Die extrem rechte Szene in Radevormwald
In der oberbergischen Stadt Radevormwald hat sich eine aktive Neonazi-Szene organisiert. Immer wieder kam es vor Ort zu Angriffen auf vermeintliche MigrantInnen und politische GegnerInnen. Die lokale Besonderheit: Trotz ihres pro-nazistischen Bekenntnisses geht die Szene nicht wie üblich auf Distanz zur „systemkonformen“ und „pseudo-nationalen“ Bürgerbewegung pro NRW, es bestehen vielmehr enge Verflechtungen.
„Picobello Tag in Rade? Nicht mit uns! Hingehen! Zuschauen! Weglachen!“, meldete der im April 2011 „gegründete“ Freundeskreis Rade Ende November via Twitter. Die neonazistische „Kameradschaft“ mobilisierte gegen eine Aktion des Runden Tisches gegen Rechts, der die zahlreichen Neonazi-Aufkleber in der Innenstadt öffentlichkeitswirksam entfernen wollte. Neben 40 BürgerInnen versammelte sich auch eine rund 15 Personen umfassende Gruppe junger Rechter auf dem Marktplatz. Insbesondere der Neonazi Jonas Ronsdorf machte Fotos von den BürgerInnen, die wenig später auf der Internetseite des Freundeskreis Rade unter der Überschrift „Demenz erkranktes Gutmenschenpack macht sich lächerlich!“ veröffentlicht wurden.
Rechte Gewalt
Während es im November bei Beschimpfungen und Fotografieren blieb, gingen die Neonazis an anderen Tagen mit brutaler Gewalt gegen Andersdenkende vor. So beispielsweise am 20. April 2011, als die Neonazis am Ufer der Wupper feierten und dort zufällig auf drei nicht-rechte Jugendliche trafen. Nach einem Wortgefecht attackierten sie die Jugendlichen mit Schlägen und Steinen. Wenige hundert Meter entfernt hatten Neonazis bereits in der Nacht des 28. Februar 2011 den örtlichen Kiosk beschädigt. Als der Kioskbesitzer und sein Sohn den TäterInnen mit dem Auto nachsetzten, gerieten sie in einen Hinterhalt von vermummten und mit Schlagstöcken bewaffneten Neonazis. Sie wurden durch Schläge verletzt, ihr Auto wurde beschädigt. Als die Polizei eintraf, hatten sich die Neonazis bereits auf dem Brachgelände einer ehemaligen Tuchfabrik, das der Szene als Treffpunkt diente, verbarrikadiert. Von der rassistischen Motivation des Angriffs auf die zwei Radevormwalder zeugen auch die von den TäterInnen am Tatort hinterlassenen Aufkleber mit der Aufschrift: „Rader Jugend gegen Multi-Kulti!!!“, unterzeichnet von der Bergischen Jugend. Dieses Label nutzten die Neonazis vor „Gründung“ des Freundeskreis Rade.
Der Angriff im Februar 2011 war der Anfang einer Serie rechter Gewalttaten. Bei einem „Tanz in den Mai“ prügelte eine größere Gruppe Neonazis auf einen 18-jährigen Radevormwalder ein, den sie zuvor rassistisch beleidigt hatten. Selbst in Anwesenheit der Polizei soll es noch zu „Sieg Heil“-Rufen gekommen sein. Im Juni 2011 wurde wenige Tage nach den Attentaten in Oslo und auf Otøya die Radevormwalder Moschee beschädigt. Im Dezember 2011 attackierten zwei Neonazis des Freundeskreis Rade zwei Polizeibeamte mit Pfefferspray, als diese sie beim Sprühen von NS-Parolen festnehmen wollten. Die Täter konnten fliehen, wurden aber wenige Tage später von der Polizei gestellt.
Das gewalttätige Auftreten zeugt von der Selbstsicherheit der Szene. Besonders in den kleinen, abseits des Zentrums gelegenen Wupper-Orten kann die Szene Dominanz im Alltag ausüben. Nicht-rechte Jugendliche wer den zunehmend eingeschüchtert, es fehlt an stärkerer Gegenwehr gegen die Gruppe, deren AktivistInnen unter Gleichaltrigen nicht isoliert sind.
Aufbauhilfe aus Wuppertal
Wer von Radevormwald kommend auf der sich idyllisch an der Wupper entlang schlängelnden Landstraße in nördliche Richtung fährt, erreicht schnell die ersten Vororte von Wuppertal. Dieser räumlichen Nähe ist die Aufbauhilfe durch die Nationalen Sozialisten Wuppertal geschuldet, von der die Radevormwalder Szene profitiert. Als Mitte Mai 2011 eine Schlägerei auf einem Feuerwehrfest zu Ungunsten des Freundeskreises ausging, versammelten sich nur 15 Stunden später 45 Neonazis auf dem Marktplatz in Radevormwald zu einer Kundgebung gegen „antideutsche Gewalt“. Als Redner sprachen Sven Skoda aus Düsseldorf und Kevin Koch aus Wuppertal. Die Radevormwalder Neonazis sind zwischenzeitlich fest in die Netzwerkstrukturen der Neonazi-Szene im Rheinland eingebunden, auf Aufmärschen laufen sie im „Rheinland-Block“ (vgl. LOTTA #45, S. 22-24).
Verbindungen zu „pro NRW“
Die Organisierung als neonazistische „Kameradschaft“ ist Ausdruck eines Radikalisierungsprozesses rechter Jugendlicher und junger Erwachsener in Radevormwald. Viele, die heute zum Freundeskreis Rade zählen, waren einst vor allem für die pro NRW Jugend Bergisches Land aktiv. Die rechtspopulistische „Bürgerbewegung“ bescheinigte ihrer örtlichen Jugendorganisation eine „Vorreiterrolle“, da sie sich „schon vor der offiziellen Bezirksverbandsgründung zusammengefunden“ habe und „mit großen Abordnungen auf fast allen öffentlichen Kundgebungen von Pro NRW landesweit vertreten“ gewesen sei. Tatsächlich war die von Tobias Ronsdorf (Jahrgang 1989) geleitete Gruppe eine Ausnahmeerscheinung der ansonsten wenig erfolgreichen Jugendarbeit von pro NRW. Die Bekanntheit von Tobias Ronsdorf in seinem Heimatort erwies sich bei der Kommunalwahl 2009 als vorteilhaft, seine Partei zog mit einem Ergebnis von 5,1 Prozent (2 Mandate) in den Stadtrat ein und machte ihn zum Fraktionsvorsitzenden. Auf der pro NRW-Wahlliste standen auffällig viele junge KandidatInnen. Nach der Wahl wurden etliche Bekannte von Ronsdorf als sachkundige BürgerInnen in die Ausschüsse des Stadtrates gewählt.
Noch immer wirbt pro NRW mit Fotos, die den jüngeren Bruder des Fraktionsvorsitzenden, Jonas Ronsdorf, sowie Daniel Kuckelsberg, 2009 Kandidat für pro NRW, und Sascha Hütt bei Veranstaltungen der Partei zeigen. Heute sind alle drei regelmäßige Teilnehmer neonazistischer Aufmärsche und im Freundeskreis Rade aktiv. Dies gilt eben so für Daniel Konrad, der pro NRW als „Sachkundiger Bürger“ im Wahlausschuss vertritt. Auf der Ratssitzung am 13. Dezember wurde zu dem Marius Dörschel auf Antrag der pro NRW-Fraktion als stellvertretendes Mitglied des Ausschusses für Soziales, Sport und Tourismus gewählt. Über Dörschel war zu diesem Zeitpunkt öffentlich bekannt, dass er sich in den Reihen des Freundeskreis Rade bewegt. In der Ratssitzung wurde dies durch Die Linke thematisiert. Tobias Ronsdorf selbst inszeniert sich als sportlicher junger Mann, der sich vor allem für die Interessen der Jugend einsetze. Er sei jemand, der „den Kopf für sie hinhält und die Probleme, die aufgrund massiver Zuwanderung entstehen, offen anspricht.“ Seine Klientel nimmt ihm diese Inszenierung ab und sieht ihn als einen der ihren, obwohl er für die von der Neonazi-Szene als „System-Kasper“ verschrieene „Bür gerbewegung“ tätig ist. Die Achtung, die man ihm entgegenbringt, mag auch den Fotos geschuldet sein, die im Wahlkampf 2009 auftauchten und ihn vor Reichskriegs- und Keltenkreuzfahnen zeigten. Zudem geriet Bruder Jonas2010 ins Visier der Ermittlungsbehörden, die die Wohnung der Familie nach Sprengstoff durchsuchten. Zeitgleich ging die Polizei auch gegen das Kameradschaft Aachener Land-Mitglied Falko Wolf vor, der am 1. Mai 2010 auf einer Demonstration in Berlin selbstgebaute Sprengkörper mit sich geführt hatte.
Weiter im Einsatz für »pro NRW«
Die genannten Radevormwalder sind weiterhin auch für pro NRW im Einsatz. So waren sie Teil einer größeren Abordnung aus dem Oberbergischen beim „Marsch für die Freiheit“ am 7. Mai 2011 in Köln. Jack Schmitz, einer der jüngeren Aktiven des Freundeskreis Rade, unterstützte pro NRW auch bei deren Marsch in Köln-Kalk im November 2011. Schmitz und Hütt halfen jüngst zu dem bei einem pro NRW-Infostand im Remscheid aus. So ist im oberbergischen Radevormwald eine Situation entstanden, die beispiellos in NRW ist. AktivistInnen einer Neonazi-Kameradschaft, die vor Ort immer wieder gewaltsam gegen vermeintliche MigrantInnen und Linke vorgeht, arbeiten eng mit pro NRW zusammen, teilweise sitzen die Neonazis sogar als Vertreter der Partei in den Ausschüssen des Stadtrats. Trotz aller verbalen Distanzierungen vom „NS-Narrensaum“ schreckt pro NRW offenbar nicht vor dieser Kumpanei zurück. Die mühsam errichtete Fassade der „demokratischen Bürgerbewegung“ ist in Radevormwald jedenfalls nicht aufrecht zu erhalten.
Der Artikel erschien in der Ausgabe 47/Frühjahr 2012 der Lotta - antifaschistische Zeitung für NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen.