Falscher Pioniergeist: Das schwedische Anti-Freier-Gesetz

„Er könnte ihr Nachbar sein, sogar ihr bester Freund. Oder vielleicht ist er ihr Arbeitskollege, oder jemand mit dem sie letztes Wochenende auf einer Party gesprochen haben. Er führt ein normales Leben – er ist verheiratet, hat Kinder, eine gute Arbeit – mit anderen Worten er ist ein ganz normaler Mann. Aber er kauft auch sexuelle Dienstleistungen und stützt dadurch den Markt für sexuelle Ausbeutung, Prostitution und Menschenhandel. Und nach dem schwedischen Gesetz ist er ein Krimineller.“ So heißt es in einer schwedischen Broschüre mit Titel „Targeting THE SEX BUYER. The Swedish example: stopping prostitution and trafficking where it all begins“ (zu Deutsch: DER SEXKÄUFER im Visier. Das Schwedische Beispiel: Prostitution und Menschenhandel dort stoppen, wo er beginnt). Sie wird vom Schwedish Institut herausgegeben, einer staatlichen Institution, die weltweit für die schwedische Kultur wirbt. Verfasst hat sie eine PR-Frau.
Die Broschüre erinnert an die Modezeitschrift COSMOPOLITAN oder auch einen IKEA-Katalog. Auf dem Cover lächelt ein Geschäftsmann mit Seidenkrawatte. Seine Augen sind nicht zu erkennen. Er könnte eben ein gut verdienender Nachbar sein. Ein wenig erinnert er an den ehemaligen Fußballer David Beckham. Im Heft wird mit bunten Fotos ein perfektes Schweden dargestellt und mit dramatischen Berichten und Fotos von vermeintlichen Zwangsprostituierten konterkariert.
In Schweden ist der Kauf von sexuellen Dienstleistungen seit 1999 verboten. Freier drohen bis zu zwei Jahre Haft. Die schwedische Regierung feiert dieses Modell als Erfolg und macht europaweit dafür Werbung. So in der eingangs zitierten Broschüre über SEX-KÄUFER. Im Internet ist dieses Heft in Englisch, Spanisch, Russisch und sogar Türkisch kostenlos zu haben. Aber nicht in Deutsch. Wohl weil Deutschland einen anderen Weg geht: Seit 2004 ist hier die Prostitution legal. Prostituierte haben in Deutschland Rechte, die sie sogar einklagen können.
Das schwedische Gesetz basiert auf einer ziemlich fatalen Gleichsetzung: Es wird kein Unterschied zwischen Prostitution und Menschenhandel gemacht. Frauen, die selbstgewählt sexuelle Dienstleistungen verkaufen, gibt es demnach nicht mehr. Denn wie, so argumentieren die Befürworter des Gesetzes, könnte eine Frau dies je freiwillig tun? Damit wird ein Randbereich der Prostitution ins Zentrum gerückt. Huren artikulierten ihren Widerspruch – doch die schwedische Politik hörte nicht auf sie. Damit wurden die zirka 1.800 bis 3.000 schwedischen Sexarbeiterinnen pauschal zu Opfern von Menschenhändlern erklärt und Millionen Prostituierte in aller Welt gleich mit. Das ist ein beispielloser Fall von Entmündigung.
Gleichzeitig legitimiert der schwedische Staat das Anti-Freier-Gesetz durch den Kampf gegen den Menschenhandel. Dabei werden aber die anderen Formen des Menschenhandels – wie Kinderhandel und Zwangsarbeit – ignoriert. Die einfache Formel Menschenhandel=Zwangsprostitution=Prostitution ist so paradox wie populär. Das Modell hat weltweit Konjunktur. Mittlerweile auch in Deutschland. Mehr dazu kann man unter der Überschrift „Menschenhandel/Prostitutionsstätten“ im neuen CDU-SPD Koalitionsvertrag lesen.
In Schweden droht Sexarbeiterinnen keine Strafe. Doch sie bekommen auch keine Hilfe. Sie arbeiten in einer Grauzone, werden aus dem Sozialsystem ausgeschlossen und haben faktisch keine Rechte. Freier hingegen gelten als Gefahr für die Frauen und überdies für die saubere, gleichberechtigte schwedische Gesellschaft. Sie werden gewissermaßen als Perverse stigmatisiert und sie sind Kriminelle. Perverse Kriminelle von nebenan.
Die Bestrafung dieser „Kriminellen“ ist jedoch überaus schwierig. Das gesteht mittlerweile die schwedische Polizei ein. Der Sexualakt muss nämlich nachgewiesen werden. Huren zeigen Freier nicht an, denn das wäre ja geschäftsschädigend. Die Polizei verfolgt Freier auf der Straße mit Kameras und sucht Wege, den Geschlechtsakt in Autos nachzuweisen: etwa mit Röntgenapparaten. Auch werden Paare an Hauseingängen gestellt und versucht ihnen nachzuweisen, dass es sich hier um den versuchten Kauf von sexuellen Dienstleistungen handelt. Das erinnert an einen Überwachungsstaat. Ein enormer Aufwand wird betrieben und doch bringt er wenig: Bis heute wurde kein einziger Freier in Schweden mit Gefängnis bestraft.
Die schwedische Regierung spricht trotzdem von einem Erfolg, nur belegen kann sie es nicht. Das beweist die in der Fachwelt bekannte Menschenhandels-Expertin Ann Jordan. Immer weniger Huren befinden sich auf den Straßen der schwedischen Großstädte. Doch sie haben ihr Gewerbe nicht unbedingt aufgegeben. Sie nutzen statt dessen Handys und das Internet zur Kontaktaufnahme. Ist dies ein Effekt des Gesetzes? Auch das weiß die schwedische Regierung nicht. Die meisten Schweden konsumieren Sex sowieso lieber im Ausland. Lediglich Umfragen stützen das „Schwedische Beispiel“: Die Mehrheit der Schweden ist dafür. Die schwedisch-deutsche Historikerin Susanne Dodillet, eine der wichtigsten Expertinnen zu diesem Thema, erklärt dies so: Die Schweden sehen ihr Land als eine Pioniernation. Es ist wichtiger dieses Image zu pflegen, als eine verlässliche Politik zu betreiben.
Schweden arbeitet weiter am Export des Anti-Freier-Gesetzes. Finnland, Island und Norwegen haben es bereits importiert. In Deutschland wird auch darüber gesprochen. Fraglich ist, ob angesichts der massiven Verletzung der Privatsphäre ein solches Gesetz überhaupt verfassungskonform wäre.