Das Amt des Menschenrechtskommissars des Europarats wird fünf Jahre alt - und keiner merkt es. Mag diese Aussage auch polemisch sein, ein wahrer Kern ist zweifelsohne enthalten.
Aufgabe und Zweck des 1949 gegründeten Europarats mit Sitz in Straßburg, dem derzeit 45 Mitgliedstaaten angehören, ist die Durchsetzung und Wahrung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten auf dem europäischen Kontinent. Die Satzung sieht eine allgemeine Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten zur Förderung von wirtschaftlichem und sozialem Fortschritt vor. In diesem Rahmen werden zwischenstaatliche, völkerrechtlich verbindliche Abkommen abgeschlossen. Institutionell ist der Europarat nicht mit der EU verbunden - auch wenn beide dieselbe Flagge verwenden.
Gemessen am 55 Jahre alten Europarat ist dessen Menschenrechtskommissar eine ausgesprochen junge Institution. Befördert auch durch die Katastrophe des Krieges auf dem Balkan, kam der entscheidende Impuls auf dem 2. Gipfeltreffen des Europarats im Oktober 1997. In dem der Abschlusserklärung des Treffens angehängten Aktionsplan hielten die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten das Ministerkomitee dazu an, die für die Einrichtung eines solchen Amtes notwendigen Schritte zu prüfen.
Tatsächlich geschaffen wurde das Amt 18 Monate später im Zuge der Feierlichkeiten zum 50jährigen Bestehen der Organisation im Mai 1999.1 Im September 1999 schließlich wurde gemeinsam vom Ministerkomitee und der Parlamentarischen Versammlung der Spanier Alvaro Gil-Robles y Gil-Delgado zum ersten Menschenrechtskommissar bestimmt.
Nach außen hat die Einführung des Amtes des Menschenrechtskommissars die Stellung des Europarats insofern verbessert, als nunmehr eine unmittelbar wie auch ausschließlich mit Menschenrechtsfragen befasste Person als Sprecher, als Ansprechpartner und auch als Handelnder in diesem Bereich fungiert und agiert. So weit, so gut. Zu fragen ist freilich dreierlei: Welche Handlungsmöglichkeiten wurden der Institution zugewiesen? Welche Faktoren schränken ihren Handlungsspielraum ein? Und wie hat der Menschenrechtskommissar diese Instrumente bislang genutzt?
Weites Aufgabenspektrum
Das vom Menschenrechtskommissar abzudeckende Aufgabenspektrum ist sehr umfangreich. So ist der laut Resolution "unabhängig und unparteiisch" agierende Menschenrechtskommissar "eine nichtrichterliche Einrichtung zur Förderung der Menschenrechtserziehung, des Bewusstseins und der Achtung der Menschenrechte". Darunter fällt die Identifizierung von "Unzulänglichkeiten im Recht und in der Praxis der Mitgliedstaaten" 2 sowie deren Überwindung in Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Staat und den dort vorhandenen Einrichtungen zum Menschenrechtsschutz - was angesichts der 45 Mitgliedstaaten des Europarats zweifelsohne eine Herausforderung darstellt.
Dem weiten Handlungsspektrum stehen jedoch die unzulängliche personelle Ausstattung des Amtes sowie dessen schwache Befugnisse diametral entgegen. So nimmt sich vor dem Hintergrund des breit gefächerten Aufgabenkatalogs das mit lediglich 13 Personen besetzte Büro des Menschenrechtskommissars recht bescheiden aus.3
Die Festschreibung einer einmaligen Amtszeit von sechs Jahren gibt dem - folglich nicht auf das Wohlwollen der Mitgliedstaaten für eine zweite Amtszeit angewiesenen - Menschenrechtskommissar zwar eine relativ große Unabhängigkeit; dem stehen jedoch nicht die erforderlichen Entscheidungsbefugnisse gegenüber.
Zentrales Instrumentarium des Kommissars sind dessen Reisen zur Kontrolle des Menschenrechtsschutzes in den Europaratsstaaten, die in Berichten mit Vorschlägen zur Verbesserung der Menschenrechtslage ihren Niederschlag finden.
Darüber hinaus kann er seine Ansichten in Empfehlungen und Stellungnahmen zum Ausdruck bringen, welche jedoch allesamt unverbindlicher Natur sind. Selbst in Fällen von Zuwiderhandlung gegen die Prinzipien der Organisation oder bei Nichtbeachtung seiner Vorschläge kann der Menschenrechtskommissar keine für die Mitgliedstaaten zwingenden Empfehlungen aussprechen. Vielmehr ist er für die Umsetzung seiner Forderungen stets auf die Bereitschaft der Mitgliedstaaten zur Kooperation angewiesen.
Dürre Bilanz
Wie sehr die fehlenden Mittel und Befugnisse die Aktionsmöglichkeiten in der Praxis begrenzen, zeigt sich an der Bilanz des ersten Amtsinhabers Alvaro Gil-Robles.
Immerhin 25 offiziellen Besuchen stehen lediglich fünf Stellungnahmen und drei Empfehlungen gegenüber: zum Problem der Sterilisation in der Slowakei, zur Ausweisung und zum Tschetschenienkonflikt. Hinzu kommt, dass die geringen personellen und finanziellen Ressourcen es notwendig erscheinen ließen, sich auf einzelne Länder zu konzentrieren.4 Zum besonderen Tätigkeitsschwerpunkt wurde Russland - nicht zuletzt aufgrund des Konflikts in Tschetschenien. Beleg hierfür sind die zahlreichen Besuche Gil-RoblesÂ’ in Russland, zuletzt Ende Mai 2004, wobei er bereits vier Mal direkt in den Nordkaukasus reiste. Im Mittelpunkt der Empfehlung zu Tschetschenien stand die Frage, welche Rechte Russland den im Zuge von "Säuberungsaktionen" festgenommenen Personen zuzugestehen habe. Beanstandet wurden von Gil- Robles insbesondere die Menschenrechtsverletzungen an der tschetschenischen Zivilbevölkerung.
Positive Folge des Engagements von Gil-Robles war die zeitweilige Etablierung einer ständigen Präsenz des Europarats in Tschetschenien (von 2000- 2003). Diese wurde zu einer zentralen Informationsquelle des Europarats bei dessen Auseinandersetzung mit dem Konflikt. Zudem gelang es Gil-Robles, Vertreter der Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen. Ergebnisse derartiger Bemühungen waren mehrere vom ihm angeregte Seminare, bei denen Repräsentanten verschiedener Seiten unter anderem über die Bedeutung von Menschenrechten für den Wiederaufbau Tschetscheniens diskutierten.
Gil-Robles hat in Bezug auf Tschetschenien in den letzten Jahren eine Vielzahl von Forderungen erhoben und Maßnahmen angeregt. Mögen diese auch für Verbesserungen in Detailfragen gesorgt haben, zur Beendigung der Auseinandersetzungen führten sie nicht. Zweifellos hätten auch verbindliche Entscheidungsbefugnisse kein solches Ergebnis gezeitigt. Mittels ihrer hätte Russland jedoch unter größeren Handlungsdruck gesetzt und zu nennenswerteren Zugeständnissen veranlasst werden können, als das Land zur Wahrung seiner Mitgliedschaft im Europarat bislang machen musste.
Trotz der zahlreichen Reisen von Gil- Robles existieren jedoch auch "blinde Flecken", nämlich Länder, denen der Menschenrechtskommissar bislang wenig bis keine Beachtung schenkte. Und dies sind nicht nur Staaten, in denen die Menschenrechtslage weitgehend positiv bewertet werden kann. So spielt etwa Mazedonien trotz des dort 2001 ausgebrochenen innerstaatlichen Konflikts keine nennenswerte Rolle. Bisher hat Gil-Robles weder das Land besucht, noch eine Stellungnahme oder eine Empfehlung zum Konflikt abgegeben, obwohl ihm dies jederzeit möglich gewesen wäre.
Insgesamt fällt die Bilanz der ersten fünf Jahre des Menschenrechtskommissars des Europarats somit allenfalls durchwachsen aus. Wenn dies auch weniger auf individuelle Versäumnisse des ersten Amtsträgers als auf grundsätzliche Limitationen der Institution zurückzuführen ist, zeigt gerade die Nichtberücksichtigung einzelner Länder, wie zum Beispiel Mazedoniens, dass dies keineswegs ausschließlich die Folge knapper Ressourcen, sondern auch auf den mangelnden Willen des Menschenrechtskommissars zurückzuführen ist.
Das Grundproblem liegt jedoch weiterhin in den strukturellen Restriktionen. Die fehlenden Entscheidungsbefugnisse des Menschenrechtskommissars führen zwar nicht zwangsläufig dazu, dass dessen Handlungen ohne Ergebnisse bleiben. Verbindliche Instrumentarien könnten dessen Einflussmöglichkeiten jedoch merklich erhöhen - wie der ungelöste Tschetschenienkonflikt eindringlich belegt.
Ist der Menschenrechtskommissar also bloß ein "Feigenblatt" für eine ansonsten inexistente Menschenrechtspolitik des Europarats? Zumindest ist er bisher kein nennenswerter politischer Akteur - wie sein unbeachteter Geburtstag deutlich unterstreicht. Kommt es nicht zur - allerdings wenig wahrscheinlichen - Behebung der angeführten Unzulänglichkeiten, wird die Institution deshalb auch künftig allenfalls von symbolischer, aber kaum von politischer Relevanz sein.
1 Vgl. Resolution (99) 50 des Europarates, vgl. auch www.coe.int/T/D/Menschenrechtskommissar/.
2 Ebd.
3 Vgl. www.coe.int/T/E/Commissioner_H.R/Communication_ Unit/Commissioner/Staff/Index.asp.
4 Diese Aussagen beziehen sich auf im Herbst 2003 geführte Gespräche mit Mitarbeitern des Sekretariats des Europarats.
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