Gegenöffentlichkeit und Solidarität

Antimilitaristisch gegen jeden Krieg und Bürgerkrieg

Editorial aus: Graswurzelrevolution Nr. 453, November 2020

 

Liebe Leser*innen,

 

Krieg ist ein gutes Geschäft, Mütter, investiert Eure Kinder“, so lautet ein alter Demospruch aus der antimilitaristischen Bewegung.

Gemünzt auf die aktuellen Entwicklungen in den USA, können wir das Wort „Krieg“ womöglich bald durch „Bürgerkrieg“ ersetzen. Der noch amtierende US-Präsident schürt den Rassismus, den Waffenkult und die Angst vor Unruhen. Das hat Folgen. Die diesjährigen Waffenverkäufe in den USA entsprechen bereits den gesamten Waffenverkäufen von 2019: „Noch nie haben die US-Amerikaner so viele Gewehre gekauft wie im ersten Halbjahr 2020: rund 19 Millionen. Seit Trump Bürgermilizen auch noch aufgefordert hat, ihn zu unterstützen, sorgen sich immer mehr Menschen vor Ausschreitungen.“ (1)

Tatsächlich ist unklar, was passieren wird, wenn der Rassist Trump am 3. November 2020 die US-Wahl verliert. Wird der Narzisst eine Wahlniederlage akzeptieren und freiwillig das Weiße Haus verlassen? Sein öffentlicher Aufruf an die neofaschistischen Proud Boys, „sich bereit zu halten“, lässt da Schlimmstes befürchten. Neonazi-Milizen in den USA sind bis an die Zähne bewaffnet und stehen zu ihrem Idol. „Kommt der Bürgerkrieg von rechts?“ – mit dieser Frage beschäftigt sich Lou Marin auf Seite 15 ff. dieser GWR. Sein Text ist eingebettet in einen GWR-Schwerpunkt „Bürgerkrieg“, der zudem eine historische, antimilitaristische Bürgerkriegsanalyse von Bart de Ligt beinhaltet und einen Beitrag, der sich mit Preppern und Nazis bei der Bundeswehr beschäftigt.

Wir leben in krassen Zeiten – da braucht es Zeitschriften, die aus einer gewaltfrei-anarchistischen Perspektive von unten berichten, parteiisch für antifaschistische, feministische und andere emanzipatorische Bewegungen. Wir bemühen uns diesem Anspruch gerecht zu werden. Ein Schwerpunktthema dieser GWR ist Behindertenfeindlichkeit und der Kampf von Aktivist*innen gegen Barrieren, Diskriminierungen und alle Formen von Ableismus. (S. 3ff.)

 

Licht ins behördliche Dunkelfeld bringen!

 

Beginnend auf der Titelseite dieser Ausgabe berichtet die Antirassistische Initiative Berlin über den (vermeintlichen) „Suizid“ von Rooble Muse Warsame in Polizeigewahrsam. Der Fall weckt Erinnerungen an den 2005 in einer Polizeizelle in Dessau angezündeten Oury Jalloh. Wir wollen Gegenöffentlichkeit herstellen und dazu beitragen, dass nicht erneut ein womöglich durch Polizeibeamte verübtes Tötungsdelikt verschleiert wird.

 

Bergkarabach

 

Seit Ende September 2020 tobt im Südkaukasus um die überwiegend von Armeniern bewohnte autonome Region Bergkarabach ein neuer Krieg zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken Aserbaidschan und Armenien. Das despotische Regime Aserbaidschans wird vom türkischen Autokraten Erdoğan mit islamistischen Söldnern aus Syrien und Waffen auch aus deutscher Produktion unterstützt. Der Krieg und die deutschen Waffenexporte müssen sofort gestoppt werden!

In Deutschland leben rund 60.000 Armenier*innen und mehr als 100.000 Menschen aus Aserbaidschan. Auch an sie richtet sich die antimilitaristische Feministin Rovshana auf der Titelseite dieser GWR. Sie stammt aus Aserbaidschan und fordert in ihrem Artikel alle am Krieg Beteiligten auf, die Waffen niederzulegen und die nationalistische Propaganda zu beenden.

 

Solidarität mit den Gefangenen für den Frieden

 

Die Graswurzelrevolution ist assoziiertes Mitglied der War Resisters‘ International (WRI), der 1921 gegründeten antimilitaristischen Internationale mit rund 90 Mitgliedsorganisationen in 45 Ländern. Zum Internationalen Tag der Gefangenen für den Frieden am 1. Dezember bittet die WRI um Solidarität mit Menschen, die weltweit wegen ihrer Kriegsdienstverweigerung oder ihres Engagements für Frieden inhaftiert sind. Ihre Namen und Gefängnisadressen werden in der Liste der Gefangenen für den Frieden veröffentlicht. Die WRI ruft dazu auf, den Gefangenen Kartengrüße als Zeichen der Solidarität und der Ermutigung in die Haft zu schicken. Selbst wenn die Karten die Adressat*innen nicht erreichen sollten, machen sie deutlich, dass die Gefangenen nicht vergessen sind, was sich auf die Haftbedingungen günstig auswirken kann.

Besonders katastrophal ist die Menschenrechtslage in Eritrea. Dort werden Männer und Frauen zu einem zeitlich unbegrenzten Nationaldienst gezwungen, teils Militär-, teils Arbeitsdienst unter härtesten Bedingungen“, schreibt Gernot Lennert von der DFG-VK. Turkmenistan inhaftiert regelmäßig Zeugen Jehovas wegen Militärdienstverweigerung. In Kolumbien kommt es immer wieder zu illegalen Zwangsrekrutierungen. In Kamerun werden Menschen, die sich gewaltfrei für Menschenrechte und Autonomierechte des englischsprachigen Landesteils einsetzen, inhaftiert. In den USA ist Rafil Dhafir seit 2003 für 22 Jahre wegen humanitärer Hilfslieferungen in den Irak, die US-Sanktionen widersprachen, in Haft.

Die Liste (2) enthält die Adressen von Gefangenen stellvertretend für viele andere, deren Adresse unbekannt ist oder die keine Publizität wünschen. Karten können privat geschrieben werden oder, wie es die DFG-VK Mainz-Wiesbaden macht, gemeinsam mit Live-Musik, Bildern und Filmen, Speis und Trank (3).

In Israel wurde am 19. Oktober 2020 die 19-jährige Kriegsdienstverweigerin Hallel Rabin zu 25 Tagen Haft im Militärgefängnis verurteilt. Die israelische Pazifistin hat bereits zwei Haftstrafen mit insgesamt 25 Tagen Gefängnis verbüßt. Im Einberufungsbüro in Tel-Hashomer hatte sie ihre Weigerung wiederholt, zur Armee zu gehen. In ihrer Verweigerungserklärung schreibt sie: „Ich bin mit den Werten von Freiheit, Mitgefühl und Liebe erzogen worden. Für die Versklavung einer anderen Nation zu kämpfen, widerspricht diesen Werten. Zu lange haben sich die guten Menschen Israels bereit erklärt, sich an den Gräueltaten der Besatzung zu beteiligen. Auch wenn ich weiß, dass meine Verweigerung nur persönlich von mir durchgeführt wird und ein kleines Zeichen ist, möchte ich die Veränderung anstoßen, die ich in der Welt sehen will und zeigen, dass ein anderer Weg möglich ist.“

Eine vorformulierte E-Mail mit der Forderung nach ihrer Freilassung an den israelischen Verteidigungsminister kann bis zum 13. November 2020 über die WRI verschickt werden. (4)

Die WRI, Connection e.V., die DFG-VK und die GWR fordern die sofortige Freilassung der Kriegsdienstverweigerin. Es ist kein Verbrechen, sich dem Töten zu verweigern. Die Waffen nieder!

 

Antimilitaristische Grüße,

 

Bernd Drücke

(GWR-Koordinationsredakteur)

 

 

Anmerkungen:

1) Nana Brink: Angst vor Unruhen im US-Wahlkampf. Die Amerikaner decken sich mit Waffen ein, Deutschlandfunk Kultur, 22.10.20, https://www.deutschlandfunkkultur.de/angst-vor-unruhen-im-us-wahlkampf-die-amerikaner-decken.979.de.html

2) https://www.wri-irg.org/en/inprison

3) Freitag, 4.12.2020, 19 Uhr, Infoladen, Blücherstr. 46, Wiesbaden. Corona-bedingt auf 15 Personen beschränkt, verbindliche Voranmeldung empfohlen.

dfgvkmz@web.de und www.dfg-vk-mainz.de

4) https://wri-irg.org/en/programmes/rrtk/co-support-email/2020/release-conscientious-objector-hallel-rabin

Weitere Infos: https://de.connection-ev.org/article:israel-kriegsdienstverweigerin-hallel-rabin-inhaftiert & www.dfg-vk-hessen.de

 

Editorial aus: Graswurzelrevolution Nr. 453, November 2020, www.graswurzel.net