Ist regionale Strukturpolitik ein geeignetes Mittel für Wachstum?

"Der Blick vom Turm", so lautet die Überschrift des Schlusskapitels unserer Studie, in der wir die industriepolitischen Aktivitäten in den Stadtregionen Dortmund, Nürnberg und Chemnitz vergleichen.

Ist regionale Strukturpolitik ein geeignetes Mittel für Wachstum?

Von Klaus Dörre

Dr. Klaus Dörre, spw-Mitherausgeber, Professor am Institut für Soziologie der Universität Jena, Direktor des Forschungsinstitutes Arbeit, Bildung, Partizipation e.V., lebt in Recklinghausen und Jena

Der Blick vom Turm

"Der Blick vom Turm", so lautet die Überschrift des Schlusskapitels unserer Studie, in der wir die industriepolitischen Aktivitäten in den Stadtregionen Dortmund, Nürnberg und Chemnitz vergleichend untersucht haben. Was - natürlich neben dem Westfalenstadion - ins Auge sticht, sind die riesigen Brachflächen, einige davon um ein mehrfaches größer als die Dortmunder Innenstadt.
Denkmälern gleich, erheben sich auf manchen Brachen noch die gigantischen Überreste der einstigen Dortmunder Stahlindustrie.
Doch das eindrucksvolle Bild wandelt sich täglich. Auf einem Gelände demontieren chinesische Arbeiter die einstmals modernste Kokerei Europas, um die Einzelteile in der asiatischen Heimat wieder zusammen zu setzen. Eine der Flächen ist bereits kahl.
Der Blick auf die Innerstadt von Hörde, viele Jahre von der Kulisse eines Stahlwerks verstellt, ist wieder frei. Bald wird das Wasser eines Sees das einstige Stahlgelände überfluten.
Die Geschichte der Stahlproduktion ist hier zu Ende. Fährt man mit dem Bus von besagter Brache Richtung Innenstadt, gelangt man, am Universitätsgelände vorbei, zum neuen Technologiepark. Hier weht bereits der Geist einer neuen Zeit. Nicht Schlote und Hochöfen, sondern Glas und Steine der Funktionsgebäude ansässiger IT- und Mikrosystemtechnik- Firmen prägen das Bild. Binnen weniger Jahre wurde dieses Zentrum des "neuen Dortmund" aus dem Erdboden gestampft. Längst haben die ersten Firmen den Technologiepark wieder verlassen. Und die Entwicklung geht weiter. Noch ist das Gebäude der künftigen MST-Factory nur ein Rohbau inmitten eines Brachgeländes.
Gleichwohl sind die ersten Stockwerke bereits vermietet; der Keim eines neuen Entwicklungszentrums ist geschaffen. All das ist Industriegeschichte im Zeitraffer. "Um den rasanten Wandel zu verarbeiten, brauchen wir mindestens eine Generation", pflegt der Dortmunder DGB-Regionalvorsitzende Eberhard Weber zu sagen. Ökonomische und soziale Zeit fallen in der Ruhrmetropole auseinander. Und doch lautet die Botschaft aus Wirtschaft und Politik unisono: Noch mehr Veränderung - rascher, radikaler, umfassender! Wer das Tempo verlangsamt, fällt zurück, der hat im internationalen Wettbewerb der Regionen keine Chance! Soziales Dortmund? Schnelles Dortmund! Geradezu symbolisch steht der Fall Dortmund für die Verklammerung von ökonomischer Entwicklung und Raum. Wirtschaftliche Entwicklung in kapitalistischen Marktwirtschaften, das ist immer auch eine Abfolge von Produktion, Zerstörung und erneuter Produktion sozialräumlicher Strukturen. Fast schon körperlich fühlt der Betrachter auf dem Dortmunder Fernsehturm die gewaltigen Kräfte, die sich einer Region, ihrer Geographie wie ihrer Bevölkerung bemächtigen.
Unsichtbare Mächte lassen Regionen erblühen und sterben. Jede Prosperität einer wirtschaftlichen Struktur trägt den Keim ihres Niedergangs bereits in sich. Auf- und Abstiege scheinen vorprogrammiert. Kann man, darf man überhaupt darauf hoffen, solche Kräfte zu bändigen? Oder, um es mit einem Schlüsselbegriff unserer Untersuchung zu formulieren, ist radikaler Strukturwandel steuerbar? Wir sind dieser Frage in einer von der Hans- Böckler-Stiftung und dem Land NRW geförderten Untersuchung nachgegangen. Die empirische Basis unserer Untersuchung umfasst insgesamt 168 Interviews mit regionalen Akteuren, Managern, Betriebsräten, Wirtschaftsförderern, Politikern und Gewerkschaftern.
Wir haben Zwischenergebnisse in Diskussionen mit regionalen Experten gehärtet und über teilnehmende Beobachtungen die Auswertung von umfangreichem statistischen Material zusätzliche Erkenntnisse gewonnen. Unser Ziel war es, über einen Vergleich industriepolitischer Aktivitäten sogenannter alter Industrieregionen "gute Praktiken" bei der Bewältigung eines radikalen Strukturwandels zu identifizieren.
Wir haben Chemnitz, Nürnberg und Dortmund ausgewählt, weil sie - bei aller Verschiedenheit - eine ähnlich gelagerte Grundproblematik aufweisen. Sie alle zeichnen sich durch den lang anhaltenden Niedergang einstmals strukturprägender Industriezweige aus. In Chemnitz hat die Systemtransformation den regionalen Maschinenbau und die Textilindustrie auf kleine Wachstumskerne reduziert. In der dynamischen Wachstumsregion Mittelfranken befindet sich vor allem die Elektro- und die Metallindustrie in einer seit Jahren anhaltenden Strukturkrise. Und in der Ruhrmetropole ist es bekanntlich der ‚Dreiklang von Kohle, Stahl und Bier‘, dessen Niedergang die regionalen Entwicklungsprobleme noch immer bestimmt. Für alle genannten Regionen gilt, dass die niedergehenden Industrien lange Zeit Organisationshochburgen der Gewerkschaften waren und z.T. noch sind. Und - das schon weniger selbstverständlich - auf alle Untersuchungsregionen trifft zu, dass Gewerkschaften, präziser: dass einzelne gewerkschaftliche Scharnierpersonen als aktive Netzwerker und Ideengeber erheblichen Anteil an der Konzeption und Verwirklichung einer regionalen Entwicklungspolitik besitzen.
Die maßgeblichen regionalen Akteure gehen von der Prämisse aus, dass sich Globalisierung und wirtschaftlicher Strukturwandel in kleinen Wirtschaftsräumen nachhaltig beeinflussen lassen. So unterschiedlich die industriepolitischen Anstrengungen in den Regionen sein mögen, in einem Punkt sind sie sich ähnlich: Sie alle unterstellen, dass intensiver wirtschaftlicher Wettbewerb in den Regionen in soziale Beziehungsnetze eingebettet wird, die, indem sie intensive Kooperation ermöglichen, ökonomische Wettbewerbsvorteile generieren. In den Regionen besitzt der Kapitalismus noch ein Gesicht.
Hier dominieren klein- und mittelständische Unternehmer. Man kennt sich untereinander.
Es gibt entwickelte Kontakte zur lokalen Politik, zu Bildungs- und Forschungseinrichtungen, zu Kreditgebern und Beratungseinrichtungen.
Gewachsene Sozialbeziehungen und wechselseitiges Vertrauen ermöglichen es, das Konkurrenzprinzip zumindest zeitweilig außer Kraft zu setzen, um so ökonomisch sinnvolle Kooperationsverhältnisse zu stiften. Es ist also eine besondere Form des kooperativen Wettbewerbs, die das innere Zentrum intelligenter regionalwirtschaftlicher Ansätze bildet. Das Streben nach ökonomischer Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit (Logik der Konkurrenz) muss mit Kooperationsinteressen und entsprechenden Fähigkeiten in Einklang gebracht werden, die das Gegenteil von Konkurrenz (Logik sozialer Integration) darstellen. Mehr noch: Wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit hängt entscheidend von der Fähigkeit der Wirtschaftsakteure ab, Marktmechanismen als Informationssysteme zu nutzen und zugleich die eherne Logik der Konkurrenz zumindest zeitweilig und zum wechselseitigen Vorteil außer Kraft zu setzen. Und das - so jedenfalls der Anspruch - gelingt am besten dort, wo ein engmaschiges Geflecht aus verlässlichen Sozialbeziehungen die Gewähr bietet, dass alle maßgeblichen Akteure den wechselseitigen Vorteil im Auge behalten.
So verstanden, beruhen regionalwirtschaftliche Ansätze auf einer schwierig herzustellenden Balance von ökonomischer Wettbewerbs- und sozialer Integrationslogik. Betrachtet man maximale Konkurrenz und sozialen Zusammenhalt als Pole auf einer Achse, so sind in kleinen Sozialräumen höchst unterschiedliche Regionalisierungsvarianten denkbar. In der "blockierten Region" ist der soziale Zusammenhalt so ausgeprägt, dass Entwicklungs- und Innovationsblockaden entstehen. In solchen geschlossenen Mikrogesellschaften dominieren die oldboys- networks mit ihren strukturkonservativen Interessen und Mentalitäten, die noch immer in den Altindustrien wurzeln. Den idealtypischen Gegenpol bildet die "Marktregion", ein Mikrokosmos, der die Austauschbeziehungen möglichst nahtlos auf ökonomische Effizienz und Marktfähigkeit trimmt.
Auch in einer solchen Region können - freilich aus den entgegengesetzten Gründen - Blockierungen entstehen. In einer Mikrogesellschaft ohne Zusammenhalt, in der sich soziale Unsicherheit verallgemeinert, werden sich schwerlich innovative Milieus etablieren.

Befunde
Real bewegen sich die Aktivitäten der regionalen Netze aus Unternehmen, Verbänden, Kammern, Wissenschaftseinrichtungen, Gewerkschaften und lokaler Politik, die wir untersucht haben, zwischen diesen Polen. Was leisten nun die regionalen Netzwerke? Der erste Befund lautet: In den Untersuchungsgebieten hat sich ein Wettbewerbsregionalismus durchgesetzt, der auf Innovationskonkurrenz setzt und der dazu besonderer Kompromissbildungen bedarf. In kleinen Sozialräumen setzt sich eine Art Wettbewerbsregionalismus durch, der regionalwirtschaftliche Anstrengungen den Imperativen einer internationalen Konkurrenz unterwirft.
Charakteristisch für diesen Wettbewerbsregionalismus ist, dass er tradierte regionalpolitische Zielsetzungen wie z.B. den Ausgleich und die Überwindung regionaler Disparitäten Preis gibt. Statt dessen akzeptiert er die Konkurrenz zwischen den Regionen, was das Entstehen neuer Ungleichheiten impliziert.
Dies vorausgesetzt, konstituiert der Wettbewerbsregionalismus Handlungskorridore, in deren Grenzen gestaltende Politik möglich wird. Bezeichnend ist, dass alle von uns untersuchten Regionen auf den "hohen Weg" industrieller Restrukturierung zielen, d.h. die Untersuchungsregionen setzen nicht auf Lohnkonkurrenz, Sozialdumping, sondern auf industrielle Restrukturierung, auf Wachstum in wissensintensiven Branchen, Produkt- und Prozessinnovation, anspruchsvolle Arbeitsformen mit entwickelten Beteiligungsmöglichkeiten für Beschäftigte, Mitsprache und Mitbestimmungsmöglichkeiten, schließlich auf Qualifizierung. Das macht Wettbewerbsregionalismus auch für Gewerkschaften interessant, da der Strukturwandel eben nicht allein dem Markt überlassen werden soll. Dabei gibt es durchaus unterschiedliche Ansätze: Manche Akteure behandeln die Region wie Unternehmen, Gewerkschaften hingegen geht es eher um eine "Sozialisierung" der Unternehmerfunktion.

Der zweite Befund lautet: Die Fähigkeit zur Vernetzung der regionalen Akteure entscheidet über den Wirkungsgrad ihrer Politik und damit zumindest indirekt auch über die Chance, Jobs in der Region zu halten bzw. zu schaffen. Die Fähigkeit zur Vernetzung in den Regionen ist sehr unterschiedlich entwickelt.
Wir sprechen von Netzwerk nur dann, wenn es den unterschiedlichen Akteuren trotz z.T. divergierender Interessen gelingt, zumindest gelegentlich als Handlungssubjekt aufzutreten. Hauptmotiv ist dabei i.d.R., schwachen Interessen durch Kooperation eine Stimme in der politischen Arena zu verleihen.
Das setzt im Idealfall die Einigung auf gemeinsame regionalpolitische Ziele, also einen inhaltlichen Konsens voraus. Wichtigste Leistung der Netzwerke: Sie definieren die Region, klären, welche Interessen als relevant betrachtet werden und welche nicht.
Von den "Scharnierpersönlichkeiten" hängt die Vernetzungsfähigkeit im erheblichen Maße ab. Ganz wichtig ist, dass alle Netzwerke mit einer Vorstellung von Strukturwandel operieren und Interessen der old-boys-networks nicht dominant sind. Der Zusammenhalt der Netze ist dann am größten, wenn Transparenz der Ziele, Zielcontrolling besteht.
Dies gilt gerade auch für beschäftigungspolitische Zielsetzungen. Hinsichtlich der Außenbeziehung der Netze hat sich eine hohe Übereinstimmung z.B. mit landespolitischen Schwerpunktsetzungen als hilfreich erwiesen.

Befund drei: In allen Regionen finden sich Versuche der Wirtschaftsförderung, über Kompetenzinitiativen oder Clusterbildung Einfluss auf das Investitionsverhalten von Unternehmen auszuüben. Bei diesen Ansätzen zeichnet sich eine nivellierende Tendenz und ein Verschleiß von Entwicklungs-Leitbildern ab. Zugleich entstehen neue Beschäftigungsverhältnisse häufig neben den regionalen Schwerpunktsetzungen. Deutlich wird: die vielfach vorherrschende Orientierung auf wissensintensive Branchen greift zu kurz und rächt sich, wenn massive Deindustrialisierungsprozesse hingenommen werden.
IT-Initiativen gibt es inzwischen überall.
Wichtiger wäre eine Neuordnung der Kompetenzinitiativen und die Berücksichtigung endogener Potentiale.

Befund vier: Regionale Wirtschaftsförderung und Clusterpolitik können Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns beeinflussen; ihre Bindekraft für international operierende Unternehmen und deren Standortentscheidungen ist allerdings relativ gering.
Auch kleinere, mittlere Unternehmen nutzen die Option zur Internationalisierung. Auf den ersten Blick scheinen sich jene Deutungen zu bestätigen, die Globalisierung als Enträumlichung, als Entwertung regionaler Governance und damit als irreversiblen Verlust politischer Steuerungsfähigkeit definieren.
Betrachtet man die Internationalisierungsstrategien großer Unternehmen, so fällt das Ergebnis unserer Untersuchung tatsächlich beunruhigend aus. Unabhängig davon, wie intensiv Wirtschaftsförderung und regionale Clusterpolitiken betrieben werden -, das Investitionsverhalten transnationaler Konzerne vermögen sie nicht oder allenfalls graduell zu beeinflussen. Standortentscheidungen fallen unabhängig von regionalpolitischen Aktivitäten. Die Internationalisierungsstrategien der Unternehmen variieren, doch in keinem Fall reicht die Verhandlungsmacht regionaler Netzwerke aus, um das Investitionsverhalten dieser Unternehmen grundlegend zu beeinflussen. Derartiges gelingt allenfalls mit Unterstützung der Landespolitik. Selbst dort, wo strategiefähige Unternehmen Teil der Netzwerkstrukturen sind, bedeutet das keineswegs, dass die regionale Bodenhaftung des Managements wächst. Für den Umkehrschluss, der die Herausbildung von "bindungslosen" global players behauptet, fehlen allerdings ebenfalls die Anhaltspunkte.
Auch das internationalste Unternehmen wählte Standorte, beschäftigt Menschen und geht damit Bindungen ein, die durch spezifische Institutionen überwacht und geregelt werden. Doch damit ist nicht gesagt, dass diese Bindungen in einer bestimmten Region, in einem bestimmten Sozialraum entstehen. Die Konkurrenz der Regionen um die Gunst international operierender Unternehmen hat sich, zumal unter den Bedingungen langsamen Wachstum und hoher Arbeitslosigkeit, erheblich verschärft.
Insofern gehen Globalisierung und Regionalisierung keine harmonische Synthese ein.
Das auch, weil die Raumdefinitionen von Unternehmen und regionalen Netzwerken erheblich differieren. International operierende Unternehmen operieren mit Raumkonzepten, die Deutschland oder die Europäische Union als eine Region betrachten. Faktisch werden so Makroregionen zur Bezugsgröße strategischer Unternehmensplanung.
Die industriepolitischen Netze operieren hingegen mit Raumdefinitionen, in deren Konsequenz sich selbst die Mikrokosmen der Städte immer stärker ausdifferenzieren.
Faktisch entwickeln sich die Raumvorstellungen von multinationalen Unternehmen und regionalen Netzen auseinander. Standort- und Investitionsentscheidungen international operierender Konzerne folgen räumlichen Kalkülen, in denen Mikroregionen nur eine untergeordnete Rolle spielen, weil selbst Konkurrenzvorteile wie z.B. große Potentiale an qualifizierten Arbeitskräften keine dauerhaften Bindungen erzeugen.

Befund fünf: Regionale Bindekraft entsteht aus einem optimalen Zusammenspiel von Wissenschaftseinrichtungen, Förderpolitik, Unternehmensgründungen und der Bereitstellung einer guten Infrastruktur.
Es gelingt den regionalen Netzwerken tatsächlich, Wirtschaftsaktivitäten zu beeinflussen und regionale Bindekraft zu entfalten.
Von nachhaltig wirkenden Steuerungsleistungen kann man sprechen, wenn es zu einem optimalen Zusammenspiel zwischen Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Maßnahmen zur Förderung von Unternehmensneugründungen, Technologie-, Ansiedlungs- und Qualifizierungspolitik kommt. In dieser Hinsicht liefert Dortmund ein Musterbeispiel, das sich nicht nur durch eine klare Bündelung der Kräfte im dortmund-project, sondern auch durch eine gute Abstimmung der unterschiedlichen Teilpolitiken auszeichnet. Eine konkurrenzfähige wissenschaftliche Infrastruktur, die auch eine regionale Ausrichtung besitzt, ist - in Verbindung mit gezielten Fördermaßnahmen, Gründerwettbewerben und der Heranbildung eines adäquaten Pools an qualifizierten Arbeitskräften - eine Grundvoraussetzung für regionales Wachstum in wissensintensiven Branchen. Nicht in der Zielsetzung, wohl aber in der Ausführung und im Zusammenspiel der lokalen Akteure unterscheiden sich die Untersuchungsregionen.
Wo, wie in Nürnberg, wissenschaftliche Infrastruktur und regionalwirtschaftliche Schwerpunktsetzungen teilweise inkongruent sind oder wo es, wie in Chemnitz, ein Zusammenspiel nicht gibt, weil die Ausrichtung der regionalen Wirtschaftspolitik unklar ist, bleiben die Steuerungseffekte regionaler Netzwerke begrenzt.
Doch selbst wenn, wie in Dortmund, die Kooperation der Akteure nahezu optimal ist, gilt, dass die regionalen Netze immer nur Teilproblematiken bearbeiten können. Das Wechselspiel von wissenschaftlicher Wissensproduktion, Förderpolitik, Unternehmensgründungen und Beschäftigungsentwicklung funktioniert in den neuen Leitbranchen. Eine Ausstrahlung auf die altindustriellen Bereiche, die auch in Dortmund noch immer 80 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse umfassen, lässt sich jedoch kaum feststellen. Die neuen Leitbranchen entwickeln sich innerhalb transnationaler Wettbewerbsverhältnisse; dies jedoch mit lokalen Unterstützungsleistungen und teilweise mit spezialisierten Produkten, die von regionalen Unternehmen benötigt werden. Was für Dortmund gilt, trifft auch für Nürnberg und Chemnitz zu. Dass die Dynamik der neuen Bereiche nicht oder kaum auf die ihrerseits im Umbruch befindlichen Strukturen durchschlägt, lässt sich in allen Regionen feststellen.

Befund sechs: Regionale Netzwerke haben einen erheblichen Beitrag zur Begrenzung der Arbeitslosigkeit geleistet. Dieser Beitrag wird in der gegenwärtigen arbeitsmarktpolitischen Debatte unterschätzt.
Trotz des ambitionierten dortmund-projects verzeichnet die Ruhrmetropole wegen der krisenhaften Einbrüche, die auch die wissensintensiven Leitbranchen erfasst haben, wieder Spitzenwerte bei der Arbeitslosigkeit.
In der mittelfränkischen Region ändert ein dynamisches wirtschaftliches Umfeld nichts an der anhaltenden Strukturkrise der lokalen Metall- und Elektroindustrie und der überdurchschnittlichen Arbeitslosigkeit in Nürnberg- Stadt. Und in Chemnitz sind selbst jene industriellen Kerne wieder gefährdet, die noch zu Beginn des Jahrzehnts erste Beschäftigungseffekte generierten. In allen Regionen bleibt das ökonomische Entwicklungsmuster insofern "altindustriell", als konjunkturelle Krisen besonders heftig ausfallen, während Prosperitätsphasen kaum für Aufholprozesse genutzt werden können.
Ist regionale Strukturpolitik also doch eine Sisyphusarbeit? Fast könnte es so scheinen.
Die regionalen Akteure können, wohl zu Recht, einwenden, dass ohne ihre Aktivitäten alles noch schlimmer wäre. Doch eine solche Einschätzung illustriert nur, dass Mikroregionen nicht ausgleichen können, was makroökonomisch versäumt wird. Mikrosoziale Steuerung lebt von genauen Kenntnissen der regionalen Gegebenheiten. In den kleinräumlichen Strukturen, die ihr Wirkungsfeld sind, bleibt ihr Instrumentarium notwendig unvollständig und ihre Reichweite begrenzt.
Dass den Regionen durch die dominante Wirtschaftspolitik de facto Steuerungsfunktionen zugewiesen werden, die sie nur begrenzt zu erfüllen vermögen, grenzt an systematische Überforderung.

Befund sieben: Unter der Last des Beschäftigungsproblems droht die Frage nach der Qualität der Arbeit zu verschwinden. Regionale Netze verfügen gegenwärtig nicht über ein angemessenes Leitbild für "gute Arbeit".
Oft gibt es faktisch eine Abkehr von der "hohen Straße" industrieller Restrukturierung.
Die öffentliche Debatte befördert die Frage, was beteiligungsorientierte Arbeitsformen bringen, wenn Gewinnmaximierung auch anders, nämlich über Arbeitszeitverlängerung, Lohnminderungen, Leistungsintensivierung, Nutzung flexibler und häufig prekärer Beschäftigungsformen möglich scheint.
Der Kostensenkungswettbewerb geht dabei auf Kosten der Innovation.

Befund acht: Lokale Gewerkschaften haben sich als aktive Förderer innovativer Regionalpolitiken betätigt. Je erfolgreicher der wirtschaftliche Strukturwandel verläuft, desto vehementer werden diese Gewerkschaften jedoch mit der Erosion ihrer klassischen Organisationsbasis konfrontiert. In allen von uns untersuchten Regionen partizipieren die Gewerkschaften, oder besser: einzelne Gewerkschafter und die von ihnen repräsentierten lokalen Gliederungen, aktiv an der Strukturpolitik. In allen Fällen gingen wichtige strukturpolitische Impulse von den Gewerkschaften aus. Sie waren es, die regionale Entwicklung nicht dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen wollten. Dass Veränderungsprozesse durch klebrige Seilschaften, Lock-in-Effekte und Strukturkonservatismus blockiert werden können, ist auch in unseren Untersuchungsregionen eine bekannte Erscheinung. Und es ist nicht zu leugnen, dass sich auch Gewerkschaftsgliederungen gelegentlich als Sachwalter strukturkonservativer Interessen betätigt haben. Die Ergebnisse unserer Untersuchung weisen jedoch in eine andere Richtung. Faktisch agieren die regionalen Netze mit der klaren Zielstellung, den ökonomischen Strukturwandel zu forcieren. An dieser Ausrichtung haben die beteiligten Gewerkschaften einen wesentlichen Anteil. Wo die Konzepte von Wirtschaftsförderung und privaten Consultants allzu luftig sind, wirkt die gewerkschaftliche Partizipation an der regionalen Strukturpolitik häufig als Korrektiv und sorgt für eine größere Bodenhaftung ambitionierter Pläne.
Dass die gewerkschaftlichen "Spieler" beschäftigungspolitische Ziele priorisieren, dass sie auf Bildungs- und Arbeitsplatzangebote für Niedrigqualifizierte drängen und daher inkrementellen Wandel betonen, lässt sich, zumal in Gesellschaften mit "koordinierten Märkten" nicht als Ausdruck von Strukturkonservatismus deuten. Im Gegenteil, häufig sind es die gewerkschaftlichen Aktivitäten, die bei der Abfederung von Entlassungen, bei beruflicher Weiterbildung und betrieblicher Modernisierung maßgeblich zum Gelingen von Steuerungseffekten der regionalen Netze beitragen. Denn von der Entstehung her handelte es sich bei den regionalen Kooperationsverbünden zunächst um bloße Notgemeinschaften. Mühsam versuchen sie bis heute, die Steuerungsdefizite übergeordneter Ebenen zu kompensieren.
Dabei fällt auf, dass ihre politische Wirkung dort am größten ist, wo es regionalen Akteuren gelingt, zu wichtigen Themen mit einer Stimme zu sprechen. Dieser Befund relativiert die inzwischen geradezu modische Kritik an der Politik der "Konsensrunden" und der "runden Tische". Tatsächlich können Runden, die Partizipation um der Partizipation willen betrieben, zu "Intervention durch Nicht-Entscheidung" beitragen. Wo sie jedoch einen Veränderungskonsens der regionalen Akteure herbeiführen, wirken sie segensreich.

Vier Schlussfolgerungen
1.: Regionale Netze bringen erhebliche Steuerungsleistungen bei der Produktion öffentlicher Güter, makroökonomische und -politische Defizite vermögen sie nicht auszugleichen.

2.: Der kalifornische High-Tech-Kapitalismus reicht als universelles Leitbild regionaler Entwicklungsprozesse nicht aus. Es geht um vielfältige regionale Übergänge in eine wissensgestützte Produktions- und Dienstleistungsgesellschaft.
Jenseits dieses strukturellen Mangels kommt eine andere Beobachtung zum Tragen.
Regionale Übergänge in eine wissensgestützte Dienstleistungsökonomie setzen eine Produktion öffentlicher Güter, wissenschaftliche und logistische Infrastruktur, be rufliche Aus- und Weiterbildung, längerfristig orientierte Innovationspolitiken und einigermaßen stabile Austauschbeziehungen zwischen den industriellen Akteuren voraus.
In diesem Punkt deutet sich in den regionalen Arenen tatsächlich eine problematische Entwicklung an. Ansätze, die sich auf reine Marketingstrategien zurückziehen, die es versäumen, abrechenbare industriepolitische Projekte zu definieren und die ohne beschäftigungspolitische Zielsetzungen operieren, werden keine nachhaltigen Effekte auslösen können. Vor allem "High-road-Strategien", also regionale Politiken, die Wachstumseffekte in wissensintensiven Branchen mit anspruchvollen Produkten und qualifizierter Beschäftigung erzielen wollen, benötigen öffentliche Güter in noch weitaus stärkerem Maße, als regionale Netze diese aus eigener Kraft bereitstellen können.
Hinzu kommt etwas anderes. Faktisch haben die Consultants und Wirtschaftsförderer in allen untersuchten Regionen den Traum des "kalifornischen Kapitalismus" geträumt. Charakteristisch sind Weltmarkt- und Hochtechnologieorientierung, die in den Regionen mit unterschiedlichem Erfolg praktiziert werden. Doch unabhängig von der konkreten Ausprägung dieser Ansätze stellt sich die Frage, ob auf diesen Feldern überhaupt Beschäftigungswachstum in einem Ausmaß möglich ist, das eine Abkehr vom bekannten Dilemma altindustrieller Regionen bedeuten würde. Vergegenwärtigt man sich, dass selbst in großen High-Tech-Metropolen nur eine verhältnismäßig begrenzte Zahl von Beschäftigten unmittelbar im IT-Sektor arbeitet, so wird rasch klar, dass die High-Tech- Branchen allein nicht das nötige Beschäftigungswachstum erzielen können. Das größte regionale Beschäftigungswachstum verzeichnen mit personenbezogenen und sozialen Dienstleistungen, etwa der Gesundheitswirtschaft, Bereiche, die in den regionalwirtschaftlichen Schwerpunktsetzungen überhaupt nicht vorkommen. Auch die regionalen Netze sind in diesen Bereichen allenfalls schwach repräsentiert. Wenn überhaupt, so lässt sich hier ein strukturkonservatives Moment der Netzwerkstrukturen ausmachen. Dienstleistungsorganisationen wie die Gewerkschaft Ver.di spielen in den regionalen Kooperationsverbünden bislang keine oder allenfalls eine untergeordnete Rolle.
Hier kommt in der Tat eine Schwachstelle regionalwirtschaftlicher Ansätze zum Vorschein, die zum Gegenstand einer strategischen Debatte werden sollte. Weltmarktorientierung allein bringt möglicherweise die Spezifik, die endogenen Potentiale regionaler Räume, zum Verschwinden. Sie läuft auf eine Förderung von High-Tech-Sektoren hinaus, die ihrerseits rationalisierende Effekte produzieren. Beschäftigungswachstum entsteht jedoch in Bereichen, die spezialisierte, lokale Dienstleitungen erbringen.
Hier ließe sich anknüpfen. Seriöse Empfehlungen zum Ausbau sozialer Dienstleitungen kollidieren freilich in vielerlei Hinsicht mit den derzeit dominanten politischen Weichenstellungen. Eine solche Politik würde hierzulande u.a. eine höhere Frauenerwerbstätigkeit, Einkommenserhöhungen, den Übergang zur Qualitätsproduktion im sekundären Sektor wie auch im Dienstleistungsangebot selbst sowie nicht zuletzt den Ausbau von Finanzierungsmechanismen zur Überwindung "der Kostenkrankheit bei wichtigen Diensten" voraussetzen.
Einen solchen Weg können die Regionen nicht allein aus eigener Kraft gehen; die Tatsache, dass die Dienstleitungsbereiche in den regionalen Netzen bislang von untergeordneter Bedeutung sind, sollte jedoch zu Denken geben.

3: Ein rein technokratisches Innovationsverständnis verfehlt die Besonderheit regionaler Entwicklungsprozesse. Soziale Innovationen sind häufig die Voraussetzung für technologische Entwicklungssprünge. Das vornehmlich technisch-marktorientierte Innovationsverständnis, das sich bei zentralen Akteuren der regionalen Strukturpolitik wieder durchzusetzen beginnt, ignoriert die gesellschaftliche Komplexität von Innovationsprozessen.
Innovative Dienstleistungspolitik z.B. hängt eng mit kulturellem Wandel zusammen, denn ohne eine Demokratisierung von Geschlechterbeziehungen lässt sich eine signifikante Erhöhung der Frauenerwerbsquote nicht erreichen. Ohne höhere Frauenerwerbsbeteiligung jedoch kein Druck zur Ausweitung sozialer Dienste und somit keine Beschäftigungseffekte. Ein Innovationsverständnis, das solche gesellschaftlichen Zusammenhänge außer Acht lässt, das Eliteförderung mit wachsendem Druck auf die Schwächsten der Gesellschaft kombiniert, wird eher neue Entwicklungsbarrieren erzeugen als vorhandene abbauen. ‚Schnelles Dortmund‘, ‚soziales Dortmund‘ - das ist eine begriffliche Differenz, in der sich auch ein unterschiedliches Verständnis von gesellschaftlichen Innovationsprozessen artikuliert.

4: Regionen eignen sich als Sozialraum, in welchem Sicherheit und Flexibilität in eine neue Balance bringen lassen. Die Schaffung eines "Aktivitätsstatus" für Beschäftigte könnte mittelfristig ein Ansatzpunkt für die Erneuerung regionaler Politiken werden.
In einer flexiblen Arbeitswelt, die die Unterscheidung von Arbeitsrolle und Person tendenziell aufhebt, muss die Mobilität der Arbeitskräfte erhöht werden. Dies kann geschehen, indem für Erwerbstätige ein Aktivitätsstatus geschaffen wird. Jeder und Jede, der/die eine gewisse Zeit lang gearbeitet hat, sollte einen Status in Anspruch nehmen können, der eine wirkliche Wahl zwischen Tätigkeiten, zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit ermöglicht. Dieser Status würde für einen begrenzten Zeitraum die Möglichkeit eröffnen, sich einer frei gewählten Betätigung zu widmen. Er könnte in einem Aktivitätsvertrag definiert werden, der über mehrere Jahre den Wechsel zwischen betrieblicher Produktivarbeit, Ausbildungsarbeit und gemeinnütziger Beurlaubung, etwa für Familienarbeit, erlaubt. Ein solcher Vertrag könnte mit Unternehmensnetzwerken geschlossen werden und durch Umlagefinanzierungen ein relativ stabiles Einkommensniveau ermöglichen. Die Durchsetzung eines solchen Aktivitätsstatus ist notwendigerweise ein gesamteuropäisches Projekt; starke Ökonomien wie die deutsche und die französische könnten bei der Durchsetzung aber eine Vorreiterrolle spielen. Arbeitspolitische Konzepte für ein solches Projekt liegen längst auf dem Tisch. Nichts hindert Gewerkschaften und Politik daran, sich diese Konzepte zueigen zu machen. Wenn mit Blick auf 2010 -etwas nötig ist, dann mehr Phantasie bei der sozialen Gestaltung der neuen Arbeitswelt!