Rezension zu: Rainer Rupp, Burchard Brentjes, Siegwart-Horst Günther: Vor dem dritten Golfkrieg, edition ost im Verlag Das neue Berlin 2002, 239 S. (14,90 EUR)
"Lets go". Mit diesen Worten eröffnete George W. Bush am 20. März den Angriffskrieg gegen den Irak. Im Namen des Weltfriedens und "zum Wohle und für die Freiheit des irakischen Volkes" gab er den Befehl. Um 3.34 Uhr MEZ schlug die erste Cruise Missiles in Bagdad ein. Als im Oktober letzten Jahres dieses Buch erschien, war bereits absehbar, welche Ziele die USA mit ihren Forderungen nach einer uneingeschränkten Waffeninspektion im Irak verfolgten. Die von Hans Blix vorgelegten Zwischenergebnisse konnten die aggressive Kriegsstimmung nicht besänftigen. Alle Verhandlungen der UNO blieben erfolglos. Mit dem Alleingang der USA, ohne UNO-Mandat einen Krieg gegen den Irak zu führen, sollte nicht nur die Entscheidungsgewalt der UNO und deren Rolle, über die Legitimität von Krieg oder Frieden zu entscheiden, beeinträchtigt werden. "Die Drohung gegen den Irak gilt aller Welt, und der Einsatz der teuren Waffen wäre zum einen ein reicher Gewinn für die Kriegsindustrie und zum anderen eine Machtdemonstration von globaler Bedeuanalyse, die jetzt nicht weniger aktuell ist. Die drei Autoren, mit der Geschichte und den Verhältnissen der Region im mittleren Osten vertraut, untersuchen die wirtschaftlichen, geopolitischen und strategischen Zusammenhänge.
Einleitend schreibt Rupp im Kapitel "Es gibt nur eine Region, für die es sich zu kämpfen lohnt" über den Alleinanspruch des Demokratiebegriffes und das während der Jahrzehnte gewachsene Gefühl der US-Amerikaner, "Vorbild für alle Staaten und Völker zu sein". Dieser Alleinanspruch läßt sich jedoch weder mit der Entstehungsgeschichte des Landes, die durch Völkermord und Vertreibung geprägt war, noch durch deren Mitwirkung in der Antihitlerkoalition begründen. "Die USA waren (und sind) eben nicht nur eine Gemeinschaft von Erzdemokraten, nicht nur melting pot von Menschen vieler Kulturen und Hort von freedom and democracy, sondern ein imperialistischer Staat." Insofern dienen die meisten Aktivitäten, die unter dem Vorwand der Vorbildwirkung nach den Richtlinien selbstgerechter Justiz und Weltgendarmerie durchgeführt werden, der Durchsetzung wirtschaftlicher, politischer und militärischer Interessen. Wie auch im zweiten Golfkrieg, ist eines der wichtigsten strategischen Ziele die Sicherung der Erdölvorkommen, wobei dabei die Unabhängigkeit von anderen Erdöl fördernden Staaten wie Saudi-Arabien angestrebt wird. Mit einem Verbrauch von täglich 17 972 000 Barrel ÖL (die Menge entspricht dem Gesamtexport Saudi Arabiens und Rußlands zusammen an einem Tag) müssen die USA etwa die Hälfte des benötigten Öls importieren. Der Irak, der weltweit mit über die größten Erdölvorkommen verfügt, soll durch seine Besetzung und vollständige Kontrolle einen "denkbaren Ausfall " der saudischen Öllieferungen kompensieren. Dieses Ziel sollte bereits 1991 realisiert werden. Jedoch hätte eine Eliminierung Saddam Husseins auch zu einem Zerbrechen des zentralistischen Regimes und zu einem Aufkeimen separatistischer Strömungen führen können, die die Errichtung eines unabhängigen Kurdenstaates zur Folge gehabt hätten; "ein Alptraum für die Regierung in Ankara". Also setzten sich die Türkei, Saudi-Arabien und Kuwait für die Erhaltung des diktatorischen Regimes Saddams ein. Die ersten beiden Golfkriege und die 1991 von der UNO verhängten Sanktionen gegen den Irak, machten ihn zu einem der unterentwickeltsten Länder (das Pro-Kopf-Einkommen lag bis 1990 bei 2 800 USD) mit der höchsten Kindersterblichkeit. Geändert hatte sich seitdem jedoch lediglich, daß sich das Regime von Saddam festigen konnte. Unter dem Motto der weltweiten Terrorismusbekämpfung planen die Amerikaner seit Jahren einen erneuten Angriff auf den wirtschaftlich und militärisch stark geschwächten Irak, denn "die Existenz einer sicheren amerikanischen Basis mitten in der arabischen Welt wird Amerika befähigen, alle Arabischen Regierungen einzuschüchtern" und die "Herrschaft über die ganze Region" zu gewinnen.
Im zweiten Kapitel beschreibt Brentjes die Entwicklung der Golfregion als die Wiege der Menschheit bis zur Rolle des Öls während des ersten Golfkrieges. Die zusammenfassende Darstellung einer 4 000 Jahre währenden Entwicklung der Kultur gibt auch einen wertvollen Einblick in die Zusammenhänge historisch gewachsener Abhängigkeiten infolge von Kriegen und Kolonisationen. Im frühen 19. Jahrhundert begann die Neuzeit des Petroleums in Rumänien und Galizien. Das zuvor für Lampen genutzte Walöl wurde durch Erdöl ersetzt und in den 50er Jahren begann das Ölgeschäft in Galizien zu blühen. Dort grub man nach Öl und verkaufte es nach Wien. Die USA nahmen sich dieser Geschäftsidee der Ölvermarktung an und gründeten 1853 Kompanien, die in einem nunmehr einsetzenden Konkurrenzkampf mit der Gewinnung von Kerosin "für Beleuchtungszwecke" begannen. Während des amerikanischen Bürgerkrieges (1863-1865) wurden die Förderung und der Export von Öl im eigenen Land gesteigert. Bereits fünf Jahre später gründete John D. Rockefeller die erste internationale Ölkompanie, die "Standard Oil". Mit der Entdeckung des Öls am Golf begann eine bis heute anhaltende Aufteilung der Region, die seinerzeit durch Großbritannien und Frankreich, jetzt jedoch hauptsächlich durch die Vereinigten Staaten vorangetrieben wurde bzw. wird. Und es ist nicht nur das Öl, das seit seiner Entdeckung zu Kriegen geführt hat, sondern es ist auch das Öl, das letztlich über den Ausgang von Kriegen zu entscheiden vermochte. Der 1. Weltkrieg wurde mangels Ölreserven der deutschen Armee entschieden. Russen und Engländer verteidigten Baku, woher die Deutschen das Öl für die Industrie und Luftwaffe beziehen wollten, erfolgreich und erzwangen damit am 11. November 1918 die deutsche Kapitulation. 1944 begannen die Anglo-Amerikaner mit der Bombardierung von Betrieben zur Ölsynthese und die Zerstörung von Kampfflugzeugen und Zerstörern führte zu einer Benzinknappheit, die zum Ende des Krieges in Europa führte.
Seit dem Ende des 2. Weltkrieges verdrängten amerikanische Firmen in wachsendem Maße ihre Verbündeten, indem sie sich mit den Königen, Emiren und Präsidenten verbündeten und sie an den Gewinnen beteiligten. Amerika gewann die Vorherrschaft am Golf und will diese bis heute um keinen Preis verlieren. Diese Entschlossenheit bewiesen die USA, indem sie 1991 den Irak, nachdem dieser einige Monate zuvor Kuwait überfallen hatte, angriffen. Günther, Professor für Pathophysiologie und Tropenmedizin, beschreibt im dritten Kapitel die Folgen dieses Krieges für die Zivilbevölkerung. Am 12. Juni 1960 wurde Günther an die Medizinische Fakultät der Universität Damaskus in Syrien berufen. Er sah sich selber zumeist als einen politisch naiven Menschen, der sich im wesentlichen auf seine wissenschaftliche Tätigkeit konzentrierte. Dennoch wurde er oftmals unfreiwillig in Situationen involviert, die durchaus von politischer Brisanz waren. Dazu gehörten Kontakte mit westdeutschen Geheimdienstlern, die am Zustandekommen der Chemiewaffenproduktion im Irak beteiligt waren und die ihn für ihre Arbeit gewinnen wollten. Diese Waffen wurden im zweiten Golfkrieg 1991 "gegen Soldaten der NATO-Partner der Bundesrepublik Deutschland" und schließlich sogar gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt. Vier Wochen nach dem zweiten Golfkrieg wurde Günther in Bagdad gebeten, für ärztliche Tätigkeiten in den Irak zu kommen. Im Irak wurde er mit einem bis dahin unbekannten Krankheitsbild, verursacht durch uranhaltige Geschosse, konfrontiert.
Deren legitimierter Einsatz hat bis heute für die irakische Bevölkerung und die seinerzeit eingesetzten Soldaten auf beiden Seiten schwerwiegende gesundheitliche Folgen. Günthers Erfahrungsbericht ist eindrücklich und zugleich erschütternd. "Ich sah die zerstörten Kraftwerke, in denen sonst Strom zum Leben erzeugt wurde, und die zerfetzten Trinkwasseranlagen. Menschen schöpften aus den Flüssen das Wasser und tranken es unabgekocht, Â… der ›saubere Krieg‹ hatte Â… Zehntausend(en) Zivilisten das Leben gekostet. Allein bei dem Angriff auf den Schutzbunker al-Amariya in Bagdad starben anderthalb Tausend Menschen, darunter viele Kinder. Die Gluthitze hatte sie als Schatten in die Betonwände gebrannt." Dieses Buch konnte als Mahnmal den dritten Golfkrieg nicht verhindern, aber es kann helfen, die wirklichen Gründe und Ziele dieses Krieges zu verstehen.
in: UTOPIE kreativ, H. 153/154 (Juli/August 2003), S. 765-767
Inhalt UTOPIE kreativ, H. 153/154 (Juli/August 2003)
VorSatz 581 Essay ULRICH BUSCH Agenda 2010 - das deutsche Programm für einen Gesellschaftsumbau 583 PDS - Wege aus der Krise THOMAS FALKNER Politik als Chance 592 MICHAEL CHRAPA Parteireform als Aufbruch? 603 STEFFEN KACHEL Zum Spannungsfeld von PDS und Parlamentarismus 609 JÖRN SCHÜTRUMPF Krisenhafte Kommunikation. Thesen 614 HEIKO HILKER Politische Kommunikation und PDS 617 ERHARD CROME PDS. Ansichten einer Krise 628 Nachhaltigkeit & Soziale Gerechtigkeit REINART BELLMANN, HUBERT LAITKO, KLAUS MEIER Generationengerechtigkeit: Die Verknüpfung ökologischer und sozialer Zielstellungen im Nachhaltigkeitskonzept 635 JOACHIM H. SPANGENBERG Soziale Nachhaltigkeit. Eine integrierte Perspektive für Deutschland 649 GÜNTHER BACHMANN Warum Nachhaltigkeit ? 662 KLAUS WARDENBACH Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert. Der World Summit in Johannesburg 666 CHRISTA WICHTERICH Nachhaltigkeit und neoliberale Globalisierung aus feministischer Sicht 670 RONALD HÖHNER Der Stempel von Rio 675 GERHARD BANSE Integrative nachhaltige Entwicklung und Technikfolgenabschätzung 680 EDGAR GÖLL Nachhaltigkeitspolitik - Beispiele aus Europa 692 ELISABETH VOSS Wie nachhaltig ist die aktuelle Arbeitsmarktpolitik? 696 Ernst Bloch: Hoffnung muß gelernt werden VOLKER CAYSA Bloch - (k)ein toter Hund 698 ROGER BEHRENS Aktualisierung des Ungleichzeitigen. Anmerkungen zur Prozeßlogik einer mehrschichtigen Dialektik 707 MICHAEL BRIE Zwischen Wärmestrom und Kälteschock 720 Politik & Zeitgeschichte JÜRGEN JAHN Geraubte Jahre. Der Lebensweg des Bernhard Steinberger 741 WOLFRAM ADOLPHI Verweigertes Gedenken 751 Festplatte WOLFGANG SABATH Die Wochen im Rückstau 758 Bücher & Zeitschriften Siegfried Freick: Die Währungsreform 1948 in Westdeutschland. Weichenstellung für ein halbes Jahrhundert (WOLFGANG TRIEBEL) 760 Wolfgang Schivelbusch: Die Kultur der Niederlage. Der amerikanische Süden 1865 - Frankreich 1871 - Deutschland 1918 (STEFAN BOLLINGER) 761 Jörg Huffschmid: Politische Ökonomie der Finanzmärkte. Aktualisierte & erweiterte Neuauflage Bernard Cassen, Susan George, Horst Eberhard Richter, Jean Ziegler u. a.: Eine andere Welt ist möglich! (ULRICH BUSCH) 763 Rainer Rupp, Burchard Brentjes, Siegwart-Horst Günther: Vor dem dritten Golfkrieg (ANJA LAABS) 765 Gerhard Roth: Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert (ALJOSCHA JEGODKA) 767 Hans-Dieter Heumann: Deutsche Außenpolitik jenseits von Idealismus und Realismus. Mit einem Vorwort von Hans-Dietrich Genscher (STEFAN BOLLINGER) 768 Arne Heise (Hrsg.): Neues Geld - alte Politik? Die EZB im makroökonomischen Interaktionsraum (ULRICH BUSCH) 770 Erhard Meueler Lob des Scheiterns. Methoden- und Geschichtenbuch zur Erwachsenenbildung an der Universität (EVELIN WITTICH) 772 Hartmut Häußermann, Andreas Kapphan: Berlin: von der geteilten zur gespalteten Stadt? Sozialräumlicher Wandel seit 1990. (TERESA ZAVALA) 773 Vida Obid, Mirko Messner, Andrej Leben: Haiders Exerzierfeld. Kärntens SlowenInnen in der deutschen Volksgemeinschaft (MARTIN SCHIRDEWAN) 774 Joachim Bischoff, Sebastian Herkommer, Hasko Hüning: Unsere Klassengesellschaft. Verdeckte und offene Strukturen sozialer Ungleichheit, (FRIEDHELM WOLSKI-PRENGER) 775 Christian Höffling: Korruption als soziale Beziehung, Forschung Soziologie. (ARNDT HOPFMANN) 777 Ulrich Klemm: Lernen ohne Schule. Argumente gegen Verschulung und Verstaatlichung von Bildung. (ANDREAS MERKENS) 778