Arbeiten bis zum Umfallen

Handreichungen zum Klassenkampf

in (19.04.2007)

Laut Financial Times Deutschland (FTD) ist die Rente mit 67 "das erste wirklich große Projekt der Großen Koalition", noch dazu eins, das durch die Hintertür eingetütet worden ist: Weder im ...

... im Wahlkampfprogramm der CDU noch in dem der SPD wurde dazu ein Wort verloren. Fünf Milliarden Euro jährlich ab dem Jahr 2030 will die Regierung dadurch einsparen - ein Kleckerbetrag bei fast 230 Mrd. Euro, die die Rentenkassen Jahr für Jahr umwälzen. "Spannender", so die Analysten des FTD, "sind die Konsequenzen für den Arbeitsmarkt, die Tarifpolitik und die Unternehmen."

Von den Erwerbspersonen zwischen 55 und 64 Jahren haben heute weniger als die Hälfte (45 Prozent) einen Job. Nicht einmal die Hälfte aller Betriebe in Deutschland beschäftigt eine Person, die älter ist als 50 Jahre. Im Jahr 2005 waren 1,2 Mio. über 50-Jährige erwerbslos. Nach Schätzungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aus Nürnberg werden im Jahr 2030 nur noch 8,8 Mio. Menschen zwischen 60 und 66 Jahren im Berufsleben stehen. Wie vor diesem Hintergrund die Erwerbstätigenquote Älterer von derzeit 45 Prozent auf 50 Prozent erhöht werden soll, das ist das Geheimnis von Arbeitsminister Müntefering allein. Auf 1,2 bis 3 Mio. neue Jobs schätzt das IAB den Arbeitsplatzbedarf, den die Rente mit 67 mit sich bringt. Da sind die 30.000 Älteren, die Müntefering mit dem neuen Kombilohn-Programm 50plus in staatlich subventionierte Billiglohnarbeit treiben will, bestenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein.

Entgegen aller Mythenbildung von den rüstigen Angestellten, für die die Rente angeblich eine Zwangsräumung aus dem Arbeitsleben ist, sehnen sich viele ArbeiterInnen nach der Flucht aus der Tretmühle des Arbeitsalltags. Bei VW 800-mal pro Schicht eine Fünf-Kilo-Kupplung einen Meter zur Seite wuchten und auf einen Motor stecken - das dürfte mit 67 Jahren rein körperlich nicht mehr drin sein, genauso wenig wie lange Touren als LKW- oder BusfahrerIn, Arbeiten in Lackierereien, Hochöfen, Walzstraßen, Baustellen, Müllabfuhr, als Alten- und KrankenpflegerIn oder malochen in Nacht- und Wechselschichten. Wer nicht jetzt schon krank ist, dessen körperliche und oft genug psychische Gesundheit ist auf jeden Fall mit 67 ruiniert. Arbeiten bis zum Umfallen bekommt bei Rente mit 67 einen ganz neuen Wahrheitsgehalt.

Tatsächlich werden immer mehr Menschen dazu gezwungen, faktische Rentenkürzungen hinzunehmen. Der Altersübergangsreport der Universität Duisburg-Essen kommt zu dem Ergebnis, dass inzwischen vier von zehn Zugängen in die Altersrente mit Abschlägen erfolgt. Damit hat die Inkaufnahme solcher Abschläge seit ihrer Einführung 1997 drastisch zugenommen (von 35,4 Prozent im Jahr 2003 auf 42 Prozent im Jahr 2005). Jeder Dritte hat dabei die maximalen Abschläge von 18 Prozent hingenommen. Im Durchschnitt betrug die Anzahl der Abschlagsmonate im Jahr 2005 über drei Jahre (38,9 Monate). Wenig verwunderlich hängt es von der Erwerbsbiografie kurz vor Rentenbeginn ab, ob die Rente abschlagsfrei bezogen wird oder nicht. Mehr als jeder Fünfte, der oder die in den letzten drei Jahren vor Rentenbeginn erwerbslos, geringfügig beschäftigt oder krank war, ist zum frühest möglichen Zeitpunkt in Rente gegangen und hat dabei massive Renteneinbußen in Kauf genommen. Rein rechnerisch fehlen diesen Personen acht Jahre am Aufbau der vollen Alterssicherung.

Wie man es dreht und wendet, ist die Rente mit 67 also zunächst eine kaum kaschierte Rentenkürzung: Wer eher geht oder gehen muss, wird mit Abschlägen bestraft. Wer bis zum bitteren Ende in prekären und schlecht bezahlten Jobs arbeiten muss, bekommt später zwar eine ungekürzte, aber niedrigere Rente. Hinzu kommen die realen Null- oder Minusrunden bei der Rentenanpassung. In 25 Jahren, so der konservative Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel, wird jeder zweite Rentner eine Rente in Höhe von Hartz IV bekommen.

Beliebtes Argument für die angeblich notwendigen "Strukturreformen" bei der Rente ist die demographische Entwicklung: Immer weniger Erwerbstätige müssen immer mehr RentnerInnen durchfüttern, und das könne auf Dauer nicht gut gehen. Dabei vollzieht sich diese demographische Entwicklung seit mehr als hundert Jahren, ohne dass es irgendjemandem aufgefallen wäre. Denn diese Entwicklung wurde und wird durch den Produktivitätsanstieg mehr als ausgeglichen. Pro Kopf wurden im Jahr 2006 in Deutschland Güter und Dienstleistungen im Wert von 28.000 Euro produziert. Bei einem Anstieg der Produktivität um nur ein Prozent würde die Reichtumsproduktion bis 2030 um 13 Prozent auf 31.500 Euro pro Person steigen, bei einem Produktivitätsanstieg um 1,8 Prozent sogar auf 38.000 Euro - gleichmäßig verteilt auf alle, vom Baby bis zur Rentnerin.

Hinter der angeblichen Rentenmisere steckt also weniger die quasi naturgesetzliche Demographie, sondern der gesellschaftliche Verteilungskonflikt. Der Rückgang der Lohnquote und das Dogma von der Deckelung der Beitragssätze zwingt die gesetzliche Rentenversicherung in die Knie. Höhere Löhne würden höhere Beitragssätze erlauben. Nach Gewerkschaftsangaben bräuchte es dann nur eine Beitragssatzerhöhung von 0,5 Prozent, um die Rente mit 67 überflüssig zu machen.

Stattdessen zeigt die Kombination von Rente mit 67 und Kombilohn die Richtung an, in die sich der Arbeitsmarkt für diejenigen entwickeln soll, die sich kaputt gearbeitet haben: In den Vorruhestand und die Rente dürfen sie nicht mehr und der Hochleistungsarbeitsmarkt will sie nicht mehr. Was bleibt, ist der Verzicht auf die vollständigen Rentenzahlungen oder der Weg in die Billigarbeit. In den USA sind es oft Ältere, die in Supermärkten den Kunden die eingekaufte Ware in Tüten verpackten - ein Bild, an das wir uns auch hierzulande bald gewöhnen könnten.