"Der Krieg ist unvermeidlich", so höre ich es Tag für Tag von Freunden, Bekannten und wildfremden Menschen, oft voll Resignation oder gar mit sichtbarer Verzweiflung. Warum eigentlich? ...
... Für mich ist jeder Tag ohne Krieg ein gewonnener Tag, denn er ist das Ergebnis des weltweiten öffentlichen Widerstands.
Das dramatische Ringen in den Vereinten Nationen um mehr Zeit für eine gewaltfreie Lösung des Irak Konflikts ist auch ein atemberaubender Versuch der Staatengemeinschaft, sich von der angemaßten Vorherrschaft der USA zu lösen (einem Überbleibsel des vierzigjährigen Kalten Krieges) und in eigener Verantwortung zu handeln. Oft trennt nur eine Sitzungspause von dem beschworenen Krieg. Doch der Mut zum Widerstand gegen die Erpressungen aus dem Weißen Haus steigt mit jeder erstrittenen Fristverlängerung für die Waffeninspektoren.
"Time is running out." Diese vom US-Präsidenten George Bush gerne ausgesprochene Warnung an Saddam Hussein wie auch an die Dissidenten im Weltsicherheitsrat ist als Echo nach Washington zurückgekehrt. Nicht nur unter der schweigenden Mehrheit der UN-Mitglieder, auch bei den Veto-Mächten wächst die Erkenntnis, daß die Bagatellisierung oder gar Zerstörung der Weltorganisation ein zu hoher Preis ist, um der Kriegsbesessenheit eines missionarisch eifernden Mitgliedes nachzugeben. Ohne die Vereinten Nationen, so zeigt sich, würden sich die USA noch mehr zum Welthegemon berufen fühlen, und der globalisierten Welt würde es an einem geeigneten Forum fehlen.
Mag sein, daß der Countdown läuft, wie die Kriegslobby in den deutschen Medien gerne meldet. Vielleicht hat das Bombardement begonnen, bevor dieses Heft ausgeliefert ist. Doch sage keiner hinterher, er habe nicht gewußt, was das bedeutete. Oder, wie gehabt, man sei da einfach hineingeschlittert. Von wegen. Wohl noch nie seit Menschengedenken ist ein Krieg in aller Öffentlichkeit so mutwillig, so verlogen und mit so viel zynischer Gleichgültigkeit gegenüber den zivilen Opfern vorbereitet und vom Zaun gebrochen worden.
aus: Ossietzky, 06/2003