Gründe genug

Grundsicherung ist nicht gleich Grundeinkommen. Was haben Frauen von beiden Modellen zu erwarten?

Über eine Million Menschen gelten in Österreich als armutsgefährdet, davon weit mehr Frauen (14 Prozent) als Männer (11 Prozent). Das bestehende Sozialsystem erfüllt angesichts Leistungskürzungen, Massenarbeitslosigkeit und deregulierter Arbeitsverhältnisse seine Sicherungsfunktion immer weniger. Grundsicherung und Grundeinkommen werden nun als probate Instrumente zur Armutsbekämpfung gefordert. Im Gegensatz zu aktuellen Debatten, wie sie etwa von der SPÖ im Wahlkampf angefacht wurden, rückten Grundeinkommensdiskurse der 1980er Jahre vor allem dessen emanzipatorischen Charakter in den Vordergrund, sein Potenzial zur Befreiung von Lohnarbeit stand damals im Mittelpunkt. Schon in den 1960er Jahren hatte der jüngst verstorbene neoliberale Ökonom Milton Friedman ein Grundeinkommen gefordert, in der Hoffnung, den Staatsapparat damit auf ein Minimum reduzieren zu können.

Während Grundsicherungsmodelle das bestehende Beschäftigungs- und Sozialsystem voraussetzen und auf die Integration möglichst aller Erwerbsfähigen in Erwerbsarbeit und soziale Sicherung abzielen, streben Grundeinkommenskonzepte, sofern sie von einem Grundeinkommen in existenzsichernder Höhe ausgehen, nach einer Neugestaltung von Arbeits- und Einkommensverteilung sowie des Sozialsystems.
Bei Grundsicherungsmodellen bleiben Erwerbsarbeit und -einkommen gegenüber Sozialtransfers folglich vorrangig, sie richten ihre Aufmerksamkeit lediglich auf den (Sonder-)Fall misslungener Arbeitsmarkt-Integration. Beim Grundeinkommen steht hingegen nicht Erwerbsarbeit, sondern materielle Sicherung im Vordergrund. Grundeinkommen impliziert die regelmäßige (etwa monatliche) Auszahlung eines Fixbetrages an jede/n Staatsbürger/in ohne Gegenleistung, während eine Grundsicherung lediglich die Festlegung von Mindeststandards im Bereich erwerbsabhängiger Transferleistungen (Arbeits- losengeld, Pension etc.) bedeutet. Mit Grundeinkommen verbinden sich stets Fragen nach einem Umbau des gesamten Sozialsystems und der Notwendigkeit anderer Sozialleistungen, Grundsicherung lässt dieses unangetastet.

Vor allem aktuelle Vorschläge zur Grundsicherung zielen auf Armutsbekämpfung ab. Sie fordern die Gewährung eines Existenzminimums, um ein Mindestmaß an sozialer Kohäsion angesichts zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung zu gewährleisten.
Arbeit und Einkommen bestimmen nicht nur individuelle Lebenschancen, Handlungsoptionen, Identitäten, Selbstentwürfe und Fremdbilder wesentlich. Sie stellen in kapitalistischen Gesellschaften auch zentrale Reproduktionsmechanismen und Repräsentationsweisen von Macht dar, die sich nicht zuletzt in ungleicher Verteilung von Arbeit und ihrer Entlohnung manifestiert. So findet etwa ausschließlich Erwerbstätigkeit als Arbeit Anerkennung. Vorrangig Frauen zugewiesene Versorgungsarbeit im "Privaten" - Hausarbeit, Kinderbetreuung, Kranken- oder Altenpflege - hingegen wird als "Liebesdienst" nicht entlohnt. Ein bedingungsloses, personenbezogenes Grundeinkommen in existenzsichernder Höhe strebt die Entkoppelung von Arbeit und Einkommen an. Nicht Erwerbsarbeit, sondern materielle Sicherung steht im Vordergrund, was einem Bruch mit dem Leistungsprinzip gleichkommt. Bedarfsorientierte Grundsicherung hingegen setzt das bestehende Beschäftigungs- und Sozialsystem voraus und hat zum Ziel, möglichst alle Erwerbsfähigen in den Arbeitsmarkt zu integrieren und auf diese Weise materiell abzusichern. Erwerbsarbeit und -einkommen bleiben vorrangig gegenüber Sozialtransfers.
Grundeinkommen jedoch richtet sich gegen den Zwang zu Erwerbsarbeit und stellt einen Schritt zu individueller Autonomie dar. Mit der Verbindung von Selbstbestimmung und Erwerbstätigkeit besitzt die Idee des Grundeinkommens emanzipatorischen Charakter. Dies könnte etwa Frauen Wege aus ökonomisch begründeten, persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen eröffnen. Gleichzeitig sind aber auch verstärkte Marginalisierung und Verdrängung vom Arbeitsmarkt zu befürchten - und damit eingeschränkte Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe.

Ein Grundeinkommen könnte zu einer Neudefinition von Arbeit wesentlich beitragen und die Entwicklung von Nischen im Kapitalismus fördern. Erwerbsarbeit würde im Verhältnis zu anderen Formen von Arbeit - wie z. B. Versorgungsleistungen im Privatbereich oder gesellschaftlich notwendige, vielfach ehrenamtlich im Kontext von NGOs, Bürgerinitiativen oder Vereinen erbrachte Arbeit - relativiert. Nicht-marktorientierte Tätigkeiten und Formen des Wirtschaftens könnten damit aufgewertet werden, sich eigenständig entwickeln und so letztlich neue gesellschaftliche Entwicklungsperspektiven aufzeigen.
Grundeinkommen trägt in jedem Fall zur Stabilisierung von Kaufkraft in Phasen konjunktureller Einbrüche bei, indem es Einkommen - und damit Nachfrage, Produktion und Beschäftigung - sicherstellt.
Mit Hilfe eines Grundeinkommens könnten schließlich materielle und psychische Problematiken der im letzten Jahrzehnt anhaltenden Massenarbeitslosigkeit entschärft werden. Zugleich lässt sich ein garantiertes Grundeinkommen allerdings auch als Akzeptanz und Legitimation des Verzichts auf Vollbeschäftigungspolitik interpretieren.
Auswirkungen auf das Arbeitsangebot vor allem in Niedriglohnbereichen oder auch Schwarzarbeit, Lohnniveau und Innovationspotenzial hängen ebenso wie Entwicklungen neuer Formen von Arbeitsorganisation, Beschäftigung oder Arbeitszeit weitgehend von der konkreten Gestaltung eines Grundeinkommens ab.
Hier muss sichergestellt werden, dass das Grundeinkommen weder Lohndumping fördert, noch zur Subventionierung von Unternehmen führt. Zentral sind hierbei begleitende Maßnahmen, wie Mindeststundenlöhne sowie Schwellenregelungen, die die Aufnahme von Erwerbsarbeit finanziell lukrativ machen. Unternehmen wären so gezwungen, besonders unattraktive Arbeit weit besser zu bezahlen. Löhne müssten letztlich dem mit ihnen verbundenen Arbeitsleid entsprechen.
Eine Neudefinition von Arbeit sollte in einer Demokratie aus einer breiten öffentlichen Auseinandersetzung hervorgehen. Einer Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen, politökonomischen und letztlich individuellen Transformationspotenzialen und dem, was als Reichtum gilt: Geld oder Zeit, Abhängigkeit oder Selbstbestimmung.

In kapitalistischen Gesellschaften stellen sie zentrale Determinanten menschlicher Existenz dar. Auf der Verknüpfung von Arbeit und Einkommen und den damit verbundenen Differenzierungen, Hierarchien, Zwängen, Disziplinierungs- und Formierungsprozessen beruht die Funktionsweise von Kapitalismus.
Arbeit und Einkommen sind demnach zentrale Reproduktionsmechanismen und Repräsentationsweisen von Macht, die sich in der ungleichen Verteilung von Arbeit und ihrer Entlohnung manifestiert.
Die in den letzten Jahren zunehmend beschworene Krise der Arbeitsgesellschaft mit steigender Arbeitslosigkeit, prekären Beschäftigungsverhältnissen, entsprechenden biografischen Instabilitäten und individuellen Risiken ebenso wie Einschränkungen sozialer Absicherung und damit einhergehender Zunahme von Armut und Armutsgefährdung beleben die Diskussionen um Grundeinkommen und Grund-
sicherung neu.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at