Die Globalökonomie hat im vergangenen Jahr ihren zyklischen Abschwung begonnen. Wird es eine "weiche" oder "harte" Landung geben? Joachim Bischoff diskutiert die verschiedenen Faktoren.
Die nachlassenden Impulse für die Kapitalakkumulation und das Wirtschaftswachstum in den USA und Japan wurden zum Teil kompensiert durch die Prosperität in Europa und einen Wirtschaftsboom in China. Uneinheitlich gesehen wird, wie stark diese Abschwächung ausfallen und wie sich das auf die verschiedenen Wirtschaftsräume auswirken wird, denn hier zeichnen sich unterschiedliche Bewegungen ab: In Europa - und damit der Bundesrepublik Deutschland - hat sich die konjunkturelle Aufwärtsbewegung verstärkt; auch in Südostasien, vor allemin China und Indien, ist der ökonomische Aufschwung stabil.
Der Abschwung wird ausgelöst von der zyklenbedingten Schwächetendenz der US-Ökonomie und folglich wird die ökonomische Talfahrt zunächst durch Faktoren in den USA bestimmt. Im Zentrum stehen dabei das Verhalten der privaten Haushalte und die Immobilienmärkte. Dieser Perspektivenwechsel von der Industrie hin zur Sparquote in Amerika und der Bewegung auf den Vermögensmärkten ist die Konsequenz der Tatsache, dass wir es in den kapitalistischen Hauptländern mit einer finanzgetriebenen Akkumulation zu tun haben. Der Akkumulationsprozess der zurückliegenden Konjunkturzyklen ist durch die Entwicklung zum Finanzmarkt-Kapitalismus geprägt. Durch die neoliberale Wirtschaftspolitik soll die Tendenz der Erhöhung der Marktpreise von Vermögenswerten und die einseitige Vermögenspolitik stabilisiert werden. Diese Dominanz der Interessen von Finanzinvestoren, Aktionären oder Vermögensbesitzern ist Ausdruck einer Fehlentwicklung der kapitalistischen Akkumulation. Die finanzgetriebene Akkumulation ist auf mittlere Sicht kapitalzerstörend, investitions- und innovationsfeindlich. Statt konsequenter Steigerung der Wertschöpfung und schrankenloser Entwicklung der Produktivkräfte wird mehr und mehr eine Fehlallokation von Kapital zugunsten unproduktiver Verwendungen marktwirtschaftlich hervorgebracht: Der Verwertung der Eigentumstitel wird die produktive Aktivität der Volkswirtschaft geopfert.
Strukturschwächen der US-Ökonomie
In den USA ist die private Sparquote, gemessen am verfügbaren Einkommen, seit Anfang der 1980er Jahre zyklenübergreifend zurückgegangen. Seit Ende 2004 machen die privaten Haushalte per saldo sogar Schulden, um ihre persönliche Reproduktion organisieren und ihre Kauflust befriedigen zu können. Der hohe Konsum in den USA wurde im zurückliegenden Wirtschaftszyklus stark davon begünstigt, dass die Menschen ihre Hypotheken umschulden konnten, um auf diese Weise den steigenden Wert ihrer Immobilien in bare Münze umzuwandeln. Generell zielt die neoliberale Wirtschaftspolitik durch Steuersenkungen auf eine Erhöhung der Nettoeinkommen. In einer reichen, sozial tief gespaltenen Gesellschaft werden die BürgerInnen zur Eigentumsbildung ermutigt. Durch Privatisierung öffentlicher Unternehmen und Dienstleistungen werden neue Anlagefelder für das Kapital geschaffen. Über Pensionsfonds oder andere Finanzmarktakteure setzt sich eine veränderte Machtstruktur in den Unternehmen durch, die von den Imperativen des Shareholder value gesteuert wird. Der Anteil der Arbeitseinkommen am Gesamtergebnis der Produktion geht zurück, der Anteil der Gewinne und Vermögenseinkommen steigt entsprechend an. Mit dem enormen Wachstum der Eigentums- und Besitztitel entwickelt sich eine umfangreiche Branche von Finanzakteuren, Vermögensverwaltern, Maklern etc., die gleichwohl immer größere Schwierigkeiten haben, die akkumulierten Ersparnisse profitabler anzulegen. Für die USA konstatieren wir einen solchen Trend im Zusammenhang mit der Altersvorsorge: "Während 1989 weniger als ein Drittel der US-Familien direkt oder indirekt - also durch Fonds oder Vorsorgewerke - Aktien besaßen, sind es heute zwischen 50% und 60%."[1]
Aus dieser Entwicklungstendenz, dass die Sozialversicherungen, die bislang auf dem Umlageprinzip oder auf einer Steuerbasis beruhten, zerstört und durch Formen kapitalgedeckter Ansprüche abgelöst werden, schließen neoliberale Vordenker auf eine Demokratisierung des Kapitalbesitzes. Sicherlich unterliegen die Unternehmensleitungen einer härteren Kontrolle und einem Druck der Renditesteigerung. Aber: "Der Aktionärskapitalismus ist kein Stück demokratischer ... Das Bankenkartell wird ersetzt durch ein Regime der Vermögensbesitzer."[2] Die Verteilung der Vermögens- und Besitztitel wird immer ungleicher, auch wenn sich Teile der bessergestellten Lohnabhängigen zur Sicherung ihrer Altersversorgung in Fonds und Vorsorgewerke einkaufen. Statt einer Demokratisierung der Unternehmen registrieren wir eine Zunahme ökonomischer Risiken und Instabilität.
Der Privatkonsum hat seit der Überwindung der leichten Rezession ab 2003 real um 3-4% zugenommen, obwohl die verfügbaren Haushaltseinkommen stagnieren oder leicht rückläufig sind. Die Konsumdynamik erklärt sich aus dem Vermögenszuwachs bei Wertpapieren und Immobilienwerten. Der Immobilienboom resultiert zum einen aus einer gesteigerten Anlage von Geldkapital in diesem Bereich und zum andern gibt es wegen des Nachfrageüberhangs einen Preiseffekt. Die US-Notenbank und andere Finanzinstitutionen haben diese Immobilienblase sehr genau beobachtet, weil ein möglicher Preisrückgang bei einem Großteil der privaten Haushalte eine Konstellation der Überschuldung aufdecken könnte. Wir haben hier ein anschauliches Beispiel für die "wealth-driven economy". Das Nettovermögen nimmt noch zu, obgleich die Haushaltseinkommen stagnieren und ein Teil des Vermögenszuwachses für höhere Konsumausgaben eingesetzt wird. Mit diesem Ungleichgewicht zwischen Konsum, Vermögenszuwachs und Ersparnis bildet die US-Ökonomie zugleich Strukturen aus, die einen Großteil der Dienstleistungen und Waren aus dem Rest der Welt ankaufen können.
Seit dem Zusammenbruch des New Economy-Booms im Jahre 2000 sind die privaten Haushalte durch das niedrige Zinsniveau und Steuersenkungen auf Vermögenseinkommen motiviert worden, einen Teil der Wertsteigerungen des Privatvermögens in den Konsum zu stecken. Erstmals seit dem vierten Quartal 2000 haben die privaten Haushalte weniger Hypothekenkredite aufgenommen, als zur Finanzierung der getätigten Wohnungsbauinvestitionen notwendig gewesen wären. Noch im dritten Quartal 2005 sind (aufs Jahr hochgerechnet) Buchgewinne in Höhe von 525 Mrd. US-Dollar realisiert worden, die nach Schätzungen der US-Notenbank zur Hälfte in den Konsum geflossen sind. Fallende Hauspreise und hohe kurzfristige Zinsen dürften sich auch in den nächsten Monaten als Hemmschuh für eine höhere Beleihung der Immobilien erweisen.
Mittlerweile ist die Angebotssituation auf dem Immobilienmarkt angespannt. Wir registrieren ein Überangebot, was sich auf die Preise und das Neubaugeschäft auswirkt. Eine nachhaltige Trendwende bei den Hauspreisen kann nicht ohne Folgen für die derzeit noch negative Sparquote bleiben. Die US-Notenbank hat den verschlechterten Rahmenbedingungen Rechnung getragen und spricht seit Dezember 2006 von einer "substanziellen Abkühlung des Immobilienmarktes".
Grundsätzlich stimmen die meisten Beobachter darin überein, dass durch ökonomische Verwerfungen auf dem Häusermarkt und markante Trendveränderungen bei der privaten Sparquote das sanfte Nachlassen der Akkumulationsdynamik in eine rezessive Entwicklung umschlagen kann. Die Verbraucher in den USA werden ihre negative Sparquote während einer Immobilienrezession nicht durchhalten und diese kann drastische Auswirkungen auf die Gesamtökonomie haben.
Das Wachstum der US-Wirtschaft war im Verlauf der ersten drei Quartale 2006 deutlich abgekühlt. Das hatte weltweit die Sorge vor einem Konjunktureinbruch geschürt. Aktuelle Daten können allerdings dahingehend interpretiert werden, dass in den USA eine "sanfte Landung" gelingt. Die Industrieproduktion ist im Dezember um 0,4% gegenüber dem Vormonat gestiegen. Die Kapazitätsauslastung stieg auf 81,8%. Die Industrieproduktion erhöhte sich im Gesamtjahr 2006 um 4,1% gegenüber dem Vorjahr. Dies war der stärkste Zuwachs im derzeitigen Konjunkturzyklus. Während die US-Konjunktur im ersten Quartal 2006 noch mit einer vergleichsweise hohen Rate von 5,6% (Jahresbasis) expandiert ist, hat im zweiten und dritten Quartal die erwartete Wachstumsverlangsamung eingesetzt. Mit einem Anstieg des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 2,6% (Q2) und 2% (Q3) ist das langfristige Produktionspotenzial von etwa 3% nicht mehr erreicht worden. Diese schwächere Tendenz wird sich 2007 fortsetzen.
Die Abkühlung der US-Konjunktur im dritten Quartal 2006 geht im Wesentlichen auf einen starken Anstieg der Importe und einen rapiden Investitionsrückgang bei den Wohnimmobilien zurück. Nachdem die Investitionen schon in der Vorperiode um 11% gefallen sind, ist im dritten Quartal ein weiterer Investitionsrückgang von 19% hinzugekommen. Dieser Investitionszurückhaltung ist allein im dritten Quartal ein negativer Wachstumsbeitrag von 1,2% des BIP zuzurechnen.
Die entscheidende Ursache der einsetzenden Wachstumsschwäche ist die schon angesprochene deutlich geringere Zunahme des privaten Konsums der US-BürgerInnen. Eine noch stärkere Eintrübung des Konsumklimas konnte durch die einsetzende Talfahrt der weltweiten Rohstoffpreise vermieden werden. Der Preisverfall am Ölmarkt hat zu erheblichen Kosteneinsparungen beim Energieverbrauch geführt und zusätzliche Kaufkraft bei den privaten Haushalte geschaffen. Während die US-BürgerInnen ihre Konsumausgaben im Jahr 2006 noch um etwa 3% gegenüber dem Vorjahr erhöht haben, wird dieser Wert in 2007 aller Voraussicht nach nur noch gut 2% betragen und damit auch zu einem Hindernis für die Expansion der Konjunktur werden.
Ein weiterer Faktor für die merkliche Konjunkturabkühlung in den USA ergibt sich aus der restriktiven Geldpolitik der amerikanischen Notenbank (FED) in den letzten zwei Jahren. Die Wirkung der bisherigen Zinsanhebungen auf 5,25% wird erst im ersten Halbjahr 2007 vollständig auf die Konjunktur durchschlagen. Ein "soft landing" der Konjunktur unterstellt also eine Lockerung der geldpolitischen Zügel seitens der FED im zweiten Halbjahr 2007. Die daraus entstehende Zinsentlastung kann sowohl den Konsum als auch die Investitionen langsam wieder ankurbeln.
In den letzten Monaten hat der US-Dollar deutlich an Wert verloren, trotz der Erhöhung des Zinsniveaus in den USA. Diese Entwertung könnte in letzter Konsequenz eine Umkehr im Leistungsbilanzdefizit der USA einleiten, das eines der großen Risiken für die weitere Zukunft der Globalökonomie darstellt. Die US-Leistungsbilanz wies 2005 ein Rekordminus von knapp 800 Milliarden Dollar aus, das entspricht 6,4% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der USA. Kumuliert ergibt sich für den Zeitraum 1980 bis 2005 ein Fehlbetrag von über 5 Billionen Dollar. Auch für das Jahr 2006 wird mit einem großen Fehlbetrag gerechnet, obwohl das Außenhandelsdefizit in den letzten Monaten wegen des billigeren Öls auf ein niedrigeres Niveau abgesunken ist. Dennoch werden die USA für das vergangene Jahr voraussichtlich das größte Defizit aller Zeiten verbuchen - bis einschließlich November belief es sich auf 701,6 Milliarden Dollar. Die sich abschwächende Konjunktur der US-Wirtschaft wird sich in niedrigeren Importraten niederschlagen und dadurch - verstärkt möglicherweise durch eine weitere Abwertung der US-Währung und einen Trendwechsel im Außenhandel sowie beim Leistungsbilanzdefizit - ein stärkeres Wachstum der exportorientierten deutschen Wirtschaft behindern.
Der Fehlbetrag in der US-Handels- und Leistungsbilanz wird an den Märkten mit großer Aufmerksamkeit betrachtet. Zur Finanzierung des Fehlbetrags benötigen die USA massive Kapitalzuflüsse aus dem Ausland. Gehen diese deutlich zurück, droht eine starke Dollar-Abwertung mit entsprechenden Auswirkungen für die Weltwirtschaft. Die Vereinigten Staaten eignen sich den Großteil des international liquiden und anlagesuchenden Geldkapitals an. Die Direktinvestitionen - also produktive Kapitalanlagen oder die Übernahme von Produktionsanlagen - gehen zurück und die Verschuldung gegenüber ausländischen Finanzinvestoren nimmt zu, ohne dass dies mit einer Veränderung der produktiven Ressourcen verbunden ist.
Die Lage bleibt - wie in den zurückliegenden Jahrzehnten - stabil, solange die wirtschaftlichen Eliten der anderen Länder bereit sind, einen Großteil ihrer Geldvermögen in den USA anzulegen. Zwar verschlechtert sich die Verfassung der US-Ökonomie, aber die schuldenfinanzierten Außenhandelsdefizite sind für Europa und Asien ein wichtiger Faktor zur Belebung der Konjunktur. Insgesamt bleiben die USA somit in der Rolle der Lokomotive der Weltwirtschaft und das Wirtschaftswachstum wird im Falle der "sanften Landung" zwischen 2-3% zu liegen kommen.
Im Falle einer durch den Kollaps des Immobilienmarktes ausgelösten rezessiven Entwicklung dürfte die schleichende Entwertung der US-Währung deutlich an Tempo gewinnen. Mit einigem Unbehagen, wenn nicht gar mit Beunruhigung, blicken die Ökonomen auf die ausgebildete Schieflage zwischen der US-Ökonomie und dem Rest der Weltwirtschaft. Die Schuldenpolitik der USA hat ein gefährlich hohes Niveau erreicht, insofern wird mehrheitlich die Auffassung vertreten, dass bei einem anhaltenden Wertverlust des Dollar endlich eine Trendwende bei den Leistungsbilanzdefiziten eintreten könnte. Auf der anderen Seite birgt eine solche Trendwende die Gefahr in sich, dass es zu größeren Turbulenzen im Weltwährungssystem und der Weltkonjunktur kommen könnte.
Der Euro-Raum und Deutschland als Nutznießer
Deutschland hat im Jahr 2006 erneut einen starken Zuwachs bei den Exporten realisieren können: +12,4%. Erklärt werden kann diese Steigerungsrate beim Export mit der nicht zuletzt durch Lohnzurückhaltung erreichten höheren preislichen Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Die Lohnstückkosten sind 2006 wiederum gesunken. Anders als in den vorangegangenen Jahren ist die konjunkturelle Dynamik in Deutschland größer als in den meisten anderen Ländern im Euroraum. Gleichwohl verzichten die Bundesrepublik und die anderen Regierungen des Euroraumes auf eine wirtschaftspolitische Stimulierung der binnenwirtschaftlichen Konjunktur, sodass wir 2007 mit gut 2% einen leichten Rückgang beim Wirtschaftswachstum registrieren können.
Auch wenn sich die Weltkonjunktur etwas abschwächen wird, gehen die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute davon aus, dass die Unternehmen wegen ihrer preislichen Wettbewerbsfähigkeit auch weiterhin mit einer starken Steigerung ihrer Exporte rechnen können. Unstrittig ist weiterhin, dass die Binnenkonjunktur in Deutschland zurückgehen wird, weil die durch die Steuern und Sozialabgaben gegebene Scherenentwicklung zwischen Lohneinkommen und den Gewinn- und Vermögenseinkommen anhalten wird.
Die Strukturschwäche der US-Ökonomie erweitert den Handlungsspielraum der europäischen Ökonomien, zugleich läuft der aufgeschobene Anpassungsprozess auf eine Erhöhung der Instabilität hinaus. Im Prinzip bewegt sich die Weltwirtschaft wiederum auf eine finanzmarktgetriebene Blase im Bereich der Unternehmensfinanzierungen und der privaten Haushalte in den USA zu. Nach dem Crash des New Economy-Booms erleben wir 2006 erneut eine Tendenz zum irrationalen Überschwang im Kreditsystem und der Preise der Vermögens- und Eigentumstitel. Die Phänomene: neues Rekordniveau bei den Unternehmensübernahmen und Fusionen, überbewertete Sachwerte, größte Gesamtverschuldung der Nachkriegsepoche, groteske kreditfinanzierte Konsumlastigkeit, niedrigste Ersparnisse, niedrigste Nettoinvestitionen der Nachkriegszeit, größtes Außenhandelsdefizit, stark steigende Auslandsverschuldung, nach wie vor massive Einkommens- und Vermögensunterschiede sowie ein durch Hebelung (leaverage) strapaziertes Finanzsystem.
Das Unbehagen an dieser finanzgetriebenen Akkumulation und der korrespondierenden Wirtschaftspolitik eines "stock market oder asset price Keynesianismus" speist sich daraus, dass die Schwerkraftgesetze der Ökonomie zeitweilig relativiert werden. Vermögenseffekte gründen letztlich in der gesellschaftlichen Wertschöpfung und können nur begrenzt als Impuls zur Konjunkturstabilisierung eingesetzt werden. Durch die wachsenden Ansprüche der Finanzmarktakteure auf den gesamtgesellschaftlichen Mehrwert bleibt weniger für Realinvestitionen übrig. Sicherlich: Der Gesamtsurplus wird erhöht, wenn die Fonds und Beteiligungsgesellschaften die Unternehmen zur Reorganisation ihrer Produktion zwingen, das Kapital neu und nur noch an die profitableren Firmen verteilen, sich an der Verbreitung von Technologien über Sektoren hinweg beteiligen und die Liquidität bereitstellen, um neue Betriebe mit Risikokapital zu versorgen. Dies sind neue Impulse für den Wertschöpfungs- und Verwertungsprozess. Allerdings gilt auch, dass die Finanzialisierung zu einer "Seifenblasen-Wirtschaft" tendiert, in der Schneeballsysteme zur Erzielung immer höherer Spekulationsgewinne hervorgebracht werden. Wenn die Blase auf den Immobilien- oder Finanzmärkten platzt, werden die Schwächen der Ökonomie mit einem Mal offenkundig. Die Herausforderungen einer tiefgreifenden Gesellschaftsreform bestehen darin, eine gesellschaftliche Kontrolle von Produktion und Verteilung zu erreichen.
Das konjunkturelle Auf und Ab kennzeichnet den Kapitalismus seit 200 Jahren. Die Akkumulation des Kapitals vollzieht sich einerseits als quantitative Ausdehnung auf gegebener technisch-organisatorischer Grundlage, andererseits im revolutionären Wechsel seiner Bestandteile. Seit sich auf der Mikroebene der Unternehmen (Fabrik) das Maschinensystem herausgebildet hat, kann - bei aller Vielfalt der Formen der betrieblichen Wertschöpfung und der Unternehmensorganisation - von der hegemonialen Rolle einer gesellschaftlichen Betriebsweise gesprochen werden. Mit dem Begriff der gesellschaftlichen Betriebsweise sind die Zusammenhänge zwischen der technologisch-organisatorischen Struktur des Wertschöpfungsprozesses und der Arbeitsorganisation angesprochen. Das Kapital betrachtet die gegebenen Formen und Organisationen von Produktion und Arbeit nie als definitiv. Mit der Herausbildung der auf dem Maschinensystem basierenden gesellschaftlichen Betriebsweise entwickelt der Kapitalismus eine zuvor unbekannte Elastizität. Diese erhält auf Grundlage des Umschlagszyklus des Fixkapitals eine charakteristische Bewegungsform: den Konjunkturzyklus. Die Zyklizität des Akkumulationsprozesses wird verstärkt durch die Herausbildung und Vertiefung der internationalen Teilung der Arbeit, in der die Betriebsweise der großen Industrie und nachfolgend der Fordismus für die Metropolen charakteristisch sind, während die Länder der Peripherie vorzugsweise in Rohstofflieferanten für die industriellen Zentren transformiert werden. Entwicklung der Produktivität, Ausgleichung der Profitraten, die Bewegung der Zinsraten etc. - all dies vollzieht sich im Rhythmus der Konjunkturbewegung als mehr oder minder periodisch wiederkehrende Reihenfolge von mittlerer Lebendigkeit, Prosperität, Überproduktion, Krise und Stagnation.
Festzuhalten bleibt schließlich, dass dieser Wirtschaftszyklus gedämpft und gesteuert werden kann. Die überlieferten Steuerungshebel stammen allerdings aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise und dem fordistischen Zeitalter nach dem Zweiten Weltkrieg. Statt einer Modernisierung von Regulation und Steuerung haben wir durch die neoliberale Politik eine Erhöhung der ökonomisch-finanziellen Instabilität erhalten. Das Zentralproblem der entwickelten kapitalistischen Länder besteht in der ungleichen Einkommens- und Vermögensverteilung, durch die zum einen das Wirtschaftswachstum behindert wird und zum anderen die in den Nachkriegsjahrzehnten geschaffenen sozialen Sicherungssysteme unterminiert werden. Mit der Steuersenkungspolitik für die Vermögenden und Reichen ist die chronische Überakkumulation noch gesteigert worden. Durch einen neuen Ordnungsrahmen für öffentliche Güter und Dienstleistungen einerseits und eine Modernisierung der öffentlichen Unternehmen andererseits könnte die Ökonomie ein höheres Niveau der gesellschaftlichen Reproduktion für alle Mitglieder der Gesellschaft eröffnen. Die Effekte der "wealth-driven" Akkumulation bleiben also zwiespältig. Der tiefgreifende Wandel des Banken- und Finanzbereiches verstärkt nicht nur die Konzentrations- und Zentralisationsbewegung der Unternehmen, sondern beschleunigt auch die Veränderungen im System der sozialen Sicherheit.
Joachim Bischoff ist Mitherausgeber von Sozialismus, letzte Buchveröffentlichung: Zukunft des Finanzmarktkapitalismus. Strukturen, Widersprüche, Alternativen, Hamburg 2006.
[1] Pensionsfonds forcieren einen neuen Kapitalismus, in: Neue Zürcher Zeitung vom 18. Dezember 2006, S. 10
[2] Dierk Hirschel: Nach dem Ende der Deutschland AG, in: Süddeutsche Zeitung vom 5./6. August 2006, S. 24
aus: Sozialismus 2-2007, S. 12-16. Das Heft enthält folgende weitere Beiträge:
Redaktion Sozialismus: USA - Anfang vom Ende des Neoliberalismus?; Martin Jacques: Schreckhaft und feige - Die New Labour-Regierung; Heiner Fechner: Fünf Motoren und eine neue Partei für den Aufbau des Sozialismus in Venezuela; Michael Wendl: Was bestimmt die konjunkturelle Entwicklung?; Karl Georg Zinn: Leistungsloses Grundeinkommen - menschenfreundlich?; Richard Detje / Otto König: Metall-Tarifrunde 2007; Klaus Pickshaus: Eine bessere Arbeitswelt ist machbar. Zwischenbilanz des IG Metall-Projekts "Gute Arbeit"; Berthold Huber: Gewerkschafter, Demokrat, Sozialist - Georg Benz (1921-2006); Horst Klaus: "Links, wo das Herz schlägt". Erinnerungen an Schorsch Benz; Jörg Wollenberg: Von Bremen über Moskau und Paris nach Barcelona. Zur Bremer Linken und den syndikalistischen Tendenzen in der Arbeiterbewegung; Horst Müller: Historische Schranke der Kapitalwirtschaft und konkrete Alternative; Heinz Bierbaum: Die große alte Dame des italienischen Kommunismus (Zu Rossana Rossanda: La ragazza del secolo scorso); Christina Ujma: Ein Schriftsteller zwischen Kultur und Politik - Klaus Mann (1906-1949); Guido Speckmann: "Princesas" (Filmkritik)