Obamas Präsidentschaft wird den Niedergang der USA nicht verhindern
Spricht man über einen möglichen Sieg Barack Obamas bei den Präsidentschaftswahlen im November, muss man zuerst einmal verstehen, dass die US-Gesellschaft gekennzeichnet ist durch eine fundamentale Krise der Republikanischen Partei Der Irakkrieg bildete die Klammer um ein politisches Bündnis äußerst heterogener und widersprüchlicher sozialer Kräfte. Als Folge der grundsätzlichen Dialektik kriegerischer Politik, die zunächst innere Einheit befördert und im Falle ihres Scheiterns desintegrierend wirkt, machen sich in den USA Spaltungslinien bemerkbar.
Diese verlaufen zwischen den transnational-freihandelsimperialistisch orientierten Kapitalfraktionen, dem militärisch-industriellen Komplex, der Ölwirtschaft und einer subalternen Massenbasis, bestehend aus christlichen FundamentalistInnen, rechtslibertären AntietatistInnen und Paläokonservativen (mit teilweise widersprüchlichen kleinbürgerlich-globalisierungskritischen Weltsichten).
Doch die Krise des US-Konservatismus geht über die Krise der kurzfristigen Integrationskraft der Republikanischen Partei, die sich v.a. im Scheitern der Mobilisierung ihrer subalternen Einzelteile zur Wahl äußern dürfte, hinaus. Sie erweist sich mehr und mehr als eine Hegemoniekrise des (Neo-)Konservatismus insgesamt, in der zentrale Bausteine seines geronnenen Blocks an der Macht in Bewegung geraten.
Das gilt besonders für die christlich-fundamentalistische Bewegung, die ein Viertel der US-Wählerschaft stellt und zentraler Baustein der subalternen Massenbasis der fast 40 Jahre währenden (neo-)konservativ-republikanischen Hegemonie gewesen ist. Diese Bewegung löst sich zunehmend anhand der sozialen und ökologischen Frage aus der Umklammerung durch die politische Rechte und könnte so zum Gegenstand hegemonialer Neukonfigurierungen werden.
Im Kontext der Finanzkrise und drohenden Rezession, die das Hauptthema des Wahlkampfes geworden ist (2004 waren es noch "die Werte" und an zweiter Stelle der Irakkrieg), sind die USA von einer eindrucksvollen Wendestimmung gekennzeichnet. Im Juni hat der New-York-Times-Kolumnist Paul Krugman diese mit der Stimmung vor der Wahl Reagans 1980 und Clintons 1992 verglichen. So sind einer NYT-Umfrage vom April 2008 zufolge bemerkenswerte 81% der chronisch optimistischen AmerikanerInnen davon überzeugt, dass sich das Land "auf falschem Kurs" befinde.
Fundamentale Krise der Republikanischen Partei
Die herbeigesehnte Wende in der seit zwei Dekaden faktisch von Dynastien regierten liberalen US-Demokratie, der mit Hillary Clinton noch vier oder acht weitere Jahre hätten folgen können, verkörpert auf Grund seines Anti-Establishment-Charismas niemand besser als der designierte demokratische Präsidentschaftskandidat Barack Obama. Seine fast messianische Glaubwürdigkeit speist sich dabei aus seiner antilobbyistischen Rhetorik, seiner vermeintlichen Distanz zu den Bushs und Clintons und nicht zuletzt aus seiner Hautfarbe und Biografie. Krugman hat deshalb die Frage aufgeworfen, ob Obama ein "Ronald Reagan der Linken" werden könnte, also jemand, der - anders als Bill Clinton seinerzeit - der Stimmung einen wirklichen Kurswechsel folgen lässt. Im Kontext der tiefen ökonomischen, politischen und kulturellen Krise, die eine charismatische Herrschaft und eine Dominanz des Politischen über das Ökonomische begünstigt, sind einige Bedingungen für einen solchen gegeben.
Dieser hängt auch vom spezifischen politischen Projekt des handelnden Akteurs, in diesem Fall Obama, ab. Sein Projekt ist in den Grundzügen erkennbar geworden. Um es zu analysieren, muss man Obamas konzeptiv-ideologisches Umfeld kennen, d.h. in erster Linie seinen Beraterstab und die Frage von Nähe und Distanz zum inneren Machtzirkel der Demokraten, einer Organisierung namens "Democratic Leadership Council" (DLC).
Als in den späten 1990er Jahren noch elf der 15 damaligen EU-Staaten sozialdemokratisch regiert wurden, waren die Hoffnungen auf eine neokeynesianische Wende in der Linken groß. Vielleicht hätte ein Blick in die Vereinigten Staaten diese Euphorie trüben können, denn dort hatten "New Labour" und die "Neue Mitte" vor dem Hintergrund der spezifischen Bedingungen des US-Finanzmarktkapitalismus mit den "New Democrats" eine Art Vorläufer. So war nach der ersten Phase des Neoliberalismus unter konservativer Ägide 1992 der Demokrat Clinton mit einem sozialpopularen Wahlkampf ins Amt gewählt worden und hatte die USA einem harten neoliberalen "Reformkurs" und Sozialabbau unterworfen.
Konzeptiv-ideologischer Urheber dieses Projekts war die erst 1985 gegründete DLC, deren Vorsitzender Clinton einst gewesen war und die unter dem Stichwort "Neue Demokraten" Abstand nahm von der keynesianischen, wirtschaftspolitischen und der verhalten klassenkämpferischen, politisch-strategischen Orientierung der alten Demokratischen Partei.
Der Wendestimmung wird kein Kurswechsel folgen
Politisch hatte man die Vorstellung, dass man die seit dem Zusammenbruch der New-Deal-Koalition 1964/68 währende republikanische Vorherrschaft nur durch eine stetige Rechtsentwicklung, Zentrismus genannt, würde herausfordern können. Dabei verließ man sich machtpolitisch blind auf die gegenleistungslose Unterstützung der sich seit 1975 organisatorisch im freien Fall befindlichen Gewerkschaftsbewegung und war bestrebt, die kapitalistische Klasse als Wahlkampffinancier in einem zunehmend kostspieligen Wahlkampf nicht zu verprellen.
Wirtschaftspolitisch orientierte man sich an einer neoliberalen Politik des ausgeglichenen Staatshaushalts (und tatsächlich wurde der Staatshaushalt ausgeglichen), erreichte dieses "Ziel" jedoch nur durch den auf Sand gebauten New-Economy-Boom sowie die weitgehende Zerstörung der Arbeitslosenversicherung und ihre Ersetzung durch ein Hartz IV nicht unähnliches System der Zwangsarbeit. Die daraus folgende Repräsentationskrise der organisierten und unorganisierten Arbeiterschaft, die mehr und mehr zur "Nichtwählerpartei" überging, nahm man dabei billigend in Kauf und hoffte, die am linken unteren Rand verloren gegangenen Stimmen in der oberen Mitte zurückzugewinnen. Diese Hoffnung ging vor dem Hintergrund einer (Lumpen-)Proletarisierung der Republikanischen Partei (durch die rechtsextremen Teile der unorganisierten weißen Arbeiterklasse) nicht auf und die Abwahl Clintons wurde 1996 allein durch die politische Spaltung des rechten Lagers auf Grund der Kandidatur eines Rechtsaußenkandidaten und durch den New-Economy-Boom, der Vorgängerspekulationsblase der Immobilienmarktblase, knapp verhindert.
Die entscheidende Frage für eine wirkliche Wende in der US-Politik ist somit, ob Obama eher für einen Bruch oder eine Kontinuität mit dieser Tradition steht? Dabei bemisst sich ein Bruch an der gewaltigen Aufgabe der Abwehr des relativen Niedergangs der USA, die auf einen neuen "New Deal", d.h. ein umfassendes öffentliches Investitions- und Beschäftigungsprogramm hinauslaufen würde.
Die Zeichen deuten jedoch sowohl innen- als auch außenpolitisch überwiegend auf Kontinuität hin. Um das zu zeigen, konzentriere ich mich im Folgenden auf die sowohl in den USA als auch in Europa kaum diskutierte obamasche Innenpolitik. Es ist grundsätzlich entscheidend, die außenpolitische Dimension vor dem Hintergrund der innenpolitischen Dimension zu analysieren, d.h. die Fortsetzung der imperialistischen Politik der USA als einen Ausdruck ökonomisch, politisch und ideologisch widersprüchlicher Verhältnisse im Inneren zu begreifen. Das leuchtet am ehesten ein, wenn man sich vor Augen führt, dass sich - beispielsweise aus einer Entscheidung zu Gunsten einer Beibehaltung der energetisch-stofflichen Grundlagen der US- und Weltwirtschaft, dem Öl - notwendigerweise außenpolitische Konsequenzen hinsichtlich der geoökonomischen und geopolitischen Rolle der USA im Mittleren Osten ergeben.
Obamas enge Bindung zum neoliberalen DLC
Jedenfalls verdichten sich in letzter Zeit die Kontinuitätszeichen. So trifft sich Obama seit kurzem zur Besprechung der wirtschaftlichen Lage mit Paul Volcker, dem Urheber der neoliberal-monetären Wende in der Geldpolitik der US-Notenbank, und mit Jack Rubin, dessen neoliberale Auffassungen als Rubinomics wirtschaftspolitische Grundlage der Clinton-Administration wurden. Auch der Präsident des DLC, Al From, hat Obama bereits Anfang März als einen der ihren bezeichnet. Trotzdem blieben die recht engen Verknüpfungen Obamas zum neoliberalen DLC bisher fast unerwähnt. Auch die gegenwärtige US-Debatte um seine "Rechtswende" bezieht sich keineswegs auf sein Wirtschaftsprogramm, sondern bloß auf die Gretchenfragen zwischen aufgeklärtem Bürgertum und rechter autoritärer Massenbewegung in den USA: Abtreibung, Waffenbesitz, Schwulenehe etc. Dabei ist schon lange bekannt, dass Obamas Chefberater, Austan Goolsbee, Wirtschaftswissenschaftler an der als neoliberale Kaderschmiede berüchtigten University of Chicago, Kader sowohl des DLC als auch des vom DLC kontrollierten Think Tanks Progressive Policy Institute ist. Für sie hat Goolsbee eine Art Regierungsprogramm entwickelt, dessen Konsequenzen im Folgenden analysiert werden sollen.
Goolsbees Programm geht von der Beobachtung aus, dass sich im (nicht so bezeichneten) Neoliberalismus der letzten 30 Jahre konjunkturzyklenunabhängig sowohl die Einkommens- als auch die Vermögensverteilung massiv sozial polarisiert haben, was zu einer Erosion der Mittelschicht und einer Verelendung der Arbeiterklasse führte. Der Schlüssel des Rätsels sei, dass im Neoliberalismus, in dem die Finanzmärkte ihren Charakter von der Investitionsfinanzierung zur Finanzinvestition gewandelt haben, den Finanzmärkten eine gewaltige Umverteilungsfunktion von unten nach oben innewohne. Goolsbees Patentrezept dagegen ist eine "Demokratisierung des Kapitalismus", d.h. die Beteiligung der mittleren und unteren Bevölkerungsschichten an den Gewinnen der Finanzmärkte. Diese müssten in die Lage versetzt werden, selbst Unternehmensanteile qua Aktien zu erwerben.
Die Antwort von Obamas Demokratischer Partei auf die in den Mittelpunkt des Wahlkampfes gerückte soziale Frage ist also das Versprechen einer sozialen Besserstellung der Arbeiterklasse und "Mittelschicht". Dabei ist es wichtig zu beachten, dass die USA von einem historischen Sonderweg geprägt sind, der darin besteht, dass sie als einziges fortgeschritten kapitalistisches Land zwar eine organisierte Arbeiterbewegung, aber keine unabhängige politische Partei der Arbeiterklasse hervorgebracht haben, die mit den sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien Europas vergleichbar wäre. So hat die Demokratische Partei - v.a. seit den 1930er Jahren - die Funktion einer quasisozialdemokratischen Partei erfüllt. Unter sozialdemokratisch sei dabei die politische Nähe zur Gewerkschaftsbewegung und eine im Verhältnis zur Republikanischen Partei linkere Orientierung verstanden, die im Sinne von Norberto Bobbio als Orientierung an einem irgendwie gearteten Gleichheitsbegriff definiert sei, denn auch der "selbstverantwortlichen Chancengleichheit" des "vorsorgenden Sozialstaats" einer neoliberal transformierten Sozialdemokratie liegt noch eine irgendwie geartete Gleichheitsvorstellung zu Grunde.
Politik des ausgeglichenen Staatshaushalts
Vor diesem Hintergrund setze ich im Folgenden voraus, dass der von Goolsbee geäußerten Kritik an der sozialen Polarisierung ein "ehrliches" sozialdemokratisches Unrechtsbewusstsein zu Grunde liegt oder wenigstens die Vorstellung, dass eine Adressierung, Milderung oder Behebung dieser Polarisierung den institutionellen Machtinteressen der Demokratischen Partei entgegenkämen. Dabei zeigt sich, dass Obama die Marktprobleme der tiefen Krise prinzipiell mit Marktlösungen angehen will und am theologischen Postulat einer selbstregulierten kapitalistischen Gesellschaft nicht wesentlich rüttelt. Dies hängt damit zusammen, dass die auf weite Teile der Realökonomie ausgreifende Finanzkrise trotz verschärfter Transparenzauflagen seitens der Bush-Administration nicht zur Einsicht in die Notwendigkeit einer Reregulierung der Finanzmärkte geführt hat. Von einer Reregulierung der Finanzmärkte ist im US-Wahlkampf zu keiner Zeit die Rede gewesen. Und doch wäre sie eine Kernbedingung für eine postneoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Auch eine Milderung der Erosion der "Mittelschicht" und der Verelendung der US-Arbeiterklasse jenseits der hochtechnologischen Hochlohnbereiche wird ohne sie nicht zu haben sein. Schließlich sind ohne sie auch die Mittel zur Behebung der neoliberalen sozialen Polarisierungsprozesse arg begrenzt. Denn wer "A" - Verzicht auf eine Reregulierung des Finanzmarktkapitalismus - sagt, muss auch "B" sagen: "Uns bleiben als staatliche Akteure ausschließlich redistributive Mittel als sozialpolitische Steuerungsmaßnahmen".
Hierbei zeigt sich, dass die Obama-Administration in spe sich auch noch "künstlich" behindert. Denn es bestehen bis heute keine Anzeichen dafür, dass die wahrscheinlich gewordene Obama-Präsidentschaft eine Abkehr von der Politik des ausgeglichenen Staatshaushaltes bedeuten wird. In den USA aber, in denen kein "Neuer Konstitutionalismus" die Regierungen zu einer solchen Politik "zwingt" und man über die Surplus-Macht des Zugriffes auf die globalen Finanzreserven verfügt, kann dies nur als selbstverschuldete Unmündigkeit, als neoliberale Selbst-Maastrichtisierung bezeichnet werden.
Während der US-Neokonservatismus die besondere Macht der USA, die andernorts längst den IWF mit Strukturanpassungsprogrammen auf den Plan gerufen hätte, genutzt und mit seiner massiven Steuersenkungs-, Aufrüstungs- und imperialistischen Kriegspolitik den US-Haushalt in eine brisante Schieflage gebracht hat, übt sich auch Obama in Sachen Clinton'schem Fiskalkonservatismus (dabei sei dahingestellt, ob er dies in vorauseilendem Gehorsam und aus Angst vor dem Stigma des "tax-and-spend liberals" tut, oder man es als Ausdruck der allgemeinen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse in den USA interpretieren muss).
So hat Goolsbee zwar angekündigt, dass das US-Haushaltsdefizit keinesfalls kurzfristig aufzuheben sei, und bekräftigt, dass "die langfristige Haushaltsgesundung _ von entscheidenden Investitionen bspw. zu Gunsten der Erschwinglichkeit der Hochschulbildung und für die Aus- und Weiterbildung des Arbeitskräftereservoirs und die Infrastruktur des Landes abhängt". Doch befindet sich sein Ansatz des "reskilling" der "deskilled", der Umschulung und Weiterbildung der durch die kapitalistische Entwicklung Ausgespuckten, im klassischen Fahrwasser der "fördernden und fordernden", progressiv-wettbewerbsstaatlichen Neosozialdemokratie und der Ersetzung von Klassenkampf und sozialer Sicherheit durch den entpolitisierten "Dritten Weg" und den vorsorgenden Sozialstaat.
Für diese Position steht der DLC genauso wie Obama selbst, der Anfang Juli seine materielle und ideelle Förderung der privaten (kirchlichen) Sozialeinrichtungen und damit die faktische neoliberale Privatisierung des Sozialstaats und Transformation der sozialen Sicherheit vom sozialen Recht zum paternalistischen Almosen mit dem Argument begründet hat, "die heutigen Herausforderungen - angefangen von der Rettung unseres Planeten bis zur Abschaffung der Armut - sind heute viel zu groß, als dass sie vom Staat allein gelöst werden können".
Eine ähnliche Marktorientierung beweist Obama auch in Sachen Energiewende, wo er sich für den Emissionshandel einsetzt, oder der katastrophalen US-Gesundheitsversorgung. Er verspricht, in seiner ersten Legislaturperiode die gesamte US-Bevölkerung versichert zu haben, distanziert sich aber gleichzeitig zunehmend von jedem Single-Payer-Gesundheitssystem und hält sich mit Kritik an der zu entmachtenden Gesundheitsindustrie, die mit einem Budget von 2,2 Mrd. US-Dollar heute der größte Lobbyist in Washington ist, äußerst zurück.
Das Goolsbee-Projekt ist in sich konsequent: Verzichtet man auf die Reregulierung der Finanzmärkte, beobachtet gleichzeitig aber den gewaltigen Umverteilungsmechanismus - weg von den Produzierenden und hin zu den FinanzjongleurInnen -, der den Finanzmärkten innewohnt, dann liegt die Schlussfolgerung nahe, dass man - von der Intransparenz der Finanzmärkte mal abstrahierend - die unteren Einkommens- und Mittelschichten, deren Spar- und Anlagenquote immer geringer wird, am Kasinokapitalismus und seinen Gewinnen beteiligen muss.
Sofern Goolsbee nicht im Bündnis mit den Gewerkschaften deren politische Stärkung verfolgt, um ihre Tarifabschlüsse oder Marktmachtposition zu verbessern, kann die Ausweitung der Finanzspielräume der unteren und mittleren Einkommensschichten nur noch steuerpolitisch, durch Steuerleichterungen, erreicht werden. Dabei gibt sich Goolsbee in seinem Versuch, die Arbeiterklasse und "Mittelschicht" als Sparer und (Klein-)Anleger zu kapitalistischen InvestorInnen zu machen, radikal und fordert sogar eine andere Steuerpolitik für die Reichen.
Selbst wenn solche Steuererhöhungen für die kapitalistische Klasse und Steuersenkungen für die Armen nicht bereits im Vorfeld am Widerstand der "powers that be" scheitern sollten, würden sie wohl kaum etwas an den drastischen Verelendungsprozessen der US-Arbeiterklasse und der Erosion der "Mittelschicht" ändern.
Innerer Imperialismusdruck ohne Abmilderung
Denn der finanzielle Spielraum, der so für die unteren und mittleren Einkommensschichten entstünde, würde durch vier historische Prozesse wieder zugeschüttet: So hat erstens die Dollarabwertung zur Folge, dass die globale Inflation (mit ihren katastrophalen Konsequenzen in der Peripherie) die US-Bevölkerung im Verhältnis zu den anderen fortgeschritten kapitalistischen Ländern doppelt trifft; zweitens bedeutet der Zusammenbruch der Immobilienspekulationsblase, dass der "Überkonsum" der US-Bevölkerung qua Privathaushaltsverschuldung auf der Grundlage überbewerteten Hauseigentums (im Zusammenspiel mit der Dollar-Abwertung) an sein historisches Ende geraten ist, d.h. zusätzliches Einkommen hätte diesen Konsumtionsquellenverlust aufzuwiegen; drittens schwächt im Kontext der seit der Fordismuskrise erstmals wiedergekehrten Stagflation die sprunghaft auf 5,9% angestiegene Arbeitslosigkeit die Marktmacht der Arbeiterklasse noch über ihre historische Schwäche hinaus und sorgt für zusätzlichen Druck auf die Löhne; und viertens hängt mit dem Zusammenspiel aus konjunkturpolitisch verpuffenden Leitzinssenkungen, die unter normalen Umständen das Investitionsaufkommen und damit die Marktmacht der ArbeiterInnen stärken würden, und der daraus erwachsenden Gefahr einer Fluchtbewegung aus dem US-Dollar noch ein weiteres Damoklesschwert über dem privaten wie staatlichen Gesamtüberkonsum der USA.
Kurzum: Während die Finanzkrise und die drohende Rezession die USA an einem historischen Tiefpunkt des trotz sinkender oder stagnierender Reallöhne gehaltenen Arbeiterkonsumniveaus gebracht hat (mit all seinen möglichen klassenpolitischen Konsequenzen) und mit der eingebrochenen aggregierten Nachfrage im Privatsektor der eine Teil der weltwirtschaftlichen Funktion der USA als "importer of last resort" wegzubrechen droht, würden die Obama-Goolsbee'schen Steuererleichterungen für die Armen wenig am Status quo ändern. Eine Abhilfe für die drastischen Verelendungsprozesse der Arbeiterklasse und die objektive und bei Zehntausenden von Hauszwangsversteigerungen monatlich auch subjektiv fundamental durchschlagende Erosion der Mittelschicht sind sie nicht.
Zudem stellt sich die Frage nach der Gegenfinanzierung solcher Maßnahmen. Denn Barack Obama geht in seiner fiskalkonservativen Grundorientierung noch weiter als sein Chefberater und macht sich für die Wiedereinführung der PAYGO-Politik stark, welche die Haushaltsverschuldung ohne Gegenfinanzierungen gesetzlich verbieten soll. Damit schwächt sich die redistributive Politik noch selbst, denn die drohende Rezession wird die Finanzkrise des US-Staates ausweiten und die finanziellen Spielräume drastisch einengen.
Während im Kontext der Krise die finanzielle Belastung der Arbeitslosenversicherung zwangsläufig ansteigen wird, sind zudem die Kosten für die staatliche Gesundheitsversorgung "Medicare" zu schultern und steigen die Kosten für "Medicaid", die Minimalgesundheitsversicherung für arme RentnerInnen, durch die Renteneintrittswelle der Baby-Boomer. Selbst wenn sich im besten Fall die PAYGO-Politik nur auf die Neuverschuldung beziehen sollte und in anderen Haushaltsbereichen gekürzt wird, um z.B. Steuererleichterungen für die Armen möglich zu machen, wird sich eine Obama-Administration bald in den Fängen einer drastischen Staatsfinanzkrise wiederfinden und werden "Sachzwänge" auftreten, die jene Kräfte im DLC beflügeln, die schon jetzt auf weitere Leistungskürzungen in den Bereichen "Medicare", "Medicaid" und Arbeitslosenversicherung zur Lösung der anstehenden Budgetprobleme drängen.
Obamas Präsidentschaft wird also die tiefe Krise der US-Gesellschaft und ihren inneren Imperialismusdruck nicht mildern. Es besteht sogar die Chance, dass die Neuauflage der neoliberalen Politik des ausgeglichenen Staatshaushalts im Zusammenspiel mit der kollabierenden Binnennachfrage die Funktion der USA als globalkeynesianischer Überschusskapital- und Überschusswarenschwamm zusätzlich schwächt, denn sowohl die EU-Osterweiterung als auch die Entstehung eines südostasiatischen Binnenmarktes mildern die Abhängigkeit vom dann längst nicht mehr so gigantischen US-Markt als "importer of last resort".
Mit der prekär gewordenen weltwirtschaftlichen Funktion der USA sinkt jedoch gleichzeitig tendenziell ihr politisches Gewicht in der Welt. Auch ihre Militärkapazitäten, die vom globalen Kapitalzufluss abhängig bleiben, werden dementsprechend prekärer. Setzt Obama den Militärkeynesianismus fort und bezieht sich die PAYGO-Politik tatsächlich nur auf die Neuverschuldung, dann bleibt mit der stetig wachsenden Bedeutung des militärisch-industriellen Komplexes, der seine Macht nicht in der Republikanischen Partei, sondern in seinen regionalen Kongressabgeordneten besitzt, die Notwendigkeit der imperialistischen Politik bestehen. Der demokratisch kontrollierte Kongress hat sich von daher auch nicht gegen die weitere Erhöhung des Kriegsbudgets gestemmt.
Vielleicht wäre es möglich, die tickende Finanzbombe des US-Imperiums durch eine Verteilung seiner Kosten auf breitere Schultern vor dem Explodieren zu schützen. Dafür reicht aber kein "Soft-Power"- und "Multilateralismus"-Gerede, sondern muss v.a. dem institutionell kriselnden und politisch wie militärisch noch nicht für ein Alternativprojekt zum US-Imperium gerüsteten "Brückenkopf EU auf der eurasischen Landmasse" - so Obamas imperialistischer Berater Zbigniev Brzezinski - eine materielle Beteiligung an der Irakbeute in Aussicht gestellt werden. Dies widerspricht allerdings dem eigentlichen Ziel des Krieges, der Verhinderung eines relativen Niedergangs der USA durch die Kontrolle des Öls und seiner Seigneuragegewinne. Dennoch ist Obama Wasser auf die Mühlen der durch Malikis jüngste Versprechen beflügelten transatlantisch-imperialen Kapitalfraktionen in Europa. In Europa ist damit die Kritik der hiesigen zivilgesellschaftlichen Ausstrahlungskraft Obamas und die Zerstörung von Illusionen über diesen schlichten "Gegner dummer Kriege" ein wichtiges Moment in der Bekämpfung des europäischen Subimperialismus innerhalb des US-Imperiums.
Die Chance, den relativen Niedergang der USA in der Weltordnung durch den riskanten Befreiungsschlag eines neuen New Deals abzuwenden, wird von der Obama-Administration in spe wohl verspielt werden. Womöglich hätte der Versuch, durch die Nutzung der Surplus-Macht der USA, mit dem Dollar-Wall-Street-Regime über den Zugriff auf die globalen Finanzreserven zu verfügen, unter Umständen zum ökonomischen und politischen Selbstläufer werden können. Z.B. durch planmäßige, massive öffentliche Investitionen in Zukunftstechnologien der Energiewende, die nicht nur kurzfristig die Beschäftigtenquote erhöhen, die Sozialsysteme entlasten und mittelfristig einen neuen Hochlohnsektor qua "geistiger Eigentumsrechte" und hoher ökonomischer Skaleneffekte hätte schaffen können, sondern auch die beschädigte globale Führungsrolle der USA in der Klimapolitik reparieren würde.
Ein neuer New Deal ist unwahrscheinlich
Die vom kernkraftskeptischen Obama, der auch die Ölförderung im eigenen Land ablehnt, geforderte Energieunabhängigkeit wird aber ohne die Schaffung einer solchen neuen Machtbasis nicht vom Himmel fallen. Es mag den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen oder schlicht dem fehlenden Mut Obamas zu wirklicher charismatischer Herrschaft und der Konstruktion eines neuen, popular gestützten hegemonialen Bündnisses geschuldet sein - der Wendestimmung und konservativen Hegemoniekrise in den USA wird jedoch keine wirkliche Wende folgen, weder in innen- noch in außenpolitischer Sicht.
Stattdessen wird unter ihm mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit die zahnlose und hegemonieunfähige progressiv-wettbewerbsstaatliche Nachbereinigungspolitik der Dritten-Wegs-Sozialdemokratie fortgesetzt. Die Linke in den USA wird vor der Aufgabe stehen, die Illusion zu zerstören, dass mit einer Politik des ausgeglichenen Staatshaushalts und ohne eine Reregulierung der Finanzmärkte eine Aufhebung des grassierenden Elends zu haben sein wird, und muss für ein alternatives Projekt streiten.
Die USA werden also keinen "Ronald Reagan der Linken" erleben. Wird mit der Politik der neoliberalen Selbst-Maastrichtisierung nicht gebrochen, werden die USA im November einen zweiten Clinton bekommen - allerdings unter den Bedingungen eines fortgeschrittenen relativen Niedergangs in der globalen politischen Ökonomie. Die sich bietende Chance einer dauerhaften Aufhebung der 40 Jahre währenden Republikanerhegemonie wird verspielt werden.
Zwar mag sich die christlich-fundamentalistische Bewegung, die subalterne Massenbasis der Republikaner, in dieser Wahl passiv enthalten. Für eine dauerhafte Herauslösung und aktive Einbindung in einen progressiven gegenhegemonialen Block mit einer neuen "geistig-moralischen Führung" bedürfte es aber einer religiös "deradikalisierend" und klassenbildend wirkenden Neuer-New-Deal-Koalition. Die Alternative ist der Absturz in die Barbarei.
Ingar Solty
ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 530/15.8.2008