Mit Nazis spielen?

Das staatsfinanzierte Projekt »Dortmund den Dortmundern«

in (20.01.2012)


Mit 300.000 Euro finanziert das Bundesprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ in den nächsten Jahren ein Modellprojekt in Dortmund, das den irritierenden Titel „Dortmund den Dortmundern – Wem gehört die Stadt?“ trägt. Die MacherInnen präsentieren ihr Projekt als innovativ: Sie wollen Neonazis daran beteiligen und bezeichnen das als „offensiven Schritt der konkreten Intervention nahe am rechtsextremen Feld“. Tatsächlich lassen sie pädagogische und politische Mindeststandards vermissen.

Dass es in Dortmund eine sehr aktive Neonazi-Szene gibt, ist bekannt. Wie deren Aktivitäten unterbunden werden können, darüber jedoch herrscht bisweilen Ratlosigkeit. Ein Modellprojekt, dessen Träger die multilateral academy ggmbh (MLA) aus Dortmund ist, behauptet nun, „einen entscheidenden neuen Schritt in der Arbeit mit rechtsextremen Jugendlichen“ gehen zu wollen. Die „Autonomen Nationalisten“ (AN) würden ein „Klima aus Angst und massiver Einschüchterung“ in der Stadt verbreiten, heißt es in dem der LOTTA vorliegenden Projektantrag. „Trotz des Vorhandenseins eines breiten Netzwerkes an Gegenaktivitäten fehlen Ansätze der unmittelbaren Intervention mit rechtsextrem orientierten Personen. Die bisherigen Gegenaktivitäten konnten deshalb den Aktivismus der Autonomen Nationalisten in Dortmund sowie ihr Gefährdungspotential nicht nennenswert beeinträchtigen.“ Ohne nähere Belege für die These zu liefern, sämtliche Gegenaktivitäten seien gescheitert, beklagen die AntragsautorInnen eine „ritualisierte Auseinandersetzung“ und eine Konzentration auf Prävention. Sie meinen sogar: „Es ist fraglich, ob reine Abgrenzungsstrategien in diesem Konflikt zielführend sind.“ Statt Abgrenzung von Neonazis also mit ihnen reden – so könnte man die Ausrichtung des Modellprojekts charakterisieren.

»Zukunftswerkstatt« mit Neonazis

Konkret hat sich das Projekt zum Ziel gesetzt, 15 AN-Kader und 15 „MitläuferInnen“ für eine mehrere Monate dauernde Arbeit zu gewinnen. Sie sollen sich gemeinsam mit 30 „demokratisch orientierten Jugendlichen“ mit der Frage auseinandersetzen: „Wie soll Dortmunds Zukunft aussehen, wessen Stadt soll es sein?“ Den Auftakt soll eine gemeinsame „Zukunftswerkstatt“ machen, der sich verschiedene „Kreativworkshops“ anschließen – schließlich hätten beide Gruppen eine „Affinität zu künstlerisch-kreativer Arbeit“. In den Kreativworkshops werde „eine Brücke“ gebaut „zur Gegenüberstellung der Meinungen u. Offenlegung der zu erwartenden Widersprüche“. Die Ergebnisse in Form von Videos, Graffitis oder Songs würden dann bei einer öffentlichen Abschlusspräsentation in Form eines „Battles“, angelehnt an den „Battle-Rap“, präsentiert. Dabei sollen die beteiligten SozialpädagogInnen dafür sorgen, dass alles vollkommen „fair (gleiche ‘Spielregeln’ für alle Beteiligten)“ ablaufe. Im Wettbewerb könnten die Neonazis als Gruppe gegen die demokratischen Jugendlichen antreten. Dabei sollen dann „durch das Ansetzen an der Freizeitgestaltung und das Aufgreifen entsprechender erlebnisorientierter Aktionsformen die Autonomen Nationalisten mit ‘ihren’ Mitteln ‘geschlagen’ werden“.

Tatsächlich bietet das Projekt gefestigten Neonazis eine Bühne, auf der sie sich in Szene setzen können; ihre Inhalte werden als „diskussionswürdig“ geadelt. Ein Blick auf ihre Internetseiten oder das Anhören eines ihrer Redebeiträge würden vollkommen genügen, um zu erkennen, wie sich Neonazis die Dortmunder Gesellschaft wünschen. Ihre zahllosen Attacken verdeutlichen, dass sie ihren Slogan „Dortmund ist unsere Stadt“ im Alltag gewaltsam gegen all jene durchsetzen, denen sie keinen Raum in der Stadt zugestehen wollen. Dem durch jahrelanges gewaltförmiges Territorialverhalten gefestigten neonazistischen Aktivistenkreis im Rahmen des Projektes einen „Battle“ (!) mit „demokratischen Jugendlichen“ in Form von Kreativwettbewerben anzubieten – das erweckt den Anschein unfreiwilliger Realsatire.

Pädagogische Standards: Fehlanzeige

Ziel des Projektes soll es sein, die Neonazi-Gruppe „als Träger von Ideologie u. Gewalt in Frage zu stellen u. so zu einer Schwächung des rechtsextremen Feldes beizutragen“. Doch kann dieses Ziel überhaupt im Rahmen eines solchen sozialpädagogischen Projektes erreicht werden?

Die Projekt-MacherInnen behaupten, auf den Erfahrungen der akzeptierenden Jugendarbeit und der ausstiegsorientierten Arbeit aufzubauen. Doch zeigen die Planungen, dass scheinbar keinerlei Wissen über sozial-pädagogische Arbeit mit rechten Jugendlichen vorhanden ist. Die akzeptierende Jugendsozialarbeit setzt an der sozialen Realität von MitläuferInnen an, denen als Persönlichkeit mit Akzeptanz begegnet werden soll, auch wenn ihre extrem rechte Ideologie abgelehnt wird. Kümmere man sich erst einmal um die Alltagsprobleme rechter Jugendlicher, so lasse sich auch ihre ideologische Orientierung aufbrechen, lautet die Annahme. Dieses Konzept, das zumindest einen langen, intensiven persönlichen Kontakt voraussetzt, ist in der Praxis oftmals gescheitert. Vor allem aber wendet es sich an MitläuferInnen. Dass das Dortmunder Modellprojekt explizit die Integration von Kadern fordert, ist wohl einzigartig. Sämtliche ExpertInnen im pädagogischen Bereich, die aus einer langjährigen Erfahrung schöpfen, halten dies für kontraproduktiv. Neonazistische Kader sind mit pädagogischen Programmen nicht mehr erreichbar; sie suchen nicht nach Orientierung, sondern sind ideologisch gefestigt, und das gilt natürlich auch für die Dortmunder Neonazis. Studien zu Ausstiegsszenarien aktiver Neonazi-Kader belegen, dass tiefer greifende Motive und Brüche vorhanden sein müssen als ein pädagogisches Projekt. In den Plänen für „Dortmund den Dortmundern“ agieren die Neonazis zudem als geschlossene Gruppe. Die Einbeziehung von Kadern dürfte dabei zu einer Verstärkung der Gruppenidentität und zu hohem Gruppen- und Konformitätsdruck führen.

In dem Projekt soll angeblich „konfrontativ“ vorgegangen werden. Wie aber soll eine entsprechende Irritation erreicht werden – etwa durch die Präsentation einer demokratischen Zukunftsvision? Eine solche kennen Neonazis zur Genüge und lehnen sie ab. Sie sollen praktisch erleben, dass ihre rassistischen Einstellungen Vorurteile sind? Im Rahmen des Projektes wird in zwei Gruppen gearbeitet, die im „fairen“ Konkurrenzkampf um den Sieg „batteln“. Bestandteil des Projekts ist eine Situation des Gegeneinanders. Ein „Miteinander“ wie im Rahmen des Projektes erleben viele „Autonome Nationalisten“ individuell, beispielsweise in der Schule. Wenn schon diese Situation nicht zu einer Irritation führt, warum sollte eine solche dann im Rahmen des Projektes entstehen, in dem die Neonazis als Gruppe auftreten und sich absehbar gegenseitig bestärken?

Zu fragen ist zudem: Was wird aus dem Projekt, wenn die AN ihre Vision in gut geschnittenen Videoclips in Szene setzen? Was, wenn die „demokratischen Jugendlichen“ in dem „Battle“ die Lust verlieren? Oder ge-winnt am Ende, unabhängig von handwerklicher Qualität, derjenige Beitrag, der demokratischer ist? Kein Gedanke wurde offenbar an die Situation der demokratischen Jugendlichen verschwendet. Wie kann man es Jugendlichen und jungen Erwachsenen pädagogisch zumuten, in einem Projekt mit organisierten, ideologisch gefestigten und gewalttätigen Neonazis zu kooperieren? Und: Welche Botschaft vermittelt das entpolitisierte Projektangebot an neonazistische Gewalttäter deren Opfern?

»Im Themenfeld bisher nicht tätig gewesen«

„Der Projektträger ist in dem Themenfeld bisher nicht tätig gewesen“, heißt es im Projektantrag. Die multilateral academy ggmbh (MLA) und ihr Geschäftsführer Benedikt Stumpf gestehen ein, über wenig Fachwissen und keine Erfahrung zu verfügen. Dass ihr Antrag von Kristina Schröders Bundesfamilienministerium bewilligt worden ist, weckt erhebliche Zweifel an den Qualitätskriterien des Fördermittelgebers. Die Bewilligung mag damit zusammenhängen, dass sich die MLA mit Kooperationspartnern umgibt. So soll das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) unter Leitung von Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer das Modellprojekt wissenschaftlich begleiten. Auch die Stadt Dortmund ist durch ihr Jugendamt involviert. Heitmeyers Institut erstellte vor zwei Jahren im Auftrag der Stadt eine Studie zu „Analysen und Handlungsvorschlägen zum Rechtsextremismus in Dortmund“ (vgl. LOTTA #39). Die Studie bemängelte, dass Ansätze der „unmittelbaren Auseinandersetzung und Intervention mit rechtsextrem orientierten Personen“ fehlten; „Rechtsextremisten und ihre Gegner“ agierten zumeist „mit wenig Berührung“. Dies soll nun offenbar geändert werden – auf dem denkbar schlechtesten Wege.

 

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe # 46 (Winter 2010/2011) der antifaschistischen Zeitschrift LOTTA.