Einleitung zum Heftschwerpunkt
* Ralf Krämer, Dortmund, Sozialwissenschaftler, spw-Redaktion
Die industriellen Beziehungen, die Formen und Verhältnisse, unter denen Arbeitskraft innerhalb von Betrieben oder unmittelbar am Markt angewendet und kapitalistisch verwertet wird, unterlaufen gegenwärtig Prozesse tiefgreifenden Wandels. Zentrale Bedingungsfaktoren dafür sind zum einen die fortschreitende Internationalisierung der Ökonomie, insbesondere der großen Aktiengesellschaften, und die wachsende Bedeutung der internationalen Finanzmärkte. Die Stichworte "Shareholder-Value" und "feindliche Übernahme" werfen Schlaglichter auf die damit zusammenhängenden Probleme und Konflikte.
Zum anderen sind es die insbesondere von den Informations- und Kommunikationstechniken geprägte Flexibilisierung und der zunehmende Dienstleistungscharakter der Produktion, die die ökonomischen und Arbeitsbedingungen verändern. Damit einher gehen Umstrukturierungen der Betriebe, Unternehmen und Wertschöpfungsketten, die auch bisherige Formen sozialer Regulierung und Einflussnahme der Beschäftigten und der Gewerkschaften untergraben, die prägend waren für den "rheinischen Kapitalismus" und das "Modell Deutschland". Aus diesen Veränderungen müssen Konsequenzen gezogen werden, im Bereich der sozialen Sicherung (wo es nicht um Abbau, sondern im Gegenteil um die Erweiterung auf neue, bisher nicht einbezogene und abgesicherte Tatbestände und Personengruppen gehen müsste) und ebenso im Arbeitsrecht und bei der Mitbestimmung. Uns interessiert besonders, wie dabei die Interessen der abhängig Arbeitenden gesichert und gestärkt werden können und wie die weitergehende, sozialistische Perspektive einer umfassenden Demokratisierung der Wirtschaft unter diesen Bedingungen weiter zu entwickeln und in die Auseinandersetzungen einzubringen ist.
Zunächst gibt dazu Fritz Vilmar, der sich seit Jahrzehnten intensiv mit dem Thema beschäftigt hat, einen Überblick über die Bedeutung und die theoretischen und konzeptionellen Entwicklungen der Wirtschaftsdemokratie seit den 60er Jahren. Er macht deutlich, dass Wirtschaftsdemokratie notwendigerweise auf allen Ebenen vom Arbeitsplatz und Betrieb über das Unternehmen bis zur Gesamtwirtschaft greifen muss und nicht auf einzelne dieser Ebenen oder bestimmte Teilaspekte beschränkt werden darf. Sie sei so der integrative Begriff der notwendigen alternativen sozial-ökologischen Wirtschaftspolitik und des "Dritten Wegs" in seiner früheren Bedeutung, nämlich zwischen Kapitalismus und autoritärem Staatssozialismus (statt zwischen "alter" Sozialdemokratie und Neoliberalismus). Die u.a. im Crossover-Zusammenhang entwickelten Überlegungen zu einer linken Regionalwirtschaftspolitik wären hier einzuordnen. Weitaus mehr offene Fragen stellen sich m.E. in Bezug auf die Auswirkungen der og. Internationalisierung und insbesondere Europäisierung und der Rolle der Finanzmärkte. Hier muss sicherlich ein Schwerpunkt zukünftiger konzeptioneller und politischer Anstrengungen liegen.
Felix Welti stellt die These vom "Arbeitskraftunternehmer" als neuem Leittypus der Arbeitskraft im flexibilisierten Kapitalismus vor. Dieser hat weitgehende Konsequenzen für die Gestalt und subjektive Verarbeitung der Ausbeutungsverhältnisse (denen auch formal selbständig Arbeitende in ihrem Austausch mit kapitalistischen Auftraggebern unterliegen), für die Geschlechterverhältnisse und die Bedingungen kollektiver Interessenvertretung sowie für die Anforderungen, die sich der Bildungs- und Sozialpolitik stellen. M.E. kommt es dabei darauf an, durch die Verbindung von neuen sozialstaatlichen Regelungen, kommunikativen Zusammenhängen und kulturellem Bewussteinswandel sowie Wirtschaftsdemokratisierung im breiten von Vilmar beschriebenen Sinne sozial orientierte Gestaltung auf individualisierter Basis zu ermöglichen und die sich ansonsten extrem verschärfenden Konkurrenzverhältnisse zwischen den "Arbeitskraftunternehmern" zurückzudrängen. Genau auf diese Entfesselung von Konkurrenz hat es allerdings das Kapital abgesehen, es geht also tatsächlich um politische und kulturelle Machtfragen.
Ganz konkret zeigen sich die Machtfragen und Klassenauseinandersetzungen an der Geschichte und der bevorstehenden Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes. Karin Benz-Overhage begründet die Reformnotwendigkeiten und die Reformforderungen, wie sie sich aus gewerkschaftlicher Sicht darstellen. Eigentlich müssten die politischen Bedingungen sehr günstig für eine Reform im Interesse der ArbeitnehmerInnen sein. Die rot-grüne Koalition hat sich eine grundlegende Reform des BetrVG vorgenommen, der DGB einen Entwurf mit weitreichenden Forderungen zur Stärkung der Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten vorgelegt. Aber es formiert sich bereits massiver Widerstand im Unternehmerlager. Das Betriebsverfassungsgesetz wird ein erneuter Testfall sein, was Gewerkschaften und fortschrittliche Kräfte von dieser Bundesregierung zu halten und zu erwarten haben, und welche Durchsetzungskraft die verbliebenen linken und gewerkschaftlich orientierten Kräfte in der SPD noch haben.
Ewald Wehner macht allerdings deutlich, dass das Problem nicht nur bei der SPD, sondern auch in den Gewerkschaften selbst liegt, bei denen selbst heftige Auseinandersetzungen um das Verständnis von Mitbestimmung und Interessenvertretung unter den heutigen Bedingungen ausgetragen werden. Er unterzieht das Papier der gemeinsamen Mitbestimmungskommission von Bertelsmann- und Hans-Böckler-Stiftung einer scharfen Kritik und macht deutlich, dass es in zentralen Punkten eine völlig andere Stoßrichtung hat als der og. DGB-Entwurf für ein neues BetrVG. Einbindung der Beschäftigten und Gewerkschaften für die Stärkung des "Standorts" in Konkurrenz gegen andere oder Stärkung der Gegenmacht und Einflussmöglichkeiten der abhängig Arbeitenden in Solidarität untereinander und mit den Arbeitenden an anderen "Standorten" - um diese Frage geht es nicht nur zwischen "Kapital und Arbeit", sondern auch innerhalb der arbeitenden Klassen und ihrer Organisationen.