Die Bedeutung der Fernsehserie »Holocaust« für die Erinnerungskultur der Bundesrepublik
Am Abend des 22. Januar 1979
explodierte ein Sprengsatz an einer Richtfunkstelle in der Nähe
von Münster. Eine weitere, 10 Kilogramm schwere Bombe detonierte
bei Koblenz und zerstörte auch dort Sendeanlagen, die von ARD
und ZDF genutzt wurden. Zu den Anschlägen bekannte sich die bis
zu diesem Zeitpunkt unbekannte neonazistische »Internationale
Revolutionärer Nationalisten«. Obgleich niemand verletzt
wurde, richteten die Sprengsätze erheblichen Sachschaden an.
Hunderttausende waren zudem zumindest zeitweise vom Fernsehempfang
abgeschnitten. Genau darauf hatten es die Bombenleger abgesehen. An
jenem Abend sollte nämlich in den Dritten Programmen der ARD die
erste Folge der vierteiligen US-amerikanischen Serie »Holocaust«
gesendet werden.
Die Anschläge verwiesen zum einen
darauf, dass in der Bundesrepublik am Ende der 1970er Jahre äußerst
gewaltbereite und handlungsfähige rechtsterroristische
Strukturen existierten. Zum anderen stellte die Zerstörung der
Übertragungseinrichtungen in Münster und Koblenz den
vorläufigen Höhepunkt der heftigen, auf breiter
gesellschaftlicher und politischer Ebene geführten Kontroversen
um die Ausstrahlung von »Holocaust« dar. Insgesamt kam
Neonazis in diesen Auseinandersetzungen freilich die geringste
Bedeutung zu. Auch Sprengstoffanschläge konnten nicht
verhindern, dass die Serie Einschaltquoten von bis zu 40 Prozent
erzielte und erstmals in der knapp 35 jährigen Geschichte der
Bundesrepublik, die Frage nach der Beteiligung der deutschen
Gesellschaft an den Verbrechen des Nationalsozialismus ins Zentrum
der öffentlichen Wahrnehmung rückte. »Eine Nation ist
betroffen« lautete der Titel eines im
Fischer-Taschenbuch-Verlag erschienen Bandes, der die Diskussionen um
»Holocaust« dokumentierte und die oftmals äußerst
emotionalen Resonanzen auf die Serie paradigmatisch zu fassen
versuchte.
30 Jahre nach der Erstausstrahlung kann
»Holocaust« tatsächlich als eine
erinnerungskulturelle Zäsur in der Beschäftigung mit der
nationalsozialistischen Vernichtungspolitik bezeichnet werden. Die
Serie gab dem Massenmord an den europäischen Juden einen Namen
und trug dazu bei, die präzedenzlosen Dimensionen des
»Zivilisationsbruchs« (Dan Diner) im kulturellen
Gedächtnis (nicht nur) der Bundesrepublik zu verankern. Diese
Feststellung bedeutet nicht, dass Schlussstrichmentalitäten,
Schuldabwehr und Versuche, die NS-Vergangenheit zu relativieren
seither keine Rolle in der deutschen Erinnerungskultur mehr spielten.
Im Gegenteil waren vor allem die 1980er Jahre durch zahlreiche
geschichtspolitische Vorstöße, wie beispielsweise die
Bitburg-Affäre 1985 oder den »Historikerstreit« 1986
gekennzeichnet, die darauf abzielten, zu einem »normalisierten«
Umgang mit der Geschichte des Nationalsozialismus zu gelangen. Die
Beobachtung allerdings, dass sich diese Versuche oftmals zu bisweilen
internationalen Skandalen entwickelten, war nicht nur, aber auch, auf
die erinnerungskulturellen Folgewirkungen von »Holocaust«
zurückzuführen.
»Seifenoper«
oder historische Aufklärung?
Indes erscheinen
die etwa vom Shoa-Überlebenden und Friedensnobelpreisträger
Ellie Wiesel gegen die Serie vorgebrachten Einwände im Hinblick
auf neuere Film- und Fernsehproduktionen zum Nationalsozialismus nach
wie vor aktuell. Die Konfliktlinien entzünden sich demnach an
der Frage, ob es pädagogisch und moralisch angemessen sei, zu
versuchen den Massenmord wie in »Holocaust« mit den
ästhetischen Mitteln des Films »fühlbar«
(Steven Spielberg) und somit komensurabel zu machen, oder auf die
Nicht-Darstellbarkeit des unfassbaren Geschehens zu insistieren.
Diese Kontroversen brachen bereits anlässlich der
Erstausstrahlung von »Holocaust« in den USA im April 1978
auf. Ellie Wiesel kritisierte in der New York Times die Serie als
»Seifenoper«, die »eine Beleidigung für die,
die umkamen und für die, die überlebten« darstellen
würde. Tatsächlich war »Holocaust« maßgeblich
aus kommerziellen Erwägungen vom Fernsehsender NBC für
schätzungsweise rund sechs Millionen Dollar produziert worden.
NBC versuchte mit der Serie an den Vierteiler »Roots« des
konkurrierenden Senders ABC anzuknüpfen, der mit der
melodramatischen Schilderung der Sklaverei Rekordeinschaltquoten
erzielt hatte. Format und Inhalt der ebenfalls auf vier Folgen
angelegten Serie »Holocaust« rekurrierten somit auf ein
ähnliches Muster.
Im Mittelpunkt des Plots stehen
die miteinander verschränkten Geschichten zweier fiktiver
Familien, anhand derer die nationalsozialistische Ausgrenzungs- und
Vernichtungspolitik gegenüber den Juden erzählt wird.
Während die Angehörigen der jüdische Familie Weiss
gewissermaßen exemplarisch alle Radikalisierungen des
NS-Terrors, angefangen bei der Entrechtung durch die Nürnberger
Rassegesetze im Jahr 1935, über die Pogromnacht vom November
1938 bis hin zur Deportation ins Warschauer Ghetto und der Ermordung
in Auschwitz durchleiden, steht die nicht-jüdische Familie Dorf
auf der anderen Seite, aus der, in Gestalt des SS-Offiziers Erik
Dorf, ein maßgeblicher Akteur des Massenmordes stammt. Am Ende
nimmt sich Dorf, nach der Festnahme durch die Amerikaner, das Leben.
Die Familie allerdings blendet seine Beteiligung an den Verbrechen
weiterhin aus. Lediglich ein Angehöriger der Verwandtschaft
bekennt: »Wir müssen einsehen, dass wir uns alle schuldig
gemacht haben.« Die beiden Überlebenden der Familie Weiss
hingegen kehren nicht mehr nach Deutschland zurück, sondern
entscheiden sich für die Auswanderung nach Palästina.
Trotz der vehement geäußerten Vorbehalte
Wiesels und anderer an der »Trivialisierung« der
NS-Verbrechen avancierte »Holocaust« in den USA zu einem
Publikumserfolg. Insgesamt verfolgten rund 120 Millionen Zuschauer
die Serie, die zudem acht Emmy-Awards und zahlreiche weitere
Auszeichnungen erhielt. Dabei wurde vor allem das Bemühen des
Regisseurs Marvin Chomskys (der auch schon »Roots«
gedreht hatte) um historische Authentizität hervorgehoben. Genau
an diesem Aspekt entzündete sich jedoch auch die grundsätzliche
Kritik an der Produktion, in der, so der Vorwurf, historiografisch
belegbares Geschehen mit fiktionalen Elementen ununterscheidbar
verschmelzen würde.
»Geschäftemacherei«
mit dem Verbrechen? Die Diskussionen in der Bundesrepublik
Dennoch oder gerade deshalb gelang NBC die Vermarktung
der Serie über die USA hinaus. Bereits im Herbst 1978 wurde
»Holocaust« in Belgien, Großbritannien und in
Israel ausgestrahlt, Anfang 1979 folgten Österreich und die
Niederlande. Überall stieß die Produktion auf große
Resonanz, die kontroversesten und emotionalsten Reaktionen löste
»Holocaust« jedoch in der Bundesrepublik aus – wobei
hier die Diskussionen zunächst darum kreisten, ob und in welchem
Rahmen die Serie überhaupt gezeigt werden sollte.
Im
Sommer 1978 hatte der WDR für 1,2 Millionen DM die Senderechte
erworben. Die eigentliche Absicht »Holocaust« im Programm
der ARD zu zeigen, scheiterte jedoch am heftigen Widerspruch
einzelner Rundfunkanstalten. Vor allem der Bayerische Rundfunk lehnte
es vehement ab, eine gemeinsame Ausstrahlung der Serie mit zutragen
und drohte sogar, sich aus dem Sendeverbund auszublenden. Auf Skepsis
stieß die Produktion auch beim Südfunk, dem Südwestfunk
und dem Saarländischen Rundfunk. Die ablehnende Haltung wurde
meist mit der angeblich dürftigen Qualität der Serie und
dem daran geknüpften Hinweis begründet, dass »Schund«
keine geeignete Darstellungsform des nationalsozialistischen
Judenmords sei.
Neben der vermeintlichen Sorge, um den
angemessenen medialen Umgang mit den NS-Verbrechen und den
Qualitätsstandards des bundesdeutschen Fernsehens, schwangen in
diesen Äußerungen mehr oder weniger offene
antiamerikanische Ressentiments mit, die den Produzenten
»Geschäftemacherei« (Franz Josef Strauß)
unterstellten oder, die wie beispielsweise der Filmemacher Edgar
Reitz, beklagten, dass die amerikanische »Kommerzästhetik«
den Deutschen ihre »Geschichte weggenommen« habe. Ferner
dürften in den Auseinandersetzungen auch Machtkämpfe
innerhalb der ARD eine wichtige Rolle gespielt haben, ging die
Initiative für eine gemeinsame Ausstrahlung von »Holocaust«
doch vom WDR aus, den vor allem die Bayrische Staatsregierung unter
Ministerpräsident Franz Josef Strauß (CSU) während
der 1970er und 1980er Jahre als »Rotfunk« zu
diskreditieren versuchte.
Immerhin verständigten
sich die Rundfunkanstalten darauf, die Serie an vier Abenden, relativ
spät, jeweils um 21.00 Uhr zwischen dem 22. und 26. Januar 1979
in den Dritten Programmen zu zeigen. Zudem sollte die Serie durch ein
umfangreiches Begleitprogramm flankiert werden. Im Anschluss an die
einzelnen Folgen waren Open-End-Diskussionen im Studio vorgesehen,
zudem hatten die Fernsehzuschauer über eigens geschaltete
Telefonleitungen die Möglichkeit, ihre Meinungen, Eindrücke
und Emotionen zu äußern.
Erschütterungen
in der »Verschwörung des Schweigens«
Nicht
zuletzt die öffentlich ausgetragenen Kontroversen um die
Modalitäten der Ausstrahlung verhalfen »Holocaust«
zu einer enormen Resonanz. Verfolgten den ersten Teil der Serie
bereits 32 Prozent der Haushalte, stieg die Quote bis zur vierten
Folge auf 41 Prozent. Insgesamt hatten schätzungsweise mehr als
20 Millionen Menschen in der Bundesrepublik im Laufe der Woche die
Sendungen zumindest teilweise mitverfolgt. Aggressiv-ablehnende
Reaktionen blieben freilich nicht aus. So reklamierte etwa die
Schüler Union Bayern, dass »Holocaust« als
einseitiges Schuldbekenntnis der deutschen Jugend nicht zugemutet
werden könne und forderte eine entsprechende Serie über
Flucht und Vertreibung der Deutschen aus den Ostegebieten. Rund 10
Prozent der Zuschauer bewerteten die Produktion kritisch, da sie die
Inhalte für unglaubwürdig hielten oder in diesen
antideutsche Ressentiments erkennen wollten. Knapp ein Viertel der
Befragten sprach sich dafür aus, einen Schlussstrich unter die
NS-Vergangenheit zu ziehen.
Allerdings reagierte der
überwiegende Teil des Fernsehpublikums erstaunlich
aufgeschlossen. Fast zwei Drittel der Zuschauer zeigten sich durch
»Holocaust« erschüttert. Zwei Fünftel räumten
ein, »Scham« über die NS-Verbrechen zu empfinden.
Die »Verschwörung des Schweigens« (Alexander
Ginsburg), die für die Erinnerungskultur in der Bundesrepublik
über Jahrzehnte hinweg kennzeichnend gewesen war, hatte durch
die Serie eine erkennbare Erschütterung erfahren. Die
Rundfunkanstalten registrierten innerhalb weniger Tage ca. 30.000
Anrufer, die ihre Fragen, Kommentare und Befindlichkeiten zum
Ausdruck bringen wollten. 80 Prozent der Zuschauer gaben an, mit
Familienangehörigen, Freunden oder Arbeitskollegen über
»Holocaust« gesprochen zu haben. Der
Politikwissenschaftler Peter Reichel hat indessen darauf hingewiesen,
dass die Formen der »Betroffenheit« höchst
unterschiedlich ausfielen und von aufrichtiger Scham und Bestürzung
bis hin zu ostentativ geäußerter Selbstgerechtigkeit
reichten, die sich etwa in dem Satz »Man hat uns ja nie richtig
informiert!« geradezu idealtypisch zeigte.
Im
Rückblick erscheint die enorme Resonanz, die »Holocaust«
hervorrief, jedoch weniger als ein vollkommen unerwartetes
Medienereignis; vielmehr vollzog sich in den Diskussionen um die
Serie eine zweifellos spektakuläre Bündelung verschiedener
geschichts- und vergangenheitspolitischer Entwicklungslinien, die
ihren Ausgangspunkt am Beginn der 1970er Jahre hatten und die am Ende
des Jahrzehnts schließlich zu paradigmatischen
erinnerungskulturellen Umbrüchen führen sollten. Vor allem
vier Aspekte sind zu nennen: Erstens war bereits seit den frühen
1970er Jahren eine zunehmende Medialisierung der NS-Vergangenheit in
der Bundesrepublik zu beobachten, die jedoch kaum eine breite
gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Verbrechen des
Nationalsozialismus anstieß, sondern vor allem auf die Figur
Adolf Hitlers fokussierte, weshalb schon damals von einer
regelrechten »Hitler-Welle« die Rede war. Diese fand
ihren Ausdruck in zahlreichen vorwiegend von Publizisten und
Amateur-Historikern vorgelegten personalisierenden Darstellungen des
»Dritten Reichs«, etwa in Joachim C. Fests »Hitler.
Eine Biografie« (1973), Werner Masers »Adolf Hitler:
Legende – Mythos – Wirklichkeit« (1971) oder auch David
Irvings »Hitler und seine Feldherren« (1975), die
bisweilen bemerkenswert hohe Auflagen erzielten. Inhaltlich bewegten
sich diese Veröffentlichungen zumeist in der Grauzone zwischen
haltlosen psychologisierenden Deutungen, erkennbarer Faszination und
offener Apologie.
Als ähnlich fragwürdig
erwies sich die seit 1974 vom Hamburger Jahr-Verlag herausgegebene
Hochglanzzeitschrift »Das Dritte Reich«, die ebenfalls
enorme Auflagenzahlen erreichte, zu einer kritischen Beschäftigung
mit der NS-Vergangenheit jedoch nichts beitragen konnte und wollte.
Gleichwohl führte diese teils kommerziell, teils apologetisch
motivierten Veröffentlichungen über das »Dritte
Reich« dazu, dass die Formen eines angemessenen Umgangs mit der
Geschichte des Nationalsozialismus im Laufe der 1970er Jahre
intensiver diskutiert wurden.
Dies geschah zweitens
auch im Zusammenhang mit den offenkundigen personellen und
juristischen Hypotheken die sich weiterhin aus der NS-Zeit für
die Bundesrepublik ergaben. Im August 1978 musste etwa der
baden-württembergische Ministerpräsident Hans Karl
Filbinger (CDU) von seinem Amt zurücktreten, nachdem der
Schriftsteller Rolf Hochhuth dessen Vergangenheit als
NS-Marinerichter bekannt gemacht hatte. Die Kontroverse um den
»furchtbaren Juristen« (Hochhuth) stieß auf große
Resonanz in der Öffentlichkeit und trug zu deren
Sensibilisierung in den Monaten vor der Ausstrahlung von »Holocaust«
ebenso bei, wie der in Düsseldorf seit November 1975
stattfindende Majdanek-Prozess, in dem gegen 15 ehemalige Mitglieder
der SS-Wachmannschaft des Vernichtungslagers verhandelt wurde. Nicht
zuletzt an diesem Beispiel lässt sich zeigen, wie deutlich die
Wahrnehmung des Prozesses mit dem Erfolg der Serie verknüpft
war. Denn erst nach »Holocaust« avancierte das Verfahren
vor dem Düsseldorfer Landgericht zu einem Medienereignis. In
Folge der Sendung besuchten schließlich auch dutzende von
Schulklassen den Prozess.
Gerade diese Praxis, Schülern
die Dimensionen der NS-Verbrechen durch die »Aura das
Authentischen«, sei es in Gedenkstätten, sei es in
Gerichtssälen zu vermitteln, verweist auf einen dritten Aspekt,
der die geschichtskulturellen Diskurse seit Mitte der 1970er Jahre
kennzeichnete: die weit verbreitete Klage über die vor allem
unter Jugendlichen konstatierten Wissensdefizite zur Geschichte des
Nationalsozialismus.
Einen der Ausgangspunkte dieser
Debatten bildete der so genannte Bossmann-Schock. Im Jahr 1976 hatte
Dieter Bossmann verschiedene Schulklassen unterschiedlicher
Schulformen einen Aufsatz zum Thema »Was ich über Hitler
gehört habe« schreiben lassen, um so einen Eindruck von
den unter Schülern verbreiteten Wissensbeständen zur
NS-Zeit zu erhalten. Die vielfach erschütternden Resultate
publizierte er auszugsweise in einem auflagenstarken Taschenbuch, das
maßgeblich dazu beitrug, die Frage nach geeigneten Ansätzen
in der historisch-politischen Bildung zum Nationalsozialismus im
öffentlichen Diskurs zu verankern.
Viertens hatte
auch das Auftreten militanter Neonazis Auswirkungen auf die
Erinnerungskultur der 1970er Jahre. Die Versuche von Gruppierungen
wie der NSDAP/AO oder der Aktionsfront Nationaler Sozialisten (ANS),
durch gezielte Provokationen die Verwendung nationalsozialistische
Symbole und Ausdrucksformen im öffentlichen Raum zu
enttabuisieren, wurden oftmals von einer Sensationsheischenden
medialen Berichterstattung begleitet, hinterließen aber nicht
selten Ratlosigkeit im Umgang mit diesen propagandistischen
Inszenierungen. Besonders die von Neonazis in Pamphleten wie »Die
Auschwitz-Lüge« (1973) verbreitete und in spektakulären
Straßenaktionen propagierte Leugnung der Shoa erregte große
Aufmerksamkeit und sorgte teilweise für erhebliche
Verunsicherung. Diese resultierte nicht zuletzt aus dem Umstand, dass
seit dem Ende der 1950er Jahre die Abläufe der
nationalsozialistischen Vernichtungspolitik zwar in ihren
grundlegenden Zügen bekannt waren, eine systematische
Holocaust-Forschung zumal im deutschsprachigen Raum in den 1970er
Jahren schlechterdings nicht existierte. Während die
Geschichtswissenschaft in fruchtlosen Kontroversen um
intentionalistische und funktionalistische Deutungsansätze des
NS-Regimes verstrickt war, spielte der Judenmord in den vorwiegend
abstrakt-ökonomistischen Faschismustheorien der deutschen Linken
allenfalls eine untergeordnete Rolle. Die suggestive Wirkung der von
extrem rechten Gruppen lautstark betriebenen Leugnung der Shoa,
verwies somit auf die Notwendigkeit einer breiteren
wissenschaftlich-pädagogischen Auseinandersetzung mit den
präzedenzlosen Verbrechen des Nationalsozialismus.
Erinnerungskulturelle Umbrüche
Bildeten
die genannten Entwicklungslinien den erinnerungskulturellen
Hintergrund, die den Resonanzboden für »Holocaust«
bildeten, ist abschließend zu fragen, welche Folgewirkungen die
Serie nach sich zog. Kurzfristig beeinflusste die große
öffentliche Sensibilisierung für die als unbewältigt
empfundene NS-Vergangenheit zweifellos die Debatten um die Aufhebung
der Verjährungsfrist für Mord, die der Bundestag im Sommer
1979 beschloss, wodurch die juristische Ahndung von NS-Verbrechen
weiterhin möglich blieb.
Mittel- und langfristig
rückte die Shoa ins Zentrum der Deutungen und Forschungen zum
Nationalsozialismus. Hier korrespondierte die von einer kommerziellen
Produktion mit angestoßene Entwicklung, mit Ansätzen einer
kritischen »Geschichte von unten«, die nach dem Motto
»Grabe, wo du stehst« (Sven Linquist) die vielfach
verschütteten Spuren der NS-Vergangenheit in lokalen und
regionalen Kontexten freizulegen begann. Nicht zuletzt diese
basisorientieren Geschichtsinitiativen waren es, die dazu beitrugen
ein wesentlich genaueres Bild von »Täter, Opfern und
Zuschauern« (Raul Hilberg) in der Zeit des Nationalsozialismus
zu zeichnen.
Nach wie vor aktuell sind die Kontroversen
um die Darstellbarkeit des Judenmordes, die sich zunächst an
»Holocaust« entzündet hatten. Als expliziten
Gegenentwurf präsentierte Claude Lanzmann im Jahr 1985 den über
neuneinhalbstündigen Dokumentarfilm »Shoah«, der
bewusst auf die Rekonstruktion des historischen Geschehens etwa durch
die Verwendung »authentischen« Filmmaterials verzichtet.
Stattdessen versucht Lanzmann anhand von Zeitzeugeninterviews und
aktuellen Aufnahmen von Schauplätzen der NS-Verbrechen, dem
Fortwirken der Vergangenheit in der Gegenwart nachzugehen. Als
Verfechter eines »Bilderverbots« wandte er sich in der
Folgezeit auch explizit gegen Steven Spielberg, der mit »Schindlers
Liste« (1993) den Ansatz von »Holocaust« konsequent
weiter verfolgte. Mit dem sich abzeichnenden Ende der
Zeitzeugenschaft und dem daran geknüpften Übergang von
einem intergenerationell »kommunikativ« vermittelten zu
einem rein »kulturellen« Gedächtnis, in dem die
Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus ausschließlich
durch Texte und Bilder repräsentiert ist, wird nicht zuletzt die
Frage nach den angemessenen Formen der Auseinandersetzung mit der
NS-Vergangenheit im Film verstärkt an Bedeutung gewinnen.
Aus: Antifaschistisches Info Blatt, Nr. 85, Winter 2009/2010