Mit Urteil vom 23. März 2005 entschied der Hessische Verwaltungsgerichtshof (HessVGH), dass junge Frauen und Mädchen, denen in ihrem Herkunftsland die zwangsweise "Beschneidung"...
Mit Urteil vom 23. März 2005 (Az: 3 UE 3457/04.A) entschied der Hessische Verwaltungsgerichtshof (HessVGH), dass junge Frauen und Mädchen, denen in ihrem Herkunftsland die zwangsweise "Beschneidung" ihrer Genitalien droht, nicht dorthin abgeschoben werden dürfen. Geklagt hatten eine 17-jährige Frau und ihre 8-jährige Schwester aus Sierra Leone, wo etwa 90 % aller jungen Frauen und Mädchen von Genitalverstümmelung betroffen sind.
Das Gericht stufte die drohende Genitalverstümmelung als Bedrohung von Leben und Freiheit aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit i.S.v. § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz ein. Obwohl in Sierra Leone Genitalverstümmelung nicht strafbar ist und in jüngerer Zeit sogar vom Staat propagiert wurde, konnte das Gericht keine politische Verfolgung erkennen und verneinte daher einen Asylanspruch der beiden Klägerinnen nach Art. 16a Grundgesetz.
Ob es sich bei Genitalverstümmelung um politische Verfolgung handelt, wird in der Rechtsprechung bislang uneinheitlich beurteilt, weit überwiegend aber abgelehnt. Problematisch ist dabei, dass Genitalverstümmelung nicht durch den Staat bzw. seine Organe durchgeführt wird und damit keine unmittelbare staatliche Verfolgung vorliegt. Es handelt sich aber um mittelbare staatliche Verfolgung, sofern den Betroffenen von staatlicher Seite kein oder nur ungenügender Schutz vor drohender Verfolgung geboten wird. Genau das ist regelmäßig bei Genitalverstümmelungen der Fall: In vielen afrikanischen Staaten gelten sie als gesellschaftlicher Initiationsritus und werden häufig nur pro forma unter Strafe gestellt, zum Teil sogar offen gebilligt, wie etwa in dem vom HessVGH entschiedenen Fall in Sierra Leone.
Konsequent sprach deshalb das Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen in seinem Urteil vom 21. Juli 2004 (Az: 10a K 5337/01.A) einer jungen Frau aus Guinea einen Asylanspruch zu. Anders als in Ländern wie Frankreich, Kanada oder den USA, wo ein Asylanspruch bei drohender Genitalverstümmelung gesetzlich festgeschrieben ist, steht das VG Gelsenkirchen mit seiner Entscheidung in Deutschland alleine. Einzig das VG Magdeburg gewährte in einer Entscheidung aus dem Jahr 1996 (Az: 1 A 185/955) Asyl bei drohender Genitalverstümmelung. Die Rechtsprechung ist im übrigen uneinheitlich; erschreckend oft wird aber Klägerinnen, denen in ihrem Herkunftsstaat eine "Beschneidung" droht, noch nicht einmal Abschiebungsschutz gewährt.
Alle Frauen und Mädchen haben ein Recht auf unversehrte und vollständig erhaltene Genitalien - höchste Zeit, das auch in Deutschland mit allen Konsequenzen anzuerkennen und einen Asylanspruch - zumindest aber Abschiebungsschutz - bei drohender Genitalverstümmelung gesetzlich festzuschreiben!
Tanja Nitschke, Karlsruhe/Nürnberg