Flüchtlinge aus dem Irak

in (29.04.2003)

Die humanitäre Katastrophe im Irak hat, auch wenn der Krieg zu Ende ist, noch längst nicht ihren Höhepunkt erreicht. ...

... Die sich abzeichnenden Konflikte werden weiterhin viele Iraker in die Flucht treiben. Von einer demokratischen Zukunft, geschweige denn von einem menschenwürdigen Leben ist das Land weiter denn je entfernt. Wie sich die europäischen Staaten, die zum Teil den Krieg abgelehnt haben, gegenüber den Flüchtlingen verhalten, ist längst beschlossene Sache. Ende März haben die Justiz- und Innenminister auf der EU-Ratstagung in Veria/Griechenland das weitere Vorgehen im Sinne einer möglichst effektiven Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge erörtert. Schon lange vor Kriegsbeginn hatten sich die EU-Mitgliedstaaten auf Initiative des britischen Premiers Tony Blair darauf geeinigt, zur europäischen Flüchtlingsabwehr "heimatnahe Reservate" für Kriegsflüchtlinge in den umliegenden arabischen Staaten einzurichten und nur einer begrenzten Zahl von irakischen Flüchtlingen nach einem Quotenschlüssel Asylrecht zu gewähren. Der Vertreter des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge, Lubbers, berichtete auf der EU-Ratstagung, in Ländern wie Iran, Syrien, Jordanien, Türkei und im Nordirak könnten etwa 600 000 irakische Flüchtlinge aufgenommen werden; die erforderlichen Maßnahmen für die spätere Rückkehr würden gleich eingeplant. Für die Flüchtlingshilfe ständen kurzfristig 100 Millionen Euro zur Verfügung.
Die Innen- und Justizminister stimmten also überein, daß die zu erwartenden Flüchtlinge in der Region versorgt werden müßten. "Evakuierungsmaßnahmen sollten nicht in Betracht gezogen werden", denn mit den Mitteln, die dafür erforderlich wären, könne "vor Ort einem Vielfachen an Personen geholfen werden". So steht es im Protokoll des Bundesinnenministeriums.
Minister Otto Schily sah wie gewöhnlich vor allem das Problem, daß Terroristen kommen könnten. Deshalb forderte er, die bei der "Beobachtung terroristischer Potentiale" in den Mitgliedsstaaten gesammelten Daten zusammenzuführen. Europol soll diese Aufgabe wahrnehmen. Dazu gehört auch die Einführung biometrischer Merkmale in Visa und Aufenthaltsdokumente und besonders ein "Außengrenzmanagement" zur Bekämpfung illegaler Migration.
Wie "humanitär" sich die Bundesregierung in den letzten Monaten verhalten hat, verdeutlicht die alltägliche Asylpolitik gegenüber irakischen Flüchtlingen in Deutschland. "Wenige Wochen vor dem sich abzeichnenden Irak-Krieg ließ der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten weder Recht bestehen noch Gnade walten", so Marei Pelzer von Pro Asyl am 9. April zu einer Klage des Bundesbeauftragten gegen die Anerkennung des irakischen Flüchtlings Mohammed A. durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge.
Mohammed A. war im Dezember 2002 nach zwölfjähriger Inhaftierung und Folterqualen vom Irak nach Deutschland geflohen. "Der Antragtragsteller wirkt aufgelöst, sowohl psychisch als auch physisch am Ende. Der Unterzeichner bezweifelt, daß es dem Antragsteller gelingen könnte, angesichts seiner langjährigen Inhaftierung Kraft für die Suche nach einer Unterkunft im Nordirak zu finden. Der Antragsteller ist am Ende seiner Kräfte, eine inländische Fluchtalternative ist vor diesem Hintergrund dem Antragsteller in keiner Weise zumutbar", urteilte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 22.Januar 2003 und erkannte für Mohammed A. das Asylrecht nach der Genfer Flüchtlingskonvention an. Nur wenige Tage später, am 3. Februar, klagte der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten routinemäßig gegen den Bescheid und sorgte so dafür, daß der 34-jährige Mohammed A. erneut um seinen Verbleib in Deutschland bangen muß. Kein Einzelfall, die Quote der Ablehnung irakischer Asylbewerber ist in den vergangenen zwei Jahren drastisch gestiegen. 2001 waren 30 Prozent der Flüchtlinge abgelehnt worden, während des Krieges stieg sie auf 80 Prozent.

aus: Ossietzky 08/2003