Guantanamo-Oper von Kresnik & Rotmann

Premiere in Gera:

Die Oper basiert auf Franz Kafkas Erzählung "In der Strafkolonie"...

Gekürzt erschienen unter dem Titel "Foltergeist" in "junge Welt" vom 3. Dezember 2003

Beethovens "Fidelio"-Trompetensignal hat Ernst Bloch zeitlebens zu Tränen gerührt. Im "Prinzip Hoffnung" schwärmte er, es sprenge Gefängnismauern für die Sonne frei: "Wie nirgends sonst wird Musik hier Morgenrot". Die Begegnung mit Bloch politisierte Johann Kresnik. Letztes Wochenende war die faszinierende Uraufführung der Oper "Die sechste Stunde", eine Auftragsarbeit des Theaters Altenburg-Gera, die Kresnik auch als Anklage gegen das USA-"Terroristen"-Reservat Guantanamo inszenierte. Ein Treppenwitz, daß tags darauf die Freilassung einiger Pakistani aus Guantanamo gemeldet wurde. Das war gewiß nicht dem Trompetenbläser zu verdanken, den Kresnik im 2. Rang des Geraer Theaters aufgestellte. Dennoch hat Inszenierung des von Johan Maria Rotmann komponierten Werks im Thüringer Provinztheater viel mit jenem Trompetensignal und mit docta spes, Blochs "belehrter Hoffnung" gemein. Das Libretto, das Gerard Haleman mit Kresniks Dramaturg Christoph Klimke verfaßte, variiert Franz Kafkas Erzählung "In der Strafkolonie". Darin heißt es: "Die sechste Stunde ist der Wendepunkt", dann geben die Gefolterten auf, die nach zwölfstündigen Torturen getötet werden - alle wollen die sechste Stunde aus der Nähe betrachten. Von einer sibirischen Strafkolonie handelt die Oper "Aus einem Totenhaus" Leoš Janáceks - nicht verortet wird das Geschehen in Gera, doch auf die Vogelfreien und Martern unserer Tage verwiesen. Zwei zwar verschleierte, aber transparent gekleidete Frauen stürmen zu Beginn durch die Seitentüren: "Die Fremde" (Gerlinde Illich - wie einst bei Gottschalk wird später an der Garderobe geraunt: "Wetten daß" sie was drunter anhatte) und ihr Schatten, "Die Tänzerin" (Daniela Greverath). Sie fangen die Blicke des Voyeurs ein, winden sich durch irritiertes Publikum zur Bühne, auf der dann zwei riesige Tore zum Zuschauerraum, in dessen erster Reihe der Chor plaziert ist, geöffnet werden - man ist als Gaffer hineingezogen ins Innere eines Straflagers. Ringsum auf der Bühne ein hoher Zaun auf, zur Aufnahme von Stacheldraht, nach innen gebogenen Pfosten, ein klinisch-weißes Podest in der Mitte, aus dem nur der Kopf des "Verurteilten" (Bernhard Hänsch) ragt, als wäre er guillotiniert, eine schiefen Ebene, die eine Blondine in schwarzem Latex-Outfit, bei der man erst ein Kim-Wilde-Revival befürchtet, die aber "Der Offizier" (Monique Krüs) ist und singend vom "bin der Richter" zum "und der Schlächter", von "sauber" zu "säubernd" rutscht. Die große Säuberung - sind wir im GULag? Ja, obwohl das Opfer in orangefarbiger Guantanamo-Häftlingskleidung auftritt, geht es genauso um Israel, wo das Oberste Gericht Folter erst 1999 verbot, um Frankreich oder die Türkei, die der Europäische Gerichtshof wegen Folter verurteilte, oder um den Frankfurter Polizeipräsident, der sich zur "Rettungsfolter" bekannte (ärgerlich, daß im Programmheft die Geraer Stasi-Strahlenkanone wieder auftaucht, die mehrere Strafverfahren nicht aufspüren konnten). In Kafkas Erzählung ist ein Reisender nur aus Höflichkeit der Einladung, einer Exekution beizuwohnen, gefolgt, womöglich zur Abschaffung der Hinrichtungsapparatur, die Urteile den Opfer in die Körper schreibt, vom Ex-Kommandant instrumentalisiert, was zur überraschenden Wende führt, daß der exekutierende Offizier als Rädchen in der von ihm vergotteten Staatsmaschinerie (die schließlich auseinanderfliegt) selbst in dieser aufgeht, sich damit tötend. In Gera erinnert "Der Reisende" (Teruhiko Komori) an einen japanischen Touristen, der mit Digitalcam alles abfilmt. Im Text mutiert er zum Reporter, der gern kam ("Das ist mein Beruf") und wie ein embeddet journalist auf Hinrichtungs-Kameraschüsse scharf ist. Unverständlich dann, warum auch hier der Offizier sich selbst richtet, in den aus Kriegsberichterstattungen bekannten Bodybag steigt und flambiert wird. "Flammen brauchen Öl", so Kresnik mit Verweis auf "amerikanische Hegemoniepolitik". Anders als bei Kafka, schlüpft das Opfer in die Uniform des Täters - kein unbekannter Vorgang aus Nachwendezeiten, auf den ein Baudelaire-Gedicht anspielt, das ausgerechnet in der falschen Übersetzung des SPD-Grundgesetzvaters Carlo Schmid eingebaut wird. Nicht nur Verfremdungseffekt ist es, daß Sopran für Kommandant (Christiane Mikoleit), Offizier sowie klagende und hoffende Fremde vorgeschrieben wurden, wird so doch das Klischee friedliebender Soldatenmütterlichkeit zerstört und auch auf sadomasochistischen Geschlechterkampf angespielt. Zum Zuhören läd ein, ohne zu verkitschen, daß die Musik um so schöner und leiser wird, desto schlimmer es zugeht. Der Widerspruch provoziert ohne Gruseleffekte das Erschrecken. Rotmanns Oper für kleine Ensemble und Orchester, mit hell-lakonische, schwarz-weiße Musik, die Gabriel Feltz in dreigeteilter Instrumentation dirigierte, setzte Kresnik, ohne Nacktheit und fließendes Blut, in unvergeßliche Bilder, die die Zuschauerrolle provozierend in Frage stellen, wie unschlüssiger Premierenapplaus belegte.