Seit
dem Mord an dem Filmemacher Theo van Gogh in den Niederlanden, dem von Dänemark
ausgehenden Karikaturenstreit, der Papst-Kritik am Islam und dem Kulturdisput
um die Mozart-Oper »Idomeneo« in Deutschland hat die Islamismus-Debatte
geradezu hysterische Züge angenommen. Nach neueren Untersuchungen nimmt die
Islam- und überhaupt Fremdenfeindlichkeit in Deutschland ohnehin dramatisch zu.
Dabei zieht sich die Abwehrhaltung gegen den Islam durch alle Schichten der
Bevölkerung. Auch die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz hat
eine »stark wachsende Islamfeindlichkeit« in ganz Europa festgestellt.
Vorurteile und Feindseligkeiten gegenüber Muslimen und islamischen Gemeinden
seien in allen europäischen Mitgliedsstaaten verbreitet und führten häufig zu
Diskriminierung von Muslimen und zu sozialer Ausgrenzung. Die Kommission hat
sich auch mit der Situation von Einwanderern, Flüchtlingen und Asylbewerbern
beschäftigt und dabei festgestellt, daß sich das gesellschaftliche Klima gegen
sie gewendet habe. Dies schlage sich auch in einer restriktiven Gesetzgebung
nieder, die die Diskriminierung faktisch institutionalisiert.
In diesem Zusammenhang läßt sich auch die zeitweise erregte Debatte um ein Kopftuchverbot und um Einbürgerungsprozeduren (»Muslim-Tests«) verorten. Längst schon hat sich die Kopftuch-Debatte sowohl in öffentlichen als auch in privatwirtschaftlichen Arbeitsbereichen stigmatisierend und desintegrierend ausgewirkt. Das Gezerre um ein Tuch hat geradezu groteske Züge angenommen – ganz so, als ginge es bei dem Verbot um eine präventive Antiterrormaßnahme. Kopftücher sind hierzulande zu einer Projektionsfläche für Überfremdungsängste und Islamophobie geworden. Entsprechend wecken sie bei vielen Menschen Ausgrenzungs- und Verbotsreflexe, die von Sicherheitspolitikern bedient, mitunter regelrecht geschürt werden.
Nun gibt es im
Verhältnis zu Muslimen nicht nur Überwachung und Kontrolle, Verbote und
Ausgrenzung, sondern durchaus auch Bemühungen um Dialog und Ausgleich –
allerdings mit recht unterschiedlicher Motivation. In Modellprojekten in
Stuttgart, Essen, Berlin und weiteren Städten wurde eine Kooperation zwischen
Polizei und Moscheevereinen erprobt. Bundeskriminalamt (BKA), Bundesamt für
Verfassungsschutz (BfV) und einige Landesämter bemühen sich seit 2005 zunehmend
um einen sogenannten Sicherheitsdialog mit islamischen Organisationen wie etwa
dem Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) oder der »Türkisch-Islamischen
Union der Anstalt für Religion«. Wie der ZMD mitteilte, ging es bei dem ersten
Treffen Ende 2005 um »Sicherheitsfragen, den gesellschaftlichen Frieden und um
eine Vertrauensbasis zwischen den Sicherheitsorganen und der muslimischen
Bevölkerung, welche für die notwendige Zusammenarbeit mit den Behörden
unerläßlich« sei. Dabei habe der ZMD »seine religiöse Pflicht« bekräftigt, »bei
der Vorbeugung und Bekämpfung jeglicher terroristischer und extremistischer
Handlungen mitzuwirken«. Im übrigen seien die islamischen Gemeinden zur eigenen
Sicherheit auf Informationen des BKA und des Verfassungsschutzes angewiesen.
Eine solch kooperative
Haltung gefiel den beteiligten Sicherheitsbehörden, ist ihnen doch daran
gelegen, so das BfV in einer Pressemitteillung vom 22.9.05, eine »Konzeption zu
konkreten vertrauensbildenden Maßnahmen« zu erarbeiten. Dabei denken sie
besonders an die »Verbreitung von Informationsmaterial über die Arbeit von
Sicherheitsbehörden in Moscheen, die Teilnahme von Vertretern der
Sicherheitsbehörden an Veranstaltungen der muslimischen Gemeinden, die
gegenseitige Benennung von Ansprechpartnern zum konkreten
Informationsaustausch«. Tatsächlich gibt es inzwischen in manchen Moscheen und
islamischen Gemeinden »Kontakt- und Vertrauensleute« der Sicherheitsbehörden.
Die zitierte
Pressemitteilung des BfV bekräftigt die bloße Sicherheitsperspektive dieser
Dialoge, ebenso eine Verlautbarung des BKA-Präsidenten Jörg Ziercke in einem
Brief an den ZMD vom 28.09.2005, wonach der Dialog »einen Beitrag bei der
Bekämpfung extremistischer Bestrebungen und Gefährdungen leisten« solle.
Derartige Sicherheitsdialoge sind zwar nicht von
vornherein abzulehnen – aber sie können für die nichtstaatlichen Dialogpartner
höchst problematisch sein. Zum einen sind die Ansprechpartner in den
Sicherheitsbehörden gleichzeitig Repressions- und Präventionsinstanzen, haben
also eine Doppelfunktion. Zum anderen wird diese Art von Dialog das angespannte
Verhältnis zwischen Muslimen und Sicherheitsbehörden kaum entkrampfen können.
Eher wird das Verhältnis dadurch noch verschlechtert, daß sich viele Muslime
und islamische Gemeinschaften durch einen solchen Diskurs als Problemfälle der
»inneren Sicherheit« abgestempelt sehen – und eben nicht als gleichberechtigte
Bürger, für die grundsätzlich die Unschuldsvermutung gilt. Solchen
Sicherheitsdialogen, die sich konzentrisch auf die Religionszugehörigkeit
beziehen, liegt ja die Annahme zugrunde, Moscheen und islamische Gemeinschaften
seien Brutstätten des »Islamismus«, in denen Extremisten predigen und frische
Terroristen heranziehen.
Moscheegemeinden unter
rein sicherheitspolitischen Aspekten zu betrachten, ist diskriminierend.
Stigmatisierung kann durch »Sicherheitsdialoge« noch verstärkt werden – zumal
diese mehr oder weniger gesellschaftlich aufgezwungen erscheinen und auch zur
Besänftigung einer verunsicherten und verängstigten Bevölkerung inszeniert
werden. Der gesellschaftliche Druck auf Muslime und ihre Gemeinden, sich zu
rechtfertigen und vom Terror zu distanzieren, ist besonders nach
Terroranschlägen enorm – so, als wolle man alle Muslime in »Geiselhaft« dafür
nehmen, »was Islamisten oder islamistische Terroristen tun oder planen«, wie
der inzwischen verstorbene Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel,
kritisierte (taz 24./26.12.04). Das
oft geäußerte Ansinnen aus Politik und christlichen Kirchen, Muslime sollten
doch mit den Sicherheitsorganen verstärkt kooperieren und Verdächtiges und
Verdächtige aus ihrem Umfeld melden – so beispielsweise Kardinal Karl Lehmann
oder der Terrorismus-Experte Rolf Tophoven (Netzeitung
13.07.05) – ist nicht weit entfernt von einer Aufforderung zu permanenter
Denunziation.
Allerdings könnte gerade
zwischen den Partnern von »Sicherheitsdialogen« zumindest der Versuch
unternommen werden, gegenseitiges Mißtrauen, Feindbilder und den
Generalverdacht gegen Muslime abzubauen und Diskriminierungen vorzubeugen. Dann
müßten allerdings auch die Sorgen und Ängste der Muslime und ihre Situation in
diesem Land zum Ausdruck kommen und bei den Behörden Berücksichtigung finden –
etwa die Auswirkungen überzogener Polizeimaßnahmen, die zu einer Verschärfung
der Situation, zu Ausgrenzung und Gewalt führen können. Oder die
Rasterfahndungen der vergangenen Jahre, deren kritische Aufarbeitung und
Überprüfung auf Verhältnismäßigkeit im Lichte des einschlägigen Urteils des
Bundesverfassungsgerichts überfällig ist – damit für die Zukunft Konsequenzen
daraus gezogen werden können. Vor allem auch die Intensivierung der Aus- und
Fortbildung von Polizei- und Verfassungsschutz-Beamten im Hinblick auf einen
bürgerrechtlichen Umgang mit Muslimen und ihren Gemeinschaften müßte erklärtes
Ziel solcher Veranstaltungen sein, ebenso die Vermeidung der Gefahr einer
öffentlichen Stigmatisierung von islamischen Gruppen durch den
Verfassungsschutz.
Wesentlich wichtiger und
produktiver aber als solche »Sicherheitsdialoge« ist eine offene
gesellschaftliche Debatte über das Zusammenleben mit Muslimen, über soziale
Ausgrenzung und Diskriminierung, über Selbstausgrenzung und
»Parallelgesellschaften«, eine offensive und (selbst-)kritische
Auseinandersetzung über das Verhältnis von Religion, Demokratie und
Menschenrechten. Anzustreben ist also ein offener interkultureller Dialog mit
Muslimen und ihren Gemeinschaften – ohne Berührungsängste und jenseits
beschränkter sicherheitspolitischer Überlegungen. Eine nichtrepressive Debatte,
die sich eine konsequente Politik der Entdiskriminierung zum Ziel setzt sowie
eine Integration von Muslimen unter deren aktiver Teilnahme – das hieße aber
auch: ohne das Ansinnen und ohne den Zwang, sich assimilieren zu müssen.
Insoweit ist die von der Bundesregierung initiierte
»Islamkonferenz«, die seit September 2006 tagt und auf etwa drei Jahre angelegt
ist, ein überfälliger positiver Ansatz des interkulturellen Dialogs – auch wenn
die Zusammensetzung der Konferenz immer noch Probleme bereitet und der
gastgebende Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble seine sicherheitspolitische
Brille nicht absetzen mag, sondern sich von der Konferenz eine Art
»Frühwarnsystem« verspricht, also ein weiteres kriminalpräventives Instrument.
Einer solchen Ausrichtung gilt es frühzeitig zu widersprechen, soll dieser
Diskussionsversuch gelingen und zu einer bürgerrechtsverträglichen Integration
beitragen.
Wer
das Gespräch mit Muslimen und ihren Gemeinschaften sucht, sieht sich häufig mit
enormen Berührungsängsten von Seiten der Mehrheitsgesellschaft konfrontiert,
mit Mißtrauen, ja mit Anfeindungen. Der Vorwurf der Blauäugigkeit ist noch der
harmloseste, der dann erhoben wird, wenn man mit bestimmten inkriminierten
Gruppen spricht oder dort referiert, zumal wenn sie vom Verfassungsschutz
beobachtetet werden. Beispiel: die mitgliederstärkste islamische Gemeinschaft
in Deutschland, Milli Görüs, die gelegentlich als »größte extremistische
Ausländerorganisation« bezeichnet wird. Zwar gehe keine Gewalt von ihr aus, weiß
der Verfassungsschutz zu berichten, aber sie weise hierarchisch-zentralistische
Strukturen auf, sei »legalistisch islamistisch« und versuche,
»Parallelgesellschaften« aufzubauen.
Die Tatsache der
Beobachtung durch den Verfassungsschutz und die Aufnahme in seine Berichte
haben stigmatisierende Wirkung: Wer mit beobachteten Gruppen oder Personen
dennoch das Gespräch sucht, kann wegen »Kontaktschuld« leicht unter Verdacht
und selber unter geheimdienstliche Beobachtung geraten. Deshalb scheuen manche
Personen und Institutionen solche Kontakte wie der christliche Teufel das
Weihwasser. Eine solch obrigkeitshörige Haltung, Kontakt und Dialog nur deshalb
zu verweigern oder abzubrechen, weil der Verfassungsschutz einen islamischen
Gesprächspartner als Beobachtungsobjekt führt, ist nicht nur ausgrenzend und
töricht, sie dürfte für einen notwendigen offenen und kritischen Dialog
geradezu kontraproduktiv sein – selbst wenn islamische Gruppen und ihre
Vertreter von außen oft nur schwer zu beurteilen sind und mit »unseren
Wertvorstellungen« nicht kompatibel zu sein scheinen. Kaum überprüfbare
geheimdienstliche »Erkenntnisse« und Extremismusvorwürfe sind ebenfalls schwer
einzuschätzen und sollten schon deshalb nicht zum entscheidenden Kriterium für
Dialogtauglichkeit werden.
Ein führender Politiker, der sich offensiv wie kaum
ein anderer der Verfassungsschutz-Logik und herrschenden Verteufelungspolitik
zu entziehen verstand, der frühere Bremer Bürgermeister Henning Scherf (SPD),
fungierte schon mal als Schirmherr der umstrittenen Islam-Woche in Bremen und
pflegte bewußt den kritischen Dialog auch mit der islamischen Gemeinschaft
Milli Görüs, die – so glaubte Scherf – nicht nur Fundamentalisten umfasse,
sondern auch liberale Kräfte, die sich zur Demokratie bekennen. Ihm wurde
deshalb »Gutmenschentum« vorgeworfen. Er lasse sich von einer undemokratischen
Organisation instrumentalisieren, die auf diese Weise salonfähig werde und den
interkulturellen Dialog dominieren wolle. Der Gipfel des Vorwurfs: Scherf
stelle damit die Arbeit des Verfassungsschutzes in Frage. So wetterte der
frühere Bremer Innensenator Kuno Böse (CDU) in der Lokalpresse: Es könne nicht
sein, daß ein Teil der Exekutive solche Gruppen beobachte »und dann erleben
muß, daß Amtsträger mit ihnen ›best friends‹ sind«. Scherf konterte die
Kontaktverbotswünsche mit dem Hinweis darauf, daß Dialog Offenheit voraussetze
und die Begegnung mit Muslimen gefördert werden müsse. Er wolle sich »nicht
anstecken lassen von einem alles vergiftenden Vorurteil«. Diese Haltung verdient
Respekt, ganz unabhängig davon, was man von Milli Görüs und anderen islamischen
Gruppen inhaltlich-politisch halten mag. Das ist dann eine Frage der kritischen
Auseinandersetzung. Inzwischen macht Scherfs Vorbild zuweilen Schule,
jedenfalls ist eine gewisse Wende in Richtung Dialog zu verzeichnen.
Der Bremer CDU-Politiker
Jens Eckhoff, der ebenfalls versuchte, mit diffamierenden Behauptungen über die
islamische Gemeinschaft Milli Görüs die Dialogbereitschaft Henning Scherfs in
Mißkredit zu bringen, bezeichnete Milli Görüs als verfassungsfeindlich und
stützte sich dabei auf ein nicht beweisbares Uralt-Zitat des bayerischen
Verfassungsschutzes aus dem Jahr 1989 – als diese Gemeinschaft noch gar nicht
existierte. Das belastende Zitat blieb aus Gründen des »Quellenschutzes« anonym
– »ohne Angabe von Datum, Ort und Person«, wie das Hamburger Landgericht dann
feststellte. Eckhoff wurde gerichtlich untersagt, dieses Zitat in der
Öffentlichkeit weiter zu benutzen, und er unterlag in allen Instanzen: Eine unwahre
Tatsachenbehauptung sei kein Beitrag zur Meinungsbildung und könne keinen
Grundrechtsschutz beanspruchen, so das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg
in letzter Instanz. Mit seiner Verteidigung, man müsse sich doch auf Aussagen
des Verfassungsschutzes verlassen können, kam Eckhoff nicht durch und auch
nicht mit dem hochnotpeinlichen Stoßseufzer: »Auf wen soll man sich denn sonst
verlassen?«
Vielleicht auf den
Verfassungsschutz (VS) in Nordrhein-Westfalen? Doch auch der mußte nach
jahrelangem Rechtsstreit in nichtöffentlicher Sitzung vor dem
Verwaltungsgericht Düsseldorf einräumen, verleumderische Unwahrheiten über
Milli Görüs verbreitet zu haben. Es habe sich unter anderem um eine falsche
Übersetzung und falsche Behauptungen gehandelt, die nicht mehr verwendet werden
dürfen (Aktenzeichen 1 K 4791/03, Beschluß VG Düsseldorf, 28.11.05). Ähnlich
erging es dem VS in Bayern vor dem Verwaltungsgericht München und dem VS in
Baden-Württemberg vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim – dort mußten ganze
Passagen im VS-Bericht unkenntlich gemacht werden. Und dennoch: Die
geheimdienstliche Beobachtung von islamischen Gemeinschaften geht munter
weiter, sie dürfte inzwischen noch verstärkt worden sein.