Gentechnik im Naturschutz?
Die Anwendung der neuen Gentechniken wird nun auch im Naturschutz diskutiert. Viele Versprechungen sind im Umlauf, weswegen wir uns in diesem Heft kritisch mit den Risiken, Unklarheiten und ethischen Fragen auseinandersetzen.
Einführung aus GID 253 "Herausforderungen für die Zukunft – Gentechnik im Naturschutz?"
Gentechnik wird in verschiedensten Bereichen als Hilfsmittel und Lösung diskutiert. Auch im Natur- und Artenschutz gab es immer wieder Ideen, Organismen mittels Gentechnik zu verändern. Dies waren aber eher Randphänomene, als der Standard. Im Natur- und Artenschutz spielte daher die Agrogentechnik mit ihren möglichen Folgen für die Biodiversität, dem Auskreuzungsrisiko in Wildpopulationen oder dem erhöhten Pestizideinsatz eine wesentlich wichtigere Rolle. Durch die erweiterten Möglichkeiten der neuen Gentechnologien wie CRISPR-Cas hat sich das jedoch geändert.
Gentechnik wird heute innerhalb des Naturschutzes diskutiert. Nicht als landwirtschaftliches Phänomen mit Auswirkungen auf die Natur, sondern als Hilfsmittel und Anwendung im Naturschutz selbst. Forscher*innen wollen Natur und Leben durch gentechnische Verfahren selbst kreieren, verbessern und bereichern. Amphibien sollen mittels Gentechnik resistent gegen eine gefährliche Pilzerkrankung gemacht werden, Ratten sollen von Inseln entfernt werden zum Schutz der endemischen(1) Fauna und Flora und Mammuts sollen die Taiga wieder in eine Graslandschaft verwandeln. Dabei stellen die neuen Möglichkeiten und Anwendungen die Gesellschaft vor große Fragen, speziell in Bezug auf die bestehende Risikobewertung von gentechnisch veränderten Organismen. Geht es hierbei eben nicht um Organismen in Laboren und im kontrollierten Anbau, sondern um Wesen, die sich in der Natur unkontrolliert vermehren und verbreiten sollen. Die Vielzahl an Interaktionen mit anderen Lebewesen kann bisher unvorhergesehene Folgen haben und eine Rückholung ist ziemlich ausgeschlossen. Ein weiterer Aspekt ist, wie und ob sich durch die Diskussion um die neuen Techniken unsere Betrachtung und die Wertigkeit des Lebens und der Natur selbst verändern.
Wie aktuell diese Diskussion ist, wurde im letzten Jahr deutlich. Im April 2019 äußerte sich eine Arbeitsgruppe unter dem Dach der Weltnaturschutzorganisation IUCN (International Union for Conservation of Nature and Natural Resources) in einem Report positiv zum Einsatz von gentechnisch veränderten Organismen im Natur- und Artenschutz.(2) Dieser Bericht soll Grundlage einer neuen IUCN-Richtlinie zum Thema Naturschutz und synthetischer Biologie sein, die auf dem weltweit größten Naturschutzkongress, dem IUCN World Conservation Congress, im Januar 2021 weiter diskutiert und beschlossen werden soll. Ein Novum in diesem Bereich, das zahlreiche Organisationen und Einzelpersonen sehr kritisch betrachten.(3)
Diesen Prozessen innerhalb der IUCN, die maßgeblich sind für die Akzeptanz von gentechnischen Anwendungen im Natur- und Artenschutz, widmen wir uns im ersten Artikel des Schwerpunktes. Im Fokus steht hierbei die Kritik an der Zusammensetzung des Autor*innen-Teams des besagten IUCN-Reports. Der Mehrzahl von ihnen wirft die etc-Group Voreingenommenheit und Interessenkonflikte zugunsten der Biotechindustrie vor. Leider mussten wir aufgrund von Corona-bedingten Arbeitszeitkürzungen auf einen ausführlicheren Artikel von Jim Thomas zum Thema verzichten. Dankenswerterweise durften wir aber auf den ausführlichen etc-Group-Bericht zurückgreifen.
Margret Engelhard vom Bundesamt für Naturschutz bezieht sich in ihrem Artikel auf die wohl meist diskutierte Idee von Gentechnik-Anwendungen im Naturschutz: die Gene Drive Organismen. Der gentechnische Eingriff in Wildpopulationen bringt weitreichende Fragen mit sich, auf die es nach unserem heutigen Wissensstand keine Antworten gibt.
Im Interview mit Torill Kornfeldt, Wissenschaftsjournalistin und Autorin des Buches „Wie klone ich ein Mammut“, befassen wir uns mit der Idee, ausgestorbene Arten wieder aufleben zu lassen. Torill Kornfeldt besuchte weltweit Projekte und Wissenschaftler*innen, die sich der Wiederbelebung von Arten gewidmet haben, und lässt uns an ihren Erfahrungen teilhaben. Welche Motivation steckt hinter diesen Projekten, wo liegen die technischen Schwierigkeiten und kann dies tatsächlich die Lösung für den rasanten Biodiversitätsverlust sein? Fragen und Antworten die zum Nachdenken anregen.
Johann Lütke Schwienhorst, Agrarreferent der Aurelia Stiftung und Freizeitimker, zeigt in seinem Artikel zu gentechnisch veränderten Bienen auf, wie sich die Debatte um die Gentechnik gewandelt hat. Die Biene und mit ihr die Imkerei spielten eine wichtige Rolle in der Diskussion um die alten Gentechniken. Heute ist das Symbol des Naturschutzes selbst Zielobjekt der neuen Gentechnik geworden und soll mittels CRISPR-Cas an Umweltbedingungen, Pestizide und Krankheiten angepasst werden.
Zum Schluss fordert Ilka Dege vom Deutschen Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzorganisationen, die Naturschutzverbände auf, sich in der Debatte um die neuen Gentechniken zu positionieren und einzumischen. Gerade jetzt, wo der Fokus auf die gentechnische Veränderung von Wildpopulationen fällt, ist es von besonderer Wichtigkeit, dass die Naturschutzverbände eine klare Position haben. Nicht zu vergessen sind dabei all die ungeklärten Fragen und Nebeneffekte die CRISPR mitbringt – egal ob in der Agrogentechnik oder im Naturschutz.
Fußnoten:
(1) Endemische Arten sind nur in einem sehr begrenzten Gebiet verbreitet.
(2) Redford, K.H./Brooks, T.M./Macfarlane, N.B.W./Adams, J.S. (2019): Genetic frontiers for conservation: An assessment of synthetic biology and biodiversity conservation. Technical assessment. Gland, Switzerland: IUCN. xiv + 166pp.
(3) Offener Brief: www.kurzlink.de/gid253_zx [letzter Zugriff: 24.04.20].