Zu den Nationalratswahlen in Österreich
Weinend randalieren oder randalierend Weinen? Das war die Frage, die
sich den MacherInnen dieses Magazins bei Bekanntgabe der ersten
Hochrechnung zu den Nationalratswahlen am 28. September stellte. Mit
einigen Tagen Abstand hat die Gruppe Perspektiven eine nüchternere Analyse der Wahlen erarbeitet, die wir hier zur Diskussion stellen wollen.
Die Wahlen in Österreich sind geschlagen – und mit ihr die Linke im weitesten Sinne des Wortes. Das Wahlergebnis kann nicht anders denn als Desaster bezeichnet werden. Die politischen Kräfteverhältnisse in diesem Land haben sich deutlich verschoben, knapp 30 Prozent für die extreme Rechte sind eine auch im internationalen Vergleich beispiellose Situation. Auch für eine Linke, die sich keinen Illusionen hingibt, was die Potentiale bürgerlicher Parlamente betrifft, ist das ein Tiefschlag.
Post-Politik
Wie konnte das passieren? Die Erklärungen von JournalistInnen und selbsternannten PolitikexpertInnen, die seit dem 28. September in den allermeisten bürgerlichen Medien breitgetreten werden, sind so oberflächlich wie unbefriedigend. Die Große Koalition habe zuviel gestritten und zu wenig gearbeitet, das Wahlvolk genug von dem 18 Monate währenden „Ehestreit“ zwischen SPÖ und ÖVP gehabt. Dass tatsächlich sehr wohl „gearbeitet“ wurde, wird hier wohlweislich unterschlagen: Einführung der 60-Stunden-Woche, Abbau von ArbeiterInnenrechten oder die ASVG-Novelle, die Erwerbsarbeitslose nach Hartz-IV-Vorbild zu BittstellerInnen degradiert und zur Annahme jedes Scheiß-Jobs zwingt, waren im Wahlkampf kein Thema. „Genug gestritten“ war der Slogan, mit dem alle Parteien um WählerInnen buhlten – und damit das reproduzierten, was wir als „Entpolitisierung der Politik“ bezeichnen können. Die omnipräsente Forderung „Arbeitet endlich!“, von PolitikerInnen und Medien gleichermaßen artikuliert, fügt sich nahtlos in diesen Diskurs der „Post-Politik“ (Zizek): Politik wird auf die technokratische Lösung scheinbar „objektiver“, alle gleichermaßen betreffender „Probleme“ reduziert; dass es so etwas wie gegensätzliche Interessen gibt, die es zu organisieren gilt, lässt sich in der post-politischen Konstellation kaum noch erahnen. Tatsächlich müsste es heißen: „Streitet endlich!“ Was diesem Land fehlt, ist eine lebendige Streit- und Streikkultur um grundsätzliche politische Richtungsfragen – und soziale Kämpfe, die auch tatsächlich ausgefochten werden.
Sozial und National
Das Wahlergebnis zeigt schließlich, dass soziale Themen – Schutz vor
Teuerung der Lebensmittel, Absicherung der Pensionen, ein „Einkommen
zum Auskommen“ – entscheidend waren. Die FPÖ hat, im Unterschied zu den
letzten Jahren, nicht nur einen „Ausländerwahlkampf“ geführt, sondern
sich auch als „soziale Heimatpartei“ präsentiert. Das Bedürfnis der
ArbeiterInnenklasse nach Absicherung wurde von ihr geschickt mit
rassistischen Vorurteilen artikuliert, prägnant zusammengefasst im
Plakatslogan „Soziale Sicherheit für unsere Leut’“. Auch die SPÖ hat
die „Offensive gegen die Teuerung“ in Form ihres viel diskutierten
„Fünf-Punkte-Programms“ vor dem totalen Absturz bewahrt, während die
ÖVP mit ihrem Sparefroh-Wahlkampf nicht einmal die eigene
StammwählerInnenschaft mobilisieren konnte. Der Ruf „Arbeitet endlich!“
war in diesem Zusammenhang nicht bloß medial produzierte Ablenkung,
sondern ideologischer Ausdruck realer Interessen und Bedürfnisse
breiter Teile der Bevölkerung: Es muss etwas geschehen gegen die reale
und im Alltag spürbare Verschlechterung der Lebensbedingungen der
Lohnabhängigen. Die neoliberale Aufforderung zur Selbstdisziplinierung
– nach dem Motto „wir alle müssen den Gürtel enger schnallen“ – geht
heute ins Leere.
Die große Überraschung für viele war das starke Abschneiden von Jörg
Haiders BZÖ. Präsentiert als „moderate Rechte“ und mit Haider als elder
statesman des Dritten Lagers konnten vor allem enttäuschte
ÖVP-WählerInnen im ländlichen Bereich angezogen werden. Dies soll
jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das BZÖ eindeutig dem
rechtsextremen Lager zuzuordnen ist, wie die Kandidaturen (und nunmehr
Parlamentssitze) von Ernest „Unsere Ehre heißt Treue“ Windholz oder dem
selbsternannten Freimaurerjäger Ewald Stadler zeigen. Der wesentliche
Unterschied zur FPÖ besteht in der unterschiedlichen sozialen Basis.
Jene des BZÖ ist wesentlich labiler, enttäuschte ÖVP-Bauern/Bäuerinnen
und Kleingewerbetreibende werden wohl bald wieder in den Schoß der
personell erneuerten katholischen Mutterpartei zurückkehren. Und dann
bleibt bloß die, zugegebenermaßen schwer erklärbare, BZÖ-Hochburg
Kärnten. Die FPÖ dagegen konnte sich, wie schon zu Haiders „besten“
Zeiten, als authentische ArbeiterInnen- und Jugendpartei (sie wurde
österreichweit stärkste Partei bei den unter 30jährigen) etablieren.
Mythos Drachentöter
Ein weiteres Ergebnis der Wahl ist, dass der Mythos vom „Drachentöter“ Schüssel endgültig als solcher entlarvt wurde. Dieser besagt ja, dass Wolfgang Schüssel, indem er im Jahr 2000 eine Koalition mit der Haider-FPÖ eingegangen ist, das rechtsextreme Lager „domestiziert“ habe, das in Folge an seiner eigenen Regierungsunfähigkeit zerbrochen sei. Bloß acht Jahre später ist eben dieses Lager wieder am Stimmenstand von 1999 angekommen und die Domestizierungsstrategie gescheitert. Ihr Ergebnis war nicht die Schwächung der extremen Rechten, sondern im Gegenteil eine nachhaltige Verschiebung des nationalen politischen Koordinatensystems nach rechts und die systematische Verharmlosung rassistischer Positionen. Insbesondere in der Migrations-, Asyl- und Sicherheitspolitik gibt die radikale Rechte seit langem die Marschrichtung vor – was quer durch die Parteienlandschaft bis hin zu den Grünen sichtbar wird. Statt einen cordon sanitaire um die FPÖ und ihre Trabanten zu ziehen, also einen parteiübergreifenden Konsens zu organisieren, der extremen Rechten keine Regierungsbeteiligung auf welcher Ebene auch immer zu ermöglichen, wurde so deren Politik „normalisiert“ (erinnert sich noch jemand an Andreas Khols „Verfassungsbogen“?). Die beiden Unterschiede zur Situation 1999/2000 sind, dass nun nicht einer, sondern zwei Führer in den Startlöchern für eine Regierungsbeteiligung stehen, und dass die moralische Entrüstung aus der „Mitte der Gesellschaft“ weitgehend ausbleibt. Mit wenigen Ausnahmen wie dem „profil“-Cover nach der Wahl („Sieg …“ in Frakturschrift) wird der Wiederaufstieg der extremen Rechten, nachdem diese bei der letzten Wahl bereits am Boden war, als „Protestwahl“ verharmlost.
Linkes Vakuum
Dass die SPÖ weiterhin stimmenstärkste Partei ist, darf auch kein
Grund zum Jubeln sein (wiewohl die zwischen Fassungslosigkeit und
Selbstgeißelung changierenden Reaktionen der ÖVP-Granden am Wahlabend
für wohlige Schadenfreude sorgten, wenn es schon sonst nichts zu freuen
gab). Alle Zeichen stehen auf Große Koalition, sie ist Werner Faymanns
erklärte Präferenz und mit der Inthronisierung des erklärten
Großkoalitionärs Josef Pröll scheint auch die ÖVP die entsprechenden
Weichen gestellt zu haben. Die Fortsetzung der Politik der letzten
Jahre ist jedoch die beste Garantie dafür, dass Heinz-Christian Strache
seinem erklärten Ziel, Bundeskanzler oder Innenminister zu werden, bei
den nächsten Wahlen einen weiteren Schritt näher kommen wird.
Auf der Linken gibt es derweil nicht viel zu vermelden, eine wählbare
linke Alternative existiert in Österreich weiterhin nicht. Das Vakuum
auf der Linken konnte nicht gefüllt werden – nicht von der KPÖ, die
dank inhaltsleerem Wahlkampf wieder unter die Ein-Prozent-Hürde
gefallen ist; und auch nicht von „Die Linke“, die sich zu Beginn des
Wahlkampfs noch einiger Aufmerksamkeit erfreuen konnte, letztlich
jedoch aufgrund wahnwitziger Fehleinschätzungen der politischen
Kräfteverhältnisse und ihrer eigenen Ausstrahlungskraft unterhalb der
statistischen Wahrnehmungsgrenze blieb.
Der Katzenjammer ist also groß und wird einmal mehr von Stimmen
begleitet, die den Aufbau einer vereinten Wahlplattform links von SPÖ
und Grünen fordern. So richtig diese Forderung ist, so gering müssen
die Chancen für ein solches Projekt aktuell eingeschätzt werden. Denn
was die gescheiterten Kandidaturen von KPÖ und Die Linke einmal mehr
gezeigt haben – und was im Kontrast mit der erfolgreichen Linkspartei
in Deutschland noch klarer erscheint – ist, dass ein solches
notwendiges Projekt den Bruch eines relevanten Teils in Gewerkschaften
und Sozialdemokratie mit der neoliberalisierten – und nunmehr mit der
extremen Rechten mauschelnden – SPÖ zur Voraussetzung hat. Die
technische Addierung von versprengten Kleingruppen der radikalen Linken
kann und wird das Vakuum im linken politischen Spektrum nicht füllen.
Ein solches Projekt muss sich um politische Forderungen und gemeinsame
Kampagnen formieren und wird nur aus sozialen Kämpfen entstehen. Das
heißt im Lichte des Wahlergebnisses auch, jetzt konsequenten
Antirassismus hörbar zu machen und die „soziale Frage“ nicht der
extremen Rechten zu überlassen.