Griechenland wird weiter erpresst

Das im Sommer 2015 in einer konfrontativen Auseinandersetzung zwischen den europäischen Gläubigerstaaten sowie den europäischen Institutionen und der griechischen Linkskoalition beschlossene dritte Hilfsprogramm für Griechenland läuft bis zum August 2018. Es legt sogenannte Strukturreformen (Arbeitsmarkt, Besteuerung, öffentliche Ausgaben, Verkauf von öffentlichem Eigentum) fest und sieht Kredithilfen von bis zu 86 Mrd. € vor.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) fungiert bislang eher als Kontrolleur und nicht als Kreditgeber. Die neuen Kredite werden ausschließlich über den Euro-Krisenfonds ESM und damit von den Europäern finanziert. Eine Beteiligung des IWF wie bei den ersten beiden Programmen war zwar stets vorgesehen. Doch der Fonds macht seinen Einstieg von Bedingungen abhängig, die immer wieder zu Friktionen unter den Gläubigern geführt haben. Zugleich ist er an einer Fortsetzung des Programms interessiert, da dieses auch die Rückzahlung früherer IWF-Kredite durch Athen ermöglicht.


Die Verhandlungen stocken

Die Gläubiger sind sich letztlich immer noch nicht einig. Die Differenzen beziehen sich auf die Bewertung der von der griechischen Regierung implementierten Spar- und Reformpläne sowie auf die Einschätzung der weiteren Entwicklung. Faktisch ist die seit längerem fällig zweite Überprüfung des 3. Hilfsprogramms noch nicht abgeschlossen. Die Verständigung über diese Prüfung ist eine der Bedingungen des IWF für eine erneute Teilnahme.

Seit Wochen stocken die Verhandlungen. Die internationale Öffentlichkeit wird mit der Botschaft vertröstet: Man stehe kurz vor der Vereinbarung einer gemeinsamen Position. Bei dem Treffen der Euro-Finanzminister am 20. Februar soll ein Abschluss erreicht werden, so dass Vertreter der Prüf-Institutionen von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Euro-Rettungsschirm ESM ihre Arbeit fortsetzen können.

Die griechische Regierung stellt sich quer zu weiteren Sanierungs- oder Kürzungsmaßnahmen. Die Gläubiger Institutionen fordern hingegen zusätzliche Einsparungen mit einem Volumen von 1,8 Mrd. € bis zum Ende des laufenden Hilfsprogramms 2018. Außerdem soll die griechische Regierung vereinbaren, den gleichen Betrag noch einmal für die Zeit nach 2018 zu »erwirtschaften«. Dabei geht es vor allem um Steuereinnahmen sowie Pensionskürzungen. Der Chef der Finanzministerrunde Jeroen Dijsselbloem hat angedeutet, dass ein Abschluss bis zur nächsten Sitzung der Euro-Gruppe am 20. Februar nicht zu schaffen ist.

Die Finanzminister der Euro-Zone (Euro-Gruppe) betonten bei ihrem letzten Treffen, das Wirtschaftswachstum und der Staatshaushalt in Griechenland hätten sich 2016 besser entwickelt als erwartet. Sie fordern von Athen ab 2018 »mittelfristig« Jahr für Jahr einen Primärüberschuss (Saldo im Staatshaushalt vor Schuldendienst) von 3,5% des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Für den IWF ist das ein unrealistisch und kontraproduktiv hohes Ziel; er hält 1,5% für angemessener. Sollten die Europäer aber auf 3,5% beharren, seien zur Zielerreichung zusätzliche griechische Maßnahmen nötig; weitere Kürzungen beschädigten den Erholungsprozess der Wirtschaft. Sie plädierten daher für einen tieferen Primärüberschuss. Selbst bei voller Umsetzung weiterer Kürzungen sei nicht zu erwarten, dass Griechenland aus den Schuldenproblemen «herauswachsen» werde. Deshalb braucht es aus Sicht des IWF erhebliche (zusätzliche) Maßnahmen der Europäer zur Erleichterung der griechischen Schuldenlast. Die Euro-Staaten wiederum wollen das Ziel nicht senken, da sie dann noch mehr Schuldenerleichterungen gewähren müssten. Unstrittig ist dagegen die Bewertung einer leichten Erholung der griechischen Ökonomie.

Aus finanziellen Gründen ist die Teilnahme des IWF nicht notwendig, der ESM könnte das Programm alleine tragen. Es sieht Hilfskredite von bis zu 86 Mrd. € vor, wovon 32 Mrd. € ausbezahlt sind. Doch die politischen Hardliner unter den Euro-Staaten wie Deutschland und die Niederlande brauchen den Währungsfonds, weil sie ihm eher als der EU-Kommission eine harte Durchsetzung der Auflagen zutrauen und weil es ihre Parlamente verlangen. Zugleich sind aber gerade diese Staaten am wenigsten zu den vom IWF geforderten Schuldenerleichterungen bereit.

Die Forderung nach weiteren Rentenkürzungen und Steuererhöhungen ist mit der Bewertung der Tragfähigkeit der griechischen Schuldenlast bzw. des jährlichen Schuldendienstes verbunden. Laut Eurostat betrug die Bruttoverschuldung des Landes per Ende März 176% des BIP. Es brauche Schuldenerleichterungen, über die man mit den Europäern reden müsse, bekräftigte der IWF-Europachef Poul Thomsen.

Die Europäer verweisen auf bereits eingeleitete kurzfristige Maßnahmen zur Dämpfung der Schuldenlast. Auch haben sie sich bereit erklärt, nach Ende des laufenden Hilfsprogramms im Sommer 2018 weitere Maßnahmen zu ergreifen, falls dies nötig werde und Athen alle Reformen umgesetzt habe. Kurzfristig werden nur kleinere Schritte zur Verbesserung des Schuldenmanagements durch den ESM vorgenommen. Die mittelfristigen Maßnahmen sollen, falls nötig, weiter reichen und können unter anderem eine Verlängerung von Laufzeiten und Rückzahlungsfristen für frühere Hilfskredite der Europäer umfassen. Sie sollen aber erst nach einem erfolgreichen Abschluss des Programms greifen. Einen nominalen Schuldenschnitt (»haircut«) hingegen schließen die Europäer aus. Dem IMF aber sind diese Schritte und Zusagen zu wenig bzw. noch zu vage, um die Schuldentragfähigkeit zu sichern.


Die Rolle des deutschen Finanzministers

Vor allem Hardliner wie der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble stecken in einem Dilemma, was zu einem widersprüchlichen Verhalten führt. Einerseits drängen er, aber auch Staaten wie die Niederlande am stärksten darauf, dass der IWF wegen der erwähnten Gründe wieder an Bord kommt. Im März 2017 stehen in den Niederlanden und im Herbst in Deutschland Wahlen an. Und in beiden ist die Griechenland-Hilfe innenpolitisch umstritten. Skeptische Beobachter schließen deshalb nicht aus, dass die Euro-Gruppe einschlägige Entscheide bis nach der Bundestagswahl hinausschieben wird. Dann wäre auch das Ende des Programms nicht mehr fern. Eine solche Verfahrensweise unterstellt, dass es in Griechenland keine akuten Wirtschafts- und Finanzprobleme gibt.

Es geht also um zwei Probleme: Griechenland muss im kommenden Juli Schulden und Zinsen in Höhe von 6,3 Mrd. € zurückzahlen, das ist der größere Teil der 2017 insgesamt fälligen Summe von 11,3 Mrd. €. Diese Gelder lassen sich auch bei weiter günstiger Wirtschaftsentwicklung nicht im Lande aufbringen. Zum anderen führt die anhaltende Unsicherheit zu relevanten Verzögerungen und Verschiebungen von Investitionen. Letztlich ist die Haltung der europäischen Gläubiger nicht nur politisch kleinkariert, sondern im Interesse der Fortsetzung des Schuldendienstes kontraproduktiv.

Vor allem Deutschlands Finanzminister Schäuble gibt erneut den Hardliner: einen Schuldenschnitt könne man machen, aber dann müsse Griechenland eben aus der Eurozone austreten. Die Verträge von Lissabon würden einen Schuldenschnitt eben ausschließen, daher bliebe nur der Austritt, wenn Griechenland diesen Schuldenschnitt unbedingt wolle. Solange aber Griechenland in der Eurozone sei, müsse die Eurozone Druck ausüben, damit das Land durch Reformen wieder international wettbewerbsfähig werde.

Dagegen hat nun Vizekanzler und Außenminister Sigmar Gabriel Stellung bezogen. Deutschland müsse seine ganze Kraft dafür einsetzen, Europa zusammenzuhalten. Man dürfe »nicht schon wieder wie Wolfgang Schäuble den Versuch unternehmen ..., die Griechen raus aus dem Euro zu drängen«, sagte der scheidende SPD-Chef Gabriel bei einem Parteiempfang vor der Wahl des Bundespräsidenten.

Auch der für Wirtschaft und Währung zuständige EU-Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis wendet ein: »Jetzt ist nicht die Zeit, um die Uhren Richtung finanzieller Instabilität zurückzudrehen.« Mit den Reformen solle die Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft verbessert und den Griechen Hoffnung auf eine stabilere Zukunft gemacht werden. Deshalb habe es höchste Priorität, jetzt die zweite Überprüfung des Hilfsprogramms abzuschließen. Griechenland sei mit der Umsetzung der Reformen auf dem richtigen Weg.


Tsipras setzt sich zur Wehr

Auf einem Parteitag von SYRIZA rechtfertigte Alexis Tsipras am Samstag den Regierungskurs und richtete scharfe Angriffe in Richtung Berlin und IWF. »Ich möchte die Kanzlerin bitten, die abfälligen Äußerungen von Finanzminister Schäuble gegen Griechenland sowie Verweise, die Griechen lebten über ihre Verhältnisse, zu unterbinden«. Schäuble hatte Griechenland erneut vorgeworfen, Reformen zu verschleppen. »Ich weiß nicht, was die griechische Regierung sich dabei denkt, dass sie bis jetzt nicht das getan hat, wozu sie sich so oft verpflichtet hat«, sagte Schäuble etwa Ende Januar bei einem Treffen der Eurofinanzminister. Und er hatte Athen auch vorgeworfen, sich einen höheren Lebensstandard zu leisten, als die Griechen selbst erwirtschaften könnten. Ohne weitere Reformen »können sie nicht in der Währungsunion bleiben«.

Demgegenüber machte Tsipras deutlich: »Wer mit einer ›Eurozone der zwei Geschwindigkeiten‹ spielt, mit Spaltung und Teilung, der spielt mit dem Feuer.« Er könne sich nicht vorstellen, dass es im Sinne der deutschen Regierung sei, Brandstifter mit Streichhölzern in ein Munitionslager zu schicken. Man werde keine Forderungen seitens der Gläubiger unterschreiben, die nicht auf der Basis von Logik und Zahlen erfolgten. An den IWF gerichtet sagte Tsipras, dieser habe nicht den Mut, zu seiner Meinung zu stehen, gegenüber den anderen Gläubigern Erleichterungen bei der Schuldenlast für Griechenland durchzusetzen. Zugleich stelle der Fonds neue Forderungen, die absurd und wirklichkeitsfremd seien.

Auch im Hinblick auf die Bewältigung der Fluchtbewegung zeichnet sich die europäische Politik nicht durch einen politischen Willen der »Lastenteilung« aus. 3.000 Flüchtlinge möchte die EU-Kommission jeden Monat von Griechenland und Italien auf die anderen EU-Länder verteilen. Tatsächlich nahmen die europäischen Staaten im Januar aber lediglich 1.682 schutzbedürftige Menschen auf. Das sind sogar noch weniger als im Dezember, heißt es in dem jüngsten Bericht der EU-Kommission. Knapp 18 Monate nach Inkrafttreten des Plans haben die EU-Länder den überlasteten Staaten Griechenland und Italien demnach bisher nur 12.000 Flüchtlinge abgenommen – versprochenen waren eigentlich 160.000.

Mehr als 60.000 Flüchtlinge und Migranten sitzen in Griechenland fest. Viele müssen unter unmenschlichen Bedingungen leben. Die Unterstützungszahlungen aus Brüssel gehen nur schleppend ein. Für Griechenland stehen zum Umgang mit der Flüchtlingskrise laut offiziellen Daten mehr als eine halbe Milliarde Euro zur Verfügung, die bisher nicht eingesetzt werden konnten. Es geht darum, »Leben zu retten, nicht darum bürokratische Vereinbarungen einzuhalten«, warnte Sarah Crowe, Sprecherin der UN-Kinderorganisation Unicef, »zurzeit herrscht eine schreckliche Situation in Griechenland.«

Trotz der harten Sparmaßnahmen ist die Mehrheit der Griechen weiter für den Verbleib des Landes in der Eurozone, das ist das Ergebnis einer neueren Umfrage. Darin sprachen sich 64% für den Euro aus, 31% waren für die Wiedereinführung der der Drachme. 81% der Bürger waren der Meinung, die Regierung von Alexis Tsipras handle nach zwei Jahren im Amt in Sachen Finanzen und sozialen Themen falsch. Nur 17% waren der Ansicht, die Regierung habe richtig gehandelt.

Auf die Frage, was sie wählen würden, wenn am kommenden Sonntag Wahlen wären, weist die Umfrage einen klaren Vorsprung für die Konservative Partei Nea Dimokratia (ND) aus, sie würde 36,9% erhalten (Parlamentswahlen September 2015: 28,1%). SYRIZA würde danach 22,3% bekommen (September 2015: 35,5%). Der gesamte Prozess der Rekonstruktion der griechischen Ökonomie und der Erneuerung der Politik hat also SYRIZA viel Zustimmung gekostet. Drittstärkste Kraft sind – je nach Umfrage – die neofaschistische Chrysi Avgi und neuerlich Dimokratiki Symparataxi (Wahlkoalition von PASOK). Die liberal orientierte To Potami verliert zusehends Abgeordnete und Wählerzustimmung – insbesondere an die ND und Dimokratiki Symparataxi. Stabil bleibt die traditionell kommunistische KKE.

Wenn man den Umfragen glauben kann, ist neben der ruinierten Ökonomie ein großer Vertrauensverlust in die Institutionen demokratischer Tradition eingetreten. Und das gesellschaftliche Fundament und die zuvor starke Zustimmung für den von der Linksregierung von Alexis Tsipras gesuchten Ausweg aus der im achten Jahr befindlichen Krise werden ebenfalls immer schmaler.