich könnte ein weiterer Grund für die Konzentration der USA auf militärische Lösungen auch jener Bericht sein, der im Februar 2005 von Robert Hirsch für das US-Energieministerium erstellt wurde. Diese Untersuchung stellte fest, dass die Umstellung der wirtschaftlichen Infrastruktur von Öl auf alternative Energieträger nur dann ohne Versorgungsengpässe zu bewerkstelligen sei, wenn die Umstellung 20 Jahre vor dem Fördermaximum beginnt. Im allergünstigsten Fall, so der Report, könnte auch noch eine Umstellung, die erst zehn Jahre vor dem Fördermaximum beginnt, die schlimmsten Folgen abfedern.20 Wie oben dargestellt, wird das Öl-Fördermaximum nach Schätzung der Geologen der ASPO aber bereits in den nächsten drei Jahren erreicht sein.21 Mit anderen Worten: Für einen harmonischen Übergang ist es heute bereits zu spät. Dieses zu knapp bemessene Zeitfenster könnte der letztlich entscheidende Grund dafür sein, weshalb die USA ganz vornehmlich mit militärischen Interventionen auf die Problematik reagieren.

Doch ist Europa nicht in der Position, sich über die verfehlte Politik der Vereinigten Staaten zu erheben. Denn während sich im Nahen Osten bereits der nächste Krieg ankündigt, diskutiert man in Europa immer noch über die Realitätstauglichkeit der Peak-Oil-Theorie. Während die USA ihre finanziellen Ressourcen in Kriegen verschwenden, verschwendet Europa seine geistigen Ressourcen und erkennt nicht, dass die am Horizont aufziehende Krise leicht ein neues Zeitalter großer militärischer Konfrontationen einläuten könnte.
1 Vgl. Hauke Ritz, Die wunderbare Ölvermehrung, in: "tageszeitung", 4.11.2005.
2 Nicole Wynands, Die Energiepreis-Krise in den USA nach Katrina und Rita, Konrad-Adenauer-Stiftung/ Außenstelle Washington 2005, S. 7.
3 "Handelsblatt", 21.8.2006.
4 Mark Ehren, Öl-Multis mit Reserven-Problemen, vgl. www.boerse.ard.de, 5.4.2005.
5 Vgl. The Association fort he Study of Peak Oil and Gas (ASPO), Newsletter 78, 6/2007, S. 2, https:// aspo-ireland.org/Newsletter.htm.
6 "The Guardian", 13.10.2004.
7 Vgl. Internationale Energieagentur (IEA), World Energy Outlook 2006, Summary and Conclusion; Matthew R. Simmons, Twilight in the desert. The Coming Saudi Oil Shock and the World Economy, New Jersey 2005; "Junge Welt", 1.6.2007.
8 Thomas Black, Pemex Says Cantarell 2006 Production to Decline 8 %, www.bloomberg.com, 2.8.2006; Luke Burgess, The worldÂ’s largest Oil Field is Dying, in: "Energy and Capital", 9.8.2006.
9 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, www.bmwi.de, Rubrik "Mineralölversorgung und Energiestatistik".
10 British Petrol (BP), Statistical Reviews of World Energy 2005 (Stand: 6/2006).
11 Werner Zittel und Jörg Schindler, Energieversorgung am Wendepunkt, Wien 2006, S. 12.
12 TU Dresden/Institut für Energietechnik, Energieversorgung. Skript der im Wintersemester 2002/03 gehaltenen Vorlesung, http://tu-dresden.de/die_tu_dresden/fakultaeten/fakultaet_maschinenwesen/ iet/ew/vorlesungen/ev/script_ev.pdf.
13 Vgl. "RIA Novosti", 1.6.2007, sowie "Die Presse", 20.3.2007.
14 Jörg Schindler und Werner Zittel, Fossile Energiereserven (nur Erdöl und Erdgas) und mögliche Versorgungsengpässe aus Europäischer Perspektive. Studie im Auftrag des Deutschen Bundestages, vorgelegt vom Büro für Technikfolgenabschätzung, Endbericht vom 22.7.2000.
15 Werner Zittel und Jörg Schindler, Energieversorgung, a.a.O., S. 92-112; Exxon, Öldorado 2006, www. exxonmobil.de.
16 Richard Heinberg, The PartyÂ’s over. Das Ende der Ölvorräte und die Zukunft der industrialisierten Welt, München 2004, S. 275-336.
17 Dick Cheney, Where the prize ultimately lies, in: "Studien von Zeitfragen", Internet-Ausgabe, 2007, www.studien-von-zeitfragen.de/Zeitfragen/Cheney_on_Oil/cheney_on_oil.html.
18 Vgl. Michael T. Klare, Resource Wars: The new landscape of global conflict, New York 2001.
19 Vgl. William R. Clark, Petrodollar Warfare: Oil, Iraq and the Future of the Dollar, Gabriola 2005; William Engdahl, Mit der Ölwaffe zur Weltmacht, Rottenburg a. N. 2006.
20 Robert Hirsch, Peaking of world oil production: impacts, mitigation, risk management, US-Energieministerium 2005; www.netl.doe.gov/publications/others/pdf/Oil_Peaking_NETL.pdf.
21 Vgl. Colin J. Campbell, Frauke Liesenborghs und Jörg Schindler‚ Ölwechsel! Das Ende des Erdölzeitalters und die Weichenstellung für die Zukunft, München 2007.