(No) Satisfaction

Die Rolling Stones in der DDR

Im Juni 1965 erschien der Hit "(I can get no) Satisfaction". Die im Westen als Rebellen geächtete, waren im Osten - in der DDR - keineswegs willkommen...

Der Beitrag erschien zuerst in einer anderen Version in FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG vom 22. Juni 2005 unter dem Titel "Sachschaden wie folgt: Die Rolling Stones in der DDR"

Heute ist Rentner, wer einst als Lehrling den Titel der Rolling Stones vom Juni 1965 "(I canÂ’t get no) Satisfaction" gehört hat. So lauschten am 7. Juni 2005 Grauhaarige genauso wie Erstsemester, als in Jena Musiker über das Echo auf die Engländer in der DDR berichteten. Olaf Leitner, der mit seiner Band Team Beats im Vorprogramm des Stones-Konzerts 1965 in der Berliner Waldbühne gespielt hat, diskutierte darüber mit Klaus Renft und André Herzberg.

1958 gründete der sechzehnjährige Klaus Jentzsch die Klaus Renft Combo. Renft war der Mädchenname seiner Mutter, er nutzt ihn fortan als Künstlernamen. Ein Jahr nach dem Bau der Berliner Mauer erhielten Renft und seine Mannen Auftrittsverbot, die Butlers werden gegründet, verboten und Ende der sechziger Jahre entsteht wieder eine Renft-Combo, bis zu Verbot und Ausreise eine Kultband in der DDR, die sogar Bundespräsident Horst Köhler am 8. Mai in seiner Rede zum 60. Jahrestag des Kriegsendes erwähnenswert fand. Herzberg war Sänger bei Pankow, für viel die Rolling Stones der DDR, die mit dem Song "Langeweile" 1988 die Agonie des Realsozialismus einfingen.

Leitner schilderte, wie die Rolling Stones auf dem von der Jugendzeitschrift "Bravo" veranstalteten Konzert ihr Publikum, das "sechs bis acht Mark" Eintritt gezahlt hatte ("für viele damals unerschwinglich"), durch lustlosen, gelangweilten Vortrag nur weniger Titel zur Randale provoziert hatten. Renft berichtete, wie er sich mit Rückkopplung über ein Kofferradio um den Satisfaction-Sound bemühte und wie er mit seinen langhaarigen "Butlers" Ende Juli 1965 ausgerechnet beim Pressefest des SED-Zentralorgans "Neues Deutschland" in Berlin-Friedrichshain erstmals "Satisfaction" in der DDR offiziell zu Gehör bringen durfte. Während in Leipzig kommunistische Dogmatiker sich gegen Beatmusik und die Butlers aussprachen, konnten diese in der DDR-Hauptstadt in ihrem alten Mercedes bis zur Bühne des Fests der Staatspartei vorfahren. Es war die Zeit, als unter Staatschef Walter Ulbricht vorübergehend mit einer offeneren Jugendpolitik experimentiert wurde. Zum "Deutschlandtreffen der demokratischen Jugend" 1964 entstand das Jugendradio "DT64", für die "geistigen Probleme" der Jugend erschien neu die von Rudolf Bahro, dem DDR-Dissidenten der siebziger Jahre, redigierte Zeitschrift "Forum".

Die Faszination der Stones erklärte Renft lapidar: "Unsere Eltern sagten Wein, Weib und Gesang - das waren für uns Sex, Drugs and RockÂ’n Roll". Damals wurden auf beiden Seiten der Mauer zu solchen Konzerten von den Zeitungsredaktionen noch nicht Musikkritiker, sondern Polizeireporter geschickt. Renft zitierte aus Stasiakten den Bericht ("Sachschaden wie folgt") über ein Konzert im sächsisch-thüringischen Grenzkreis Altenburg, eine Veranstaltung der "Freien Deutschen Jugend" am 22. Oktober 1965 mit 4000 Besuchern: "10 Stück Gartenbänke (neuwertig)", der gesamte Inhalt des Geschirrschranks und weiteres zu Bruch gegangenes Volkseigentum der Konsumgaststätte wurde den Butlers in Rechnung gestellt. Die Band bestand nur zwei Jahre bis zum Verbot ("Sie können ihre Instrumente verkaufen, das Verbot ist auf Lebenszeit"). Vorgeworfen wurde ihnen auch, daß sie sich mitunter "The" und nicht "Die Butlers" nannten - die entsprechende Autoaufschrift mußte überpinselt werden. Am Ende der DDR hingegen, so erzählte Herzberg, bemühte sich ein Verantwortlicher der DDR-Plattenfirma AMIGA, die letzte "Pankow"-Platte umzubenennen, da ihm der Titel "Aufruhr in den Augen" 1988, ein Jahr vor dem Kollaps der SED-Macht, mißfiel: "Könnten wir statt ‚AufruhrÂ’ nicht ‚PowerÂ’ schreiben?"

Die Stones als Symbol der rebellischen Westjugend war in Osten keineswegs willkommen, sondern bis Ende der siebziger Jahre kulturpolitisches Feindbild. Nach den Ausschreitungen beim Waldbühne-Konzert schrieb die "Junge Welt": "Die Hitler-Jugend sang in einem Lied, daß sie marschieren wolle, ‚bis alles in Scherben fälltÂ’. Genau in diesen Zustand soll die westdeutsche und Westberliner Jugend versetzt werden". Und die "Leipziger Volkszeitung" sah gar "potentiell eine neue Kristallnacht begründet". Die Zeitung der Staatspartei "Neues Deutschland" druckte den Bericht der "Bild-Zeitung" nach (Erlebnisbericht Marianne Koch: "Ich saß in der Hölle"), die DDR-Illustrierte "NBI" hatte dagegen Reporter (den später als Dokumentarfilmer bekannt gewordenen Walter Heynowski) und Fotograph in die Waldbühne entsandt, deren Reportage unter dem Titel "Saat der Gewalt" erschien. 1969 sorgte das Gerücht für Aufregung, die Rolling Stones würden zum 20. "Republikgeburtstag" am 7. Oktober hinter der Berliner Mauer, auf dem Dach des Westberliner Springer-Hochhauses, ein Live-Konzert geben. Dahinter steckte nur die Plauderei eines Moderators im westberliner RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor), der in seiner Sendung am 20. September dies als Gag sich vorgestellt hatte. 383 Personen wurden in Ostberlin verhaftet, weitere 621 erkennungsdienstlich behandelt; Renft berichtete, wie ein Riesenaufgebot an Stasi, durch den Vorhang im "Haus des Eisenbahners" lugend, an diesem Tag darüber wachte, daß er keinen Stones-Titel spielte.

In der DDR-Fachzeitschrift "Volksmusik" wurden die Beatles als Alternative zu den Rolling Stones propagiert. Das DDR-Taschenbuch "Unterhaltungskunst A-Z", das 1977 herauskam, verzeichnete auf 350 Seiten zwar Tony Marschall ("Schöne Maid") und mit kritischer Anmerkung ("neben progressiven auch antisozialistische Tendenzen") Reinhard May, Abba ("farbige Arrangements") und Beatles, sogar die Eintagsfliege "Middle of the Road" ist verewigt - aber die Who oder die Rolling Stones blieben unerwähnt. Noch 1979 ordnete das Staatliche Komitee für Tanzmusik an: "die Rolling Stones werden nicht archiviert". Erst 1982 erschien eine Platte in der DDR - übrigens ein Unikat, keine Übernahme einer westlichen Kompilation. Das DDR-Rock-Lexikon von 1983 würdigt die Stones - wenn auch mit Stirnrunzeln wegen "rüden Verhaltensweisen" sowie "hemmungsloser Genußsucht (Sexualität), Illusionen". Auch in den DDR-Jugendjargon sickerte die Stones ein, und beim deutsch-deutschen Treffen anderthalb Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung wurde in Jena auf dem Podium gefragt, ob es in der alten Bundesrepublik auch den Ausdruck "bis zum Get-no" gegeben habe. In der DDR habe man bis zum Get-no geschlafen, getrunken, getanzt.

Zum 20. Jahrestag des Woodstock-Festivals wollte Michael Lang ein Event organisieren, zu dem die Rolling Stones in Ost- und Westberlin spielen sollten. 1989 beantragte die DDR-Staatsjugend FDJ die Genehmigung für ein Konzert, die von Erich Honecker persönlich erteilt wurde. Doch der Auftritt konnte nicht mehr stattfinden - mit den Steinen der Mauer war auch die DDR weggerollt.