Eine kritische Kurzbetrachtung
Verursacht durch die Finanz- und Wirtschaftskrise werden Mechanismen
des Staates und seine möglichen Regularien kritisch geprüft und
teilweise erneuert oder neu geschaffen. Das ist aus meiner Sicht nur
ein erster Beginn, aber immerhin ein Beginn. Im Zusammenhang mit diesen
Maßnahmen lohnt es sich, einen Blick auf unseren Rechtsstaat zu werfen.
Hier liegt vieles im Argen. Ein paar Zahlen sollen die Problematik
skizzieren: Im November 2007 gab es 6.636 geltende Gesetze. Die Gesetze
, Vorschriften, Satzungen in den Bundesländern und Kommunen nicht
mitgezählt. In jeder Legislaturperiode des Bundestages kommen über 500
Gesetze dazu. Und dies seit Gründung der Republik. Wir Juristen wissen,
was damit verbunden ist! Neue Kommentare, neue Rechtsprechung(en), neue
Verwaltungsvorschriften, neue wissenschaftliche Schriften, sondern
leider auch mehr und mehr unwissende Politiker, die über Dinge und
Problemstellungen reden und entscheiden, die ihnen von anderen
vorgetragen werden. Die sie zwar selber nicht verstehen, sich aber
dabei auf die Fachkompetenz der Kollegen „verlassen“. Die Politiker
setzen politische Interessen, formuliert durch Gesetze, in Kraft und
wissen oft nicht, was sie tun. Das für alle offensichtlichste Beispiel
sind die Harz IV Regelungen. Gesetzestexte und Auslegungen aus dem
Jahre 2008 sind im Jahre 2009 völlig überholt. Neue Regelungen traten
in Kraft. Die Folge: überforderte Mitarbeiter in den JobCentern und
Agenturen für Arbeit. Fehlentscheidungen, Zunahme der Klagenden vor den
Arbeits- und Sozialgerichten. Die Leidtragenden sind die Arbeit
suchenden Bürgerinnen und Bürger. Von den oft überforderten Juristen,
Richtern, Rechtsanwälten und Justitiaren ganz zu schweigen. Ebenso ist
z.B. das gesamte Steuerecht ein Recht nur für Spezialisten, neben den
Gesetzen, gelten 80.000 weitere Vorschriften. Hinzu kommt, wie im
Berliner Anwaltsblatt 3/2008 S. 67, veröffentlicht, von 698 in der
Großen Koalition erlassenen Gesetzen, nur in der Zeit von 2005 bis
2007, verursachten 76% der Gesetze mehr Bürokratiekosten, 58% der
Gesetze müssen nach kurzer Zeit wieder geändert werden, 58% der Gesetze
erfordern noch mehr Regeln, 50% sind sprachlich unverständlich und 24 %
Verweisungen auf andere Gesetze, sind überkomplex und unüberschaubar.
Welcher Anwalt kann da noch mit großer Sicherheit seinem Mandanten erklären, wir werden in kurzer Zeit Recht erhalten?
Wer weiß schon, dass im Jahr 2007 1.263.012 neue Klagen bei den AGs der Bundesrepublik anhängig gemacht wurden. Bei den Landgerichten waren es in der I. Instanz 373.331. Dazu kamen 60.560 Berufungen und bei den OLGs 54.516. Beim BGH waren über 3400 Revisionen von Zivilverfahren in Bearbeitung.
2007 gab es über 565.780 Familien- über 454.000 Arbeitsgerichtsverfahren sowie über 308.000 Verfahren vor den Sozialgerichten. In den Jahren 2005 (andere Zahlen z. Zt. noch nicht veröffentlichet, d. A.) wurden 154.317 Verfahren von den Verwaltungsgerichten, über 82.400 Verfahren vor den Finanzgerichten verhandelt. Hinzu gezählt noch die Berufungen der jeweiligen II. Instanz, ca. 75.000 Verfahren. 2.827 Verfahren wurden vom Bundesverfassungsgericht verhandelt. Noch nicht gerechnet, die in 2007 durchgeführten 918.012 Straf- und über 390.800 Bußgeldverfahren.
Nur grob überschlagen ergibt das pro Jahr über 4 Millionen Verfahren, Sitzungstermine und Entscheidungen. Die menschlichen Tragödien oder Geschichten, die sich hinter den Zahlen verbergen, lasse ich bewusst außen vor; obwohl die Menschen , die streitenden Parteien, vom Richter, dem Gericht, eine Rechtsprechung erwarten. Die Parteien erhalten eine Entscheidung, eines Richters.
Und das Schärfste bei meiner Summierung kommt noch: Im Jahr 2007 wurden ca. 6 Millionen Strafanzeigen gestellt. Und das ohne Verkehrs- und Staatsschutzdelikte. Überraschender Weise stehen diesen Zahlen auch ebenso große Zahlen von Erledigungen gegenüber. Aber die Zahlen werden nicht kleiner. Sie sind über die Jahre hinweg statistisch stabil.
Wer hat diese Arbeitslast zu tragen? Natürlich zuerst die Richterinnen und Richter nebst Justizapparat. 2007 gab es 20.138 Richter, die an 1.129 Gerichten tätig waren. Über 4 Millionen Verfahren aller Art, über 6 Millionen Strafanzeigen und über 900.000 Strafverfahren sind von diesen pro Jahr zu bearbeiten. Dazu die Bemerkungen: Richterinnen und Richter sind auch nur Menschen - so wie wir - mit allen subjektiven Stärken und Schwächen, mit Krankheiten, Urlaubsansprüchen, Weiterbildungsverpflichtungen, Verwaltungsaufgaben und mit vielem mehr belastet. Wieviel Zeit haben Sie für einen Fall?
Und bei solch einem Arbeitsdruck sind rechtsfortbildende, rechtssichere Entscheidungen m.E. nicht immer zu erwarten. Hinzu kommt die unterschiedliche Arbeitsweise der Richterinnen und Richter bei den Sozial- und Verwaltungsgerichten wird von Amtswegen ermittelt, geprüft und nachgefragt, im Unterschied zu den Arbeits-, Straf- und Zivilgerichten. Die Ermittlungspflicht von Amts wegen, halte ich für gut.
Das bei den zu beendenden Verfahren im Arbeits- und Zivilrecht ein Vergleich im Vordergrund steht, ist zumindest den beteiligten Juristen klar. Sonst wäre die Arbeit nicht zu schaffen. Lieber eine halbe Stunde mit den Beteiligten vor Gericht „verhandeln“, als Entscheidungen treffen. Entscheidungen müssen begründet werden und können durch eine nächste Instanz überprüft werden Diese Verfahrensweise ist für die auftretenden Rechtsanwälte Alltag aber für die oft anwesende Parteien nicht verständlich. Sie wollen „Recht“ und keinen Vergleich.
Pro Jahr gibt es 7.000.000 Bußgeld- und Strafverfahren nebst Strafanzeigen (ohne Staatsschutz) und diese wurden 2007 von 5.083 Staatsanwältinnen und Staatsanwälten bearbeitet. Eine wahnsinnige Arbeitsbelastung. Darüber hinaus sind die Staatsanwälte auch noch Dienstanweisungen unterworfen. Also sind sie nicht so unabhängig, wie die Richterinnen und Richter. Und wir vergessen oft, dass sie außerdem die Ermittlungsarbeit der Kriminalpolizei begleiten und beeinflussen.
Die Arbeitslast wird dadurch nicht wesentlich gemindert, dass Referendare den Amtsanwältinnen und Amtsanwälten, Richterinnen und Richtern und den Staatsanwaltschaften zu Seite stehen. Die Verantwortung trägt natürlich immer der Richter oder der Staatsanwalt und die kann er nur wahrnehmen, wenn er sich auch mit dem Fall beschäftigt. Bei den statistischen Zahlenangaben, kann man daran nicht glauben. Hinzu und nicht vergessen werden darf, ist der Verwaltungsapparat mit tausenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Diese müssen geschult und angeleitet werden. Diese Mitarbeiter haben Urlaubsansprüche, werden krank und anderes mehr. Die Aktenberge werden aber nicht kleiner. Richter und Staatsanwälte sind so gut, wie ihre Geschäftstellen arbeiten.
Den Gerichten und Staatsanwälten stehen über 150.000 Rechtsanwälte gegenüber und warten auf Mandanten, ihren „Geldgebern“. Der Konkurrenz-, Spezialisierungs- und der Erwartungsdruck ist groß. Die potentiellen Mandanten werden immer mehr verwirrt, durch Gerichtsshows, amerikanische Gerichtsfilme sowie Polizeirufe, Tatorte und kurzweilige Vorabendsendungen zu „spannenden Kriminalfällen“, die in der Mehrzahl alle lebensfremd sind und unser Land als eine Hochburg von Räubern und Mördern erscheinen lassen.
Die Sinne der Mandanten für Gerichtsrealitäten, Gerechtigkeit und Gerichtsentscheidungen werden getrübt durch subjektive, fehlerbehaftete oder sehr vereinfachte Berichterstattungen durch Zeitungen und Fernsehen.
Ein weiteres Lieblingsfeld bei den Anwälten sind die Gebühren. „Der Anwalt hat doch gar nichts gemacht, nur einen Brief geschrieben“ usw., füllt Abende und Beschwerdeakten bei den Anwaltskammern. Jeder Anwalt unterliegt dem Druck, sich möglichst gut darzustellen. Da geht schon mal ein Stück Kollegialität verloren. Weniger Sachlichkeit, dafür mehr Show für den Mandanten. Bösartige Schriftsätze, Unterstellungen und versteckte Drohungen, erfreuen das Herz mancher Mandanten, dienen in der Sache herzlich wenig. Das Gericht wird es schon richten. Mit geringen Gebührensätzen kann ein Rechtsanwalt aber nicht leben, sich fortbilden, ordentliche Gehälter, Mieten, Bücher, Gebühren und Software zahlen.
Die jetzigen Gebührenregelungen sind für Mandanten aber auch z.B. für mich, nicht einfach, übersichtlich und nachvollziehbar.
Das war bisher nur eine sehr verkürzte Aufzählung von Daten und Problemdarstellungen, die aber in der Gesamtheit nicht nur für mich erschreckend sind. Ich habe bisher nur meine „Sicht“ gesehen. Mir wird aber bei der Betrachtung der Zahlen, die alle Veröffentlichungen des BMJ und im Internet abrufbar sind, klar, dass man so den Anforderungen an eine ausgewogene, an den Interessen der Bürgerinnen und Bürger orientierte und von der Gesetzlichkeit gewollten Gesetzgebung und Rechtsprechung nicht gerecht werden kann.
Der Rechtsstaat ist aus meiner Sicht schlecht gerüstet, um den Anliegen der Bürger und Bürgerinnen, entsprechen zu können. Besetzte Planstellen bei den Gerichten sagen nichts zur Qualität der Rechtssprechung aus. Am Beispiel der Bankenkrise wird deutlich, wie die Betroffenen zusehen müssen, wie Gelder verschwinden, der Staat die Banken rettet aber der einfache Bürger mit seinen Verlusten auf der Strecke bleibt. Der Staat sollte doch die Bürgerinnen und Bürger schützen. Mit der Fiktion des „erwachsenen Bürgers“, der schon weiß was er tut und erwachsen ist, wenn er z.B. ein Bankgeschäft abschließt, exculpiert sich der Staat. Und die Gerichte machen mit. Entscheidungen werden auf der Grundlage von Formalien, deren Einhaltung oder deren Verstoß, das Maß aller Dinge sind, getroffen.
Wer liest denn und versteht denn schon Fondverträge? Banken sollen Geld verwalten und möglichst vermehren. Tun sie es nicht, wird der Bürger zur Kasse gebeten. Das Finanzamt, als Organ des Staates, interessiert das Innenverhältnis nicht. Bürger zahle deine Steuerschulden, egal wo das Geld geblieben ist. Der Bürger erwartet auch Schutz von den Gerichten
Weder die Gerichte noch die Staatsanwaltschaften und auch nicht die Rechtsanwälte sind unter den jetzigen Bedingungen in der Lage, Ansprüchen an eine moderne Justiz, Rechtsprechung und ein modernes Rechtswesen, zu erfüllen. Punktuelle Erfolge sind zu wenig. Oft hinken wir den Entwicklungen hinterher.
Im Mittelpunkt der Betrachtungsweise aller rechtlichen Prozesse (egal ob Gericht oder Gesetz) muss der Bürger stehen und nicht die Verwaltung von Rechtsstreitigkeiten. Die Bürgerinnen und Bürger müssen wissen, was sie erwartet oder was sie zu erwarten haben. Und sie erwarten auch Schutz vor Betrügern, Spekulanten, Straftätern aller Art. Dazu Bedarf es aber gesellschaftlicher Anstrengungen. Ein Rechtsbewusstsein muss entwickelt werden. Man darf das nicht einer bildhaften Zeitung überlassen. Der Staat muss sich auch als „Beschützer“ seiner Bürger verstehen.
Gerichte und Staatsanwaltschaften müssen personell und materiell ausgerüstet werden, um den Anforderungen gerecht werden zu können. Straftäter z.B. müssen wissen, dass die Gerechtigkeit schnell ihren Lauf nimmt. Die streitenden Parteien müssen sich darauf verlassen können, dass auch Recht gesprochen wird. „Im Namen des Volkes“ verkommt zur Worthülse. Die Amts-, Land- und Oberlandesgerichte mit jeweils anderen Entscheidungen und Urteilen in der gleichen Sache oder dann, die durch den BGH oder das BVG ergangen Entscheidungen, laufen alle gemeinsam unter dieser Formel. Wer spricht denn nun wirklich im „Namen des Volkes“. Amtsrichter Adam oder der BGH?
Eine schon lange gewünschte Entbürokratisierung, muss auch konsequent begonnen werden. Und Politiker müssen verstehen, dass das Recht, die Gesetze und Rechtsprechung, nicht nur eine Sache der Gerichte und der Organe der Rechtspflege oder das von Sachverständigen ist. Der Ausgangspunkt allen Rechts war oder ist, ein parlamentarisches Votum. Sorgfalt und Bedacht, sollten Lobbyismus und Fraktionszwang vorgehen, denn der Endpunkt aller Betrachtungen, der Maßstab von Gesetzen und Regelungen, Rechtsprechung und Strafverfolgung, sind die Bürgerinnen und Bürger des Staates.
Dr. Andreas Henselmann
Rechtsanwalt, Berlin
Welcher Anwalt kann da noch mit großer Sicherheit seinem Mandanten erklären, wir werden in kurzer Zeit Recht erhalten?
Wer weiß schon, dass im Jahr 2007 1.263.012 neue Klagen bei den AGs der Bundesrepublik anhängig gemacht wurden. Bei den Landgerichten waren es in der I. Instanz 373.331. Dazu kamen 60.560 Berufungen und bei den OLGs 54.516. Beim BGH waren über 3400 Revisionen von Zivilverfahren in Bearbeitung.
2007 gab es über 565.780 Familien- über 454.000 Arbeitsgerichtsverfahren sowie über 308.000 Verfahren vor den Sozialgerichten. In den Jahren 2005 (andere Zahlen z. Zt. noch nicht veröffentlichet, d. A.) wurden 154.317 Verfahren von den Verwaltungsgerichten, über 82.400 Verfahren vor den Finanzgerichten verhandelt. Hinzu gezählt noch die Berufungen der jeweiligen II. Instanz, ca. 75.000 Verfahren. 2.827 Verfahren wurden vom Bundesverfassungsgericht verhandelt. Noch nicht gerechnet, die in 2007 durchgeführten 918.012 Straf- und über 390.800 Bußgeldverfahren.
Nur grob überschlagen ergibt das pro Jahr über 4 Millionen Verfahren, Sitzungstermine und Entscheidungen. Die menschlichen Tragödien oder Geschichten, die sich hinter den Zahlen verbergen, lasse ich bewusst außen vor; obwohl die Menschen , die streitenden Parteien, vom Richter, dem Gericht, eine Rechtsprechung erwarten. Die Parteien erhalten eine Entscheidung, eines Richters.
Und das Schärfste bei meiner Summierung kommt noch: Im Jahr 2007 wurden ca. 6 Millionen Strafanzeigen gestellt. Und das ohne Verkehrs- und Staatsschutzdelikte. Überraschender Weise stehen diesen Zahlen auch ebenso große Zahlen von Erledigungen gegenüber. Aber die Zahlen werden nicht kleiner. Sie sind über die Jahre hinweg statistisch stabil.
Wer hat diese Arbeitslast zu tragen? Natürlich zuerst die Richterinnen und Richter nebst Justizapparat. 2007 gab es 20.138 Richter, die an 1.129 Gerichten tätig waren. Über 4 Millionen Verfahren aller Art, über 6 Millionen Strafanzeigen und über 900.000 Strafverfahren sind von diesen pro Jahr zu bearbeiten. Dazu die Bemerkungen: Richterinnen und Richter sind auch nur Menschen - so wie wir - mit allen subjektiven Stärken und Schwächen, mit Krankheiten, Urlaubsansprüchen, Weiterbildungsverpflichtungen, Verwaltungsaufgaben und mit vielem mehr belastet. Wieviel Zeit haben Sie für einen Fall?
Und bei solch einem Arbeitsdruck sind rechtsfortbildende, rechtssichere Entscheidungen m.E. nicht immer zu erwarten. Hinzu kommt die unterschiedliche Arbeitsweise der Richterinnen und Richter bei den Sozial- und Verwaltungsgerichten wird von Amtswegen ermittelt, geprüft und nachgefragt, im Unterschied zu den Arbeits-, Straf- und Zivilgerichten. Die Ermittlungspflicht von Amts wegen, halte ich für gut.
Das bei den zu beendenden Verfahren im Arbeits- und Zivilrecht ein Vergleich im Vordergrund steht, ist zumindest den beteiligten Juristen klar. Sonst wäre die Arbeit nicht zu schaffen. Lieber eine halbe Stunde mit den Beteiligten vor Gericht „verhandeln“, als Entscheidungen treffen. Entscheidungen müssen begründet werden und können durch eine nächste Instanz überprüft werden Diese Verfahrensweise ist für die auftretenden Rechtsanwälte Alltag aber für die oft anwesende Parteien nicht verständlich. Sie wollen „Recht“ und keinen Vergleich.
Pro Jahr gibt es 7.000.000 Bußgeld- und Strafverfahren nebst Strafanzeigen (ohne Staatsschutz) und diese wurden 2007 von 5.083 Staatsanwältinnen und Staatsanwälten bearbeitet. Eine wahnsinnige Arbeitsbelastung. Darüber hinaus sind die Staatsanwälte auch noch Dienstanweisungen unterworfen. Also sind sie nicht so unabhängig, wie die Richterinnen und Richter. Und wir vergessen oft, dass sie außerdem die Ermittlungsarbeit der Kriminalpolizei begleiten und beeinflussen.
Die Arbeitslast wird dadurch nicht wesentlich gemindert, dass Referendare den Amtsanwältinnen und Amtsanwälten, Richterinnen und Richtern und den Staatsanwaltschaften zu Seite stehen. Die Verantwortung trägt natürlich immer der Richter oder der Staatsanwalt und die kann er nur wahrnehmen, wenn er sich auch mit dem Fall beschäftigt. Bei den statistischen Zahlenangaben, kann man daran nicht glauben. Hinzu und nicht vergessen werden darf, ist der Verwaltungsapparat mit tausenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Diese müssen geschult und angeleitet werden. Diese Mitarbeiter haben Urlaubsansprüche, werden krank und anderes mehr. Die Aktenberge werden aber nicht kleiner. Richter und Staatsanwälte sind so gut, wie ihre Geschäftstellen arbeiten.
Den Gerichten und Staatsanwälten stehen über 150.000 Rechtsanwälte gegenüber und warten auf Mandanten, ihren „Geldgebern“. Der Konkurrenz-, Spezialisierungs- und der Erwartungsdruck ist groß. Die potentiellen Mandanten werden immer mehr verwirrt, durch Gerichtsshows, amerikanische Gerichtsfilme sowie Polizeirufe, Tatorte und kurzweilige Vorabendsendungen zu „spannenden Kriminalfällen“, die in der Mehrzahl alle lebensfremd sind und unser Land als eine Hochburg von Räubern und Mördern erscheinen lassen.
Die Sinne der Mandanten für Gerichtsrealitäten, Gerechtigkeit und Gerichtsentscheidungen werden getrübt durch subjektive, fehlerbehaftete oder sehr vereinfachte Berichterstattungen durch Zeitungen und Fernsehen.
Ein weiteres Lieblingsfeld bei den Anwälten sind die Gebühren. „Der Anwalt hat doch gar nichts gemacht, nur einen Brief geschrieben“ usw., füllt Abende und Beschwerdeakten bei den Anwaltskammern. Jeder Anwalt unterliegt dem Druck, sich möglichst gut darzustellen. Da geht schon mal ein Stück Kollegialität verloren. Weniger Sachlichkeit, dafür mehr Show für den Mandanten. Bösartige Schriftsätze, Unterstellungen und versteckte Drohungen, erfreuen das Herz mancher Mandanten, dienen in der Sache herzlich wenig. Das Gericht wird es schon richten. Mit geringen Gebührensätzen kann ein Rechtsanwalt aber nicht leben, sich fortbilden, ordentliche Gehälter, Mieten, Bücher, Gebühren und Software zahlen.
Die jetzigen Gebührenregelungen sind für Mandanten aber auch z.B. für mich, nicht einfach, übersichtlich und nachvollziehbar.
Das war bisher nur eine sehr verkürzte Aufzählung von Daten und Problemdarstellungen, die aber in der Gesamtheit nicht nur für mich erschreckend sind. Ich habe bisher nur meine „Sicht“ gesehen. Mir wird aber bei der Betrachtung der Zahlen, die alle Veröffentlichungen des BMJ und im Internet abrufbar sind, klar, dass man so den Anforderungen an eine ausgewogene, an den Interessen der Bürgerinnen und Bürger orientierte und von der Gesetzlichkeit gewollten Gesetzgebung und Rechtsprechung nicht gerecht werden kann.
Der Rechtsstaat ist aus meiner Sicht schlecht gerüstet, um den Anliegen der Bürger und Bürgerinnen, entsprechen zu können. Besetzte Planstellen bei den Gerichten sagen nichts zur Qualität der Rechtssprechung aus. Am Beispiel der Bankenkrise wird deutlich, wie die Betroffenen zusehen müssen, wie Gelder verschwinden, der Staat die Banken rettet aber der einfache Bürger mit seinen Verlusten auf der Strecke bleibt. Der Staat sollte doch die Bürgerinnen und Bürger schützen. Mit der Fiktion des „erwachsenen Bürgers“, der schon weiß was er tut und erwachsen ist, wenn er z.B. ein Bankgeschäft abschließt, exculpiert sich der Staat. Und die Gerichte machen mit. Entscheidungen werden auf der Grundlage von Formalien, deren Einhaltung oder deren Verstoß, das Maß aller Dinge sind, getroffen.
Wer liest denn und versteht denn schon Fondverträge? Banken sollen Geld verwalten und möglichst vermehren. Tun sie es nicht, wird der Bürger zur Kasse gebeten. Das Finanzamt, als Organ des Staates, interessiert das Innenverhältnis nicht. Bürger zahle deine Steuerschulden, egal wo das Geld geblieben ist. Der Bürger erwartet auch Schutz von den Gerichten
Weder die Gerichte noch die Staatsanwaltschaften und auch nicht die Rechtsanwälte sind unter den jetzigen Bedingungen in der Lage, Ansprüchen an eine moderne Justiz, Rechtsprechung und ein modernes Rechtswesen, zu erfüllen. Punktuelle Erfolge sind zu wenig. Oft hinken wir den Entwicklungen hinterher.
Im Mittelpunkt der Betrachtungsweise aller rechtlichen Prozesse (egal ob Gericht oder Gesetz) muss der Bürger stehen und nicht die Verwaltung von Rechtsstreitigkeiten. Die Bürgerinnen und Bürger müssen wissen, was sie erwartet oder was sie zu erwarten haben. Und sie erwarten auch Schutz vor Betrügern, Spekulanten, Straftätern aller Art. Dazu Bedarf es aber gesellschaftlicher Anstrengungen. Ein Rechtsbewusstsein muss entwickelt werden. Man darf das nicht einer bildhaften Zeitung überlassen. Der Staat muss sich auch als „Beschützer“ seiner Bürger verstehen.
Gerichte und Staatsanwaltschaften müssen personell und materiell ausgerüstet werden, um den Anforderungen gerecht werden zu können. Straftäter z.B. müssen wissen, dass die Gerechtigkeit schnell ihren Lauf nimmt. Die streitenden Parteien müssen sich darauf verlassen können, dass auch Recht gesprochen wird. „Im Namen des Volkes“ verkommt zur Worthülse. Die Amts-, Land- und Oberlandesgerichte mit jeweils anderen Entscheidungen und Urteilen in der gleichen Sache oder dann, die durch den BGH oder das BVG ergangen Entscheidungen, laufen alle gemeinsam unter dieser Formel. Wer spricht denn nun wirklich im „Namen des Volkes“. Amtsrichter Adam oder der BGH?
Eine schon lange gewünschte Entbürokratisierung, muss auch konsequent begonnen werden. Und Politiker müssen verstehen, dass das Recht, die Gesetze und Rechtsprechung, nicht nur eine Sache der Gerichte und der Organe der Rechtspflege oder das von Sachverständigen ist. Der Ausgangspunkt allen Rechts war oder ist, ein parlamentarisches Votum. Sorgfalt und Bedacht, sollten Lobbyismus und Fraktionszwang vorgehen, denn der Endpunkt aller Betrachtungen, der Maßstab von Gesetzen und Regelungen, Rechtsprechung und Strafverfolgung, sind die Bürgerinnen und Bürger des Staates.
Dr. Andreas Henselmann
Rechtsanwalt, Berlin