Die deutsche Mutter

in (16.01.2002)

Barbara Vinken: "Die deutsche Mutter", Piper Verlag, 329 Seiten, 22 Euro

Schlechte Rezensionen und Verunglimpfungen - bis hin zur Behauptung allzu koketten Auftretens der Autorin bei Vorträgen - machten mich auf das Buch neugierig. Kritikerinnen empörten sich, daß Barbara Vinken Kontinuitäten des aktuellen deutschen Feminismus vom Faschismus her annimmt. Genau diese Vermutung war mir auch schon gekommen. Als Ostfrau hätte ich aber nie gewagt, sie in den Medien zu vertreten. Barbara Vinken ist Westfrau und hat u.a. in Aix en Provence, Paris und Yale studiert, lehrt in Frankreich, USA und an der Humboldt-Universität. Soviel Autorität ist nötig, damit in einem frauenbewegten Buch auch einmal klipp und klar stehen kann: Die Frauenpolitik der DDR und nicht die der Bundesrepublik hatte europäisches Niveau. In keinem anderen westlichen Land lassen sich auch heute noch Berufstätigkeit und Mutterschaft so schlecht vereinbaren. Konkurrieren mit den Männern im Beruf ist mangels öffentlicher Einrichtungen für Kinder erschwert. Karrierefrau und Mutter gleichzeitig zu sein, gilt noch immer als obszön - in der Gesellschaft, beim Staat und sogar bei Frauen selbst. Allenfalls ein Halbtagsjob gilt als vertretbar. Mutterliebe hat sich in ständiger Präsenz und symbiotischer Gemeinschaft mit dem Kind zu zeigen. Während in Frankreich gerade karrierebewußte Mittel- und Oberklassefrauen möglichst früh Ganztagseinrichtungen für ihre Kinder ohne Gewissensbisse in Anspruch nehmen, wird deutschen Müttern bis heute eingeredet, so entständen nie mehr heilende Seelen- und Charakterschäden. Diese Mütter-Ideolo-gie wird deutschen Frauen von den Medien unablässig eingebleut. Und deshalb muß die deutsche Mutter - auch wenn sie studiert und eigentlich glänzende Berufsaussichten hat - gerade in den Jahren, die für die Karriere wichtig sind, zu Hause bleiben. Kein Wunder, daß da viele gar nicht erst Mutter werden wollen.
Vinken konstatiert, daß Deutschland mit seinem archaischen Mutterkult selbst Italien, das klassische Land der "Mamma", mittlerweile übertrifft und Schlußlicht der Emanzipation in Europa ist. Ihr Buch überrascht durch Materialismus: Als Ursache dieser Politik und dieser ideologischen Verblödung erkennt sie nicht etwa wirkliche Sorge um das Kindeswohl, sondern den patriarchalen und staatlichen Willen, die Frauen als Konkurrentinnen der Männer vom Arbeitsmarkt fernzuhalten. Daß die Männer durch mehr Übernahme von Verantwortung für Haushalt und Kinder dieser traurigen Situation ein Ende bereiten könnten - wie es dieselbe Politik scheinheilig behauptet -, hält Vinken vernüftigerweise für eine Mär. Aber einen Politikwechsel fordert nicht einmal ein signifikanter Teil der Betroffenen selber. Denn es gibt bei den Deutschen "eine Paranoia vor staatlicher Einflußnahme. Durch die Erfahrung des nationalsozialistischen Regimes und des real existierenden Sozialismus haben sie das Gefühl entwickelt, daß alles, was die Gemeinschaft oder der Staat mit den Kindern macht, Indoktrination sei... Jedes staatliche Angebot wird hier nicht als Hilfe, sondern als Einmischung aufgefaßt, das eine unabhängige Wertsphäre der Familie gefährdet." (Wir erinnern uns an die monatelang die deutsche Presselandschaft erschütternde Behauptung eines bestallten Professors und nunmehrigen Ministers, daß in allen DDR-Krippen kollektiv getopft und auf diese Art flächendeckend das autoritätshörige Individuum geschaffen wurde, das der SED-Staat brauchte.) In der Tat verwechseln ja selbst Linke oft Gesellschaftlichkeit mit Verstaatlichung und halten deshalb die Kinder so lange wie möglich in einem selbstgehäkelten Paradies für am besten aufgehoben.
Die historischen Wurzeln des deutschen Sonderwegs sieht Vinken in der Permanenz bürgerlich-protestantischer Vorstellungen. Luther verwandelte die Heiligkeit des Klosters in die Heiligkeit der Familie, womit auch eine verhängnisvolle Banalisierung der weiblichen Wesenskräfte auf das Fleischliche und die Begrenzung ihres Wirkungsraumes auf Haus und Hof verbunden war. Bei Rousseau wird deutlich, wie sehr das protestantisch-bürgerliche Frauenbild gegen den Adel gerichtet war. Ihm waren die gelehrten und sich in intellektuelle Sphären einmischenden Salondamen ein Greuel. Die Republik war ausschließlich für Männer gedacht. Pestalozzi - auch ein Schweizer - schuf ein ausgefeiltes pädagogisches System der patriarchalen Familie, in der sich die Frau nicht mehr nur auf Tradition und Instinkt bei der Erziehung verlassen, sondern wissenschaftliche Kenntnisse über die Kindesentwicklung aneignen sollte - Grundstein für jene Professionalisierung des Muttertums, das bis heute in Deutschland als ausreichend gilt, ein Frauenleben auszufüllen. Lebendige Werbesäule für Pestalozzis Lehren war übrigens die sich bürgerlich gebende Königin Luise. Die achtfache Mutter gaukelte so erfolgreich harmonisches Familienleben vor, daß das Streben nach Glück im trauten Heim als Revolutionsersatz dienen konnte. In ikonographischen Darstellungen erscheint sie als heilige Mutter, und zwar sowohl im buchstäblichen als auch im vaterländischen Sinn. Fortan sollten deutsche Mütter ihre Kinder nicht nur großziehen, sondern auch für das Vaterland opfern. Der Faschismus brachte dieses Prinzip zu monströsem Wahn. Er förderte nicht mehr die Familie schlechthin, sondern auch und gerade die uneheliche germanische Mutter, vorausgesetzt sie war bereit, sich dem Zeugen und Erziehen rassereiner Kinder zu widmen. Himmler: "In einem richtig gebauten Staat ist das Weib, das nicht geboren hat, unehrenhaft." Daß die Frau mit den Männern beruflich nicht mehr konkurrieren durfte, wurde gesetzlich geregelt: 1933 wurde die Beamtenlaufbahn für Juden und Frauen abgeschafft, 1936 wurden Juden und Frauen aus dem Staatsdienst entlassen, und nur noch zehn Prozent der Studierenden durften Frauen sein.
Noch heute wird in Deutschland Propaganda zum Gebären deutscher Kinder verbreitet, die an den Rassenwahn der Nazis erinnert - in anderen europäischen Ländern wären solche Sprüche undenkbar. Vor allem aber ist aus jener Zeit die Ideologie geblieben, daß körperlich und geistig gesunder Nachwuchs den hundertprozentigen Einsatz der Mutter benötigt und Karrierefrauen nur Rabenmütter sein können. Dabei lehrt ein Blick über die Grenze, daß die spätestens vom dritten Lebensjahr an tagsüber in Staatseinrichtungen untergebrachten Franzosen - "rassisch" übrigens sehr gemischt - keineswegs an Hospitalismus leiden.
Der geistesgeschichtliche Teil des Buches ist etwas schmalspurig. Es hätte erwähnt werden müssen, daß es auch Gegenkräfte gab - Bebel, Zetkin und andere -, womit das Rätsel gelöst wäre, warum frau in der DDR einen anderen Muttertyp darstellte. Aber Vinken hat wohl recht, daß uns nun nicht ein neuer Sozialismus, sondern die Europäisierung vom spezifisch deutschen Muttertum befreien wird, das sie schlicht deutscher "Folklore" zurechnet.