Krisenmanager der CIA

Ein Buch über Vernon Walters, den CIA-Strippenzieher in Krisengebieten. Vom Chile-Putsch zur deutschen Einheit

Anders als James Bond scheinen reale Nachrichtendienste gesichtslos zu sein...

Anders als James Bond scheinen reale Nachrichtendienste gesichtslos zu sein. Mit dem Tod des Italieners Nicola Caliparis bei der Befreiung der Journalistin Giuliana Sgrena im Irak wurde aber deutlich, daß einzelne Geheimdienstler in Krisenregionen durchaus hervorragende Positionen innehaben.

Der Tod Vernon Walters (FOTO: in der Mitte zwischen Eisenhower und Franco) vor drei Jahren im Rentnerparadies Florida erregte Aufsehen bei Freund und Feind. Denn obwohl der 85jährige im medizinischen Zentrum "Zum Guten Samariter" starb, erinnerte man sich in vielen Regionen der Welt, daß Walters keineswegs als barmherziger Samariter, sondern als Haudegen mit Geheimdiensthintergrund aufgetaucht war, um für den US-Imperialismus die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Karriere und Einsätze dieses Generals hat nun in Buchform ein kundiges Autorengespann nachgezeichnet: Klaus Eichner war im DDR-Ministerium für Staatssicherheit in der Hauptverwaltung Aufklärung Analytiker der US-Geheimdienste, Ernst Langrock war in der Nuklearforschung und als spurensichernder Publizist tätig.

Putschexperte

Beobachtern der deutschen Einigung 1989/90 ist Walters als US-Botschafter in der BRD vertraut. Kein Zufall, daß Walters zu jener Zeit auf diesem Posten war, das ist die Hauptthese dieses Buchs, das zugleich eine Schrift über geheime Hintergründe der deutschen Einigung und deren Funktion für den Zusammenbruch des sozialistischen Lagers ist. Als Walters seinen Job in Bonn im April 1989 antrat, war er 72 Jahre alt - aus dem Ruhestand hatte ihn US-Präsident Bush sen., ein früherer CIA-Chef, rekrutiert.

Eichner/Langrock weisen nach, daß Vernon, der nie eine Universitätsausbildung absolviert hatte, überall aufgetaucht ist, wo das Weltgeschehen sich für die USA krisenhaft zuspitzte. Beim Zusammenbruch der Nachkriegsordnung von Jalta arrangierte Walters am Tag des "Mauerfalls" 1989, daß Bundeskanzler Kohl mit einer amerikanischen Militärmaschine nach Berlin flog (den Autoren ein Skandalon, aber es ist daran zu erinnern, daß bis zum "Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland" vom 12. September 1990 die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs das Sagen hatten, so daß die Lufthansa Berlin nicht ansteuerte durfte; auch Willy Brandt ließ sich von einer britischen Militärmaschine vom Rhein nach Berlin transportieren, um die "Jetzt-wächst-zusammen"-Rede zu halten). Als es 1953 im Iran um die Kontrolle des Erdöls ging, die Regierung Mossadegh gestürzt und Schah Reza Pahlewi inthronisiert wurde, konnte Walters als Dolmetscher des US-Sonderbotschafters erste Staatsstreicherfahrungen sammeln. In Italien, wo Linke Einfluß gewannen, war Walters Anfang der 60er Jahre Militärattaché und schmiedete Invasionspläne für den Fall einer sozialistischen Regierung. Als 1964 in Brasilien Präsident Goulart durch einen Militärputsch gestürzt wurde, gab es wiederum Verbindungen zu Walters, der schon 1943 brasilianische Militärs ausgebildet hatte und als Sprachgenie auch des Portugiesischen kundig war. Als Frankreich sich von den USA emanzipierte und aus militärischen Strukturen der NATO löste, war Walters (1967-1972) Militärattaché in Paris. Bedeutsam auch, weil in Paris Friedensverhandlungen zum Vietnamkrieg der USA stattfanden. Walters schleuste mehrmals inkognito US-Sonderberater Henry Kissinger nach Paris. Von 1972 bis 1976 war Walters für das operative Geschehen verantwortlicher stellvertretender CIA-Direktor. In diese Zeit fiel das Ende der Diktaturen in Portugal, Spanien und Griechenland; in Portugal wurden CIA-Gelder den Sozialisten zugeschanzt, u. a. über BND und SPD - natürlich war auch Walters vor Ort.

Franco-Freund

Terror am 11. September - nicht 2001, sondern 1973: der Militärputschist Pinochet stürzte mit US-Unterstützung die chilenische Regierung Salvador Allendes (im Buch wird am Mythos, Allende wäre von Putschisten erschossen worden, festgehalten - darf ein linker Held sich nicht, wie belegt, selbst töten?). Eichner/Langrock erwähnen auch Indizien für Walters Engagement im griechischen Bürgerkrieg 1947-49, im Koreakrieg Anfang der 50er Jahre sowie im Franco-Spanien 1971. Zu ergänzen wäre, daß Walters schon 1959 dabei war, als Eisenhower Franco umarmte, und daß mehr über das Walters/Franco-Gespräch über Spaniens Zukunft nach Franco bekannt ist, bei dem Walters übrigens irrte, als er meinte, das Nach-Franco-Spanien wäre ein Tabu. Fernando Gonzales-Doria konnte noch zu Lebzeiten des Diktators 1974 das Buch "¿Franquismo sin Franco...?" veröffentlichen (ein Titel "Sozialismus ohne Breschnew" in der UdSSR war leider undenkbar). Vernons Sündenregister hat weitere Einträge: Von der Konterrevolution in Nikaragua bis zum Informationsaustausch mit dem Vatikan (nur Ahnungslose mokierten sich, daß dem MfS der Papst Aufklärungsziel war).

Etwa ein Viertel des Buches macht die Übersetzung von Kalten-Kriegs-Dokumenten sowie Walters-Nachrufen aus; dabei gibt es Wiederholungen. Für eine Neuauflage wünschte man sich - hier oder in Passagen ohne Walters-Bezug zum deutschen Einigungsprozeß - Kürzungen zugunsten der Einarbeitung neuerer Literatur: etwa die Studien von Daniele Ganser über die NATO-Operation "Gladio" oder von Christopher Hitchens über "Die Akte Kissinger".

* Klaus Eichner/Ernst Langrock: Der Drahtzieher. Vernon Walters - Ein Geheimdienstgeneral des Kalten Krieges. Kai Homilius Verlag, Berlin 2005, 277 Seiten, 18 Euro

Der Beitrag erschien zuerst in junge Welt vom 21. März 2005